Einfhrung in die Kneipptherapie und Grundlagen der Kurortmedizin
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Einführung in die Kneipptherapie und Grundlagen der Kurortmedizin Prof. Dr. med. habil. Dr. rer. nat. Helmut G. Pratzel Präsident der International Society of Medical Hydrology and Climatology Baln 1
Kneipp-Therapie Charakteristische Merkmale l Ganzheitsbehandlung: Immer steht der Mensch als untrennbare Einheit von Leib und Seele im Vordergrund. l Prinzip der Übung und des Trainings zur Harmonisierung aller leiblichen und seelisch-geistigen Funktionen mit dem Ziel der Abhärtung, geringerer Störanfälligkeit, größerer Tragfähigkeit und besserer Anpassung gegenüber allen Anforderungen des Lebens. l Information und Anregung zur Erhaltung und Wiedergewinnung der Gesundheit im Sinne einer umfassenden aktiven Gesundheitspflege. 2
Physiotherapie nach Kneipp Die 5 Säulen § § § Hydrotherapie und verwandte Verfahren Bewegungstherapie Ernährungstherapie Phytotherapie Psychohygiene und Erziehung zur Gesundheit (Ordnungstherapie) 3
1. Hydrotherapie nach Kneipp l Eine hoch entwickelte Hydrotherapie im Sinne eines feindifferenzierten, individuell abstufbaren, der Konstitution und Disposition angepaßten Wasserheilverfahrens, bei dem das Wasser als Träger von thermischen, chemischen und mechanischen sowie hydroelektrischen Reizen den Organismus zu einer sinnvollen Reaktion veranlassen soll. 4
2. Bewegungstherapie nach Kneipp l Eine umfassende aktive und passive Bewegungstherapie: Gymnastik, Heilgymnastik, Wandern, Terrainkuren, Sport, Radfahren, Schwimmen, Bewegungsbäder usw. sowie Massagen in verschiedenen Formen. Sie soll dem krankmachenden Bewegungsmangel des modernen Menschen entgegenwirken. 5
3. Ernährungstherapie nach Kneipp l Eine ausgewogene Ernährungstherapie im Sinne einer naturgerechten Vollwert- oder Basiskost, die ohne Einseitigkeit auf den weitverbreiteten Zivilisationsschaden einer kalorienreichen Mangelkost Rücksicht nimmt und entsprechende Vollkornprodukte, Frischkostbeilagen, Milchprodukte, Vitamine, Mineralsalze, Fermente und Spurenelemente berücksichtigt und alle denaturierten Nahrungsmittel und Genußgifte weitgehend ausschaltet. Sie ist die Grundform für spezielle Ernährungsformen (Krankendiät, Reduktions- und Schonkost). 6
4. Phytotherapie nach Kneipp l Eine kritisch gerichtete Phytotherapie im Sinne der Verwendung von überprüften Heilmitteln auf pflanzlicher Basis als Ausgangsbasis für jede sinnvolle Arzneitherapie. 7
5. Psychohygiene und Erziehung zur Gesundheit nach Kneipp l Eine Psychohygiene und Erziehung zur Gesundheit, die unter Berücksichtigung psychosomatischer, ökologischer und sozialer Zusammenhänge zu einer insgesamt natürlichen Lebensordnung mit dem Ziele optimaler Gesundheit und Leistungsfähigkeit führen soll. 8
Wirkungen der Hydrotherapie l l l l l Besserung der Makro- und Mikrozirkulation Verbesserung der Herzleistung Verbesserung der Sauerstoffversorgung Vegetative Normalisierung, Stabilisierung Allgemeine Abhärtung Körperliche Leistungssteigerung Anregung der Magensekretion Zentrale Erregungssteigerung Anstieg der Ig. M-, a 2 -Makroglobulin-, Komplement C 3 -Konzentration 9
Definitionen im Kur- und Bäderwesen l Hydrotherapie ist ein Teilgebiet der Physiotherapie. Es wird Leitungswasser oder Mineralwasser zum Duschen, Baden, zu Güssen, Wickeln oder Teilbädern benutzt. l Balneotherapie wird im Rahmen der Kurortmedizin als komplexe Heilmaßnahme zusammen mit anderen ganzheitlich ausgerichteten Therapieverfahren als Badekur, Trinkkur oder Inhalationskur unter dem Einfluß von heilklimatischen Faktoren durchgeführt (keine reine Badetherapie!). 10
Balneotherapie und Hydrotherapie l In der Balneotherapie wird vorwiegend die Wirkung der Inhaltsstoffe des Wassers genutzt. Dazu gehört die Anwendung l Zum Baden oder Duschen l Zum Trinken l Zu Spülungen l In der Hydrotherapie werden vorwiegend die physikalischen Faktoren des Wassers zum Baden genutzt. 11
Gebietsgrenzen Kurortwissenschaft Balneologie Klimatologie Andere Hilfswissenschaften Medizinische Balneologie Forschung Diagnostik Hygiene Toxikologie Medizinische Klimatologie Therapie Kurortmedizin Physikalische und Rehabilitative Medizin 12
Kurortmedizin Welche Konzeptionen sind charakteristisch? ldas auf einer Gesundheitslehre aufbauende Therapieprinzip, ldas ganzheitlich auf den Patienten und seine speziellen Probleme ausgerichtete Therapiekonzept, ldie Anwendung stimulierender und stabilisierender Behandlungsformen, 13
Kurortmedizin Welche Konzeptionen sind charakteristisch? l die Stärkung der gesundheitlichen Eigenverantwortung, l die Nutzung einer kulturell erbaulichen und psychologisch spannungsfreien Atmosphäre zur Förderung der therapeutischen Akzeptanz. 14
Problematik zum schulmedizinischen Verständnis l Kurortmedizin kann nicht nach den Regeln der Pharmakologie beurteilt werden l Kurortmedizin nutzt stimulative Methoden zum Training physiologischer Funktionen l Mit gleichen Methoden können in einigen Fällen Über- und Unterfunktionen behandelt werden 15
Problematik zum schulmedizinischen Verständnis l Unterschiedliche Mittel können zum gleichen Ergebnis führen l Krankheiten aus völlig verschiedenen Bereichen der Medizin können mit dem gleichen Therapeutikum behandelt werden. 16
Therapeutische Prinzipien der Medizin 1 stimulatio l Naturheilverfahren, Reaktivierung von Selbstheilungskräften 2 substitutio l Ersatz für metabolische Mangelzustände 3 directio l Pharmakotherapie 4 excludio l Chirurgie } Salutogenetisch orientiert „Natürliche Heilung" Pathogenetisch orientiert "Kunstheilung" 17
1. Stimulatio l Anregung, somatisch und psychisch, insbesondere durch Auslösung von Gegenreaktionen, dadurch Training physiologischer Funktionssysteme zu Verbesserung ihrer Leistungskapazität (Prävention) oder Reaktivierung von endogenen Abwehrmechanismen zur Eigenbewältigung pathologischer Situationen (Kuration und Rehabilitation durch Reaktivierung vorhandener Selbstheilungskräfte). 18
2. Substitutio l Ersatz und Ergänzung fehlender Substanzen und Fähigkeiten, soweit diese durch Stimulation nicht ausreichend mobilisiert werden können (Insulin, Vitamine, Prothesen, Brille, usw. ). 19
3. Direktio l Lenkung pathophysiologischer Funktionsabläufe durch Medikamente, wenn die Möglichkeiten der Stimulation durch Reaktivierung endogener Selbstheilungskräfte versagen, mit dem Ziel stabilisierte physiologische Funktionen wieder herzustellen um langfristige Abhängigkeiten zu vermeiden. 20
4. Exklusio l Endogen: Ausschaltung nicht mehr zu reparierender Systeme durch chirurgischen Eingriff, wenn andere Maßnahmen erfolglos waren oder von vorne herein Erfolglos scheinen. l Exogen: Entlastung von krankmachenden Noxen und Verhaltensweisen (Ernährung, Genußmittel, Medikamentenmisbrauch, Verweichlichung). 21
Wir unterscheiden l Medizinische Behandlungszentren und l Wellness-Zentren 22
Kurorttypen l Medizinische Behandlungszentren: l Balneotherapeutische Zentren mit medizinisch nutzbaren Mineralwässern oder Peloiden l Thermalbäder mit medizinisch nutzbaren Thermalwässern l Klimatherapeutische Zentren zur Nutzung des Heilklimas im Hochgebirge oder Mittelgebirge l Kneipp-Zentren mit Einrichtungen und Erfahrung in der Kneipp-Therapie l Thalasso-Zentren (Seeheilbäder) zur medizinischen Nutzung der Heilmittel der Meere 23
Kurorttypen l Wellness-Zentren zur Nutzung von Einrichtungen zur Freude und Entspannung: l Spa-Hotels l Seebäder (Thalasso-Wellness) l Luftkurorte 24
Zwei Funktionen der Kurorte l Kurorte sind Zentren zur Behandlung von chronisch Kranken unter Nutzung von präventiven und rehabilitativen Strategien l Kurorte sind Zentren zur Stabilisierung der Gesundheit durch Organisation einer gesundheitsdienliche Erholung (Wellness? ) 25
Gesundheitlicher Zustand und therapeutische Kompetenz Gesundheits -Urlaub im l Gesund Bad l Chronisch krank l Akut krank l Notfall Hausarzt l Erschöpft Medizinische Behandlung am Kurort Krankenhaus 26
Anzahl deutscher Kurorte l Mineralwasser- und Moorbäder l Klimakurorte l Seeheilbäder l Kneippkurorte l Gesamt 166 41 54 50 311 27
Leistungen Deutscher Kurorte l. Jährlicher Bruttoumsatz 18 Mrd € l. Anteil am Brutto-Inlandsprodukt 1, 2% l. Vollarbeitsplätze 320 000 l. Ausbildungsplätze 15 000 l. Kurgäste 2000 16, 669 Millionen lÜbernachtungen 2000 103, 827 Millionen 28
l. Die Balneotherapie beruht auf sehr langen Erfahrungen l. Viele Regeln der Badeanwendung sind auch heute noch aktuell 29
Baderegeln aus dem 14. Jahrh. nach Pietro da Tossignano l Wenn du ins Bad reisen willst, mußt du nach dem Rate des Arztes abgeführt und zur Ader gelassen haben, sofern es zuträglich ist. l Wer ins Bad steigt, darf weder kalt noch erhitzt sein. l Der Körper darf keine Neigungen zu Entzündungen haben, wie das bei allen denen der Fall ist, die ein akutes Fieber überstanden haben, die zu schleichenden Fiebern disponiert oder ausgezehrt sind. l Vor der Kur ist zu häufiger Coitus oder zu große Enthaltsamkeit nicht angezeigt, ebenso alles andere, was 30 die Kraft schwächen könnte.
Baderegeln aus dem 14. Jahrh. nach Pietro da Tossignano l Bevor man ins Bad steigt, muß man nüchtern sein. Wer das Bad nicht verträgt, nehme mehrmals 2 Löffel gut gewaschene Rosinen mit 2 Teilen Wasser und 1 Teil Wein oder einige in Wasser aufgeweichte Backpflaumen. Man trinke weder im Bad noch danach, solange man noch nicht gegessen hat. l Man muß jeden Tag baden und etwa 1 Stunde im Bad bleiben, etwa 15 Tage lang. 31
Baderegeln aus dem 14. Jahrh. nach Pietro da Tossignano l Wenn man das Bad verlassen hat, lege man sich ins Bett und warte dort den Schweißausbruch ab. Wenn man geschwitzt hat, lasse man sich abtrocknen und mit Tüchern ganz abreiben. Man ziehe sich an und gehe so lange an die frische Luft, wie die Wärme des Bades noch nachwirkt. Erst dann soll man frühstücken. Sollte man vorher Durst haben, so nehme man weißen Zucker oder Rosinen oder irgend etwas, was den Durst löscht, aber man trinke nichts. Der Arme der kein Bett hat, soll in der Badestube bleiben, bis er gut geschwitzt hat. Dann gehe er hinaus und tue, wie angegeben. 32
Baderegeln aus dem 14. Jahrh. nach Pietro da Tossignano l Man hüte sich während der Zeit, die man im Bade weilt, vor Erkältungen aller Art, aber auch noch mehrere Monate danach, weil die Kraft des Bades noch längere Zeit nachwirkt, in der Regel 6 Monate. 33
Baderegeln aus dem 14. Jahrh. nach Pietro da Tossignano l Wenn man zum ersten Mal das Bad benutzt, darf man nur kurz darin bleiben, beim zweiten Mal etwas länger, beim dritten Mal noch etwas länger, erst beim vierten Bad darf man bis zu der verordneten Zeit (1 Stunde) im Wasser bleiben. Das gleiche gilt von dem auf den Kopf gerichteten Tropfbad. Am ersten Tag darf man nur 1 Bad nehmen, am zweiten Tage 2 Bäder. Außerdem muß man wissen, daß man an demselben Tage 1 Vollbad und 1 auf den Kopf gerichtetes Tropfbad nehmen kann. Es ist besser, das Bad dem Tropfbad voraus gehen zu lassen als umgekehrt. 34
Baderegeln aus dem 14. Jahrh. nach Pietro da Tossignano l Wer ein Tropfbad nehmen will, muss geschoren oder rasiert sein, damit die Haare nicht die Wirkung des Bades hindern. l Weil bei diesen Maßnahmen eine Entzündung der Leber oder Nieren zu befürchten ist, soll man vor jedem Bade die genannten Stellen mit Sandelsalbe einreiben. 35
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