Wintercollege Versorgungsmanagement Wunde Wunde und Lebensqualitt Christine Keller
Wintercollege „Versorgungsmanagement Wunde“ Wunde und Lebensqualität Christine Keller Gesundheits- und Krankenpflegerin, Lehrerin für Pflegeberufe, Wundexpertin ICW e. V. Heilpraktikerin (Psychotherapie), Systemische Beraterin
2 05. 12. 2014 Begriff der Lebensqualität Was ist Lebensqualität? Was bedeutet für Sie Lebensqualität?
3 05. 12. 2014 Begriff der Lebensqualität allgemein o Intakte Familie, gute Partnerschaft o Gute Freunde o Gesundheit und Wohlbefinden o Ausreichendes Einkommen, sich was leisten können o Freude am Beruf, guter Arbeitsplatz o Zeit und Geld für Hobby und Urlaub o Intakte Umwelt, Erhaltung der Umwelt o Schöne Wohnung, Wohnort auf dem Land o Freiheit und Demokratie o Gute Bildung, Bildungschancen o Zufriedenheit in allen Lebensbereichen …
4 05. 12. 2014 Begriff der Lebensqualität allgemein • Der Begriff Lebensqualität (engl. Quality of Life, Qo. L) umschreibt die Existenzbedingungen von Menschen unter Berücksichtigung vieler verschiedener Faktoren wie z. B. gesundheitlicher, sozialer, materieller, familiärer, beruflicher und anderer gesellschaftlicher Faktoren. Der Begriff der Lebensqualität entstand in den 60 er Jahren des 20. Jh. Er berücksichtigt sowohl objektive Bedingungen als auch subjektive Einschätzungen.
5 05. 12. 2014 Begriff der Lebensqualität allgemein Lebensqualität Objektive Lebensbedingungen, z. B. - Sozioökonomischer Status, Einkommen, Vermögen, Bildung - Funktionaler Status und Gesundheit - Wohnen und Wohnumgebung und Technik - Soziale Beziehungen und Unterstützung - Arbeit und Freizeit, soziales Engagement und Partizipation Subjektive Lebensqualität Zufriedenheit Glück Kognitives Wohlbefinden Emotionales Wohlbefinden Negative Emotionen Positive Emotionen
6 05. 12. 2014
7 05. 12. 2014 Begriff der Lebensqualität allgemein
8 05. 12. 2014 Begriff der Lebensqualität allgemein
9 05. 12. 2014 Gesundheitsbezogene Lebensqualität § Im Englischen: health realeted quality of life, HRQo. L § Es gibt keine einheitliche und verbindliche Definition von gesundheitsbezogener Lebensqualität § Medizin, Psychologie, Soziologie, Pflege und Ökonomie beschäftigen sich damit § Es gibt eine Vielzahl von Untersuchungen mit unterschiedlichen Inhalten § Es gibt eine Vielzahl von Instrumenten zur Einschätzung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität
10 05. 12. 2014 Gesundheitsbezogene Lebensqualität Hat inzwischen eine große Bedeutung in der Medizin und Pflege, besonders • in der Onkologie • in der Palliativmedizin und – pflege • in der Versorgung von chronisch Kranken • in der Versorgung von Patienten mit chronischen Wunden • als Selektionskriterium für bestimmte Therapieoptionen • als ökonomisches Kriterium für Therapieoptionen: QALY (quality adjusted life year, ein Jahr gesunder Lebenserwartung) • im Rahmen von Zufriedenheitsuntersuchungen von Patienten, z. B. von Krankenkassen
11 05. 12. 2014 Gesundheitsbezogene Lebensqualität „Weitreichendes Konzept, das in einer komplexen Art von der physischen Gesundheit der Person, vom psychologischen Status, vom Grad der Unabhängigkeit, von sozialen Beziehungen, persönlichen Überzeugungen und ihrem Verhältnis zu den wichtigen Merkmalen ihrer Umwelt beeinflusst wird. “ WHO-QOL-Group, 1993 In: Panfil, E. -M. , Schröder, G. : Pflege von Menschen mit chronischen Wunden, 2. Auflage, Huber Verlag, Bern
12 05. 12. 2014 Gesundheitsbezogene Lebensqualität … hat eine - somatische/körperliche - psychische - interpersonelle - sozioökonomische - spirituelle Komponente. Diese Komponenten sind im subjektiven Erleben miteinander verbunden.
13 05. 12. 2014 Gesundheitsbezogene Lebensqualität „… und oft ändert derselbe Mensch seine Meinung, wird er krank, so ist es Gesundheit, und wenn er gesund ist, so ist es das Geld. “ Aristoteles, Nikomachische Ethik
14 05. 12. 2014 Gesundheitsbezogene Lebensqualität bedeutet für Kranke grundsätzlich etwas anderes als für Gesunde. Die Bedeutung (Bewertung) der einzelnen Aspekte der Lebensqualität ist höchst individuell.
15 05. 12. 2014 Gesundheitsbezogene Lebensqualität Möglichkeiten der Messung von Lebensqualität • Interviews • Fragebögen: - generischer Fragebögen (unabhängig von der Krankheit) - krankheitsspezifischer Fragebögen Es gibt nicht den Fragebogen! • Selbsteinschätzung durch den Patienten • Fremdeinschätzung, z. B. durch den Arzt, Angehörige
16 05. 12. 2014 Gesundheitsbezogene Lebensqualität – EQ -5 D-5 L
17 05. 12. 2014 Gesundheitsbezogene Lebensqualität – SF -36
18 05. 12. 2014 Lebensqualität und chronische Wunden Verschiedene Studien belegen, dass Patienten mit chronischen Wunden in ihrer physischen, psychischen, sozialen und funktionalen Lebensqualität eingeschränkt sind. Einschränkungen der Lebensqualität können nicht immer zweifelsfrei und objektiv identifiziert und der Wunde zugeordnet werden.
19 05. 12. 2014 Lebensqualität und chronische Wunden Welche Einschränkungen bzgl. der Lebensqualität geben Menschen mit einer chronischen Wunden an?
20 05. 12. 2014 Lebensqualität und chronische Wunden Chronische Wundpatienten leider unter: Ø Ø Ø Ø Schmerzen Mobilitätseinschränkungen Wundnässe und Wundgeruch Psychisches Erleben: Energielosigkeit, Ärger, Schuld, Körperbildstörungen, Hoffnungslosigkeit, Machtlosigkeit, Zukunftsängste u. a. Juckreiz und Schwellung der Beine Muskelkrämpfe Einschränkungen in den Aktivitäten Beeinträchtigung im sozialen Leben, sozialer Rückzug
21 05. 12. 2014 Lebensqualität und chronische Wunden Chronische Wundpatienten leider unter: Ø Berufliche und finanzielle Belastungen Ø Notwendigen Therapien und prophylaktischen Maßnahmen, starren zeitlichen Vorgaben Ø Inkompetenten Fachkräften: - Reduzierung auf die Wunde und den Verbandwechsel, chronischer Charakter der Wunde wird nicht berücksichtigt - Mangelnde kommunikative Fähigkeiten - Mangelnde Wertschätzung und Einfühlungsvermögen - Mangelnde Zeit und Geduld, sich kümmern - Widersprechende Behandlungen, Aussagen
22 05. 12. 2014 Lebensqualität und chronische Wunden Wie können Sie in Ihrem beruflichen Alltag die Lebensqualität von Menschen mit einer chronischen Wunde messen?
23 05. 12. 2014 Lebensqualität und chronische Wunden Der Expertenstandard Pflege von Menschen mit chronischen Wunden empfiehlt: v Kriterienliste zur Einschätzung der wund- und therapiebedingten Einschränkungen sowie der Selbstmanagementfähigkeiten von Wundpatienten und deren Angehörigen 1. Patienten-/Angehörigenwissen 2. Wund- und therapiebedingte Einschränkungen 3. Vorhandene wundbezogene Hilfsmittel 4. Selbstmanagementkompetenzen von Patienten/Bewohnern und Angehörigen
24 05. 12. 2014 Lebensqualität und chronische Wunden Der Expertenstandard Pflege von Menschen mit chronischen Wunden empfiehlt: v Würzburger Wundscore (WWS): - 15 Themen, 19 Items: Schmerz, Emotionen, Schlaf, Finanzen, tägl. Aktivitäten, Mobilität, Urlaub, soziale Isolation, Kranksein, psychische Stimmung, Heilungsüberzeugung, Angst vor Amputation, Lebenserwartung, Mobilitätshilfen, Zeit für Wundversorgung - Bewertung: nicht – wenig – mäßig – ziemlich – sehr Selbsteinschätzungsinstrument für die vier großen chronischen Wundarten
25 05. 12. 2014 Lebensqualität und chronische Wunden Der Expertenstandard Pflege von Menschen mit chronischen Wunden empfiehlt: v Wittener Aktivitätskatalog der Selbstpflege bei venös bedingten offenen Beine - Bewertung: ja, stimmt genau – eher ja – eher nein – nein, stimmt überhaupt nicht Selbsteinschätzungsbogen für Maßnahmen rund um die Prophylaxe und Therapie von venösen Ulzerationen Kann als Grundlage für Beratungsgespräche dienen
26 05. 12. 2014 Lebensqualität und chronische Wunden Patientenorientierung Wie erlebt der Wundpatient seine Erkrankung? Was bedeutet für ihn Lebensqualität? Welche Wünsche, Perspektiven, Ziele hat er? Ziele: -Physische, psychische, soziale und spirituelle Bedürfnissen sind berücksichtigt. -Alltagskompetenzen, Unabhängigkeit, Wohlbefinden und Gesundheit sind erhalten, wieder hergestellt, bestmöglich gefördert.
27 05. 12. 2014 Lebensqualität verbessern bei Patienten mit chronischen Wundanamnese - Erfassung der Lebensqualität zu Beginn des pflegerischen Auftrags und im Verlauf - Was bedeutet Lebensqualität für den Wundpatienten? - Welche Wünsche, Perspektiven, Ziele hat er? Ggf. individueller Aushandlungsprozess, wenn diese weit entfernt von den pflegerischen/medizinischen Wünschen, Perspektiven und Zielen sind.
28 05. 12. 2014 Lebensqualität verbessern bei Patienten mit chronischen Wunden Kompetenzen auf Seiten der Pflegekraft - Wertschätzende Kommunikation, Gesprächsbereitschaft zeigen - Ängste und Sorgen ernst nehmen, Wut und Trauer nicht persönlich nehmen - Empathie und Einfühlungsvermögen, Trösten können - Frage nach Allgemeinbefinden, Lebenssituation mit der Wunde, Wundpatienten ganzheitlich betrachten - Beratungskompetenz und Fachkompetenz - Motivieren können ohne zu belehren - Humor und Lachen - Vorstellungen von Lebensqualität und Ziele abklären - Respekt vor den Entscheidungen des Patienten - Eigenen Umgang mit Wundpatienten, z. B. auch Ekelgefühlen, Bewertungen reflektieren
29 05. 12. 2014 Lebensqualität verbessern bei Patienten mit chronischen Wunden Maßnahmen bei Schmerzen - Schmerzanamnese, Schmerzverlauf beurteilen - Wundursache/n versuchen herauszufinden und bestmöglich ausschalten - Schmerzmittelgabe: dauerhaft oder rechtzeitig vor dem Verbandwechsel - Geeignete Lagerungen - Kälteanwendungen - Entspannungstechniken - Ablenkung -…
30 05. 12. 2014 Lebensqualität verbessern bei Patienten mit chronischen Wunden Maßnahmen bei Wundnässe, Wundgeruch, Juckreiz - Geeignete Wundauflagen - Infektbekämpfung - Wundrandschutz, Pflege der Wundumgebung - Allergen vermeiden -… Maßnahmen bei Mobilitätseinschränkungen - Mobilitätshilfen - Geeignete Schuhe - Verbände so dünn wie möglich - Schmerzmittel - Bei Lagerungen auch die Bequemlichkeit berücksichtigen -…
31 05. 12. 2014 Lebensqualität verbessern bei Patienten mit chronischen Wunden Begleitende Maßnahmen zur Wundbehandlung - Druckentlastung, -verteilung, Bewegungsförderung bei Dekubitus - Kompression, Bein hochlagern, Risikofaktoren ausschalten bei Ulcus cruris venosum - Gefäßtraining, Bein tief lagern, warm halten, Einengungen vermeiden bei Ulcus cruris arteriosum - Blutzuckereinstellung, Druckentlastung, geeignete Schuhe, professionelle Fußpflege bei diabetischem Fußsyndrom Maßnahmen zur Erhaltung der sozialen Kontakte - Motivieren, die sozialen Kontakte nicht zu verlieren - Wichtigkeit von sozialen Beziehungen aufzeigen - Kontakte ggf. initiieren -…
32 05. 12. 2014 Lebensqualität an einem konkreten Beispiel - Patient, männlich - Jahrgang 1939 - Flugzeugabsturz 1975, Querschnittslähmung LWK 2/3 - Z. n. beidseitiger Unterschenkelamputation bei p. AVK - Sehr aktiver, eigenständiger Mensch - Mit dem Rollstuhl und Auto selbständig mobil - Im Verlauf immer wieder Dekubiti im Gesäßbereich, mehrere langwierige Behandlungen und plastische Deckungen in der BG Unfallklinik Murnau, „austherapiert“ - Beginn der Wundversorgung im Januar 2009
33 05. 12. 2014 Lebensqualität an einem konkreten Beispiel Januar 2009 - Wunde am rechten Stumpf, 1, 5 x 2, 5 cm in der Granulationsphase, unkompliziert - Drei kleine Wunden im Bereich einer Narbe am Gesäß, Granulations- und Epithelisierungsphase, unkompliziert Oktober 2013 - Patient verstirbt an den Folgen seiner Wundsituation
34 05. 12. 2014 Lebensqualität an einem konkreten Beispiel Was war passiert? !
35 05. 12. 2014 Lebensqualität an einem konkreten Beispiel Unser individueller Aushandlungsprozess zur Lebensqualität des Wundpatienten Mein Ziel 2009 - Wundheilung - Druckentlastung - Verhinderung weitere Dekubiti vs. Ziel des Klienten - Selbstbestimmte Zeit im Rolli - Selbstbestimmte Lagerung im Bett - Aktiv bleiben Die Ziele wurden mit Beginn der Versorgung nicht verbalisiert und abgestimmt. - Beratung zur Notwendigkeit der Druckentlastung - Kritik an langen Sitzzeiten, unzureichender Druckentlastung, Unvernunft - Phasengerechte Wundbehandlung - Klient sitzt viele Stunden im Rolli oder im Bett, nimmt kaum Lagerungswechsel im Bett vor - Reagiert teilweise ungehalten über die Beratung
36 05. 12. 2014 Lebensqualität an einem konkreten Beispiel Evaluation - Wunde im Bereich des Stumpfes ist abgeheilt - Neue Dekubiti im Bereich der Sitzbeinhöcker, klein, unkompliziert - Abheilung der Wunden kann nie vollständig erreicht werden vs. Evaluation - Klient ist mobil in Haus und Garten - Verwaltet seine Häuser selbst - Eigenbestimmt bzgl. Druckentlastung, mal mehr mal weniger kooperativ
37 05. 12. 2014 Lebensqualität an einem konkreten Beispiel Ab August 2011 - Wundsituation im Bereich der Sitzbeinhöcker verschlechtert sich rapide als der Klient einen neuen Rollstuhl bekommt: größer, tiefer, Beläge/ Nekrosen, Taschenbildung - Nekrosenabtragung zuhause - VAC-Versorgung Mein Ziel: Nach wie vor Wundheilung dann - Erhaltung des Status quo - Überlegung zur Aufgabe vs. Ab August 2011 - Klient ist unvernünftig: extrem lange Sitzzeiten - Reagiert tw. sehr stur, wenn die Ehefrau ihn nach 4 – 5 Stunden ins Bett bringen will - Lehnt 2 -malige Mobilisation mit zwischenzeitlicher Druckentlastung im Bett ab Ziel des Klienten: - „Wunde interessiert mich eigentlich nicht!“ - „Lebensresignation“
38 05. 12. 2014 Lebensqualität an einem konkreten Beispiel Ab Oktober 2013 - Dramatische Wundsituation! - Allgemeinzustand verschlechtert sich zusehens Mein Ziel: - Verschlechterung aufhalten - Überlegung zur Aufgabe der Wundversorgung - Behandelnder Arzt/ambulanter Pflegedienst: Krankenhauseinweisung, Dann: vs. Ab Oktober 2013 - Klient wird schwächer, lehnt sich immer weniger auf Ziel des Klienten: Keine Krankenhauseinweisung mehr! Das wird ausgesprochen deutlich verbalisiert. Gemeinsames Ziel von Klient, Ehefrau und Kindern, mir: Klient kann zuhause bleiben. Ich begleite ihn bis zum Ende mit allem was kommt.
39 05. 12. 2014 Lebensqualität an einem konkreten Beispiel Fazit? !
- Slides: 39