Was ist Moral Grundfragen der Ethik Henning Kurz

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Was ist Moral? Grundfragen der Ethik Henning Kurz

Was ist Moral? Grundfragen der Ethik Henning Kurz

Versuch einer Situationsanalyse 1: Leben in einer homogenen Agrargesellschaft „Ich weiß, wer ich bin

Versuch einer Situationsanalyse 1: Leben in einer homogenen Agrargesellschaft „Ich weiß, wer ich bin und wo ich hingehöre“ Maximale Stabilität Religiöse Verwurzelung Familiäre Verwurzelung Lokale Verwurzelung Maximale Sicherheit – Minimale Freiheit

Versuch einer Situationsanalyse 2: Der Kollaps der klassischen Koordinatensysteme Maximales aber labiles ICH Maximale

Versuch einer Situationsanalyse 2: Der Kollaps der klassischen Koordinatensysteme Maximales aber labiles ICH Maximale Labilität Religion Familie Minimale Sicherheit – Maximale Freiheit Heimat

Zwei Vorstellungen vom „Ich“

Zwei Vorstellungen vom „Ich“

Versuch einer Situationsanalyse 3: Der entfremdete Mensch Von der Arbeit Von der Natur Entfremdung

Versuch einer Situationsanalyse 3: Der entfremdete Mensch Von der Arbeit Von der Natur Entfremdung Von anderen Menschen Von sich selbst Erich Fromm: Der Mensch in der modernen Gesellschaft

Das existentielle Dilemma des Menschen Natur („Du musst!“) Kultur („Du sollst!“)

Das existentielle Dilemma des Menschen Natur („Du musst!“) Kultur („Du sollst!“)

Das Verunsicherung des postmodernen Menschen: Der Markt der moralischen Möglichkeiten Unendlich viele Möglichkeiten (multioptionale

Das Verunsicherung des postmodernen Menschen: Der Markt der moralischen Möglichkeiten Unendlich viele Möglichkeiten (multioptionale Gesellschaft) Diskursgesellschaft Informationsgesellschaft

Realität Wunsch Kognitive Dissonanzen Komplexitätsreduktion

Realität Wunsch Kognitive Dissonanzen Komplexitätsreduktion

Digitale Entscheidungshilfen: In den Fängen der Algorithmen – Was ist fake, was real?

Digitale Entscheidungshilfen: In den Fängen der Algorithmen – Was ist fake, was real?

Religion ! Philosophie ? Glaube Vernunft, Skepsis Mythos Logos Dogma Diskurs

Religion ! Philosophie ? Glaube Vernunft, Skepsis Mythos Logos Dogma Diskurs

Identität: Wer sind wir? Wer bin ich? Auflösung kognitiver Dissonanzen mit identitätsschützenden Denkfehlern Individuelle

Identität: Wer sind wir? Wer bin ich? Auflösung kognitiver Dissonanzen mit identitätsschützenden Denkfehlern Individuelle Identität=moralische Identität der Gruppe Identitätsschutz

Religion und Ethik Religion Was gefällt meinem „Gott“? Ethik Wie soll ich mich verhalten?

Religion und Ethik Religion Was gefällt meinem „Gott“? Ethik Wie soll ich mich verhalten? Die ethische Grundidee der säkularen Gesellschaft: Es gibt keine Instanz, die über dem Gesetz steht

Werte und Normen Werte: Abstrakte Leitideen Normen: Konkrete Handlungsanweisungen Basis: Anthropologie

Werte und Normen Werte: Abstrakte Leitideen Normen: Konkrete Handlungsanweisungen Basis: Anthropologie

Relative und absolute Normen Du sollst nicht lügen Absolut: Immer und in jeder Situation

Relative und absolute Normen Du sollst nicht lügen Absolut: Immer und in jeder Situation Relativ: Abhängig von … Gesinnungsethik Verantwortungsethik

Gewissen: Die Stimme im Kopf – Die Stimme der Moral? - Das ist ganz,

Gewissen: Die Stimme im Kopf – Die Stimme der Moral? - Das ist ganz, ganz böse! Religion: Stimme Gottes Kern der sittlichen Persönlichkeit Psychoanalyse: Über-Ich Erich Fromm: Humanistisches und autoritäres Gewissen Das hast du aber fein gemacht!

Erich Fromm: Das humanistische Gewissen ist nicht die nach innen verlegte Stimme einer Autorität,

Erich Fromm: Das humanistische Gewissen ist nicht die nach innen verlegte Stimme einer Autorität, der wir gefallen wollen und der zu missfallen wir fürchten; es ist die eigene Stimme, die in jedem Menschen gegenwärtig ist und die von keinen äußeren Strafen und Belohnungen abhängt. (…) Gewissen ist also die Re-Aktion unseres Selbst auf uns selbst. Es ist die Stimme unseres wahren Selbst, die uns auf uns selbst zurückruft, produktiv zu leben, uns ganz und harmonisch zu entwickeln – das heißt zu dem zu werden, was wir unserer Möglichkeit nach sind. Es ist der Wächter unserer Integrität (…) Wenn Liebe als Bejahung der Möglichkeiten des geliebten Menschen, als Fürsorge und als Achtung vor seiner Einmaligkeit definiert werden kann, dann kann mit Recht auch das humanistische Gewissen als die Stimme unserer liebenden Fürsorge für uns selbst bezeichnet werden. (1947 a: Psychoanalyse und Ethik. Bausteine zu einer humanistischen Charakterologie, in: Erich-Fromm. Gesamtausgabe (GA) Band II, S. 101 f. )

Zwei ethische Argumentationsmodelle: Eudämonismus und Utilitarismus - Eudämonismus: Glückseligkeit ist der höchste Wert und

Zwei ethische Argumentationsmodelle: Eudämonismus und Utilitarismus - Eudämonismus: Glückseligkeit ist der höchste Wert und das letzte Ziel menschlichen Handelns (z. B. Hedonismus: Max. Lust – Minimaler Frust) - Utilitarismus: Ziel ist das größte Glück für die größte Zahl (Maßstab: Nützlichkeit)

„Freiheit ist das, was der Mensch aus dem macht, was die Verhältnisse aus ihm

„Freiheit ist das, was der Mensch aus dem macht, was die Verhältnisse aus ihm gemacht haben“ (Sartre) Das große Dilemma: Wie frei sind wir? Unfrei - Genetische Grundausstattung - Persönlichkeitsstruktur (Familie, Erziehung/Sozialisation) - Rolle und Schicht - Triebstruktur, körperliches Befinden Heteronomie Frei - Verantwortlichkeit und Entscheidungsspielräume - Veränderung der Person - Bewusste Orientierung an Werten, Idealen (Reflexionsfähigkeit) Autonomie

Moralentwicklung (nach Kohlberg) Heteronomie Autonomie Ich muss! (Angst vor Bestrafung) Ich will! (Autonome Entscheidung)

Moralentwicklung (nach Kohlberg) Heteronomie Autonomie Ich muss! (Angst vor Bestrafung) Ich will! (Autonome Entscheidung) Gehorsam ggü. Autoritäten Prinzip Verantwortung

Die Ethik der Verantwortung angesichts globaler Krisen Bedürfnis nach einer universalen Ethik Mikrobereich (Familie,

Die Ethik der Verantwortung angesichts globaler Krisen Bedürfnis nach einer universalen Ethik Mikrobereich (Familie, Nachbarschaft): Schwer, einen ethischen Konsens zu finden Die paradoxe Situation der Ethik der Verantwortung Mesobereich (Nation): Sehr schwer, einen ethischen Konsens zu finden Schwierigkeiten bei der Begründung Makrobereich (Menschheit): Fast unmöglich, einen ethischen Konsens zu finden

Albert Schweitzer: Die Ehrfurcht vor dem Leben „Ich bin Leben, das leben will, inmitten

Albert Schweitzer: Die Ehrfurcht vor dem Leben „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will. “ “Wer über diese Tatsache tiefer nachdenkt, erkennt seine Verbundenheit mit allem Leben, ja mit dem Sein im Ganzen, dessen Teil er ist. Die Wahrhaftigkeit gegen sich selbst und seine Mitwelt nötigt einen, daraus die entsprechende Konsequenz zu ziehen: Ethik besteht also darin, dass ich die Nötigung erlebe, allem Willen zum Leben die gleiche Ehrfurcht vor dem Leben entgegenzubringen wie dem eigenen. Damit ist das denknotwendige Grundprinzip des Sittlichen gegeben. Gut ist, Leben erhalten und Leben fördern, böse ist, Leben vernichten und Leben hemmen. “ Plädoyer gegen den Anthropozentrismus

Erich Fromm: Psychoanalyse und Ethik Manchmal wird Ethik nur auf das äußere Verhalten des

Erich Fromm: Psychoanalyse und Ethik Manchmal wird Ethik nur auf das äußere Verhalten des Menschen bezogen. Ethik wird dann zu einem Kodex von gewissen wünschenswerten Verhaltensweisen. Wo dies geschieht, kann man Ethik aufgliedern und von medizinischer Ethik, von Betriebsethik, von militärischer Ethik sprechen. In all diesen Fällen ist in Wirklichkeit ein Verhaltenskodex gemeint, der sich auf eine bestimmte Situation bezieht und für sie gültig ist. Dagegen ist nichts einzuwenden, denn immerhin sind Menschen, die sich an einem solchen Verhaltenskodex orientieren, denen vorzuziehen, die gar keinen haben, und hat ein guter Verhaltenskodex vor einem schlechten Vorrang. Wenn wir aber unter Ethik das verstehen, was der Begriff in der großen philosophischen oder religiösen Tradition bedeutet, dann ist Ethik kein Verhaltenskodex, der für bestimmte Gebiete gültig ist. In dieser Tradition bedeutet Ethik eine besondere Orientierung, die im Menschen verwurzelt ist und daher nicht nur in Bezug auf diese oder jene Person oder diese oder jene Situation gültig ist, sondern für alle. (1963 c: Die Medizin und die ethische Frage des modernen Menschen, in: Erich-Fromm. Gesamtausgabe (GA) Band IX, S. 355. )

Ist der Konsum von Fleisch ethisch zu rechtfertigen?

Ist der Konsum von Fleisch ethisch zu rechtfertigen?

Der Philosoph Jean-Claude Wolf antwortet: Der Fleischkonsum ist moralisch problematisch, weil wir leider meistens

Der Philosoph Jean-Claude Wolf antwortet: Der Fleischkonsum ist moralisch problematisch, weil wir leider meistens nicht hinreichend kontrollieren können, wie Tiere gehalten und getötet wurden. Darüber hinaus ist der Fleischkonsum eine Vergeudung von Ressourcen, die wir – anstatt sie an Tiere zu verfüttern – selber essen könnten. Es ist demnach ein moralisches Gebot, den Fleischkonsum zu reduzieren. Der australische Philosoph Peter Singer hat bereits in den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts einige der wichtigsten Argumente für einen konditionalen Vegetarismus zusammengetragen, das heißt für einen Vegetarismus unter den Bedingungen der modernen industriellen Fleischproduktion, unter den Bedingungen ausreichender Nahrungsalternativen – wir sind nicht auf den Verzehr von (viel) Fleisch angewiesen – und unter den Bedingungen, dass wir die Haltung einzelner Tiere nicht selber kontrollieren können. Ich glaube, dass damit im Wesentlichen alles gesagt ist. (Jean-Claude Wolf, Tagesanzeiger. ch/Newsnet)

Muss man immer die Wahrheit sagen? Höflichkeitslügen Wenn die Wahrheit weh tut Es gibt

Muss man immer die Wahrheit sagen? Höflichkeitslügen Wenn die Wahrheit weh tut Es gibt Situationen, in denen es besser ist zu schwindeln, als die Wahrheit zu sagen - wenn es um den Chef oder den Partner geht, zum Beispiel. Dann dienen Notlügen als sozialer Schmierstoff. (BR, Wissen) Nein, ich bin keineswegs eine notorische Lügnerin, sondern bloß statistischer Durchschnitt. Rund 200 Mal am Tag lügen wir, haben Forscher herausgefunden, und wir tun das überwiegend aus moralisch einwandfreien Motiven. Sage ich meiner alten Mutter die Wahrheit, ist sie gekränkt, macht sich Sorgen, oder ich muss Erklärungen abgeben, die ich nicht abgeben will. Ich verletze meine Nachbarin, wenn ich ihr wahrheitsliebend sage, dass sie einen der hässlichsten Säuglinge geboren hat, die mir je unter die Augen gekommen sind. (Chrismon 03/07) Warum Lügen ganz und gar keine kurzen Beine haben müssen und warum es ein gutes Werk sein kann, das Blaue vom Himmel herunterzuholen, anstatt sich an die Fakten zu halten, das erklärt Maria Riederer in ihrem Feature „Lügen und lügen lassen“. (Deutschlandfunk) Die Unkultur der Lügen, von den Machthabern mächtig verbreitet, ist keine, bloß intellektuell relevante Nachlässigkeit. Sie ist der Wille zur Zerstörung der Demokratie, der Zerstörung elementarer Menschlichkeit. Die heutige Unkultur der Lüge vergiftet die Welt, vergiftet die Restbestände der Kultur der Ehrlichkeit (Religionsphilosophischer Salon)

Fazit: Es bleibt schwierig und anstrengend Der Prozess der ethischen Urteilsfindung verlangt dem Individuum

Fazit: Es bleibt schwierig und anstrengend Der Prozess der ethischen Urteilsfindung verlangt dem Individuum viel ab. Orientierungshilfe kann der differenzierende Ansatz von Erich Fromm bieten. Fromm beantwortet nicht alle moralischen Fragen endgültig, bietet aber ein hilfreiches ethisches GPS.

kurz@grenzach-wyhlen. de

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