Vorlesung Sommersemester 2017 Geschichte der deutschen Literatur II

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Vorlesung Sommersemester 2017: Geschichte der deutschen Literatur II: Goethezeit. Weimarer Klassik, weit weg von

Vorlesung Sommersemester 2017: Geschichte der deutschen Literatur II: Goethezeit. Weimarer Klassik, weit weg von Weimar: Von den Römischen Elegien zur Vers-Iphigenie

Goethe: Landschaft bei Rom

Goethe: Landschaft bei Rom

Drei Wegbereiter der Weimarer Klassik (…und ein vierter: Karl Philipp Moritz – in Rom)

Drei Wegbereiter der Weimarer Klassik (…und ein vierter: Karl Philipp Moritz – in Rom) Friedrich Gottlieb Klopstocks Oden und der Messias Johann Joachim Winckelmanns Abhandlung von der Fähigkeit der Empfindung des Schönen in der Kunst (1763) und Geschichte der Kunst des Alterthums (1764) Christoph Martin Wielands Musarion oder Die Philosophie der Grazien Weimarer Klassik: ein neuer, reflektierter Klassizismus nach dem und infolge des „Sturm und Drang“

Goethes Italienische Reise: Begegnung mit der griechisch-römischen Antike mit der Renaissance (Benvenuto Cellini) mit

Goethes Italienische Reise: Begegnung mit der griechisch-römischen Antike mit der Renaissance (Benvenuto Cellini) mit der gegenwärtigen italienischen Volkskultur (Das römische Carneval) – auf Winckelmanns Spuren

7. November 1775: Goethes Ankunft in Weimar (26 Jahre alt) 1776: Goethe wird Geheimer

7. November 1775: Goethes Ankunft in Weimar (26 Jahre alt) 1776: Goethe wird Geheimer Legationsrat, dann Theater-Gründer, -Leiter, -Autor, -Regisseur und -Schauspieler. 1777: Goethe wird Vorsteher der Bergbaukommission; mineralogische Studien. Harzreise im Winter. 1779: Goethe wird Geheimrat (Wirklicher Geheimer Rat), d. h. Minister, Vorsteher der Kriegskommission (Verteidigungsminister), Vorsteher der Wegebaukommission (Verkehrsminister). Studien in Pflanzenkunde, Anatomie, Naturphilosophie. Uraufführung der (Prosa-) Iphigenie, Goethe spielt den Orest. Torquato Tasso, 1. -3. Akt. 1782: Goethe wird Finanzminister. Und er wird in den Adelsstand erhoben. 1785: Wilhelm Meisters theatralische Sendung, 1. -6. Teil. Entwürfe und Vorarbeiten zu Egmont, Torquato Tasso, Faust. Lida-Gedichte (an Charlotte von Stein). Zeichnungen. 3. September 1786, Karlsbad in Böhmen: Goethe ist weg. Ende Oktober 1786: In Rom erscheint „Filippo Miller, tedesco, pittore“.

Italienische Reise (aus Aufzeichnungen für Frau von Stein).

Italienische Reise (aus Aufzeichnungen für Frau von Stein).

Goethe, rückblickend, in: Winckelmann und sein Jahrhundert (1805) • Es ging nicht um eine

Goethe, rückblickend, in: Winckelmann und sein Jahrhundert (1805) • Es ging nicht um eine ‚klassizistische‘, sondern um eine ‚erlebte‘ Wiedergewinnung der griechischen Antike • im gegenwärtigen Italien • aus dem Geist der (bei Winckelmann: Homo-) Erotik • im Medium der Kunst („Ihr Bild ist mein erster Gedanken; mit demselben stehe ich aus dem Bette, und in Gesellschaft deßelben denke ich“, Winckelmann an den Freiherrn von Berg)

„In ihn hatte die Natur gelegt, was den Mann macht und ziert. . in

„In ihn hatte die Natur gelegt, was den Mann macht und ziert. . in ihm selbst lagen die Keime eines wünschenswerten und möglichen Glücks. . Sobald er nur zu einer ihm gemäßen Freiheit gelangte, erscheint er ganz und abgeschlossen, völlig im antiken Sinne. … [Mehr als alle menschlichen Empfindungen galt den Griechen] die Freundschaft unter Personen männlichen Geschlechts. . . Zu einer Freundschaft dieser Art fühlte Winckelmann sich geboren, derselben nicht allein fähig, sondern auch im höchsten Grade bedürftig. . . das letzte Produkt der sich immer steigernden Natur ist der schöne Mensch. . . Für diese Schönheit war Winckelmann, seiner Natur nach, fähig, er ward sie in den Schriften der Alten zuerst gewahr; aber sie kam ihm aus den Werken der bildenden Kunst persönlich entgegen. . . So finden wir Winckelmann oft in Verhältnis mit schönen Jünglingen, und niemals erscheint er belebter und liebenswürdiger als in solchen oft nur flüchtigen Augenblicken. “

Juni 1788 Rückkehr nach Weimar. Verzicht auf alle Staatsämter. „Niemand verstand meine Sprache. “

Juni 1788 Rückkehr nach Weimar. Verzicht auf alle Staatsämter. „Niemand verstand meine Sprache. “ Verbindung mit Christiane Vulpius, Arbeiterin. Und Frau von Stein ist auch noch da.

Goethe: Erotica Romana Elegien. Rom 1788 Römische Elegien Klassisches römisches Versmaß: elegische Distichen (ein

Goethe: Erotica Romana Elegien. Rom 1788 Römische Elegien Klassisches römisches Versmaß: elegische Distichen (ein Hexameter und ein Pentameter = ein Di-Stichon: Zwei-Vers) Schillers Merkvers: Im Hexameter steiget des Springquells flüssige Säule, Im Pentameter drauf ¶ fällt sie melodisch herab. ¶

Römische Elegien I Saget Steine mir an, o sprecht ihr hohen Paläste, Straßen redet

Römische Elegien I Saget Steine mir an, o sprecht ihr hohen Paläste, Straßen redet ein Wort! Genius rührst du dich nicht? Ja es ist alles beseelt in deinen heiligen Mauern, Ewige Roma nur mir schweiget noch alles so still. O wer flüstert mir zu an welchem Fenster erblick ich Einst das holde Geschöpf das mich verseng‘ und erquick‘? Ahnd‘ ich die Wege noch nicht durch die ich immer und immer Zu ihr und von ihr zu gehen wandlend ihr opfre die Zeit. Noch betracht‘ ich Paläst‘ und Kirchen, Ruinen und Säulen Wie ein bedächtiger Mann der eine Reise benutzt. →

Doch bald ist es vorbei, dann wird einziger Tempel Amors Tempel nur sein der

Doch bald ist es vorbei, dann wird einziger Tempel Amors Tempel nur sein der den Geweihten empfängt. Zwar du bist die Welt, o Rom, doch ohne die Liebe Wäre die Welt nicht die Welt, wäre denn Rom auch nicht Rom. ROMA – AMOR: Ovid, Ars amatoria („I‘m sitting down, studying The Art of Love I think it‘ll fit me like a glove“ – Bob Dylan)

Römische Elegien V Froh empfind ich mich nun auf klassischem Boden begeistert, Lauter und

Römische Elegien V Froh empfind ich mich nun auf klassischem Boden begeistert, Lauter und reizender spricht Vorwelt und Mitwelt zu mir. Ich befolge den Rat, durchblättre die Werke der Alten Mit geschäftiger Hand täglich mit neuem Genuss. Aber die Nächte hindurch hält Amor mich anders beschäftigt, Werd ich auch halb nur gelehrt, bin ich doppelt vergnügt. Und belehr ich mich nicht? wenn ich des lieblichen Busens Formen spähe, die Hand leite die Hüften hinab. Dann versteh ich erst recht den Marmor, ich denk und vergleiche, Sehe mit fühlendem Aug, fühle mit sehender Hand. →

Raubt die Liebste denn gleich mir einige Stunden des Tages; Gibt sie Stunden der

Raubt die Liebste denn gleich mir einige Stunden des Tages; Gibt sie Stunden der Nacht mir zur Entschädigung hin. Wird doch nicht immer geküsst, es wird vernünftig gesprochen, Überfällt sie der Schlaf, lieg ich und denke mir viel. Oftmals hab ich auch schon in ihren Armen gedichtet Und des Hexameters Maß, leise, mit fingernder Hand, Ihr auf den Rücken gezählt, sie atmet in lieblichem Schlummer Und es durchglühet ihr Hauch mir bis ins tiefste die Brust. Amor schüret indess die Lampe und denket der Zeiten, Da er den nämlichen Dienst seinen Triumvirn* getan. * denen der Dichtung, nicht der Politik: Tiburz, Properz, Ovid

„Klassik“ nicht mehr als klassizistischer Regel-Kanon, sondern als ‚antikische‘ Vereinigung der ‚modernen‘ Gegensatzpaare –

„Klassik“ nicht mehr als klassizistischer Regel-Kanon, sondern als ‚antikische‘ Vereinigung der ‚modernen‘ Gegensatzpaare – in ROMA / AMOR Ich – Welt („Roma“, „die Welt“) Norden (Deutschland) – Süden (Italien, Griechenland) Geschichte („Vorwelt“) – Gegenwart („Mitwelt“) Geist („die Werke der Alten“) - Sinnlichkeit („Busen und Hüften“) Wissen, Denken – Fühlen, Empfinden („Sehe mit fühlendem Aug‘, fühle mit sehender Hand“) Kunst („Marmor“) – Leben (Liebe) Stein – Beseelung Natur – Kultur Mythos – Reflexion Himmel – Erde Götter – Menschen

Römische Elegien: ‚Moderne’ Reflexion der ‚antikischen’ Einheitserfahrungen 1. Implizit: biographische Stilisierung – in Fortsetzung

Römische Elegien: ‚Moderne’ Reflexion der ‚antikischen’ Einheitserfahrungen 1. Implizit: biographische Stilisierung – in Fortsetzung der Reiseaufzeichnungen (Italienische Reise) „Erotica Romana“ als entstehungsgeschichtliche Fiktion „Roma“ – Weimar „Faustina“ – Christiane, antikisch

2. Explizite Stilisierungen der Gegenwart nach antiken Modellen Antikische Vereinigungen explizit im Modus des

2. Explizite Stilisierungen der Gegenwart nach antiken Modellen Antikische Vereinigungen explizit im Modus des Zitats: „Alte Geschichten sind das, und ich erzähle sie wohl. “ (XIX) Präsens vs. Präteritum: „In der heroischen Zeit, da Götter und Göttinnen liebten, Folgte Begierde dem Blick, folgte Genuß der Begier. “ (Es folgen Zitate mythologischer Exempel. ) 3. Im Medium der Poesie: Reflexionen auf die Schrift „Und des Hexameters Maß leise mit fingernder Hand Ihr auf den Rücken gezählt [. . . ]“ „Mein Entzücken dem Hain, dem schallenden Felsen zu sagen, Bin ich endlich nicht jung, bin ich nicht einsam genug. Dir, Hexameter, dir, Pentameter, sei es vertrauet, Wie sie des Tags mich erfreut, wie sie des Nachts mich beglückt. “

4. Semantik des Metrums: Vergegenwärtigung und Distanz elegische Distichen: Folge von Verspaaren aus Hexametern

4. Semantik des Metrums: Vergegenwärtigung und Distanz elegische Distichen: Folge von Verspaaren aus Hexametern und Pentametern – Wechsel von Fließen und Innehalten, Strömung und Stockung: metrisches Äquivalent der reflexiven Distanz. Goethe zu Eckermann, 1828: „… es liegen in den verschiedenen poetischen Formen geheimnisvolle große Wirkungen. Wenn man den Inhalt meiner Römischen Elegien in den Ton und die Versart von Byrons Don Juan übertragen wollte, so müsste sich das Gesagte ganz verrucht ausnehmen. “

<Die Liebste raubt mir wohl des Tages Stunden Und gibt mir als Entschädigung die

<Die Liebste raubt mir wohl des Tages Stunden Und gibt mir als Entschädigung die Nacht. Zum Küssen wird, zum Sprechen Zeit gefunden, Und wenn sie einschläft, wird auch nachgedacht. Gedichtet hab ich oft, von ihr umwunden, Auf ihre Haut den Takt geklopfet sacht; Sie atmet schlafend, mich durchglüht ihr Hauch. Nur Amor wacht und denkt an röm’schen Brauch. > Karl Böttiger an Friedrich Schulz, zur Veröffentlichung der Elegien in Schillers Die Horen 1795: „Alle ehrbaren Frauen sind empört über die bordellmäßige Nacktheit. Herder sagte sehr schön: er habe der Frechheit ein kaiserliches Insiegel aufgedrückt. Die Horen müßten nun mit dem u gedruckt werden. “

„Seine Frauen sind gut. Es ist aber auch das einzige Gefäß, was uns Neueren

„Seine Frauen sind gut. Es ist aber auch das einzige Gefäß, was uns Neueren [d. h. Modernen, nicht mehr Antiken] noch geblieben ist, um unsere Idealität hineinzugießen. Mit den Männern ist nichts zu tun. “ Goethe zu Eckermann, 5. Juli 1827 über Lord Byrons Frauengestalten Iphigenie: „Olympier … Rettet mich / Und rettet euer Bild in meiner Seele!“ ‚Alle Menschen werden Schwestern. ‘