Sozialstruktur u Soziale Ungleichheit I Auflsung von Klassen

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Sozialstruktur u. Soziale Ungleichheit I: Auflösung von Klassen- u. Schichtstrukturen und Individualisierung u. Pluralisierung

Sozialstruktur u. Soziale Ungleichheit I: Auflösung von Klassen- u. Schichtstrukturen und Individualisierung u. Pluralisierung sozialer Milieus? Prof. Dr. Günter Roth 1

Übersicht § § Was ist soziale Ungleichheit? Theoretische Konzepte sozialer Ungleichheit § Struktur sozialer

Übersicht § § Was ist soziale Ungleichheit? Theoretische Konzepte sozialer Ungleichheit § Struktur sozialer Felder (Modifikation der Klassentheorie) (s. Sitzung zur Theorie v. Bourdieu) § These der Auflösung von Klassen, Individualisierung u. Pluralisierung (Beck) § Konzept sozialer Milieus (Vester u. SINUS) § Anwendung für das Sozialmanagement (z. B. Sozialraumanalyse) Prof. Dr. Günter Roth 2

Was bedeutet ‚Soziale Ungleichheit‘? I § Soziale Ungleichheit wird von sozialen Unterschieden (Andersartigkeit bei

Was bedeutet ‚Soziale Ungleichheit‘? I § Soziale Ungleichheit wird von sozialen Unterschieden (Andersartigkeit bei relativer sozialer Gleichstellung) unterschieden, nicht alle sozialen Unterschiede sind relevant im Sinne von ‚Ungleichheit‘ § Soziale Ungleichheit begründen solche Unterschiede, die eine gewisse Dauerhaftigkeit aufweisen und sich positiv oder negativ auf die objektiven und subjektiv wahrgenommenen und wahrnehmbaren Handlungsoder Lebensmöglichkeiten der Betroffenen auswirken Prof. Dr. Günter Roth 3

Was bedeutet soziale Ungleichheit? II § § 1) Ungleichheit wertvoller § 3) systematisch verteilter

Was bedeutet soziale Ungleichheit? II § § 1) Ungleichheit wertvoller § 3) systematisch verteilter (überpersönliche Reproduktion, Verteilungsmechanismus, nicht individuell oder zufällig) § 4) vorteilhafter und nachteiliger Lebensbedingungen von Menschen(z. B. materielle Güter, Titel, Bildung, Arbeit), die ihnen aufgrund ihrer Position in gesellschaftlichen Beziehungsgefügen zukommen (vgl. 2) nicht absolut gleicher (widersprechend einer allgemeinen Gleichheitsnorm) Hradil, 1999, Soziale Ungleichheit) Prof. Dr. Günter Roth 4

Was bedeutet soziale Ungleichheit? III § § Soziale Ungleichheit liegt dort vor, § oder

Was bedeutet soziale Ungleichheit? III § § Soziale Ungleichheit liegt dort vor, § oder zu sozialen Positionen, die mit ungleicher Machtoder Interaktionsmöglichkeiten ausgestattet sind, § dauerhafte Einschränkungen erfahren und dadurch die Lebenschancen der betroffenen Individuen, Gruppen und Gesellschaften beeinträchtigt oder begünstigt werden (vgl. Kreckel, 1992, Politische Soziologie der sozialen Ungleichheit, wo die Möglichkeiten des Zugangs zu allgemein verfügbaren und erstrebenswerten sozialen Gütern S. 17) Prof. Dr. Günter Roth 5

Soziale Ungleichheit: Fragestellungen § Legitimation § Notwendigkeit der normativen Beurteilung sozialer Ungleichheit § Ursachen

Soziale Ungleichheit: Fragestellungen § Legitimation § Notwendigkeit der normativen Beurteilung sozialer Ungleichheit § Ursachen u. Mechanismen § Determinanten u. Dimensionen: Macht, Ökonomie, Beruf, Bildung, Status, Prestige o. Zuschreibungen, Funktionen § Wirkungen § Einfluss der Ungleichheit auf die Lebensverhältnisse, Einstellungen, Verhalten u. s. w. § Vorkommen und Struktur § Relativ stabil, regelmäßig, überpersönliche Differenzierung der Gesellschaft in Blöcke, Figurationen, Prof. Dr. Günter Roth 6 Schichten, Klassen, Milieus etc.

Was ist ‚Sozialstruktur‘? § Sozialstruktur als Muster sozialer Beziehungen, Positionen und Mengen von Individuen,

Was ist ‚Sozialstruktur‘? § Sozialstruktur als Muster sozialer Beziehungen, Positionen und Mengen von Individuen, das relativ losgelöst von individuellen Interpretationen, Interessen, Werthaltungen etc. funktioniert (‚soziale Tatsachen‘) § Sozialstruktur als Grundgerüst der sozialen Organisation einer Population mit Positionen (‚Status‘) als anerkannte Plätze im Feld sozialer Beziehungen, die in der Regel mit typischen Einstellungen und Verhaltenserwartungen (Rollen) oder Dispositionen (Habitus) verbunden sind § Es ist eine Wechselwirkung zwischen der Sozialstruktur (Bedingungen der Möglichkeiten) und den sozialen Handlungen, Interpretationen, Werten etc. der Individuen anzunehmen § Soziale Positionen sind Gegenstand ständiger Auseinandersetzungen und Kämpfe und also in ständiger Entwicklung oder dynamisch Prof. Dr. Günter Roth 7

Was ist ein Stand? § § Hierarchisch geprägte Figuration § Stände reproduzieren sich durch

Was ist ein Stand? § § Hierarchisch geprägte Figuration § Stände reproduzieren sich durch Abstammung und Tradition sowie Normen u. Werte (z. B. Mittelalter mit Klerus, Adel); sie erscheinen nach außen homogen § Ständische Zugehörigkeit zeigt eine enorme Dauerhaftigkeit (z. B. verarmte Adlige) Angehörige sind hinsichtlich ihrer Herkunft oder Berufs, ihrer Rechte und Pflichten sowie ihrer gesamten Lebensumstände strengen sozialen Regeln und Zwängen unterworfen (z. B. Standesethos, Verhaltensregeln, Privilegien) Prof. Dr. Günter Roth 8

Was ist eine soziale Klasse? § eine Figuration, deren Mitglieder einerseits durch eine bestimmte

Was ist eine soziale Klasse? § eine Figuration, deren Mitglieder einerseits durch eine bestimmte ähnliche ökonomische Lage § andererseits durch ein spezifisches Zusammengehörigkeitsgefühl und einheitliches ideologisches Bewusstsein geprägt sind § Bourgeoisie als Besitzer von Kapital oder Produktionsmittel und Proletariat als Lohnabhängige Prof. Dr. Günter Roth 9

Was ist soziale Schichtung? § Dimension der Gesellschaftsstruktur mit ungleicher Verteilung von Ressourcen, Lebenschancen

Was ist soziale Schichtung? § Dimension der Gesellschaftsstruktur mit ungleicher Verteilung von Ressourcen, Lebenschancen und Statuspositionen § Gruppe von Personen, die eine ähnliche Position in dieser Struktur einnehmen, relativ unabhängig von ihren individuellen Merkmalen. § Die Statuspositionen können auf verschiedenen sozialen Merkmalen beruhen, z. B. Vermögen, Prestige, Macht, soziale Beziehungen, Beruf § Geschlossene Schichten: kaum Übergang (Auf- und Abstieg) zwischen verschiedenen sozialen Schichten möglich (z. B. Kasten in Indien); typisch für ‚vormoderne‘ oder traditionale, religiös geprägte Gesellschaften § Offene Schichtung: Geringe Statusdifferenzen; relativ leichte Statusveränderungen u. große Mobilität; typisch für moderne funktional differenzierte Gesellschaften Prof. Dr. Günter Roth 10

Ungleichheit i. d. funktional differenzierten Gesellschaft § Offene Schichtung bei relativ geringer Ungleichheit, relativ

Ungleichheit i. d. funktional differenzierten Gesellschaft § Offene Schichtung bei relativ geringer Ungleichheit, relativ leichte Veränderung von Statuspositionen möglich (Anspruch u. Mythos i. d. USA) § Ungleichheit nur infolge funktionaler Differenzierung und daraus entstehende soziale Ungleichheit ist offen, funktional und effizient, weil Koordination, differenzierte Handlungen und Lebensstile möglich werden und Anreize entstehen, best. Aufgaben zu übernehmen, in Ausbildung zu investieren etc. § § Erworbener statt zugeschriebener (askriptiver) Status § Gleichheit besteht in funktional differenzierten Gesellschaften formal (vor dem Gesetz) und als Anspruch auf Chancengleichheit nicht im Hinblick auf Ergebnisse (aber: Prof. Dr. Günter Roth 11 Anspruch auf statistische Normalverteilung) Soziale Mobilität nimmt in funktional differenzierten Gesellschaften zu und ist v. a. in sozialen Umbrüchen groß (z. B. bei Kriegen, neuen Techniken)

Haben wir eine Klassen o. ‚Mittelschichtsgesellschaft‘? § Die meisten Menschen (ca. 80 -90%) fühlen

Haben wir eine Klassen o. ‚Mittelschichtsgesellschaft‘? § Die meisten Menschen (ca. 80 -90%) fühlen sich in Deutschland der Mittelschicht zugehörig § Nicht alle der ‚objektiv‘ armen Bevölkerung fühlen sich auch so, viele empfinden die Klassifikation als ‚Arme‘ o. Unterschicht als diskriminierend (vgl. Barlösius, Kämpfe um soziale Ungleichheit, 2004: 15) § Die Selbst- u. Fremdwahrnehmung der Menschen hinsichtlich sozialer Ungleichheit steht in krassem Gegensatz zu ‚objektiven‘ Befunden der Einkommens- oder Vermögensverteilung, der Bildung etc. § Auch von Sozialwissenschaftlern wird die Auflösung der Klassengesellschaft (Geiger) u. die These der ‚nivellierten Mittelstandsgesellschaft‘ (Schelsky), ‚Erlebnisgesellschaft‘ (Schulze) oder ‚Individualisierung‘ oder ‚Pluralisierung‘ i. d. ‚Risikogesellschaft‘ (Beck) behauptet Prof. Dr. Günter Roth 12

These der Auflösung von Klassen und die gesellschaftliche Individualisierung (Beck) § Durch Niveauverschiebungen (Wohlfahrtsaufschwung,

These der Auflösung von Klassen und die gesellschaftliche Individualisierung (Beck) § Durch Niveauverschiebungen (Wohlfahrtsaufschwung, Bildungsexpansion usw. ) werden subkulturelle Klassenidentitäten weggeschmolzen, ‚ständisch‘ eingefärbte Klassenlagen enttraditionalisiert und § Prozesse einer Diversifizierung und Individualisierung von Lebenslagen und Lebenswegen ausgelöst § Diese unterlaufen das Hierarchiemodell sozialer Klassen und Schichten und stellen es in seinem Realitätsgehalt in Frage (Beck, 1983, Jenseits von Stand u. Klasse, S. 36) Prof. Dr. Günter Roth 13

These der Auflösung der Klassengesellschaft (Beck) § Mit der Individualisierung und Pluralisierung sozialer Risiken

These der Auflösung der Klassengesellschaft (Beck) § Mit der Individualisierung und Pluralisierung sozialer Risiken in der ‚Risikogesellschaft‘ hat sich die Ungleichheits- oder Klassenfrage ‚verkrümelt‘ § Relativ konstant geblieben sind in der Entwicklung der Bundesrepublik die Verteilungsrelationen sozialer Ungleichheit, geändert haben sich gleichzeitig [. . . ] ziemlich drastisch, die Lebensbedingungen der Menschen. § Möglich wurde dies u. a. durch Verschiebungen im Niveau (insbesondere von Einkommen und Bildung [. . . ], die [. . . ] nie systematisch als eine wesentliche eigenständige sozialstrukturelle Entwicklung in der Bundesrepublik begriffen und ausgearbeitet wurden. Prof. Dr. Günter Roth 14 (Beck 1983)

Drei Dimensionen der Individualisierung § Freisetzungsdimension § § Entzauberung § § Herauslösung aus traditionellen

Drei Dimensionen der Individualisierung § Freisetzungsdimension § § Entzauberung § § Herauslösung aus traditionellen Sozialformen, Herrschaftsund Versorgungsbeziehungen Verlust traditioneller Sicherheiten und Überzeugungen des Handelns, Glaubens und der Normen Kontrolle und Reintegration § § Die Individuen werden zum Akteur ihrer marktvermittelten Existenzsicherung u. ihrer Biographieplanung, die gleichzeitig institutionalisiert und standardisiert (durch Markt, Bildung, Recht etc. ) u. damit politisch gestaltbar sind Neue flexible, spontane u. innovative oder ‚alternative‘ Formen der sozialen Integration u. Kollektivorganisation unter dem Zwang zum individuellen ‚Planungsbüro‘, Selbsthilfeaktionen, direkte Aktionen etc. (vgl. Beck, 1986, Risikogesellschaft, S. 205 ff. ) Prof. Dr. Günter Roth 15

Formen, Ursachen u. Folgen der Individualisierung I § Durch Mobilität (soziale und geographische) haben

Formen, Ursachen u. Folgen der Individualisierung I § Durch Mobilität (soziale und geographische) haben sich die Lebenswege aus dem Herkunftsmilieu herausgelöst, durcheinandergewirbelt und ‚individualisiert‘ § Absicherung u. Verrechtlichung v. Arbeitsbeziehungen u. Lohnarbeitsrisiken, d. h. sozialstaatliche Leistungen bewirken einen Abbau von Klassensolidarität und Individualisierung § Wandel im Beschäftigungssystem, v. a. Ausbau der Dienstleistungen mit dem ‚Aufstieg‘ von Arbeitern, Differenzierung v. Bildungsabschlüssen u. betrieblicher Hierarchien § Ausweitung von Konkurrenzbeziehungen u. a. durch Bildung u. Herauslösung aus traditionellen Verbindungen als Stand, Klasse, Schicht (weitere Medien: Recht u. Geld) (Beck, U. 1983, Jenseits von Stand und Klasse, 36 ff. ) Prof. Dr. Günter Roth 16

Formen, Ursachen u. Folgen der Individualisierung II § Auflösung der Homogenität von Siedlungsstrukturen, Zunahme

Formen, Ursachen u. Folgen der Individualisierung II § Auflösung der Homogenität von Siedlungsstrukturen, Zunahme von Distanz, Enttraditionalisierung, Entsolidarisierung, aber auch Wahlmöglichkeiten (z. B. beim Wohnen) § Einbezug weiter Kreise in die Erwerbsarbeit, langfristiger Rückgang von Selbständigen u. nicht Arbeitenden, aber auch: Rückgang der Erwerbsarbeitszeit als Teil der Lebenszeit § Die Menschen werden in historischen Kontinuitätsbrüchen aus traditionellen Bindungen und Versorgungsbezügen herausgelöst und auf sich selbst und ihr individuelles ‚Arbeitsmarktschicksal‘ mit allen Risiken, Chancen und Widersprüchen verwiesen § Diese Individualisierungsschübe führen zur Auflösung ungleichheits-relevanter (‚ständisch‘ gefärbter, ‚klassenstruktureller‘), lebensweltlicher Gemeinsamkeiten (vgl. Beck, U. 1983, Jenseits von Stand und Klasse, S. 39 ff. ) Prof. Dr. Günter Roth 17

Individualisierung als neue Form der Vergesellschaftung I § Individualisierung als ein [. . .

Individualisierung als neue Form der Vergesellschaftung I § Individualisierung als ein [. . . ] widersprüchlicher Prozess der Vergesellschaftung: § Diese vollzieht sich unter den Bedingungen des wohlfahrtsstaatlich organisierten Arbeitsmarktes, ist in diesem Sinne also Produkt gesellschaftlicher Verhältnisse und führt ihrerseits hinein in einen bestimmten konfliktreichen Modus der Vergesellschaftung, § nämlich in eine kollektiv individualisierte Existenzweise, die sich allerdings der Kollektivität und Standardisierung ihrer Existenzweise nicht ohne weiteres bewusst werden kann (vgl. Beck 1983, Jenseits von Stand und Klasse, S. 42 f. ) Prof. Dr. Günter Roth 18

Individualisierung als neue Vergesellschaftung II § » Individualisierung « meint […] nicht Atomisierung, Vereinzelung,

Individualisierung als neue Vergesellschaftung II § » Individualisierung « meint […] nicht Atomisierung, Vereinzelung, nicht Beziehungslosigkeit des freischwebenden Individuums, auch nicht Individuation, Emanzipation, Autonomie [. . . ] § Sondern: Erstens die Auflösung, zweitens die Ablösung industriegesellschaftlicher Lebensformen (Klasse, Schicht, Geschlechterrolle, Familie) durch solche, in denen die Individuen ihre Biographie selbst herstellen, inszenieren, zusammenschustern müssen (Beck, Vom Verschwinden der Solidarität, 1993). § Durch Individualisierung muss der einzelne lernen, sich selbst als Handlungszentrum, als Planungsbüro in bezug auf seinen Lebenslauf, Fähigkeiten, Orientierungen, Partnerschaften usw. zu begreifen (Beck 1983: 59) § Daraus folgen wachsende Ansprüche der Rationalisierung u. Optimierung der Lebensführung, Zeit, etc. Prof. Dr. Günter Roth Selbstverwirklichung 19

Individualisierung und ‚Resozialisierung‘? I § § Gerade das Sich-Verschärfen und Bewusstwerden dieser Widersprüchlichkeit kann

Individualisierung und ‚Resozialisierung‘? I § § Gerade das Sich-Verschärfen und Bewusstwerden dieser Widersprüchlichkeit kann zur Entstehung neuer soziokultureller Gemeinsamkeiten führen Entweder entlang sich verschärfender sozialer Risiken (Arbeitslosigkeit) u. der Bildung nichttraditionaler Solidarität unabhängig von Klassenlagen Oder Individualisierung u. Erwartungen an persönliche Entfaltung führt zur Herausbildung von Alternativ- u. Jugendsubkulturen, Pluralisierung von Lebensstilen, mit neuen Ehe- u. Familienformen, Wohnformen Protestformen, Bündnissen etc. Damit schlagen gesellschaftliche Problemlagen in psychische Dispositionen um, in persönliches Ungenügen, Schuldgefühle, Ängste, psychische Konflikte u. Neurosen [. . . ] gesellschaftliche Krisen erscheinen als individuelle und psychische (Beck 1983: 59 f. ) Prof. Dr. Günter Roth 20

Individualisierung und ‚Resozialisierung‘? II § Die entstehende soziale Isolation scheint zu ihrer Überwindung der

Individualisierung und ‚Resozialisierung‘? II § Die entstehende soziale Isolation scheint zu ihrer Überwindung der eigentümlichen Konkretheit von Naturkategorien zu bedürfen, § was daran deutlich wird, dass sich Gruppenbildung lebensweltlich immer weniger an ‚erworbenen Lagen‘ (Bildungsstufen, Einkommen etc. ) festmachen, § sehr wohl dagegen an askriptiven Merkmalen von Personen, die nach wie vor mit offensichtlichen Benachteiligungen verbunden sind: § Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Alter, Behinderungen (vgl. Beck 1983: 69) Prof. Dr. Günter Roth 21

Paradoxien der Individualisierung oder: ‚riskante Freiheit‘ § Die Lebensbedingungen der Menschen werden ihnen zugerechnet

Paradoxien der Individualisierung oder: ‚riskante Freiheit‘ § Die Lebensbedingungen der Menschen werden ihnen zugerechnet und dies in einer Welt, die sich fast vollständig dem Zugriff der Menschen verschließt. § So wird ‚das eigene Leben‘ zur biographischen Lösung systemischer Widersprüche oder die Individualisierung birgt ‚riskante Freiheiten‘ § Die ‚Krise der Repräsentation‘ spiegelt sich als Krise des Individuums, der Überlastung der Familie, des Privaten etc. , u. a. weil die normative Entlastung durch Institutionen verloren geht, was sich z. B. als ständiger Kampf um Lebensstile, Beziehungen, Erziehung, Konsum, Werte etc. ausdrückt. § Im Zeitalter der Individualisierung ist der Zwang zum Normbruch allgemein, gleichsam zur paradoxen Norm geworden (Beck, Das Zeitalter des eigenen Lebens, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 2001, B 29, S. 3, Hervorh. i. Orig. ) Prof. Dr. Günter Roth 22

Differenzierung sozialer Milieus (Vester) I § Das Feld der Kräfte (Bourdieu) ist nicht strukturlos,

Differenzierung sozialer Milieus (Vester) I § Das Feld der Kräfte (Bourdieu) ist nicht strukturlos, sondern nach Milieus gegliedert. § Milieu § soziale Gruppen, die aufgrund gemeinsamer Beziehungen einen Korpus moralischer Regeln (Durkheim) entwickeln, die sich zu Traditionen der Mentalität mit einem spezifischen Habitus verfestigen § sich selbst reproduzierende Beziehungszusammenhänge als Teile größerer Milieukonstellationen passen sich neuen ökonomischpolitischen Bedingungen an § Die großen Mentalitätstraditionen, in denen diese Milieus stehen, haben sich nicht spurlos aufgelöst, sondern in neue moderne Zweige aufgefächert § Erodiert sind nicht die Milieus sondern die Hegemonien von Institutionen, v. a. Parteien in den gesellschaftspolitischen Prof. Dr. Günter Roth 23 Lagern als Krise der Repräsentation (‚Politikverdrossenheit‘:

Differenzierung sozialer Milieus (Vester) II § § Vertikale Achse ‚oben u. unten‘ § Machtachse

Differenzierung sozialer Milieus (Vester) II § § Vertikale Achse ‚oben u. unten‘ § Machtachse mit sozialer Lage in Schichten auf der Basis von Vermögen, Beruf, Bildung u. Alter (Machtachse) § Grenze der Distinktion (oben) und Grenze der Respektabilität u. Statussicherheit (unten) Horizontale Achse § § Arbeitsteilung, Einstellungen, Werte, Lebensstil Avantgarde, Selbstbestimmung, Hedonismus vs. Autoritätsbindung u. Tradition § Wanderungen zwischen den horizontalen Polen der Wertorientierung sind häufiger als zwischen den vertikalen § Entwicklung der Arbeitsteilung mit veränderten Tätigkeiten und Ansprüchen in der Dienstleistungsgesellschaft (Wandel zum kult. Kapital) Prof. Dr. Günter Roth 24

Sozialer Raum n. Vester et al. 2001 Differenzierungsachse Bildungsbürger jugendkulturelle Avantgarde Herrschaftsachse Avantgardistisch Autoritär

Sozialer Raum n. Vester et al. 2001 Differenzierungsachse Bildungsbürger jugendkulturelle Avantgarde Herrschaftsachse Avantgardistisch Autoritär Ökon. /Staatl. Elite respektable Volksmilieus: Tradition d. Facharbeit, prakt. Intelligenz respektable Volksmilieus: ständisch-kleinbürgerliche Tradition benachteiligte Volksmilieus, gering Qualifizierte Prof. Dr. Günter Roth 25

Tradition sozialer Milieus in Deutschland § Obere Milieus (22 -26%) § § Respektable Volks-

Tradition sozialer Milieus in Deutschland § Obere Milieus (22 -26%) § § Respektable Volks- u. Arbeitnehmermilieus (64 -69%) § § Tradition der Arbeiter, ständisch-kleinbürgerliche Tradition, beständige, gesicherte, anerkannte Position in Abgrenzung nach unten, Tradition der Betonung v. Leistung u. Pflicht Tradition der Benachteiligten Volks- u. Arbeitnehmermilieus (8 -13%) § § Tradition v. Macht u. Besitz, Akademische u. technische Funktionseliten, Grenze der Distinktion (kultiviert vs. ungebildet, fein-grob, anspruchsvoll-leicht etc. ) Habitus der Notwendigkeit u. der Traditionslosen, Resignierten etc. Diese Großgruppen blieben erstaunlich stabil in der Größe u. mit geringen vertikalen Wanderungen (Vester 2001: 146 ff. ) Prof. Dr. Günter Roth 26

Soziale Milieus nach Sinus (2004) Prof. Dr. Günter Roth 27

Soziale Milieus nach Sinus (2004) Prof. Dr. Günter Roth 27

Soziale Milieus nach Sinus (2004) Quelle: www. sociovision. de Prof. Dr. Günter Roth 28

Soziale Milieus nach Sinus (2004) Quelle: www. sociovision. de Prof. Dr. Günter Roth 28

Soziale Milieus, Prekarität u. Verdrossenheit I § Zunehmende Prekarität und Diskontinuität von Lebensläufen §

Soziale Milieus, Prekarität u. Verdrossenheit I § Zunehmende Prekarität und Diskontinuität von Lebensläufen § Ausweitung der Prekarität von Berufspositionen u. Soziallagen § Prekarität betrifft heute mehr als 25% der Bevölkerung (jeder 2. Beschäftigte war schon einmal arbeitslos), also ‚Wohlstand auf Widerruf‘ § Mind. ca. 10 Prozent der Bevölkerung befindet sich in Dauerarmut und tendenzieller Exklusion mit Segregationstendenzen in den Städten (Schulen, Wohnen etc. ) § Je nach Soziallage u. Habitus sowie Normen, Werten u. Prof. Dr. Günter Roth 29 Erwartungen folgen unterschiedliche

Soziale Milieus, Prekarität u. Verdrossenheit § Verdrossenheit v. a. mit den Leistungen des politischen

Soziale Milieus, Prekarität u. Verdrossenheit § Verdrossenheit v. a. mit den Leistungen des politischen Systems steigt (heute ca. 60 -70% der Bevölkerung) § Verdrossenheit v. a. bei den eher in prekärer Situation Befindlichen (Arbeitslose, Ostdeutsche, einfache u. ungelernte Arbeiter, aber auch Facharbeiter u. von Arbeitslosigkeit Bedrohten sowie Frauen) § 27% der Bevölkerung befindet sich im ‚enttäuschtautoritären‘ Lager (Vester 2001: 169 ff. ), Milieus mit geringer u. unmoderner Ausbildung u. schwachen sozialen Netzen, Ältere u. Jugendliche, Arbeitslose § Aber auch Zunahme von politischem Interesse u. ca. 30% sind ehrenamtlich aktiv (positiv korreliert 30 mit Prof. Dr. Günter Roth

Analyse der Sozialstruktur i. d. Praxis § § Sozialplanung, Sozialraumanalyse, strategisches Management § Analyse

Analyse der Sozialstruktur i. d. Praxis § § Sozialplanung, Sozialraumanalyse, strategisches Management § Analyse sozialer Milieus bezogen auf einzelne Wohngebiete oder in einem Stadtteil als Basis für die kommunale Sozialplanung oder soziale Dienste § § Analyse von Zielgruppen u. Arbeitsbelastung sozialer Dienste vgl. Geiling am Bsp. Hannover, http: //www. agis. uni-hannover. de/ Perspektiven § Kombination von Struktur- und Individualdaten, qualitative u. quantitative Daten § Analyse und Messung ‚sozialen Kapitals‘ und sozialer Kohäsion etc. mit Hinweisen zur Aktivierung von ‚Sozialkapital‘ § § Analyse ‚Sozialer Kompetenz‘ (siehe Ullrich & Ullrich 1976) § Messung der Effizienz ‚sozialer Intervention‘ und sozialer Dienste Ansätze zur Veränderung sozialer Räume und ‚sozialer Kompetenz‘ durch Erziehungs- und Bildungsprogramme, Gemeinwesenarbeit etc. Prof. Dr. Günter Roth 31

Sozialraumanalyse: Grundlegende Daten § § Einkommen u. Vermögen § § Raumnutzung § Bevölkerung (Alter,

Sozialraumanalyse: Grundlegende Daten § § Einkommen u. Vermögen § § Raumnutzung § Bevölkerung (Alter, Geschlecht, Dichte, Zu- und Wegzug) § § Beruf u. Erwerbsverhalten Wirtschaftsformen Architektur u. Wohnformen (u. a. : Boden- u. Mietpreise) Soziale Infrastruktur, öffentliche Versorgung u. Institutionen § § § Bildung, kulturelles Kapital § § Politische Beteiligung § Delinquenz (z. B. Gewaltdelikte) § Haushalts- u. Familienformen Soziale Netzwerke, Vereine u. soziale Aktivitäten (soziales Kapital u. soziale Kohäsion) Devianz (z. B. Müll, ‚Herumlungern‘, ‚Verwahrlosung‘, Sucht u. ‚Gangs‘) Einstellungen, Lebensstile, Gesundheit u. Lebensstile Alle Daten müssen relational in einem Machtfeld konzipiert werden! Habitus Prof. Dr. Günter Roth 32 Religion u. Ethnien

Bsp. : Sozialraumanalyse Hannover-Vahrenheide Quelle: Heinzelmann Prof. Dr. Günter Roth 33

Bsp. : Sozialraumanalyse Hannover-Vahrenheide Quelle: Heinzelmann Prof. Dr. Günter Roth 33

Literatur § § § Barlösius, E. (2004): Kämpfe um soziale Ungleichheit: Machttheoretische Perspektiven, Wiesbaden:

Literatur § § § Barlösius, E. (2004): Kämpfe um soziale Ungleichheit: Machttheoretische Perspektiven, Wiesbaden: VS-Verl, S. 116 -185. Beck, U. (1983): Jenseits von Stand und Klasse: Soziale Ungleichheiten, gesellschaftliche Individualisierungsprozesse und die Entstehung neuer sozialer Formationen und Identitäten, in: Kreckel, R. (Hg. ): Soziale Ungleichheiten, Soziale Welt, Sonderband 2, Göttingen: Schwartz, S. 35 -74. Beck, U. (1986): Risikogesellschaft, Frankfurt/M. : Suhrkamp. Beck, U: (2001): Das Zeitalter des eigenen Lebens, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 29. Bock-Rosenthal, E. (2004): Soziale Ungleichheiten, in: Biermann, B. u. a. (Hg. ): Soziologie – Studienbuch für soziale Berufe (4. Aufl. ), UTB, Stuttgart, S. 208 -260. Bourdieu, P. (1983): Ökonomisches Kapital, Kulturelles Kapital, soziales Kapital, in: Kreckel, R. (Hg. ): Soziale Ungleichheiten, Soziale Welt, Sonderband 2, Göttingen: Schwartz, S. 183 -198. Bourdieu, P. (1985): Sozialer Raum und ‚Klassen’. Lecon sur la lecon, Suhrkamp, Frankfurt/M, S. 9 -46. Bourdieu, P. (1998): Sozialer Raum, symbolischer Raum, in: ders. Praktische Vernunft: Zur Theorie des Handelns, Frankfurt/M. , S. 13 -32. Geissler, R. (2002): Die Sozialstruktur Deutschlands, Westdeutscher Verlag, Wiesbaden, S. 110 -144. Hradil, S. (2004): Die Sozialstruktur Deutschlands im internationalen Vergleich, Wiesbaden: VS-Verlag, S. 195 -202. Statistisches Bundesamt (Hg. ) (2004): Datenreport 2004, Wiesbaden. Prof. Dr. Günter Roth 34 Vester, M. u. a. (2001): Soziale Milieus im gesellschaftlichen Strukturwandel – Zwischen