Angehrige von Menschen mit Demenz Zwischen Hilflosigkeit und

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Angehörige von Menschen mit Demenz. Zwischen Hilflosigkeit und Widerstand Prof. Dr. Katharina Gröning, Universität

Angehörige von Menschen mit Demenz. Zwischen Hilflosigkeit und Widerstand Prof. Dr. Katharina Gröning, Universität Bielefeld

Eine Szene Im Mai 2019 war ich auf Einladung einer Psychiatrie zum Angehörigentag dort

Eine Szene Im Mai 2019 war ich auf Einladung einer Psychiatrie zum Angehörigentag dort eingeladen und lernte u. a. eine Ehefrau kennen, die ihren, an Demenz erkrankten Mann pflegt und sich neben den Beschwerden über seine Symptome nach der gesamten Perspektive ihrer derzeitigen Lage erkundigte. Ehe ich falsche Hoffnung verbreitete, kam es mir darauf an, die völlig andere Situation der Ehepartner im Unterschied zu den pflegenden Kindern deutlich zu machen. Einen demenzkranken Partner zu pflegen heißt, dass sich die Pflegedimension immer tiefer in die Ehe schiebt, bis aus der Ehebeziehung eine Pflegebeziehung wird. Das muss nicht traumatisch sein, ist aber sehr traurig, viel trauriger als die Verwandlung der Eltern. Kind-Beziehung in eine Pflegebeziehung, da jede gute Ehe im Kern auf hoher emotionaler Intimität, auf Vertrauen und auf hohe Loyalität aufgebaut ist. Wo die Entwicklungsaufgabe von pflegenden Kindern als „filiale Reife“ (nicht Rollenumkehr), Blenkner 1965, beschrieben wird, ist die Entwicklungsaufgabe der Ehepartner diffuser und umfänglicher und betrifft die Pflege, die Ehe und die eigene Biografie. In Bezug auf die Pflege geht es um Kompetenzerwerb, in Bezug die Ehe um eine fundamentale Rollenveränderung und in Bezug auf die Biografie um eine Neuorientierung.

Dimensionen der Pflege: - das Denken über Demenz, - Umgang mit Scham, - Dimensionen

Dimensionen der Pflege: - das Denken über Demenz, - Umgang mit Scham, - Dimensionen des gelingenderen Alltags Bindung, - subjektives Verstehen, - angehörig sein (Umgang mit Professionen, Anwaltlichkeit und Schutz)

Die Pflegedimension • • Normalismus, Vergeschlechtlichung, Scham Bindung

Die Pflegedimension • • Normalismus, Vergeschlechtlichung, Scham Bindung

Sonderfall Demenzpflege • Im Kontext von Demenz ist die Reflexion des familialen Wertesystems als

Sonderfall Demenzpflege • Im Kontext von Demenz ist die Reflexion des familialen Wertesystems als Auseinandersetzung mit dem Normalismus von Bedeutung (Link 2013), • dann die Reflexion der Vergeschlechtlichung der Pflege. • Im Rahmen unseres Projektes pflegen bei Demenz nur 18, 9% Männer, aber 81, 1 % Frauen.

Geschlecht der demenzpflegenden Angehörigen (in %) n = 594 (ohne präventive Teilnehmer/innen). 18. 9

Geschlecht der demenzpflegenden Angehörigen (in %) n = 594 (ohne präventive Teilnehmer/innen). 18. 9 weiblich männlich 81. 1

Wertesysteme • die pflegende Familie hat weder einen grundgesetzlichen Schutz (Thiele 2000) • noch

Wertesysteme • die pflegende Familie hat weder einen grundgesetzlichen Schutz (Thiele 2000) • noch ausreichende sozialrechtliche Unterstützung • noch innerfamiliale Anerkennung (Gröning/ Kunstmann/ Rensing 2004). • Die Deutung der Pflege erfolgt entweder auf der Ebene der Tradition, im Sinne von linearen Ethiken. Danach tut man das seinen Kindern, was die Eltern einem selbst getan haben (Schultheis 1993, Bourdieu 1997). • Das zweite, modern geltende Konzept der Familienpolitik, und hier ist die Fürsorge für alte Eltern eingeschlossen, ist das der Wahlfreiheit (vgl. Nauck 2006).

Doing family • Die für die Familienarbeit hauptverantwortlichen Frauen deuten die Pflege aus ihrem

Doing family • Die für die Familienarbeit hauptverantwortlichen Frauen deuten die Pflege aus ihrem jeweiligen Familienverständnis, welches Jurczyk/Schier (2007) Familie als Herstellungsleistung nennen. Familie ist hier eine Integration von zeitlichen, rollenbezogenen, materiellen, funktionalen und emotionalen Dimensionen zu einem sinnhaften Ganzen. Diese sinnhafte Handlungsketten werden von Jurczyk/Schier (2007) aber auch von Hans Bertram (2000) doing family genannt.

Protonormalismus • „Ich hab zwei Fälle, das ist eigentlich beides ein Ehepaar, beide Mitte

Protonormalismus • „Ich hab zwei Fälle, das ist eigentlich beides ein Ehepaar, beide Mitte siebzig, beiden der Mann dement. Die eine sitzt den ganzen Tag und sagt: » So, du bleibst jetzt hier sitzen. Nein, du kannst nicht mehr zum Fenster, du kannst nicht mehr da bei den Vögeln sitzen. Nein, du musst jetzt hier sitzen bleiben, wir wollen jetzt gleich Mittagessen. Du isst jetzt dein Mittagessen auf «. Der sitzt 70%, 80% des Tages und weint. “ (Gruppe Schleswig Zeile 103 -107)

Frau C. • Für das Thema „Normalismus als latente Sinnstruktur der Konflikte im Umgang

Frau C. • Für das Thema „Normalismus als latente Sinnstruktur der Konflikte im Umgang mit Demenz“ ist die Pflegesituation von Frau C. exemplarisch. Frau C. gehört zu einem mittleren sozialen Volksmilieu und pflegt zuerst gemeinsam mit ihrer Mutter den Vater. Die Familie lebt in unmittelbarer Nachbarschaft der alten Eltern und Frau P. , die Mutter von Frau C. , erkrankt zwei Jahre nach dem Tod des Ehemannes an einer Demenz. Das institutionelle Pflegearrangement der Familie sieht den normalistischen Generationentausch - Erbe gegen Sorge - vor und wird von Frau P. vergeschlechtlicht. Ein Testament wird gemacht, welches Frau C. als die Haupterbin einsetzt, die Mutter verfügt vor ihrer Erkrankung, dass das Haus nicht verkauft werden soll. Auf diese Weise werden zwei Brüder, die weiter weg wohnen, aus der Verantwortung und aus der Entscheidung ausgeklammert. Die Konsequenz ist eine vergeschlechtlichte Pflege mit Frau C. als Alleinverantwortliche und Bezugsperson der Mutter. Im Verlauf des Falls erlebt Frau C. nun, dass nicht nur ihre Brüder, sondern auch ihr Mann ihr kaum Anerkennung in der Pflege zu Teil werden lassen. Einzige Ansprechpartnerin wird ihre pubertierende Tochter, die bei der Pflege helfen muss, während ihr Sohn sich aus der Familie ablöst. Das Wertesystem der Normalisierung als latenter Sinn des Falls wird von Frau C. betont.

Normalisierungsaktionen der Tochter • „…ich hab ihr dann nachher Schlösser in die Fenster einsetzen

Normalisierungsaktionen der Tochter • „…ich hab ihr dann nachher Schlösser in die Fenster einsetzen lassen und überlegte dann, ob ich Gitter an die Treppe machen lasse“. … „Sie fiel auch drüben öfter, dann schloss sie sich ein im Schlafzimmer, dann musste ich über den Balkon klettern. ( Lachen. . . ) Das sind Dinge, die können Sie sich gar nicht vorstellen… Daraus sehen Sie, ich musste rund um die Uhr im Einsatz sein. Also, es ist so bei einem Demenzkranken, da heißt es nicht nur, dass man sich um die alten Leutchen dann kümmern muss, sondern man, man ist selber genauso eingespannt, eingesperrt. Ich bin auch so monatelang nicht in B. , mal wieder in B. gewesen. Man ist rundum die Uhr eingesperrt, mit ihr zusammen. Mmmh“.

Normalisierungsaktionen der Mutter • Wir können in diesen Verhaltensweisen von P. erkennen, wie sehr

Normalisierungsaktionen der Mutter • Wir können in diesen Verhaltensweisen von P. erkennen, wie sehr sie sich dem Kampf um ihre Normalität verschrieben hat. Sie versucht, ihre Rolle als Gastgeberin, Hausfrau, Familienoberhaupt, Bankkundin zu erhalten, aber die Rolle kann nicht mehr dargestellt werden, die Kommunikation mit der Tochter, die nun ihrerseits versucht Ordnung in das Chaos zu bringen, wird zunehmend symmetrisch und eskaliert. Es kommt weiter zum Kampf um die Durchsetzung ihrer subjektiven Zeitstruktur und ihrer alltäglichen Rituale. Frau P. , so klagt die Tochter, nimmt die Patientenrolle nicht an. Frau C. reagiert auf diese Unordnung und Nicht-Normalität mit Normalisierungsversuchen und erwähnt auch immer wieder, dass fremde Leute ihre Mutter nach Hause bringen.

Protonormalismus • „Jedes protonormalistisch als 'anormal' konstituierte Individuum wird als 'wesenhaft anormal' fabriziert –

Protonormalismus • „Jedes protonormalistisch als 'anormal' konstituierte Individuum wird als 'wesenhaft anormal' fabriziert – es bleibt sein Leben lang stets 'anormal'. Die 'Anormalen' erscheinen nun also kulturell als eine 'ganz andere Sorte Mensch' als die 'Normalen' und zwar als potentiell 'gefährlich' – wegen der dennoch zugrunde liegenden normalistischen Kontinuität wächst die Denormalisierungsangst der 'Normalen' im Protonormalismus in durchaus 'pathologische' Dimensionen: Die 'Normalen' fürchten eine Art 'Ansteckung' durch die 'Anormalen'“ (Link 2014, S. 8).

Demenz im Supernormalismus • Dem alten Protonormalismus hat Jürgen Link die neue Figur des

Demenz im Supernormalismus • Dem alten Protonormalismus hat Jürgen Link die neue Figur des flexiblen Normalismus gegenüber gestellt. Heute wird die Veränderbarkeit, die Lernfähigkeit und schließlich, wie Link sagt, die Verwendungsfähigkeit der Menschen betont. Menschen sollen sich optimieren, verändern, verbessern, anbieten und Grenzen überwinden. Die Aufgabe der Institutionen wandelt sich, sie haben nicht mehr die Funktion, die Bevölkerung normalistisch zu überwachen, sondern ihnen bei ihrer Optimierung zu helfen. Das hohe Alter und die Demenz fordern nun diese Kultur des neo-Normalismus heraus. Menschen mit Demenz lernen nicht mehr, optimieren sich nicht mehr, überwinden keine Grenzen – im Gegenteil. Und das Leben mit Demenz dauert immer länger.

Netzwerke • Der überwiegende Teil der demenzpflegenden Hauptpflegepersonen gibt an mit Unterstützung zu pflegen

Netzwerke • Der überwiegende Teil der demenzpflegenden Hauptpflegepersonen gibt an mit Unterstützung zu pflegen (n: 543; allein 87 Personen und 456 unterstützt). Allerdings geben 34, 4 % der pflegenden Ehe-(Lebens)Partnerinnen und Ehe-(Lebens-)Partner an, allein zu pflegen. Auch 10, 2 % der Töchter und 19, 4 % der pflegenden Söhne geben an, allein zu pflegen (100 % je Pflegepersonen).

Scham als Phänomen • Scham wird von Norbert Elias im zweiten Band seines Prozess

Scham als Phänomen • Scham wird von Norbert Elias im zweiten Band seines Prozess der Zivilisation“ (1976, S. 394 ff) als Reaktion auf Bloßstellung verstanden. Menschen sind verletzungsoffen, sagt auch Heinrich Popitz (1992) in Phänomene der Macht“ und genau deshalb sind wir als verletzungsoffene Wesen beschämbar. Auf Max Scheler (1957) geht die Unterscheidung zwischen der Leibesscham und der Seelenscham zurück. Scham ist bei ihm „das Seelenkleid“ (1957, S. 86) und auch Leon Wurmser (1993) nennt die Scham die Hüterin der Würde. Im Mittelpunkt der seelischen Scham steht der Liebeswert, so Wurmser, der davon spricht, dass eine primäre und sehr frühe Scham dort entsteht, wo es dem Kind nicht gelingt, in der Mutter Gefühle der seelischen Zustimmung durch das Spiegeln und die Resonanz hervorzurufen. Hartmut Rosa (2012, S. 7) nennt diese Resonanz, die das Kind aufbaut die Weltbeziehung als Art des in die Welt gestellt seins und ebenso das, was das Eingreifen in die Welt möglich macht. Die besondere Körperscham wurzelt nach Simmel (1901/1986, S. 142) in der Nacktheit, die besondere Verletzlichkeit bedeute und in der gesellschaftlichen Deutung des Körpers als Repräsentant des „niedrigen Teil des Ich“. Der nackte Körper kann, so Simmel, zunächst einmal nur schwerlich Träger eines Status und Prestiges sein, weshalb er „das Andere“ repräsentiert. Max Scheler nennt die Scham ein Seelenkleid (1957, S. 87). Auch bei ihm ist die Körperscham ein Zwillling der Sexualscham, da Geschlechts- und Entleerungsorgane eng miteinander verbunden seien. Prof. Dr. Katharina Gröning 16

Scham und Gewissen • Die Dualität von hoch und niedrig spricht im Zusammenhang mit

Scham und Gewissen • Die Dualität von hoch und niedrig spricht im Zusammenhang mit der Leibesscham/Körperscham der Psychoanalytiker und Kliniker Leon Wurmser in seinem Buch über das Gewissen (1993 b) an, der über die Struktur des Gewissens sagt, dass ein Ideal (die hochstehende innere Instanz) das Ich (die niedriger stehende innere Instanz) ständig beobachtet und alles „mitweiß“, was die niedrigstehende Instanz tut (Wurmser 1993 b). Das Niedrigstehende ist nun jener Ich-Anteil, der mit dem naturhaften Körper, seiner Verletzlichkeit, Unvollkommenheit und seiner Bedürfnisnatur verbunden ist. Dieser niedrigstehende Körper wird vom Über-Ich beobachtet. Prof. Dr. Katharina Gröning 17

Herabsetzungen • Das Schamgefühl wurzelt auch bei Simmel in einem „herabgesetzten“ Anteil des Selbstes,

Herabsetzungen • Das Schamgefühl wurzelt auch bei Simmel in einem „herabgesetzten“ Anteil des Selbstes, weshalb er argumentiert, dass das Schamgefühl sich erst einstellt, wenn der ganze Mensch, nicht nur ein Teil seines Selbstes sich von der Beschämung betroffen fühle, der herabgesetzte Ich-Anteil also als Repräsentant des ganzen Ich erscheine. Besonders Schamrituale und die Rituale der Verachtung, der sozialen Ächtung und der Ausstoßung sind darauf angelegt, genau dieses Gefühl ritualisiert herzustellen, die Herabsetzung, die zunächst nur einen Teil des Ich betrifft, ritualisiert so auszuweiten, dass das ganze Ich erfasst wird. Prof. Dr. Katharina Gröning 18

Soziale Scham • Im Mittelpunkt der sozialen Scham, so der Emotionssoziologe Sighard Neckel steht

Soziale Scham • Im Mittelpunkt der sozialen Scham, so der Emotionssoziologe Sighard Neckel steht der Achtungsverlust. Einer Person kann die Achtung anderer völlig verwehrt werden (Neckel 2006, S. 45). Ob und wie viel Achtung jemand erwarten kann, hängt soziologisch von der Wertschätzung und diese wiederum vom Besitz verschiedener Kapitalien ab. In Bezug auf die soziologische Dimension der Scham nennt Neckel, orientiert an Pierre Bourdieus (z. B. 1997 a) Theorie über die Kapitalformen: ökonomisches, kulturelles und soziales Kapital. Zu den jeweiligen Kapitalformen gehören vier Dimensionen der Achtung und des Achtungsverlustes. Prof. Dr. Katharina Gröning 19

Scham und Würde • Sozial- und entwicklungstheoretisch nehme ich einen engen und unmittelbaren Zusammenhang

Scham und Würde • Sozial- und entwicklungstheoretisch nehme ich einen engen und unmittelbaren Zusammenhang von Pflege und menschlicher Würde zum Ausgangspunkt meiner gesamten Argumentation. Es ist meiner wissenschaftlichen Lehrmeinung nach die Pflege, die menschliche Würde schafft, während umgekehrt die Nicht-Pflege und die Verweigerung von Pflege zu einem Zustand der Würdelosigkeit führt. Letzteres ist die Psychodynamik der Anstalt, des Lagers oder anderer Institutionen, die von Verrohung, Scham und Entweihung geprägt sind. Prof. Dr. Katharina Gröning 20

Bindung • 2004 hat Wilhelm Stuhlmann mit seinem Buch „Demenz braucht Bindung“ einen neuen

Bindung • 2004 hat Wilhelm Stuhlmann mit seinem Buch „Demenz braucht Bindung“ einen neuen Durchbruch bei der salutogenetischen Betrachtung der Demenz, nach Kitwood, Schützendorf oder Böhm erzielt. Der Begriff „Bindung“, im angelsächsischen „attachment“ genannt, wurde bereits Ende der sechziger Jahre von John Bowlby begründet. Er geht von einem biologisch angelegten Bindungssystem aus, das einen Säugling im Falle von Gefahr veranlasst, die Nähe eines Menschen zu suchen, der ihm Schutz und Sicherheit geben kann. Hauptbindungsperson ist immer derjenige, der in den ersten Lebensmonaten eines Kindes den intensivsten Kontakt zu ihm hat. • Sicher gebunden • Vermeidender Stil (durch autoritäre Erziehung und viel Strafe) • Verstrickt (Kind wird abgelehnt, Bezugsperson ist nicht feinfühlig), • Desorganisiert (Kind wird missbraucht, vernachlässigt misshandelt)

Bindungsunsicherheit im Alter Durch Verlusterfahrungen von Freunden und Verwandten oder durch Isolation können latent

Bindungsunsicherheit im Alter Durch Verlusterfahrungen von Freunden und Verwandten oder durch Isolation können latent gebliebene unsichere Muster im Alter wieder reaktiviert werden. Wensauer/Grossmann (1997)betonen einen auffallend hohen Anteil älterer Menschen mit einem unsicheren Bindungstyp. Des Weiteren wurde bei Untersuchungen von Personen mit besonderen Risiken in der Lebensgeschichte ein verstärkter Wandel von ursprünglich sicherem zu unsicherem Bindungsverhalten festgestellt. Heine (2004) weist beispielsweise bei vernachlässigten Kindern nach, dass sich eine unsichere Bindung nach über 50 Jahren im Rahmen einer Demenz bemerkbar machen kann. Er stellt die provozierende Frage, ob nicht schon ein großer Anteil der Entwicklung der Demenz vom Alzheimertyp in früher Kindheit angelegt wird, weil in dieser Lebensphase das neuronale Netz verknüpft und organisiert wird. Insofern hätte das massenhafte Auftreten der Demenz möglichweise nicht etwas mit der Langlebigkeit zu tun, sondern in Kombination auch etwas mit der Kohorte der traumatisierten Kriegskinder.

Die haltvermittelnde Beziehung • Alle menschlichen Entwicklungen sind grundsätzlich angewiesen auf bindungs- und haltvermittelnde

Die haltvermittelnde Beziehung • Alle menschlichen Entwicklungen sind grundsätzlich angewiesen auf bindungs- und haltvermittelnde Beziehungen, eine ‚haltende Mitwelt’ [holding environment], wie das der britische Kinderarzt und Psychoanalytiker Donald W. Winnicott nennt. Nur auf diesem sicheren Beziehungsfundament vermag sich der Mensch zu entwickeln.

Arbeiten mit der sicheren Basis • • • Nicht Optimierung, sondern die Schaffung einer

Arbeiten mit der sicheren Basis • • • Nicht Optimierung, sondern die Schaffung einer sicheren Basis im Rahmen von Halt gebenden Beziehungen, Schaffung von Möglichkeitsräumen zum so-sein, wie ich bin, Übergangsobjekte, Biografiearbeit Thomas Auchter unterscheidet drei Formen des Haltgebens und der Haltlosigkeit: Das archaische Halten, das sogenannte rundherum gehalten werden, für die Demenz ein typisches Verhaltensmuster, Das primäre Halten (Spiegeln, z. B. bei der Validation, beim DCM etc. ), Das sekundäre Halten, Struktur geben. https: //www. youtube. com/watch? v=2 hrw. Zf. YXCd. E

Besondere Dimensionen der Ehepartnerpflege: - Die Regressionsanfälligkeit der Ehe bei Demenz, - Umgang mit

Besondere Dimensionen der Ehepartnerpflege: - Die Regressionsanfälligkeit der Ehe bei Demenz, - Umgang mit der Pflegekollusion, - die Fähigkeit, gemeinsam Emotionen zu erleben (trauern, sich freuen, etwas genießen) - die Fähigkeit, sich gemeinsam zu erinnern, - Aspekte eines guten Lebens, - Anwaltlichkeit und Schutz

Regression Die Halt gebende Beziehung ist besonders in Langzeitehen von Bedeutung, die als Hochaltrige

Regression Die Halt gebende Beziehung ist besonders in Langzeitehen von Bedeutung, die als Hochaltrige in der „kostbaren Zeit“ leben, die eine gewisse Ähnlichkeit mit der „sakralen Zeit“ hat. Hochaltrige Paare haben ein anderes Zeitbewusstsein, als der beschleunigte Alltag. Tritt nun die Demenz in die Ehe wird das eheliche „Wir“ erschüttert. Das Bindungssystem wird aktiviert und übersteigert, es kommt zu Regression.

Kollusionen • • Kollusionen bedeutet Erstarrung in einer Rolle, einer Interaktion, einer Figur in

Kollusionen • • Kollusionen bedeutet Erstarrung in einer Rolle, einer Interaktion, einer Figur in der Ehe, die für beide ungünstig ist. Pflegende Ehepartner in Kollusionen sind meist sehr verzweifelt, können sich aber kaum ohne Hilfe (psychosozialer Beratung, Therapie, Seelsorge) aus ihrer Situation befreien. Im Zusammenspiel, eben der Kollusion beider Partner geht es um unbewusste Angst- und Konfliktbewältigung. Der Partner repräsentiert unterdrückte oder verloren gegangene Anteile der eigenen Person. Die Anziehungskraft des Partners beruht zu einem Teil darauf, dass der andere etwas hat und ausleben darf, was man sich selbst verweigert oder abwehren muss. Zum Problem wird die Kollusion dann, wenn der eine Partner nur noch einen Teil lebt, z. B. den mächtigen Part, der andere Partner den dazu gehörenden Part der Hilflosigkeit. Beide Seiten tendieren dazu, sich zu verstärken: Je hilfloser ich bin, umso mächtiger darfst/musst du sein; je mächtiger du bist, umso hilfloser werde ich, muss/darf ich sein.

Progressiv-regressive Paardynamik • Partner A • Regressiv • das heißt Interaktionszirkel Partner B ich

Progressiv-regressive Paardynamik • Partner A • Regressiv • das heißt Interaktionszirkel Partner B ich bin regressiv/progressiv, weil Progressiv das heißt • • Hilflos Gefügig Passiv Bewundernd • Diese scheinbare ideale Ergänzung ändert sich durch Zeit und Entwicklungsaufgaben fürsorglich dominant aktiv Bewunderung fordernd

Dimensionen der Biografie bei Ehepartner*innen und pflegenden Kindern - Freiheit und Selbstsorge, - Entwicklungsaufgabe

Dimensionen der Biografie bei Ehepartner*innen und pflegenden Kindern - Freiheit und Selbstsorge, - Entwicklungsaufgabe Integrität - Prinzipien des guten Lebens und der primären Güter

Freiheit, Selbstsorge und das gute Leben • Der Begriff stammt von M. Foucault und

Freiheit, Selbstsorge und das gute Leben • Der Begriff stammt von M. Foucault und bezieht sich nicht nur auf äußere, sondern auf die innere Freiheit, es geht um den Willen ein ethisches Wesen zu sein und Selbstachtung zu erlangen. • Sorge für andere setzt Selbstsorge voraus, die Fähigkeit, sich um sich selbst zu kümmern, gilt seit der Antike als wichtige Tugend, Selbstsorge ist verbunden mit Reflexion (freier Blick auf das Selbst, • Kontoklärung und Gerechtigkeit sind hier Schlüsselbegriffe, • Gerechtigkeit und das gute Leben ist ebenfalls ein Titel, den Martha Nussbaum 1999 verfasst hat und der sich mit Lebensqualität und Wohlfahrt befasst. Ursprünglich ist der Ansatz ein entwicklungshilfetheoretischer Ansatz, der Selbstverwirklichungschancen untesucht und z. B. im Gegensatz zum Bruttosozialprodukt als Index für Wohlfahrt steht. Nussbaum geht davon aus, dass zur Messung von Wohlfahrt Selbstverwirklichungschancen betrachtet werden sollten. Insofern muss man sich die Lage von pflegenden Angehörigen insgesamt im Kontext dieses Ansatzes ansehen.

Was sind Fähigkeiten und primäre Güter? • • • Fähigkeiten ein gutes menschliches Leben

Was sind Fähigkeiten und primäre Güter? • • • Fähigkeiten ein gutes menschliches Leben zu führen umfassen erstens die Chance, nicht vorzeitig sterben zu müssen und einen ganzen Lebenszyklus zu haben, alle Lebensphasen sind dabei gleich wertvoll, achtbar und wichtig, Fähigkeiten, ein gutes Leben zu führen, umfasst die Gesundheit, eine angemessene Ernährung, eine sichere, geeignete Unterkunft Möglichkeit Beziehungen und Bindungen zu anderen Menschen, anderen Spezies und zur Natur einzugehen. Möglichkeit zur Mobilität, erholsame Freizeit, Denkvermögen, die Ausbildung von praktischer Vernunft, Autonomie und Subjektivität, Teilhabe an grundlegender Kulturtechniken, eine angemessene Erziehung, eine sinnvolle Berufsausübung sowie politische Partizipation

Danke für die Aufmerksamkeit

Danke für die Aufmerksamkeit