Digitale Zuknfte Rafael Capurro Hochschule der Medien Stuttgart

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Digitale Zukünfte Rafael Capurro Hochschule der Medien Stuttgart http: //www. capurro. de Auszüge aus:

Digitale Zukünfte Rafael Capurro Hochschule der Medien Stuttgart http: //www. capurro. de Auszüge aus: Digitale Zukünfte. Res Publica Digitalis. Agora 42, 02 -2018, 64 -68 Online: http: //www. capurro. de/digitalezukuenfte. pdf Vortrag: IHK Stuttgart, 28. September 2018

Res Publica Digitalis Leben wir nicht bereits im digitalen Zeitalter? Manche sprechen von onlife

Res Publica Digitalis Leben wir nicht bereits im digitalen Zeitalter? Manche sprechen von onlife im Sinne einer Überwindung der Spaltung zwischen dem Realen und dem Digitalen. Das gute künftige digitale Leben wäre ein solches, in dem das Reale keinen Widerspruch mehr zum Digitalen darstellt. Die so versöhnte digitale Zukunft hat jetzt schon ihren begrifflichen Stempel gefunden. Man nennt sie das smarte Leben. 2

Res Publica Digitalis Wir werden nicht nur smarte Wohnungen und Städte und überhaupt alle

Res Publica Digitalis Wir werden nicht nur smarte Wohnungen und Städte und überhaupt alle Art von smarten Dingen haben, sondern wir werden selbst smart. Digitalsein oder Nichtdigitalsein, das ist die Frage, wenn es um eine künftige Ordnung im digitalen Zeitalter geht. 3

Res Publica Digitalis Wenn wir aber über die Zukunft sprechen, dann mit dem Vorbehalt,

Res Publica Digitalis Wenn wir aber über die Zukunft sprechen, dann mit dem Vorbehalt, dass sie sich in ihrer Vielfalt heute nur schemenhaft erahnen lässt. Wir können nicht über sie verfügen, sondern sie uns lediglich vorstellen. Dafür brauchen wir zweierlei, nämlich Denken und Zeit. Beides ist Mangelware, nicht nur in Deutschland. 4

Res Publica Digitalis Es gilt, fruchtbare Spannungen zwischen onlife und offlife offen zu halten.

Res Publica Digitalis Es gilt, fruchtbare Spannungen zwischen onlife und offlife offen zu halten. Denn ein freies Denken strebt nach einem offenen Verhältnis zu möglichen digitalen Zukünften, ohne dass das Digitale als der definitive Horizont des Menschseins oder sogar als eine höhere Form desselben erscheint. 5

Res Publica Digitalis In Bezug auf digitale Ordnungen lassen sich zwei mögliche Szenarien denken:

Res Publica Digitalis In Bezug auf digitale Ordnungen lassen sich zwei mögliche Szenarien denken: Erstens eine Res Publica Digitalis, also ein digitales Gemeinwesen, in dem das Wohl aller im Vordergrund steht und die Sicherstellung dieses Wohls in die Hände oder, besser, in die Logik von Algorithmen übertragen wird. 6

Res Publica Digitalis Diese Algorithmen sind dann die eigentlichen Fürsorger in Recht und Verwaltung.

Res Publica Digitalis Diese Algorithmen sind dann die eigentlichen Fürsorger in Recht und Verwaltung. Sie übernehmen gewissermaßen unsere Vorstellungen des Wohlfahrtstaates und garantieren die digitale Chancengleichheit. 7

Res Publica Digitalis Sie schützen das soziale Leben im Ganzen dabei tun sie dies

Res Publica Digitalis Sie schützen das soziale Leben im Ganzen dabei tun sie dies ihrer Natur entsprechend frei von emotionalen Anwandlungen und Eigennutz. Damit steht diese Res Publica Digitalis im Gegensatz zu der Res Privata Digitalis. Diese zweite Variante bestünde darin, alles den Kräften des globalisierten, sogenannten freien Marktes zu überlassen. 8

Res Publica Digitalis Die Gestaltung der digitalen Zukunft – nicht nur ökonomisch, sondern gesamtgesellschaftlich

Res Publica Digitalis Die Gestaltung der digitalen Zukunft – nicht nur ökonomisch, sondern gesamtgesellschaftlich – wird hierbei den großen Technologiefirmen überlassen. Die Macht der ökonomischen Akteure – und damit die Macht einiger weniger Menschen – wird dabei durch die Algorithmen maskiert. 9

Res Publica Digitalis Doch sowohl staatliche Bevormundung als auch Neofeudalismus sind Klischees. Sie polarisieren

Res Publica Digitalis Doch sowohl staatliche Bevormundung als auch Neofeudalismus sind Klischees. Sie polarisieren die vielfältigen Formen des Mit - und Füreinanderseins, die für ein mögliches gutes öffentliches und privates Leben im und mit dem. Digitalen im Ganzen sorgen könnten und machen das Denken unmöglich. Es herrscht Gedankenlosigkeit. 10

Res Publica Digitalis Doch genau darauf kommt es an: Wir müssen uns Gedanken darüber

Res Publica Digitalis Doch genau darauf kommt es an: Wir müssen uns Gedanken darüber machen, wann es für mich oder für andere sinnvoll oder sogar notwendig ist, die eigene Freiheit zeitweilig oder dauerhaft an Dritte, sprich: an Algorithmen, zu übertragen und wann nicht. 11

Res Publica Digitalis Karl Marx hat eine Analyse der Verfallsformen von Ordnungsvorstellungen kapitalistischer Gesellschaften

Res Publica Digitalis Karl Marx hat eine Analyse der Verfallsformen von Ordnungsvorstellungen kapitalistischer Gesellschaften im Industriezeitalter ausgearbeitet, die an Prägnanz ihresgleichen sucht und deren Interpretation aus Sicht digitaler Zukünfte noch aussteht. Wenn wir uns auf mögliche gute digitale Zukünfte einlassen wollen, sollten wir – Marx folgend – darüber nachdenken, welche Gestalt die soziale, wirtschaftliche und ökologische Ausbeutung in digitalen Zukünften annehmen könnte. 12

Res Publica Digitalis Marx’ berühmte elfte These in seinen Thesen über Feuerbach lautet: „Die

Res Publica Digitalis Marx’ berühmte elfte These in seinen Thesen über Feuerbach lautet: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kömmt drauf an, sie zu verändern. “ Eine mögliche Weltveränderung ist aber nur auf der Basis einer neuen Weltinterpretation möglich. 13

Über Fairness In der Bundesrepublik Deutschland ist es die Achtung vor den vereinbarten Grundnormen,

Über Fairness In der Bundesrepublik Deutschland ist es die Achtung vor den vereinbarten Grundnormen, welche den Rahmen dieser Gesellschaft ausmacht. 14

Über Fairness Die Legitimität dieser Grundnormen gründet in kulturellen Traditionen sowie in den leidvollen

Über Fairness Die Legitimität dieser Grundnormen gründet in kulturellen Traditionen sowie in den leidvollen Erfahrungen der jüngeren Vergangenheit. Es gilt, diesen Rahmen mit Bezug auf digitale Zukünfte zu deuten und auf konkrete Lebensverhältnisse anzuwenden. 15

Über Fairness Alle politischen und sozialen Gruppierungen, darunter insbesondere die Ausbildungsinstitutionen, sollten das ihrige

Über Fairness Alle politischen und sozialen Gruppierungen, darunter insbesondere die Ausbildungsinstitutionen, sollten das ihrige dafür tun, dass mögliche digitale Zukünfte sich nach fairen Normen ausrichten – nach Normen mithin, die stets ein möglichst freies Spiel aller gesellschaftlichen Kräfte zulassen. 16

Über Fairness Wir gebrauchen heute den Ausdruck fair vor allem im Kontext des Sports.

Über Fairness Wir gebrauchen heute den Ausdruck fair vor allem im Kontext des Sports. Seine sportliche Bedeutung (anständig, gerecht und den Regeln entsprechend) geriet aber erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Mode. 17

Über Fairness Der ältere Gebrauch verweist auf das Lateinische feriae, die Ferien oder Feiertage,

Über Fairness Der ältere Gebrauch verweist auf das Lateinische feriae, die Ferien oder Feiertage, und somit auf einen Ordnungskontext von Freiheit, Schönheit und Frieden. 18

Über Fairness Allerdings wird, wie wir aktuell in vielen Bereichen beobachten können, der Zusammenhalt

Über Fairness Allerdings wird, wie wir aktuell in vielen Bereichen beobachten können, der Zusammenhalt der ökonomischen und gesellschaftlichen Ordnung insbesondere durch alle Formen des Blockierens (auch im Sinne des Verheimlichens, Unterschlagens oder Vertuschens) und des Vorgaukelns von Integrität und Ordnung gefährdet. Was Unordnung stiftet, wird als ordnungstiftend maskiert. 19

Über Fairness Eine solche lügenhafte Maske besteht auch, wenn eine bestimmte Form des Lebens

Über Fairness Eine solche lügenhafte Maske besteht auch, wenn eine bestimmte Form des Lebens im und mit dem Digitalen als ein Nonplusultra einer künftigen sozialen Ordnung in Form einer angeblichen evolutionären Notwendigkeit an die Wand gemalt wird. So werden künftige Möglichkeiten und Veränderungen blockiert. 20

Die Gesellschaft der Desinformation Die heutige digitale Informationsgesellschaft ist in ihrer alltäglichen Erscheinung eine

Die Gesellschaft der Desinformation Die heutige digitale Informationsgesellschaft ist in ihrer alltäglichen Erscheinung eine Gesellschaft der Desinformation, der Lügen, des Geschwätzes sowie anderer Verfallsformen des Miteinanderredens und -lebens. Wir leben zumeist in unterschiedlichen Formen lokaler und globaler digitaler Unordnung, die sich als unhinterfragbare Ordnung maskieren. 21

Die Gesellschaft der Desinformation Um dies zu sehen, müssen wir Abstand von ihr nehmen

Die Gesellschaft der Desinformation Um dies zu sehen, müssen wir Abstand von ihr nehmen und das freie Denken offener Möglichkeiten theoretisch und praktisch üben. Wir müssen die Fähigkeit entwickeln, zu dieser oder jener Möglichkeit „Ja“ oder „Nein“ zu sagen, und die Risiken eines möglichen Scheiterns auf uns nehmen. Gut handeln bedeutet, aus den sich immer wieder eröffnenden Möglichkeiten Lebensformen zu entwerfen. 22

Die Gesellschaft der Desinformation Diese können sich nur entfalten, wenn keine absolute Zielvorgabe für

Die Gesellschaft der Desinformation Diese können sich nur entfalten, wenn keine absolute Zielvorgabe für das gilt, was ein gutes Leben in möglichen Zukünften für mich und für andere bedeutet. Gerade wenn wir glauben, dass es uns jetzt und in Zukunft nicht nur digital besser gehen kann, müssen wir unser Denken und unsere Herzen für offene oder verdeckte Formen der Ausbeutung und Ausnutzung menschlichen Freiseinkönnens in digital sich entwickelnden Gesellschaften wach halten. 23

Die Gesellschaft der Desinformation Gelingende digitale Zukünfte müssen sich insbesondere um jenes uns allen

Die Gesellschaft der Desinformation Gelingende digitale Zukünfte müssen sich insbesondere um jenes uns allen gehörende Nicht-Digitale kümmern, das wir die Erde nennen. 24

Die Gesellschaft der Desinformation Die Res Publica Digitalis sollte sich Gedanken machen, wie öffentliche

Die Gesellschaft der Desinformation Die Res Publica Digitalis sollte sich Gedanken machen, wie öffentliche digitale Plätze aussehen könnten – so wie sich ja auch um reale öffentliche Räume kümmert. Es reicht also nicht, den IT-Giganten im Bereich der digitalen Kommunikation, dem eigentlichen Bindemittel einer Gesellschaft, berechtigte Vorwürfe zu machen und mit Gesetzen dagegen vorzugehen, um rechtliche Ordnung herzustellen. 25

Die Gesellschaft der Desinformation Zugleich muss die Res Publica Digitalis, das heißt die Bürger

Die Gesellschaft der Desinformation Zugleich muss die Res Publica Digitalis, das heißt die Bürger und deren Regierung, selbst dafür sorgen, dass es öffentliche Alternativen gibt, bei denen die Bürger nicht mit ihren Daten, sondern mit ihren Steuern zahlen – frei von den Begehrlichkeit der Privatunternehmen, die in erster Linie an Umsatz interessiert sind. 26

Digitale Aufklärung missversteht sich oft nur als Aufklärung über den richtigen Umgang mit dem

Digitale Aufklärung missversteht sich oft nur als Aufklärung über den richtigen Umgang mit dem Digitalen, als digital literacy also. Sie vernachlässigt damit ihre eigentliche aufklärerische Aufgabe, die darin besteht, über freies Denken und Handeln in digitalen Zukünften nachzudenken. 27

Digitale Aufklärung Es gilt auch, unterschiedliche Formen der Mobilität auszudenken, die sich nicht obsessiv

Digitale Aufklärung Es gilt auch, unterschiedliche Formen der Mobilität auszudenken, die sich nicht obsessiv mit der Frage des autonomen Fahrens befassen, sondern unterschiedliche Ziele und Kontexte bedenken (auch im wohlverstandenen Eigeninteresse der Automobilwirtschaft). 28

Digitale Aufklärung Warum lanciert dieser besonders in Deutschland mächtige Wirtschaftzweig keine langfristige interdisziplinäre, internationale

Digitale Aufklärung Warum lanciert dieser besonders in Deutschland mächtige Wirtschaftzweig keine langfristige interdisziplinäre, internationale und interkulturelle Premium. Denkoffensive mit einer Schriftenreihe und Symposien aller Art in Sachen Mobilität der Zukunft? Wirtschaft, Politik und Denken kämen dabei zu einem freien und offenen Gespräch zusammen. 29

Digitale Aufklärung Bei aller Euphorie, die digitalen Zukunftsentwürfen entgegengebracht wird, werden zwei Dinge gerne

Digitale Aufklärung Bei aller Euphorie, die digitalen Zukunftsentwürfen entgegengebracht wird, werden zwei Dinge gerne vergessen: Zum einen, dass die Digitalisierung kein unabwendbares Schicksal darstellt, und zum anderen, dass wir uns bei deren weiterer Ausgestaltung an den Grundwerten der Res Publica Digitalis orientieren sollten – die es dringend zu definieren gilt. 30