Der alltgliche Tod und das Ganze Haus Die

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Der alltägliche Tod und das „Ganze Haus“ Die alteuropäische Bevölkerungsweise Helga Schultz

Der alltägliche Tod und das „Ganze Haus“ Die alteuropäische Bevölkerungsweise Helga Schultz

Gliederung l Der alltägliche Tod l Kindersegen l Alteuropäische Familienmuster 12/1/2020 Helga Schultz 2

Gliederung l Der alltägliche Tod l Kindersegen l Alteuropäische Familienmuster 12/1/2020 Helga Schultz 2

Literatur l Livi Bacci, Massimo: Europa und seine Menschen. Eine Bevölkerungsgeschichte, München Beck 1999.

Literatur l Livi Bacci, Massimo: Europa und seine Menschen. Eine Bevölkerungsgeschichte, München Beck 1999. l Imhof, Arthur E. : Die Lebenszeit. Vom aufgeschobenen Tod und von der Kunst des Lebens, München: Beck 1988. l Mitterauer, Michael: Historischanthropologische Familienforschung. Fragestellungen und Zugangsweisen, Wien [u. a. ] 1990. 12/1/2020 Helga Schultz 3

1. Der alltägliche Tod 12/1/2020 Helga Schultz 4

1. Der alltägliche Tod 12/1/2020 Helga Schultz 4

Einfache Reproduktion l Hohe Sterblichkeit und ebenso hohe Geburtenrate (um 30 Promille jährlich) kennzeichnen

Einfache Reproduktion l Hohe Sterblichkeit und ebenso hohe Geburtenrate (um 30 Promille jährlich) kennzeichnen die Reproduktion der Bevölkerung in vorindustrieller Zeit. l Wie in der Wirtschaft gelingt auch hier kaum mehr als die einfache Erhaltung. l Die Menschen haben noch keinen Einfluss auf ihre biologische Natur, auf Zeugung und Tod. 12/1/2020 Helga Schultz 5

Der alltägliche Tod Der Tod kommt durch Infektion (Seuchen), schnell und in jedem Lebensalter.

Der alltägliche Tod Der Tod kommt durch Infektion (Seuchen), schnell und in jedem Lebensalter. l Mitten wir im Leben sind / Mit dem Tod umfangen. (Augustinus/Luther). l Krankenpflege durch Nonnen im Hotel-Dieu in Paris 18. Jh. 12/1/2020 Helga Schultz 6

Gemeinschaft l Die Menschen sahen sich deshalb nicht so sehr als individuelle Persönlichkeit mit

Gemeinschaft l Die Menschen sahen sich deshalb nicht so sehr als individuelle Persönlichkeit mit einem Anspruch auf ein erfülltes Leben. l Die Erfüllung war für das Jenseits zu erlangen. l Wichtiger war ihre Rolle in der Gemeinschaft (der Doge, der Hauswirt), aus der sie jederzeit abberufen werden konnten. 12/1/2020 Helga Schultz 7

Der gute Tod l Gegen die Realität des alltäglichen Todes setzte man den Wunsch

Der gute Tod l Gegen die Realität des alltäglichen Todes setzte man den Wunsch nach einem Sterben in hohem Alter im Kreise seiner Familie. l Jean-Baptiste Greuze 1763 : Die Früchte der guten Erziehung (Eremitage St. Petersburg). 12/1/2020 Helga Schultz 8

2. Kindersegen 12/1/2020 Helga Schultz 9

2. Kindersegen 12/1/2020 Helga Schultz 9

Kindersterblichkeit l Die krisenhafte Balance von Sterben und Gebären auf hohem Niveau betrifft vor

Kindersterblichkeit l Die krisenhafte Balance von Sterben und Gebären auf hohem Niveau betrifft vor allem die Säuglinge. l Ein Viertel der Kinder starb während des ersten Lebensjahres vor allem an Magen. Darmkrankheiten. l Nur jedes zweite erreichte das heiratsfähige Alter, da Pocken und auch Masern und Diphtherie reiche Ernte hielten. 12/1/2020 Helga Schultz 10

Verschwendung von Leben? l „Gott hat´s gegeben, Gott hat´s genommen“, so sah man den

Verschwendung von Leben? l „Gott hat´s gegeben, Gott hat´s genommen“, so sah man den flüchtigen Kindersegen. l Im katholischen Europa stärker ausgeprägt: – Häufigere Geburten – höhere Säuglingssterblichkeit – Höhere Müttersterblichkeit (Imhof). l Gründe: Alphabetisierung, Aufklärung im protestantischen Europa (Schweden). 12/1/2020 Helga Schultz 11

Geliebte Kinder l Zahlreiche Kinderbilder bezeugen, dass die Kleinkinder ungeachtet ihres wahrscheinlichen frühen Todes

Geliebte Kinder l Zahlreiche Kinderbilder bezeugen, dass die Kleinkinder ungeachtet ihres wahrscheinlichen frühen Todes geliebt und gehegt wurden. l Frans Hals: Catharina Hooft mit ihrer Amme (um 1620, Gemäldegalerie Berlin). 12/1/2020 Helga Schultz 12

Geburtenregelung? Hohes Heiratsalter (Ende 20) und Eheverbote für Abhängige und Arme sollten die Menschenzahl

Geburtenregelung? Hohes Heiratsalter (Ende 20) und Eheverbote für Abhängige und Arme sollten die Menschenzahl an die Ressourcen der Nahrung angleichen. l Nur Enthaltsamkeit und lange Stillzeiten waren verbreitete Mittel der Geburtenplanung. l Die Ehepaare schöpften den natürlichen Spielraum von 5 bis 8 Kindern aus, der durch Krankheit, Unfruchtbarkeit und Tod eingeengt war. l 12/1/2020 Helga Schultz 13

Not der Frauen l Regelverstöße und Verbrechen (Kindsmord) waren entsprechend häufig. http: //amor. rz.

Not der Frauen l Regelverstöße und Verbrechen (Kindsmord) waren entsprechend häufig. http: //amor. rz. huberlin. de/~h 0444 xbo/induelm. htm. l Im 18. Jahrhundert wuchs die Zahl der Unehelichen in Großstädten und Gewerberegionen. Daniel Chodowiecki 1782: Auspeitschen lediger Mütter 12/1/2020 Helga Schultz 14

3. Alteuropäische Familienmuster 12/1/2020 Helga Schultz 15

3. Alteuropäische Familienmuster 12/1/2020 Helga Schultz 15

Nahrungsstellen l Bauernhöfe und Meister-Werkstätten waren familientragende Nahrungsstellen. l Knechtsdienst und Tagelohn waren es

Nahrungsstellen l Bauernhöfe und Meister-Werkstätten waren familientragende Nahrungsstellen. l Knechtsdienst und Tagelohn waren es nicht. l Exportgewerbe boten neue Stellen. l Die Heirat von Unterschichten war allgemein rechtlich eingeschränkt. l So wurde das Bevölkerungswachstum dem Nahrungsspielraum angepasst. 12/1/2020 Helga Schultz 16

Süd/West-Nord/Ost-Gefälle 12/1/2020 Helga Schultz 17

Süd/West-Nord/Ost-Gefälle 12/1/2020 Helga Schultz 17

Das „Ganze Haus“ vereint Verwandte und Gesinde unter der Herrschaft des Hausvaters. l Es

Das „Ganze Haus“ vereint Verwandte und Gesinde unter der Herrschaft des Hausvaters. l Es vereint Produktion, Konsumtion und Reproduktion. l Das Ganze Haus kennt keine repressiven Hierarchien und keine entfremdenden Marktbeziehungen. Es ist autark und autonom. l Das Vorbild des Ganzen Hauses ist die adelige Hofhaltung, die auf Bauernhof und Meisterhaus übertragen wird. l 12/1/2020 Helga Schultz 18

Die Realität war anders l Das „Ganze Haus“ ist eine konservative Utopie seiner Schöpfer

Die Realität war anders l Das „Ganze Haus“ ist eine konservative Utopie seiner Schöpfer (Heinrich Wilhelm Riehl im 19. und Otto Brunner in der Mitte des 20. Jh. ). l In der Realität konnte das Ganze Haus weder autonom noch autark sein: Obrigkeit und Markt schufen Abhängigkeiten. l Die wachsenden Unterschichten (Soldaten, Arbeiter) ohne Haus werden ignoriert. 12/1/2020 Helga Schultz 19

Alteuropäische Familienmuster Die Vorstellung des „Ganzen Hauses“ setzt die Mehrgenerationenfamilie (Stammfamilie) voraus mit der

Alteuropäische Familienmuster Die Vorstellung des „Ganzen Hauses“ setzt die Mehrgenerationenfamilie (Stammfamilie) voraus mit der lebenslangen Rolle des Hausvaters. l Diese Familienform ist eher in Südost- und Osteuropa anzutreffen. l Westlich der Linie St. Petersburg – Triest, also im „Kerneuropa“ des römischen und protestantischen Christentums, des Getreidebaus und der Grundherrschaft, herrscht die Kleinfamilie vor. l 12/1/2020 Helga Schultz 20

Weltweit: Stammfamilie 12/1/2020 Helga Schultz 21

Weltweit: Stammfamilie 12/1/2020 Helga Schultz 21

Europa: Kernfamilie 12/1/2020 Helga Schultz 22

Europa: Kernfamilie 12/1/2020 Helga Schultz 22

Lange Jugend l Hohes Heiratsalter wird durch eine lange Jugendphase im Gesindedienst oder als

Lange Jugend l Hohes Heiratsalter wird durch eine lange Jugendphase im Gesindedienst oder als Geselle erreicht. l Regelmechanismus: Rigide Sexualmoral unter staatlicher und kirchlicher Kontrolle. l Die Bevölkerung wächst langsamer. 12/1/2020 Helga Schultz 23

Einsames Alter l Die Trennung der Generationen in Kleinfamilien durch: – Altenteil auf dem

Einsames Alter l Die Trennung der Generationen in Kleinfamilien durch: – Altenteil auf dem Dorfe. – Neolokalität in der Stadt. l Folgen: – Generationenkonflikte auf dem Dorfe, – Altersarmut und Einsamkeit in der Stadt. 12/1/2020 Helga Schultz 24

European Marriage Pattern l Das weltweit einzigartige Muster später Heirat mit eigener Haushaltgründung, das

European Marriage Pattern l Das weltweit einzigartige Muster später Heirat mit eigener Haushaltgründung, das dieser Kleinfamilie zugrunde liegt, wird „European marriage pattern“ genannt. l Die westeuropäische Kleinfamilie hat Privateigentum, Individualisierung und Lohnarbeit begünstigt. Erklärt sie das „europäische Wunder“? 12/1/2020 Helga Schultz 25

Zusammenfassung Die Bevölkerung wächst sehr langsam bei sehr hohen Sterbe- und Geburtenraten. l Da

Zusammenfassung Die Bevölkerung wächst sehr langsam bei sehr hohen Sterbe- und Geburtenraten. l Da die Familiengründung an Stellen mit voller Nahrung geknüpft ist, bildet sich das European Marriage Pattern mit später Heirat und kleinen Kernfamilien heraus. l Das Ganze Haus als Ort von Produktion, Konsumtion und Reproduktion ist eine konservative Idylle, die durch Markt, Obrigkeit und neue Unterschichten aufgelöst wurde. l 12/1/2020 Helga Schultz 26

Zum Weiterschauen: l Die Webseiten des Berliner Demographen Arthur E. Imhof. 12/1/2020 Helga Schultz

Zum Weiterschauen: l Die Webseiten des Berliner Demographen Arthur E. Imhof. 12/1/2020 Helga Schultz 27