Unternehmensinterne Untersuchungen aus staatsanwaltschaftlicher Sicht Vortrag von Oberstaatsanwltin
Unternehmensinterne Untersuchungen aus staatsanwaltschaftlicher Sicht Vortrag von Oberstaatsanwältin Renate Wimmer, Staatsanwaltschaft München I am 01. Juli 2014 im Institut für Anwaltsrecht an der LMU München, „Aktuelle Probleme des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts in der Anwaltspraxis“
Inhalt n n Internal Investigations – ein Phänomen aus den USA, das die Strafprozessordnung nicht vorsieht und von daher für die deutsche Staatsanwältin / den deutschen Staatsanwalt ohne Belang ist? Internal Investigations ohne rechtliche Verankerung in der deutschen Strafprozessordnung – rechtlicher Wildwuchs? Welche Rechtsfragen stellen sich? Wie sind diese mit dem vorhandenen rechtlichen Instrumentarium zu lösen? Nutzen und Gefahren von Internal Investigations für den deutschen Strafprozess Zusammenfassung
Internal Investigations – ein Phänomen aus den USA, das die Strafprozessordnung nicht vorsieht und von daher für die deutsche Staatsanwältin / den deutschen Staatsanwalt ohne Belang ist? SZ vom 02. 2011, Hans Leyendecker: „… Das Klima in den Chefetagen der deutschen Wirtschaft ist sehr rau geworden. Von den Anfang 2005 beschäftigen 190 Dax-Vorständen sind die meisten nicht mehr im Amt; viele von ihnen gingen unfreiwillig. Fristlose Kündigungen und sofortiger Gehaltsstopp sollen die Gefeuerten unter Druck setzten, um sie am Ende möglichst billig loszuwerden. Manchmal bleibt am Ende, wie im Fall Mitscherlich, nur noch verbrannte Erde. Wenn früher jemand entlassen wurde, ging es meist um die Kassenlage: „Entweder ändern sich die Zahlen oder die Gesichter“, war der Lieblingsspruch des Unternehmers Friedrich Flick, den sie an der Börse „Geier “ nannten. Wenn heute ein Topmanager wie Mitscherlich entlassen wird, geht es um atmosphärische Spannungen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, aber vor allem um neumodische Dinge wie die Compliance und Corporate Governance. “
-2 SZ vom 04. /05. 06. 01. 2014: „Das Geld gehört dem Volk “, Hans Leyendecker, Klaus Ott, Tasos Telloglou (Hervorhebungen durch die Verfasserin): „…Angeblich, so sagte der Alte noch aus, habe die deutsche Firma Atlas Elektronik das Geld an zwei Londoner und eine panamesische Firma überwiesen, die ihm gehörten. Von dort sei das Geld nach Genf geflossen und dann im Koffer nach Griechenland gebracht worden. Angeblich habe er über das Genfer Konto auch Geld an drei hochrangige Mitarbeiter von Atlas überwiesen. Kick-Back heißen solche Zahlungen in der Fachsprache. Atlas Elekronik erklärte dazu, man untersuche die Vorwürfe nun selbst…“
-3 n n n Die Begriffe Compliance und Internal Investigations sind weder Bestandteil der Strafprozessordnung noch sonstiger, für den deutschen Strafprozess verbindlicher staatlicher Regelungen. Es existieren weder gesetzliche Regelungen, noch für das staatliche Verfahren gültige Verwaltungsanordnungen, noch veröffentlichte Rechtsprechung zu den Anforderungen an ein effizientes Compliance-Programm oder eine „ordnungsgemäße“ Durchführung von Internal Investigations. Privatrechtliche Kodicis (IDW PS 980; FSA-Kodex betreffend die Anforderungen an ein Compliance-Programm oder das Thesenpapier der Bundesrechtsanwaltskammer vom November 2011 zu den Internal Investigations) haben für das staatliche Verfahren keine Bindungswirkung und werden auch nicht zwingend heran gezogen.
-4 Ergebnis: n. Unsicherheit, Unklarheit bei den Strafverfolgern, wie mit Compliance und Internal Investigations umgegangen werden soll. n. Unterschiedliche Handhabung bei den einzelnen Behörden in Deutschland n. Dadurch auch schwierige Beratungssituation für und in den Unternehmen Vgl. zu den Themenkreisen Compliance und internal investigations auch das nicht veröffentlichte Urteil des LG München I vom 10. 12. 2013, Gz. 5 HK O 1387/10 (Kosten für durch das Unternehmen beauftragte internal investigations als Schadenersatzposten gegen ein Vorstandsmitglied, das im Hinblick auf eine insuffiziente Compliance korruptives Verhalten nicht verhindert hat)
-5 Dem steht nachfolgende unternehmerische und rechtliche Realität gegenüber: n. Pflicht der Unternehmensverantwortlichen intern Fehlverhalten festzustellen, zu unterbinden und ggf. zivilrechtliche Schritte einzuleiten; Gefahr der eignen zivilrechtlichen Inanspruchnahme oder u. U. Verfolgung wegen Untreue im Falle des Unterlassens (z. B. „ARAG-Garmenbeck-Entscheidung “, Gz. II ZR 175/95, auch BGH vom 16. 03. 2009, Gz. II ZR 280/07: Pflicht des Aufsichtsrates intern Fehlverhalten der Vorstandsmitglieder zu ermitteln und zu verfolgen). n. Rechtliche Zulässigkeit der Durchführung von Internal Investigations ist nicht in Frage zu stellen (vgl. auch BGH vom 10. 02. 2000, Gz. 4 St. R 616/99, Strafverteidiger 2003, 602; Eschelbach in KMR Kommentar zur Strafprozessordnung, Vor § 213, Rd. Nr. 28). n. Unternehmen, die dem FCPA (Foreign Corruption Practise Act) unterliegen sind u. U. schon aufgrund der Vorgaben in den USA (Richtlinien gemäß Kapitel 9 -27. 000 und 9 -28. 000 des Handbuches für US-Bundesstaatsanwälte; Kapitel 8 der U. S. Sentencing Guidelines; SEC Enforcement Manual / Seaboard Report) verpflichtet bzw. gut beraten unternehmensinterne Untersuchungen durchzuführen.
-6„Geschichte“ der Internal Investigations in Deutschland: - Staatsanwaltschaften in Bayern bzw. Deutschland erstmals mit dem Phänomen „unternehmensinterne Untersuchungen “ im Korruptionsfall Siemens konfrontiert. - „Internal Investigations“ sind seit dem Korruptionsfall „Siemens“ fester Bestandteil bei größeren Korruptions- bzw. anderen Verfahren aus dem Bereich der Wirtschafskriminalität (MAN, Ferrostaal, Rheinmetall / Atlas, etc. ) sowie im Rahmen der allgemeinen Compliance-Debatte.
-7 n n Im Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und sonstigen Verbänden des Landes Nordrhein-Westfalen ist in § 5 die Berücksichtigung von Compliance-Maßnahmen und Internal Investigations erstmals vorgesehen, Anforderungen an die Ausgestaltung derselben jedoch nicht normiert De lege lata ist die Berücksichtigung von Compliance. Maßnahmen und Internal Investigations zwar nicht explizit geregelt, aber rechtlich zulässig. Sie hat im Rahmen von Ermessensentscheidungen bzw. Abwägungen auch zwingend zu erfolgen.
-8 Ergebnis: Compliance und Internal Investigations müssen und sollten im Blick jeder in Wirtschaftsstrafsachen tätigen deutschen Staatsanwältin / deutschen Staatsanwalts sein. Eine gesetzliche Normierung wäre wünschenswert.
Internal Investigations ohne rechtliche Verankerung in der deutschen Strafprozessordnung – rechtlicher Wildwuchs? Welche Rechtsfragen stellen sich? Wie sind diese mit dem vorhandenen rechtlichen Instrumentarium zu lösen
-21. Beschlagnahme unternehmensinterner Untersuchungsergebnisse im Ermittlungsverfahren 2. Verwertbarkeit unternehmensinterner Untersuchungen im Strafprozess, insbesondere Verwertbarkeit von Interviews
-31. Beschlagnahme unternehmensinterner Untersuchungsergebnisse im Ermittlungsverfahren 1. 1. Beschlagnahme beim Untersuchungsführer: - Zulässigkeit unproblematisch beim Syndikusanwalt (dazu, insbes. zu dem diesbezüglichen Urteil des Eu. GH kritische Stimmen, vgl. zuletzt Handelsblatt vom 22. 02. 2011 „Firmenjuristen: Empörung über Eu. GH-Urteil“; auch Moosmayer „Der Eu. GH und die Syndikusanwälte“, NJW 2010, 3548)
-4 - Zur Zulässigkeit der Durchsuchung und Beschlagnahme beim externen Anwalt: vgl. o. g. Beschlüsse des LG Hamburg vom 15. 10. 2010 des LG Mannheim vom 03. 07. 2012 LG Hamburg vom 15. 10. 2010 (Rechtslage vor dem 01. 02. 2011): + kein Beschlagnahmeverbot betreffend die Interviewprotokolle gemäß §§ 97 I Nr. 3, 53 I 1 Nr. 3 St. PO (Voraussetzung dafür wäre Mandatsverhältnis bzw. mandatsähnliches Verhältnis zum späteren Beschuldigten, was durch das LG Hamburg verneint wird; Hinweis auf Parteiverrat gemäß § 356 St. GB;
-5§ 97 St. PO lex specialis gegenüber § 160 a St PO; mit herrschender Meinung und BVerf. G (vgl. Nack in Karlsruher Kommentar zur St. PO, 6. Aufl. , § 97 Rn. 1; BVerf. G vom 27. 10. 2003, Gz. 2 Bv. R 2211/00) ist davon auszugehen, dass § 97 St. PO nur auf das Mandatsverhältnis zum Beschuldigten, nicht auch auf das zum Zeugen anwendbar ist; keine Einbeziehung von Organen oder Mitarbeitern in Mandatsverhältnis zur Firma + Kritische Stimmen hierzu aus dem Kreis der Individualverteidiger: Knierim, FD-Straf. R 2011, 314177 ff. ; Jahn/Kirsch, Strafverteidiger 2011, S. 151 ff. ; v. Gaalen, NJW 2011, S. 942 ff.
-6 LG Mannheim vom 03. 07. 2012: + Keine Beschlagnahme des abschließenden Untersuchungsberichtes in der durch das Unternehmen beauftragten externen Kanzlei im Hinblick auf die gesetzliche Neuregelung des § 160 a St. PO, mit der alle Rechtsanwälte in den absoluten Schutzbereich miteinbezogen wurden; weil der Inhalt der Interviewprotokolle untrennbar mit dem Inhalt des Abschlussberichtes verbunden ist, unterliegen auch die Interviewprotokolle nicht der Beschlagnahme + m. E. ist die Argumentation des LG Mannheim nicht überzeugend; keine Änderung durch die gesetzliche Neuregelung mit Blick auf die Argumentation des LG Hamburg;
-7 Mandatsverhältnis besteht weiterhin nicht zum beschuldigten Organ oder Mitarbeiter (vgl. Wimmer in FS für Imme Roxin, „Die Verwertung unternehmensinterner Untersuchungen – Aufgabe oder Durchsetzung des Legalitätsprinzips? “, S. 537 ff. ) + Wenig nachvollziehbar m. E. auch die Differenzierung zwischen Abschlussbericht und anderen Unterlagen + differenzierte Betrachtung in beiden Fällen sicherlich dann, wenn die Ermittlungshandlungen im Verfahren gegen die Firma selbst gemäß § 30 OWi. G erfolgen (vgl. zum Ganzen, Wimmer, „„Gesetzliche Privilegierung“ von internal investigations durch externe Kanzleien? – Anm. zu LG Mannheim vom 03. 07. 2012 - 24 Qs 1/12 / 24 Qs 2/12 und zu v. Saucken, Wi. J 2013, 30 ff. “, Wi. J 2013, S. 93 ff. )
-81. 2. Beschlagnahme beim beauftragenden Unternehmen selbst: In Ermittlungsverfahren gegen Organe und Mitarbeiter unproblematisch möglich (vgl. dazu im Ergebnis zutreffend LG Mannheim vom 03. 07. 2012, a. a. O. ) In OWi-Verfahren wohl nicht möglich (s. o. ), wenn es sich um Verteidigungsunterlagen handelt (vgl. dazu auch die Entscheidungen des LG Bonn vom 21. 06. 2012, NZWi. St 2013, S. 21 ff. mit einer sehr formalen Betrachtungsweise des Beschuldigtenbegriffes und die Entscheidung des LG Gießen vom 25. 06. 2012, Gz. 7 Qs 100/12, Wi. J Ausgabe 02 -2013, die davon ausgeht, dass Unterlagen, die zur Verteidigung in Erwartung bzw. Befürchtung eines Ermittlungsverfahrens angefertigt werden, auch beim Beschuldigten nicht der Beschlagnahme unterliegen)
-91. 3. Praktische Konsequenzen aus der Rechtsprechung des LG Mannheim: „Privilegierung“ der internal investigations durch Externe („promotion“ für neuen Geschäftszweig)
- 10 2. Verwertbarkeit unternehmensinterner Untersuchungen im Strafprozess, insbesondere Verwertbarkeit von Interviews: Vier Fallgruppen: 1. Fallgruppe: freiwillige selbst belastende Angaben 2. Fallgruppe: freiwillige fremd belastende Angaben 3. Fallgruppe: selbst belastende Angaben aus arbeitsvertraglicher Pflicht 4. Fallgruppe: fremd belastende Angaben aus arbeitsvertraglicher Pflicht
- 11 Verwertbarkeit bei Fallgruppen 1, 2 und 4 unproblematisch; bei Fallgruppe 3 ggf. Verstoß gegen den nemo-tenetur Grundsatz bzw. gegen das Gebot des fairen Verfahrens Spannungsfeld zwischen Aufklärungsinteresse des Unternehmens und der damit zusammenhängenden arbeitsrechtlichen Auskunftspflicht des Arbeitnehmers und dem nemo-tenetur Grundsatz des Strafprozessrechts
- 12 - Verwertbarkeit dann problematisch, wenn Arbeitnehmer im Rahmen der unternehmensinternen Untersuchungen Angaben macht, sich später im Ermittlungsverfahren gegenüber der Staatsanwaltschaft als Beschuldigter auf sein Recht zu schweigen beruft
- 13 a) Meinungsstand in Rechtsprechung / Literatur: aa) Kein Verwertungs- bzw. Verwendungsverbot: n. LG Hamburg vom 15. 10. 2010 (a. a. O. ) n. Raum, VRi. BGH in einem nicht veröffentlichten Vortrag n. Wimmer in FS für Imme Roxin a. a. O. n. OLG Karlsruhe vom 06. 09. 1998 (Gz. 1 Ss 68/88; NSt. Z 1989, 287; nicht zwingend vergleichbar, hier wurde keine arbeitsvertragliche Pflicht zur Auskunftserteilung angenommen)
- 14 bb) Beweisverwertungsverbot, aber kein Beweisverwendungsverbot: Bittmann / Molkenbur („Private Ermittlungen, arbeitsrechtliche Aussagepflicht und strafprozessuales Schweigerecht“, wistra 2009, 373 ff. ) n. Knauer / Buhlmann („Unternehmensinterne (Vor)Ermittlungen – was bleibt von nemo tenetur und fair trial“, Anw. Bl. 2010, S. 387 ff) n
- 15 cc) Beweisverwendungsverbot: Böhm („Strafrechtliche Verwertbarkeit der Auskünfte von Arbeitnehmern bei unternehmensinternen Untersuchungen “, WM 2009, 1923 ff. ) n. Wastl („SEC-Ermittlungen in Deutschland – eine Umgehung rechtstaatlicher Mindeststandards!, NSt. Z 2009, 68 ff. ; nur Hilfserwägung, Autor hat bereits Zweifel an der arbeitsvertraglichen Aussagepflicht) n
- 16 b) Vergleich mit anderen Rechtsgebieten: aa) Konkurs- bzw. Insolvenzrecht/Gemeinschuldnerbeschluss des BVerf. G: Gemeinschuldnerbeschluss des BVerf. G vom 13. 01. 1981 (Gz. 1 Bv. R 116/77, NJW 1981, 1431 ff): Plicht zu selbstbelastenden Angaben nach der KO verfassungsgemäß unter Annahme eines strafprozessualen Verwertungsverbotes, insoweit in KO Regelungslücke festgestellt
- 17 Reaktion des Gesetzgebers: § 97 I 3 Ins. O: dem Wortlaut nach Beweisverwendungsverbot (über Forderung des BVerf. G hinaus; konkreter Umfang des Beweisverwendungsverbotes strittig, vgl. Bader „Das Verwendungsverbot des § 91 Abs. 1 Satz 3 Ins. O“, NZI 2009, 416 ff. ) ABER: Keine Auskunftspflicht nach § 97 Ins. O gegenüber dem Insolvenzgutachter, daher wohl auch Verwendung der Angaben gegenüber dem Insolvenzgutacher im Ermittlungsverfahren möglich, auch betreffend die im Insolvenzverfahren im Hinblick auf die allgemeine Mitwirkungspflicht gemäß § 97 Abs. 2 Ins. O vorgelegten Urkunden (vgl. Thüringer Oberlandesgericht vom 12. 08. 2010, Gz. 1 Ss 45/10 und OLG Celle vom 19. 12. 2012, Gz. 32 Ss 164/12)
- 18 bb) Zivilprozessrecht: Nur prozessuale „Obliegenheit“, kein Beweisverwertungsverbot (vgl. Stürner „Strafrechtliche Selbstbelastung und verfahrensförmige Wahrheitsermittlung“ NJW 1981, 1757 ff)
- 19 cc) Verwaltungsverfahren: Gesetzgeberische Lösung entweder über die Annahme eines Aussageverweigerungsrechts oder eines Beweisverwertungsverbotes; Tendenz zu ersterem n. Problematisch auch bei gesetzlich vorgeschriebenen bzw. freiwilligen Eigenüberwachungsmaßnahmen (z. B. im Umweltrecht); neben rechtlichen Argumenten streiten hier auch praktische Elemente für die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes, vgl. zum Ganzen auch Michalke in FS für Wolf Schiller „Compliance oder die gute „alte “ Eigenmesskontrolle im Umweltstrafrecht“, S. 493 ff. ) n
- 20 dd) Steuerrecht: Vgl. Beschluss des 1. Strafsenates vom 17. 03. 2009 (Gz. 1 St. R 479/08, NJW 2009 1984): umfassende Anzeige- und Benachrichtigungspflicht des Steuerpflichtigen im Rahmen des § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO; Spannungsfeld wird hier über die Möglichkeit der strafbefreienden Selbstanzeige gelöst, wenn diese nicht möglich, dann Annahme eines Beweisverwertungsverbotes
- 21 ee) Weitere Rechtsgebiete/Bereiche, in denen sich die Problematik „Selbstbelastung versus nemo tenetur“ stellt: Verwertung selbst belastender Angaben eines Versicherungsnehmers gegenüber seinem Kf. Z-Haftpflicht. Versicherer (Urteil KG vom 07. 1984, Gz. 1 Ss 174/93, NZV 1994, 403; BVerf. G vom 07. 1995, Gz. 2 Bv. R 1778/94, NSt. Z 1995, 599)
- 22 Angaben im Zwangsvollstreckungsverfahren (vgl. BGH vom 19. 03. 1991, Gz. 5 St. R 516/90, NJW 1991, 2844); hier Auflösung des Spannungsfeldes nach den Grundsätzen des Gemeinschuldnerbeschluss des Bundesverfassungsgerichtes
- 23 c) Bewertung: n. Beweisverwertungsverbot nur bei gesetzlicher Aussagepflicht, nicht bei „Obliegenheiten“ zur Sicherung eigener Rechtspositionen n. Arbeitsvertragliche Pflicht LG Hamburg folgend eher zweiter Konstellation zuzuordnen, jedoch auch gewichtige Gegenargumente vorhanden n. Geboten ist allenfalls die Annahme eines Beweisverwertungs - nicht eines Beweisverwendungsverbots n. Wünschenswert wäre klarstellende gesetzgeberische Entscheidung
Nutzen / Gefahren unternehmensinterner Untersuchungen für den deutschen Strafprozess
-21. Fallgruppen: a) Untersuchungen werden vor der Einleitung eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens beauftragt (spätere Kenntniserlangung der Staatsanwaltschaft über andere Quellen oder eine Selbstanzeige des Unternehmens)
-3 b) Untersuchungen werden nach Einleitung und Bekanntwerden eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens beauftragt 2. Kritik: n. Kritische Stimmen aus dem Kreis der Individualverteidiger: Feigen, SZ vom 29. 06. 2010, Wehnert, Drittes Symposium des Institutes for Law and Finance 20. 11. 2010 und „Die Verwertung unternehmensinterner Ermittlungen“, Stra. FO 2012, S. 253 ff. ): „Ressourcenschonung der Staatsanwaltschaft, Verlagerung ureigenster Aufgaben der Ermittlungsbehörden auf Private“ n. Differenzierter: Leipold „Internal Investigations – Fluch und Segen zugleich? “, in FS für Schiller, S. 416
-43. Umgang der Staatsanwaltschaft mit internen Untersuchungsergebnissen: n. Auch in der Situation knapper personeller Ressourcen und ggf. komplexer Ermittlungswege (Rechtshilfe) darf und wird die Staatsanwaltschaft nicht „die Hände in den Schoß“ (Hamm in FAZ vom 18. 05. 2010) legen, sondern die internen Untersuchungsergebnisse immer zumindest stichprobenartig überprüfen und die wesentlichen Ermittlungshandlungen selbst durchführen. Nur wenn dies gewährleistet ist, führen Internal Investigations nicht zu einer Privatisierung der Strafverfolgung und damit zu einer Entstaatlichung des Rechts. n. Die Koordination der Ermittlungsarbeit der St. A, Polizei und internen Untersuchungsführer ist oftmals schwierig; eine Effektivität der „Zusammenarbeit“ ist nur bei Vorliegen eines gut durchdachten, zwischen allen Beteiligten abgesprochenen Konzepts möglich. In diesem Fall können die Internal Investigations wesentlich zur Beschleunigung des Ermittlungsverfahrens beitragen.
-5 • • Im Rahmen der Auswertung und späteren Beweiswürdigung durch das Gericht ist stets ein ggf. vorhandenes Eigeninteresse der Unternehmens zu berücksichtigen, das je nach SV -Konstellation differieren kann. Der Amtsermittlungsgrundsatz gebietet die Heranziehung und Auswertung vorhandener unternehmensinterner Untersuchungen, die – wie dargelegt – grundsätzlich zulässig sind und durch die Ermittlungsbehörden nicht verboten werden können.
Zusammenfassung 1. Unternehmensinterne Untersuchungen sind rechtlich zulässig und haben auch im deutschen Strafprozess de lege lata und de lege ferenda eine wachsende Bedeutung. Die Auseinandersetzung mit den Themen „Compliance“ und „Internal Investigations“ sollte von daher fester Bestandteil der Arbeit jeder Staatsanwältin / jedes Staatsanwalts, der in Wirtschaftsstafsachen tätig ist, sein. 2. Die Ergebnisse interner Untersuchungen unterliegen grundsätzlich beim externen wie internen Untersuchungsführer der Beschlagnahme. Auch selbstbelastende Angaben aus arbeitsvertraglicher Pflicht sind im späteren Ermittlungsverfahren verwertbar. 3. Die strafprozessuale Verwertung unternehmensinterner Unterlagen drängt das Legalitätsprinzip nicht zurück, sondern kann zur Durchsetzung desselben beitragen.
- 25 Noch Fragen? Renate Wimmer Staatsanwaltschaft München I Leitung Abteilung XII – Korruptionsbekämpfung Tel. 089/5597 -4742 Mail: renate. wimmer@sta-m 1. bayern. de
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