Walter Benjamin 1982 1940 Sohn eines Antiquars in
Walter Benjamin (1982 -1940) • • • Sohn eines Antiquars in Berlin, Großbürgertum Reformpädagogik: Gustav Wyneken (1875 -1964). Freideutsche Jugend Studium Philosophie, Germanistik und Kunstgeschichte in Freiburg, Berlin u. Bern 1917 Dora Pollak 1919 Diss. Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik 1925 zurückgezogene Habil. Ursprung des deutschen Trauerspiels Durch die Affäre mit Asja Lacis Annäherung an den Kommunismus 1926 Moskau-Reise 1933 Exil in Paris 1939 Inhaftierung als dt. Flüchtling • • Sept 1940 versuchte Ausreise in die USA über Spanien u. Portugal Wegen der Gefahr der Auslieferung an die Deutschen nimmt er sich in der Nacht vom 26. zum 27. 09. 1940 im Grenzort Portbou das Leben
Dani Karavan, 1993 „Passages“
Werk 1. Sprachphilosophische Arbeiten Über die Sprache überhaupt und über die Sprache des Menschen (1916) 2. Literaturtheoretische Arbeiten Der Ursprung des deutschen Trauerspiels (1925) 3. Autobiographische Schriften: Berliner Kindheit um Neunzehnhundert (1933) 4. Geschichtsphilosophie Theologisch-politische Fragment (1921), Pariser Passagen (ab 1927), Über den Begriff der Geschichte (1940)
1. Sprachphilosophie • Gegen eine positivistische u. instrumentalistische Auffassung von der Sprache • Sprache als Ort der Dinge; sie sind IN der Sprache. • Namengebung als Wesen der Sprache. • „Die Sprache ist das geistige Wesen der Dinge“. • Gottes Übergabe der Sprache an den Menschen zur Benennung der Dinge; der Mensch ist nicht geschaffen, sondern er wird frei aus Gott entlassen.
2. Literaturtheoretische Arbeiten Der Ursprung des deutschen Trauerspiels (1925) • Problem des Sündenfalls: Sprache als Zeichen (keine Benennung), Urteil, Abstraktion • Erlösung: Allegorie: ein Begriff wird konkret, geschichtlich, ein Bild. In der barocken Literatur pflegt man die Allegorie vor allem in Form von Personifikationen: eine Person versinnbildlicht einen abstrakten Begriff, z. B. eine Tugend. „In Gottes Welt erwacht der Allegoriker. “
4. Geschichtsphilosophie Theologisch-politische Fragment (1921), Pariser Passagen (ab 1927) Über den Begriff der Geschichte (1940) 1. Das Messianische als Ziel der Geschichte, die von sich aus dazu sich aber nicht verhalten kann. Nihilistische Vermittlung von Gott und Mensch durch den Weltuntergang. 2. Verbindung von Theol. , Marxismus, Niedergang der bürgerl. Kultur - Glücksstreben (dessen Verhinderung führt in die Katastrophe: entfesselte Technik, Faschismus) - „Anamnetische Solidarität des Eingedenkens“: kein Glück ohne das Glück der anderen. - messian. Revolution als Ausweg: jede Sekunde kann die Pforte sein, durch die der Messias eintritt.
Paul Klee: Angelus novus 1921 erwirbt Benjamin Klees Bild „Angelus Novus. Er versteht ihn als „Engel der Geschichte“ Über den Begriff der Geschichte/These IX (1940): • „Es gibt ein Bild von Klee, das Angelus Novus heißt. Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, a ls wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte muss so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradies her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, dass der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm. “
Graham Budgett: Der Engel der Geschichte (1987)
Über die Sprache überhaupt und über die Sprache des Menschen (1916) • Jede Mitteilung geistiger Inhalte ist Sprache. • Universalität der Sprache: sie erstreckt sich auf alles; alles teile nämlich seinen geistigen Inhalt mit. • Unterschied zw. geistigem und sprachlichem Wesen. • Das geistige Wesen teilt sich in der Sprache mit, nicht durch sie, da es kein eigenes Subjekt der Sprache gibt, das sich durch sie mitteilt.
„Das sprachliche Wesen der Dinge ist ihre Sprache. “ • Die Sprache der Lampe… die ‚sprechende Lampe‘ • Die Mitteilbarkeit einer Sache ist ihre Sprache. • Sprache als Medium. • Unmittelbarkeit der Sprache = Problem der Sprachtheorie • Unendlichkeit der Sprache = Unbeschränktheit dessen, was in Sprache sich mitteilt.
„Das sprachliche Wesen des Menschen ist also, dass er die Dinge benennt. “ • Die benennende Sprache des Menschen. • Die Benennung ist ermöglicht durch die Selbst-Mitteilung der Dinge. (Die Lampe teilt sich dem Menschen mit. ) • Der Mensch teilt sich benennend mit. • Wie die Dinge sich dem Menschen mitteilen, teilt sich der Mensch Gott mit.
Die „bürgerliche“ und onomatische Auffassung der Sprache Mitteilung • Ihr Mittel = Mittel • Ihr Gegenstand = Sache • Ihr Adressat = der Mensch Onomatische Sprache Selbst-Mitteilung des Menschen im Namensmitteilung als restlose Selbstmitteilung. Das geistige Wesen des Menschen ist die Sprache selbst; die Sprache ist die Selbstmitteilbarkeit des Menschen. Mitteilende = der benennende Menschen; Mitteilung = Name
Offenbarung • Das Ausgesprochenste als das reine Geistige. • Religion allein basiert auf dem geistige Wese der Sprache, Poesie u. Kunst in abgeleiteter Weise. • Sprache, die Mutter der Vernunft und Offenbarung, ihr A und (Johann Georg Hamann 1730 -1788)
Methodische Reflexion • Offenbarung / Bibel wird herangezogen, • nicht um eine Bibelinterpretation zu bieten, sondern zum zu erkennen, • „was aus dem Bibeltext in Ansehung der Natur der Sprache selbst sich ergibt“.
Kommunikation • Materielle Kommunikation der Dinge untereinander. • μίμησις Tiere ahmen Pflanzen nach. Der Mensch ahmt sprachlich, schriftlich nach, was er wahrnimmt. Kinder spielen Windmühle. Kultische Tänze (Jagdzauber) B = Beth • Immaterielle Kommunikation durch den materiellen Laut; • Immaterielle Gemeinschaft des Menschen über die Sprache mit allen Dingen. • Ermöglicht durch den Odem Gottes = Mitteilung von Leben, Geist, Sprache
1. und 2. Schöpfungsbericht • • • Priesterschrift (Gott = Elohim) 450 v. Chr. 6/7 Tage Rhythmus: Ausgangspunkt: Urchaos als Wasser Vom Kosmos über Pflanzen und Tiere zum Menschen als Mann und Frau und als Bild und Gleichnis Gottes • Aufgabe: Herrschen • Er sprach Es werde Er nannte • • • Jahwist (Jahwe Gott), 900 v. Chr. Keine Zeitangabe Ausgangspunkt: trockene Erde, Bewässerung. Ackerboden-Adam, Behauchung. Erschaffung von Pflanzen, Bäume, Baum des Leben u. der Erkenntnis • • Aufgabe des Menschen: Gärtner Einsamkeit des Menschen als Motiv für die Erschaffung der Tiere und schließlich der Frau, die dem Menschen allein entspricht. • Wortloses Erschaffen aus Material, Benennung durch den Menschen, sogar der Frau. Gottes schöpferische Wort wird dadurch sogar empfangend. •
Sprachtheoretisches • Gott macht die Dinge in • Namensnennung stellt ihrem Namen keine Erkenntnis dar, erkennbar; sondern ist Gottes Wort in menschlichen Lauten. • Der Mensch benennt sie kraft derselben Sprache, in dem Gott die Dinge • Sprache kann niemals erschafft. auf ein Zeichensystem • Abbildlichkeit des reduziert werden. Menschen: Namensgebung
Übersetzungsarbeit • Die menschliche Erkenntnis der Dinge resultiert aus deren Mitteilung. • Aufgabe des Menschen ist die Übersetzung: aus der Sprache der Dinge in die Sprache des Menschen, das Namenlose empfängt einen Namen. • Verwandtschaft der Namenssprache und der Dinge in Gott als Bedingung für die gelingende Benennung. • Paradiessprache: erkennende Sprache
Gefallene Sprache • Diabolisches Erkennen des Guten und Bösen = namenlos, Erkenntnis von außen. • Sündenfall als Wortgeburt: das Wort soll jetzt Etwas mitteilen, nicht selbst. • Folgen des Falls: • 1. Sprache als Mittel, Zeichen, Vielheit der Sprachen • 2. Urteil als Gericht • 3. Abstraktion (vgl. Johannes Duns Scouts + 1308 „pro statu isto“) • Sprachverwirrung Gen 11
Traurigkeit und Erlösung der Dinge • Stummheit • Klage der Natur • Überbenennung und Überbestimmung der Dinge durch den Menschen. • Plastik, Malerei, Poesie gründet in der Namensprache des Menschen bzw. in der Dingsprache. • Erinnerungen an das Paradies: Vögel – Gesang; Zeichen – Kunst. • Sprache der Natur • Geheimnisfähigkeit der Sprache.
Schluss • Gereinigter Begriff der Sprache: • „Die Sprache eines Wesens ist das Medium, in dem sich sein geistiges Wesen mitteilt. “ • Strom der Mitteilungen: • Dinge – Mensch - Gott
Geschichtsphilosophisches • • Geschichte, Historie (ἱστορία, historia) von ἵστωρ = der Kundige, Zeuge, Schiedsrichter. 1) Erkundungen der Natur, Suche nach ihren Ursprüngen (Vorsokratiker); 2) Geschichtsschreibung als Ergebnis der Erkundungen menschlicher Taten (Aristoteles) 3) Entwicklung einer Geschichtstheologie (AT, Frühe Kirche: Theorie über die Zeit zwischen Christi Auferstehung/Himmelfahrt und dem Weltende); Beweise der Vorsehung, vgl. Eusebius von Caesarea 4) Entwicklung einer Geschichtsphilosophie (Idealismus, Marxismus, Nationalsozialismus, wiss. Sozialismus) 5) Historismus (L. Ranke): Geschichte, wie sie „eigentlich“ gewesen ist. 6) Historizismus: Alles Geistige ist geschichtlich (Dilthey nach Husserl: Einfühlen in die Geschichte, Relativität; Popper: prognostische Geschichtsphil. : Comte, Marx…) 7) Geschichte als Seinsgeschichte (Heidegger) 8) Geschichte der kleinen Erzählungen (Postmoderne) „Geschichte ist der Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit. “ (Hegel, Phil. d. Geschichte)
Historischer Materialismus: von der Ökonomie zur Philosophie • „Die materialistische Anschauung der Geschichte geht von dem Satz aus, daß die Produktion, und nächst der Produktion der Austausch ihrer Produkte, die Grundlage aller Gesellschaftsordnung ist; daß in jeder geschichtlich auftretenden Gesellschaft die Verteilung der Produkte, und mit ihr die soziale Gliederung in Klassen oder Stände, sich danach richtet, was und wie produziert und wie das Produzierte ausgetauscht wird. Hiernach sind die letzten Ursachen aller gesellschaftlichen Veränderungen und politischen Umwälzungen zu suchen nicht in den Köpfen der Menschen, in ihrer zunehmenden Einsicht in die ewige Wahrheit und Gerechtigkeit, sondern in Veränderungen der Produktions- und Austauschweise; sie sind zu suchen nicht in der Philosophie, sondern in der Ökonomie der betreffenden Epoche. “ • – Friedrich Engels
Historischer Materialismus: von der Gesellschaft zum Bewusstsein • „In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen. Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt, und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewußtseinsformen entsprechen. Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt. Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt. “ • – KARL MARX
Historischer Materialismus Fünf Epochen der Menschheitsgeschichte: • (1) klassenlose Urgesellschaft kommunistischer Provenienz (Blutsverwandtschaft, Gemeineigentum an Grund Boden, gemeinsame Produktion) Kämpferische Gesellschaftsformationen • (2) Sklavenhaltergesellschaft • (3) Feudalismus • (4) Kapitalismus Übergang zur Vollendung • (5) Sozialismus und ewiger Kommunismus
Theologisch-Politisches Fragment (1920) Geschichte • Beziehung zum Messias, aber nicht von sich aus. • Profanität • Streben nach Glück, in dessen Fluchtlinie nicht das mess. Reich zu finden ist. Messias • erlöst, vollendet, schafft • Reich Gottes, nicht immanentes Telos der Geschichte • Ende, nicht Ziel • Theokratie = religiös, nicht politisch
Ernst Bloch (1885 -1877) • Geist der Utopie, 1918. • Gegen eine Kritik der Utopie als abgehobenes Projekt und Konstrukt; • Für eine konkrete Utopie, die zukünftige Zustände schon antizipiert. Die Kommunistische Partei und die Arbeiterbewegung sind Subjekte dieser Utopie. • Thomas Müntzer als Theologe der Revolution, München, 1921 • Thomas Müntzer (14891525): • Konkrete Utopie: von Theologie und bibl. Apokalyptik zur Revolution, durch die Zukunft antizipiert wird. • Offb. 20: 1000 jährige Reich. Chiliastische Deutung χιλία.
Geschichtsphilosophie • Ausrichtung des Profanen an der Idee des Glücks; die Beziehung des Profanen auf das Messianische = Thema der Geschichtsphilosophie. • Mystische Geschichtsauffassung: • Profane Glück • Messias • Aber: die profane Richtung könne die messianische fördern. • Das Profane als leises Nahen des mess. Reiches. • Begründung: Im Glück erstrebt alles Irdische seinen Untergang; • Nur im Glück ist der Untergang finden.
Aufgabe der Weltpolitik, Methode des Nihilismus • Die Politik des Nihilsmus • Gnostische Elemente: zerstört das Irdische, • Erlösung, nicht als das Glücksverlangen Heilung, sondern als und führt zum Vernichtung der Untergang, in dem aber Geschichte; Erfüllung das Glück zu finden ist. des Menschen jenseits • Geistl. Restitutio in des Glückstrebens. integrum contra • Vgl. aber die positiven Glückstreben. Aussagen zur Schöpfung in dem Aufsatz zur Sprache.
Über den Begriff der Geschichte • 1. Historischer Materialismus als Sieger; soll die Theologie in ihren Dienst nehmen. • 2. Erlösung als Teil der Vorstellung vom Glück. – Vergangenheit zielt auf Erlösung – daraus folgt: wir wurden erwartet als Geschlecht mit einer schwachen messianischen Kraft. – Der historische Materialismus setzt diese Messianität der künftigen Generation voraus.
Rudolf Hermann Lotze (1817 -1881) • Mikrokosmus. Ideen zur Naturgeschichte und Geschichte der Menschheit. Versuch einer Anthropologie, S. Hirzel, Leipzig 1856– 1864 • Erster Band: Der Leib, Die Seele, Das Leben, 1856; • Zweiter Band: Der Mensch, Der Geist, Der Welt Lauf, 1858; • Dritter Band: Die Geschichte, Der Fortschritt, Der Zusammenhang der Dinge, 1864.
Hermann Lotze • „Zu den bemerkenswerthesten Eigenthümlichkeiten des menschlichen Gemüths gehört … neben so vieler Sehnsucht im einzelnen die allgemeine Neidlosigkeit jeder Gegenwart gegen ihre Zukunft. Und nicht allein, dass wir gern dieser Zukunft das größere Glück gönnen, da wir selbst nur vorschauend ahnen; vielmehr ein Zug aufopfernder Arbeit zur Herstellung eines Besseren, dass wir nicht mitgenießen werden, geht durch alle Zeiten bald in großartigen bald in alltäglichen Formen, bald in Gestalt einer mit Bewusstsein sich widmenden Liebe, bald wenigstens als ein natürlicher, seiner eignen Bedeutung und bestimmter Ziele unbewusster Trieb. “
Geist, Kultur als Zugabe • 3. Die erlöste Menschheit erst schaut ihre Vergangenheit ganz. • 4. Die geistigen Dinge im Klassenkampf sind keine Beute; sie sind immer schon dabei (Mut, Humor, List, Zuversicht). Sie stellen die Herrschenden immer wieder in Frage; sie sind nicht machbar und von sich her wirksam. Das habe der histor. Materialist zu beachten: sie werden ihm hinzugeschenkt. • Hegel-Zitat: Brief an Karl Ludwig von Knebel (1744 -1834) vom 30. August 1807. In: Karl August Varnhagen von Ense u. a. (Hg. ): K. L. von Knebel‘s literarischer Nachlass und Briefwechsel. Bd. 2, 2. Aufl. Leipzig 1840, 44. = Inversion von Mt 6, 33 Euch aber muss es zuerst um sein Reich und um seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben. – Umkehr der Präferenzen.
Vergangenheit als Gegenwart • 5. Vergangenes darf nicht historistisch verstanden werden: als Museumstück; es muss in die Gegenwart integriert werden. • (Franz Leopold Ranke 1795 -1886, Begründer des Historismus)
Das Vergangene als das Offene • 6. Ranke-Zitat: Wie es eigentlich gewesen ist. . . Das Vergangene muss auf aktuelle Gefahren bezogen werden, nicht als abgeschlossene Geschichte. Der Messias überwindet dieses Vergessen. Auch die Toten sind nicht sicher vor dem Feind; er kann Geschichte umdeuten, Versöhnung verweigern.
Der Historiker als Kollaborateur • 7. Das historisierende Verfahren des Historikers Fustel de Coulanges: Nacherleben einer Epoche = Einfühlung in die Sieger = Beute als Kulturgüter • Kulturgüter = Dokumente der Fronarbeit namenloser Zeitgenossen, und damit der Barbarei. Der Materialismus muss die „Geschichte gegen den Strich zu bürsten“.
Numa Denis Fustel de Coulanges (1830 -1889) • Der antike Staat (1864) • Einfühlung in eine Epoche, in ihre Religion. Von ihr aus sind die einzelnen gesellschaftlichen Phänomen zu begreifen.
Geschichtsverständnis u. Ausnahmezustand • 8. Der Ausnahmezustand • Ein einseitiges als sozial-ökonomische Geschichtsverständnis Regel und Kriterium für evoziert die Überraschung das Geschichtsverständnis. über Phänomene im 20. Jh. • Dieses Geschichtsverständnis verhilft zum Widerstand gegen den Faschismus, der als Norm des Fortschritts erscheint.
Paul Klee: Angelus novus 1921 erwirbt Benjamin Klees Bild „Angelus Novus. Er versteht ihn als „Engel der Geschichte“ Über den Begriff der Geschichte/These IX (1940): • 9. „Es gibt ein Bild von Klee, das Angelus Novus heißt. Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte muss so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradies her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, dass der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm. “
Historismus, techn. -marx. Fortschrittsglaube u. Geschichtsphilosophie - Theologie als Inspiration • „Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft schleudert…“ • Histor: Kette von Begebenheiten • Deutung: eine einzige Katastrophe (Wiederholung derselben Zerstörung) • Fortschrittsglaube = Sturm vom Paradies: Sündenfall, Vertreibung; • Erlösung: Verweilen und Heilen des Vergangenen • Mit dem Rücken zur Zukunft. • Passivität: Erlösung nicht machbar, nicht in der Zukunft. • Nihilismus: Zerstörung der Geschichte als Weg zur Erlösung? • Setzen auf den Messias in der Katastrophe? Messias = klassenlose Gesellschaft
Opium: Fortschritt • 10. Die Politiker, die gegen den Faschismus opponierten, jetzt aber verloren haben, besiegeln ihre Niederlage durch Verrat: durch Fortschrittsglaube.
Selbstentfremdung der Sozialdemokratie • 11. Kritik am Konformismus der Sozialdemokratie und ihrem falschen Hoffen in den technokratischen Fortschritt. • Die Sozialdemokratie beschäftigt sich nur noch mit einer Verbesserung der Arbeit, nicht aber mehr mit den Infragestellungen ihrer Rahmenbedingungen. • „Gothaer Programm“ der Sozialdemokratischen Partei von 1875: Die Arbeit ist die Quelle alles Reichtums und aller Kultur • Karl Marx (1818– 1883) „Kritik des Gothaer Programms“ 1875 verfasst, 1891 posthum veröffentlicht. • Gotha: „ 1. Die Arbeit ist die Quelle alles Reichtums und aller Kultur, und da nutzbringende Arbeit nur in der Gesellschaft und durch die Gesellschaft möglich ist, gehört der Ertrag der Arbeit unverkürzt, nach gleichem Rechte, allen Gesellschaftsgliedern. “ • Marx : „Quelle des Reichtums und der Kultur wird die Arbeit nur als gesellschaftliche Arbeit. In dem Maße, wie die Arbeit sich gesellschaftlich entwickelt und dadurch Quelle von Reichtum und Kultur wird, entwickeln sich Armut und Verwahrlosung auf seiten des Arbeiters, Reichtum und Kultur auf Seiten des Nichtarbeiters. “
Sozialdemokratische Philosophie und Benjamins Ökologie • » ‘Die Produktion verlangt unter allen Umständen in rationeller Weise betrieben zu werden. In allen Kulturepochen, mögen sie noch so verschieden sein, muß man, so will es die Vernunft der Dinge, in möglichst kurzer Zeit das Massenhafteste leisten. Dieser von der materiellen Leiblichkeit uns angetane Trieb ist also das Allgemeine, das Ursächliche, ist Grund oder Fundament aller sogenannten höheren, geistigen Entwicklungen, Bildungen und Fortschritte (Josef Dietzgen, Sozialdemokratische Philosophie, Sämtliche Schriften, Bd. 1, Berlin 1930, S. 165 f. ) • Benjamin: Ökologische Ausbeutung der Natur als Kriterium für ein falsches Verständnis von Arbeit und Fortschritt. • Charles Fourier (1772 -1837): ökologische Wirtschaft
Verharmlosung der Sozialdemokratie • 12. Sozialdemokratie verharmlost die Vorstellung von der kämpfenden Klasse zugunsten der Vorstellung von der Arbeiterklasse als Erlöserin. • Verweis auf Louis-Auguste Blanqui (1805 -1881): Revolutionär in Frankreich Juli -Rev. 1830, Aufstand 1837, 1848… • „Diktatur des Proletariats“ Pariser Kommune revolutionäre Pariser Stadtrat vom 18. 3. - 28. 5. 1871.
Gegen naiven Fortschrittsglauben • 13. Sozialdemokratischer Fortschritt: • 1. der Menschheit • 2. unendliche Perfektibilität • 3. Unaufhaltsamkeit • In Wahrheit werde die Vorstellung vom Fortschritt von einem leeren Fortgang der Menschheitsgeschichte bedient.
Konstruierte Geschichte • 14. Der revolutionäre und konstruiende Sprung in die Geschichte ist notwendig, aber nicht möglich, wenn er unter Aufsicht der Herrschenden erfolgt.
Kalender • 15. Kalender als Monumente eines Geschichtsbewusstseins; dessen Spuren sind verwischt. Anhalten der Zeit als Therapie gegen ein bloßes Fortschreiten.
Stillstand 16. • Gegenwart als Ort der Veränderung, der Revolution. • Geschichtsbetrachtung erschöpft sich nicht im historistischen „Es war einmal…“
Die qualitativer Monade • 17. Während der Historismus Fakten sammelt, muss die materialistische Geschichtsschreibung konstruieren: sie versucht aus der Fülle des Materials eine qualitative Aussage zu formen, eine histor. Einsicht. • Monade als qualitativer Geschichtsgegenstand, der das Kontinuum des Ablaufs bricht und über sie hinausführt.
Jetztzeit • 18. Die kurze Zeit der Menschheit als Jetztzeit des Messias.
Anhang B • Jüdisches Leben als Leben im Eingedenken. • Keine Wahrsagerei über die Zukunft. • Die Zukunft ist ganz Gott und seinem Messias anheimgestellt.
- Slides: 51