Vorkommen Ursachen und Vermeidung von Pflegemngeln Prof Dr
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Vorkommen, Ursachen und Vermeidung von Pflegemängeln: Prof. Dr. Günter Roth Fachhochschule im DRK Reinhäuser Landstrasse 19/21 37083 Göttingen
Übersicht ØThesen zum Ausgangsstand u. theoretischen Hintergrund ØKonzeption der Untersuchung zu Pflegemängeln in NRW ØErgebnisse ØStrukturqualität ØProzessqualität ØErgebnisqualität ØUrsachen u. Hintergründe ØEmpfehlungen Günter Roth, Präsentation Pflegemängel 2
Thesen zum Ausgangsstand ØDominanz der Institution, Struktur- und Prozessqualität u. Funktionalismus ØPraxis, Empirismus u. ‚Mythos der Lebenswelt‘ ØKorporatismus, Politikverflechtung, Formalismus u. Bürokratie ØKaum Transparenz u. keine ‚Lobby‘ für Ältere/Pflegebedürftige ØUnterentwickelte Pflegeforschung in Deutschland ØMangelhafte Methodenkenntnis, -entwicklung u. anwendung ØAktivismus und Moden Günter Roth, Präsentation Pflegemängel 3
Begriff der Pflege (WHO) Ø Pflege nimmt einen gesellschaftlichen Auftrag wahr, das physische, psychische und soziale Potential von Menschen oder Gruppen in ihrem Umfeld zu bestimmen und zu verwirklichen. Ø Dazu muss sie Funktionen aufbauen und erfüllen, welche die Gesundheit fördern, erhalten und Krankheit verhindern. Ø Zur Pflege gehört die Planung und Betreuung bei Krankheit und Rehabilitation, und sie umfasst die physischen, psychischen und sozialen Aspekte des Lebens in ihrer Auswirkung auf Gesundheit, Krankheit, Behinderung und Sterben. Ø Pflegende gewährleistet ferner, dass der einzelne und seine Gemeinschaft gegebenenfalls in alle Aspekte der Gesundheitsversorgung einbezogen werden, und sie unterstützen damit Selbstvertrauen und Selbstbestimmung. Ø Pflegende arbeiten auch partnerschaftlich mit Angehörigen anderer, an der Erbringung gesundheitlicher und ähnlicher Dienstleistungen beteiligten Gruppen zusammen (vgl. Salvage Günter Roth, Präsentation Pflegemängel 4
Begriff der Qualität u. des QM Ø Qualität als Gesamtheit von Merkmalen (u. Merkmalswerten) einer Einheit bezüglich ihrer Eignung, festgelegte und vorausgesetzte Erfordernisse zu erfüllen (vgl. DIN EN ISO 55350, DIN EN ISO 9000 ff. ) Ø Kurz: Qualität als realisierte Beschaffenheit einer Einheit (IST) bezüglich einer Qualitätsforderung (SOLL) Ø Qualitätsmanagement (QM) Ø als ein auf die gesamte Organisation bezogenes Verfahren, das sich im Bemühen um ständige Verbesserung an den legitimen Bedürfnissen der Bürger oder Kunden orientiert. Ø QM umfasst alle Tätigkeiten des Managements, die im Rahmen eines ‚Systems‘ u. einer ‚Qualitätspolitik‘ Ziele und Verantwortungen festlegen sowie diese durch Mittel wie Qualitätsplanung, Qualitätslenkung, Qualitätssicherung, Qualitätsmanagementdarlegung und Qualitätsverbesserung verwirklichen (DIN EN ISO 8402). Günter Roth, Präsentation Pflegemängel 5
Qualitätsbegriff (Donabedian 1966) Struktur Institutionelle Rahmenbedingungen wie Bau, Organisation, Personal Prozeß Pflegetheorien, prozesse, -konzepte u. -handlungen Ergebnis Zustände und Wirkungen bei Pflegebedürftigen Günter Roth, Präsentation Pflegemängel 6
Hintergrund: Funktionales u. rationales Modell Ø Rationales Modell der Problemlösung (‚Objektivismus‘): Ø Soziales Problem Diagnose/Assessment wissenschaftlichrationale Lösung professionelle Planung Organisation Leistung Evaluation Problem. . . Ø Formale Organisation Ø Spezialisiert, zweckrational, differenziert, planmäßig, geregelt, dauerhaft, formalisiert, berechenbar, standardisiert, generalisiert, individualisiert. . . Ø Professionalität Ø Wissenschaftliches Spezialwissen, professionelle Problemlösungskompetenz, Expertentum u. Exklusivität, Berufsethos u. Habitus, gesellschaftliche Verantwortung, Organisation, Selbstkontrolle u. Reputation. . . Günter Roth, Präsentation Pflegemängel 7
Probleme des QM bei sozialen Diensten ØEinzelfallbezug und erschwerte Standardisierung ØEmotionalität und Komplexität ØMitwirkung von Klienten (uno-actu-Prinzip) ØUnvollständige u. asymmetrische Information, externe Effekte, free-rider-Probleme (Marktversagen) ØUnklare oder verzerrte Präferenzen der Klienten ØZielkonflikte, multiple Interessen und Perspektiven ØSoziale Dienste als Vertrauensgüter ØVerzögerte u. erschwerte Erfolgsbewertung u. kontrolle Günter Roth, Präsentation Pflegemängel 8
Kritik an Institutionen u. ‚rationale Mythen‘ ØKritik an Institutionen (Heime, Kliniken) als Ordnungs, und Herrschaftssysteme zur Kontrolle und ‚Normalisierung‘ (u. a. Goffman Foucault, Illich) ØInstitutionen orientieren sich an institutionellen Zielen, Normen und Umwelten u. koppeln sich von Aufgaben, Problemen und Bedürfnissen von Klienten ab ØInstitutionen sind symbolisch aufgeladen u. überleben trotz Dysfunktion (‚rationale Mythen‘) (Weick, Meyer/Scott) ØAntiinstitutionelle Selbsthilfebewegung, ‚ambulant vor stationär‘ Günter Roth, Präsentation Pflegemängel ØForderung diffuser ‚Ganzheitlichkeit u. 9
Analytisches Modell Kontextvariablen Rechtliche u. institutionelle Regulierung Finanzierung u. Steuerung Fach- u. Berufsverbände Problemkonstruktion Normen Werte Methoden Organisationelle Ziele Strukturen Mitglieder/Stakeholder Funktionen Ressourcen Soziale u. kulturelle Werte, Normen, Strukturen, Funktionen Pflegekraft Qualifikation/Kompetenz Werte Einstellungen Normen Motivation Engagement Ziele Interessen Rollen Status Habitus Körperlich-geistige Disposition Alter, Geschlecht, Biographie Symbolisches Ökonomisches Interaktion/Proze sse 1: Zustands-, Ressourcen - u. Problemerkennung 2. Bedarfs- u. Zielbestimmung 3. Maßnahmenplanung 4. Durchführung 5. Dokumentation 6. Evaluation Ergebnisqualität Günter Roth, Präsentation Pflegemängel Pflegebedürftige Körperlich-geistige Disposition Werte Einstellungen Normen Motivation Engagement Ziele Interessen Rollen Status Habitus Alter Geschlecht Biographie Symbolisches Angehörige Ökonomisches Kulturelles Soziales 10 Kapital
Übersicht ØThesen zum Ausgangsstand u. theoretischen Hintergrund ØKonzeption der Untersuchung zu Pflegemängeln in NRW ØErgebnisse ØStrukturqualität ØProzessqualität ØErgebnisqualität ØUrsachen u. Hintergründe ØEmpfehlungen Günter Roth, Präsentation Pflegemängel 11
Zielsetzung der ‚NRW-Studie‘ Ø Systematische Informationen zur Pflegequalität in NRW Ø Schwerpunkte bei der Prozess- und Ergebnisqualität Ø Vergleich NRW mit Deutschland und internationalen Befunden Ø Ursachenanalyse von Pflegemängeln Ø Nach Risikogruppen, häuslicher und stationärer Pflege, Trägertypen Ø Handlungsempfehlungen Ø Verbesserung der Pflegepraxis Ø Prävention von Pflegemängeln Ø Rechtliche Rahmenbedingungen (Garms-Homolová/Roth 2004) Günter Roth, Präsentation Pflegemängel 12
Untersuchungsansatz (‚NRW-Studie‘) Ø Rahmenbedingungen Ø Mangelhafte Datenlage v. a. zur Ergebnisqualität Ø enger finanzieller und zeitlicher Rahmen (ca. 25 Tsd. €, 8 Monate) Ø Literaturanalyse Ø Ca. 200 Titel ausgewählt (nur empirische) Ø Empirische Erhebung Ø Analyse der Pflegeprozesse und der Ergebnisqualität Ø Resident Assessment Instrument (RAI) u. Dokumentenanalysen Ø ‚Stationär‘: 141 Pb. in 10 Heimen im Abstand v. 2 Monaten (2004) Ø Ambulant: 122 Pb in 17 Diensten zu einem Zeitpunkt (Mai 2004) (Garms-Homolová/Roth 2004) Günter Roth, Präsentation Pflegemängel 13
Übersicht ØThesen zum Ausgangsstand u. theoretischen Hintergrund ØKonzeption der Untersuchung zu Pflegemängeln in NRW ØErgebnisse ØStrukturqualität ØProzessqualität ØErgebnisqualität ØUrsachen u. Hintergründe ØEmpfehlungen Günter Roth, Präsentation Pflegemängel 14
Aspekte der Strukturqualität (Ende 2003) ØFachkraftquote Øca. 50% in Pflegeheimen ØCa. 62% in ambulanten Pflegediensten (erhebliche Streuung) ØVollzeitbeschäftigung Ø 42, 4% der Beschäftigten in Pflegeheimen Ø 29% d. Beschäftigten in Pflegediensten (in NRW etwas weniger Fach- u. Vollz. kr. ) ØPflegestatistik nach SGB XI (www. destatis. de) Günter Roth, Präsentation Pflegemängel 15
Aspekte der Strukturqualität (Ende 2003) Ø ‚Personalschlüssel‘ Ø Im Mittel 26 Pflegebedürftige / 10 Pflegekräfte in Pflegeheimen (Streuung von 17 bis über 40) (in D u. NRW ähnlich) Ø Je Bewohner sind innerhalb von 14 Tagen 14 Mitarbeiter tätig (NRW) Ø In ambulanten Diensten im Mittel 4 Pflegekräfte pro Pb und Monat, z. T. auch 15 und mehr Kräfte (D) Ø Pflegesätze (Pflegeheime) Ø 608 – 2. 000 € in Stufe I (Pflegeversicherung zahlt bis zu 1. 023€) Ø 760 – 2. 281 € in Stufe II (Pflegeversicherung zahlt bis zu 1. 279 €) Ø 1. 369 – 3. 042 € in Stufe III (Pflegeversicherung zahlt i. d. R. bis zu 1. 432 €) Ø --> ‚Bruttostundensatz‘ = ca. 25 € Ø (bei ca. 105 Min. Pflegeleistungen (Stufe I) und ca. 158 Min. (Stufe III) (darunter je 50 Min. Günter Roth, Präsentation Pflegemängel 16 mittelbarer Aufwand, v. a. für hauswirtschaftliche Versorgung und Arbeitsbesprechungen) (n.
Aspekte der Strukturqualität (Ende 2003) ØGröße ØIm Mittel ca. 82 Plätze (NRW) 66 Plätze (D) ØCa. 42 Pflegebedürftige / Dienst ØEinzelzimmeranteil ØNRW fast 50% Einzelzimmeranteil, in D 47% ØTrägerschaft ØPflegeheime: 55% NPO, 37% Profit, 7% Öffentlich ØPflegedienste: 55% Profit, 43% NPO, 2% Öffentlich ØAber: Weit geringere Größe der Profit-Einrichtungen Günter Roth, Präsentation Pflegemängel 17
Übersicht ØThesen zum Ausgangsstand u. theoretischen Hintergrund ØKonzeption der Untersuchung zu Pflegemängeln in NRW ØErgebnisse ØStrukturqualität ØProzessqualität ØErgebnisqualität ØUrsachen u. Hintergründe ØEmpfehlungen Günter Roth, Präsentation Pflegemängel 18
Mängel der Prozessqualität Øca. 50 % der stationären und ca. 2/3 der ambulanten Einrichtungen haben z. T. eklatante Mängel bei Pflegedokumentation und –prozess (MDK 2004, Heimaufsicht 2005) Ø 533 Pflegekräfte in 107 ambulanten Pflegediensten sehen primär Organisation und Koordination, Pflegeplanung und ‑dokumentation als problematisch (Roth 2001: 271 ff. ) ØCa. 50% der Dokumentationen in Pflegeheimen erfasst keine Angaben zu ØRessourcen und Fähigkeiten, Biographie, Hör- und Sehfähigkeit, Hautzustand, kognitiver Zustand, Planungen und Pflegeverläufen, Günter Roth, Präsentation Pflegemängel 19 Medikamenteneinnahme, Lagerung (Garms-Homolová/Roth
Mängel der Pflegedokumentation in Heimen (NRW) Ø Fußprobleme waren nur bei ca. 13 % der Fälle bekannt Ø Mund- und Zahnstatus war nur bei 23 % bekannt, dokumentiert bei 6% Ø Hinweise auf ein Delir waren in acht Fällen bekannt, nie dokumentiert Ø Umherirren oder Wandern (15 -mal bekannt, nur viermal dokumentiert) Ø Harnwegsinfekt (bekannt in 3 Fällen, dokumentiert nur einmal) Ø Schwindel und Gewichtsverlust (in weniger als 50% der Fälle dokumentiert) Ø Schmerzen (in 40 Fällen bekannt, jedoch nur 8 mal dokumentiert) Ø Psychopharmaka (erscheint in der Dokumentation in 44% der Fälle). Günter Roth, Präsentation Pflegemängel 20
Mängel der Pflegedokumentation in NRW (ambulant) (N=122) Günter Roth, Präsentation Pflegemängel 21
Mängel der Pflegeplanung (NRW) ØNur ca. 50% der dokumentierten Befunde finden sich auch in den Zielen, Maßnahmenwahl und Evaluationsergebnissen ØZ. B. : stationär: ØHinweise auf ein Delir, Gleichgewicht, Umherirren oder Wandern, Flüssigkeits- u. Nahrungsaufnahme, Gewicht, Fußprobleme, Psychopharmakaeinnahme, Wachzeit am Tag / in der Nacht ØZ. B. : Ambulant: Øz. B. Veränderung der sozialen Aktivitäten, ehemalige Stürze und zu geringe Nahrungs- sowie Flüssigkeitsaufnahme (Garms-Homolova/Roth 2004) Günter Roth, Präsentation Pflegemängel 22
Mängel der Pflegeprozesse (NRW) ØAlter der Pflegeplanung ØStationär: ØIm Mittel 4, 5 Monate, bis zu 28 Monate, 15% neun Monate ØAmbulant ØIm Mittel 6, 6 Monats; bis zu 22 Monate, 20% 7 - 12 Monate, 10% >12 Monate ØEntgegen den Erwartungen werden mit wachsenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen Pflegeplanungen eher seltener aktualisiert! ØDabei ist fast die Hälfte der Klienten klinisch instabil, komplex u. risikoreich! Garms-Homolova/Roth 2004 Günter Roth, Präsentation Pflegemängel 23
Kontrolle der Dokumentation in der ambulanten Pflege (D) Quelle: Roth 2001 Günter Roth, Präsentation Pflegemängel 24
Übersicht ØThesen zum Ausgangsstand u. theoretischen Hintergrund ØKonzeption der Untersuchung zu Pflegemängeln in NRW ØErgebnisse ØStrukturqualität ØProzessqualität ØErgebnisqualität ØUrsachen u. Hintergründe ØEmpfehlungen Günter Roth, Präsentation Pflegemängel 25
Ernährungszustand von Pflegeheimbewohnern in NRW u. Sachsen (Anteile in %) (nn=141) ns = 195 Quelle: Garms-Homolova/Roth 20 Günter Roth, Präsentation Pflegemängel 26
Mangelernährung etc. ØMangelernährung bei institutionalisierten Pflegebedürftigen laut internationalen Studien bei 20 - 50 % ØProbleme bei Prozessen der Ernährungs- und Flüssigkeitsversorgung Øbei 37 % der Pflegebedürftigen im ambulanten Sektor (MDK 2004: 10) Øund bei 41 % der Bewohner in Pflegeheimen (ebd. : 13) Ø‚nicht angemessene Pflegezustände’ in ca. 20% der stationären und ca. 10% der ambulanten Einrichtungen (MDS 2004: 9, 12) ØIn Schleswig-Holstein wurde bei 1/3 der Günter Roth, Präsentation Pflegemängel 27
Schmerzen ØSchmerzen (oft chronische) werden oft nicht erkannt (‚das Alter. . . ‘) u. nicht adäquat behandelt Øfast die Hälfte der Klientinnen in Pflegeheimen in NRW haben Schmerzen, gut 20 % mit täglichen mittleren bis intensiven Schmerzen (ähnliche Werte bei ambulant Versorgten) Ølaut internationalen Studien haben 40 -80% der Pflegebedürftigen Schmerzen (je nach Setting, höhere Werte in Heimen) (Garms-Homolova/Roth 2004) Günter Roth, Präsentation Pflegemängel 28
Medikamente ØNur ca. 4% hatten keine Medikation in den letzten sieben Tagen; etwa ein Drittel blieb unter 5 Medikamenten ØCa. 50% konsumierten 5 bis 8 Medikamente, jede Fünfte nahm mehr als 8 Medikamente ein (ähnliche Werte in Pflegeheimen u. ambulanten Pflegediensten) Ø 61 % der Klientinnen in Pflegeheimen nahmen täglich Psychopharmaka, nur 24 % mit psychiatrischer Diagnose ØBoschek et al. (2003) fanden bei 50% der Pflegeheimbewohner sedierende Medikamentationen ØMedikamenteneinnahme korreliert nicht mit Günter Roth, Präsentation Pflegemängel 29 Pflegeaufwand u. wird oft mangelhaft kontrolliert
Hautprobleme u. Dekubitus ØPrävalenz v. Dekubitus variiert stark je nach Risikogruppe, Versorgungsform u. Region (Mittelwerte lt. Studien bei ca. 12 -15%) ØHohe Werte in Pflegeheimen u. geriatr. Kliniken (bis ca. 40 %) ØPrävalenz in Pflegeheimen in NRW bei 10%, in Sachsen 17% der Pb ØIn ambulanten Pflegediensten in NRW ca. 50% der Pb mit Hautproblemen, ca. 27% hatten Druck- u. Staugeschwüre ØUrsachen sind Immobilität, Inaktivität, Inkontinenz, Demenz, unzureichende Ernährung, mangelhafte Lagerung u. Mobilisation ØPatienten mit Druckgeschwüren haben eine höhere Günter Roth, Präsentation Pflegemängel 30
Inkontinenz Ø Urininkontinenz Ø Vergleichswerte anderer Studien liegen bei 50 -70% Ø 63%-71% (NRW) und 51 -64% (Sachsen) der Pflegeheimbewohnerinnen (gelegentlich, regelmäßig oder dauerhaft) Ø ‚nur‘ 34, 4% (NRW) in ambulanten Pflegediensten Ø Darminkontinenz Ø 50, 4% (NRW) und 54, 4% (Sachsen) der Pflegeheimbewohnerinnen Ø ‚nur‘ 24% (NRW) in ambulanten Pflegediensten Ø Beide Arten von Inkontinenz korrelieren hoch positiv mit Einschränkungen der ADL und mit solchen der Mobilität sowie dem Ausmaß an Fremdhilfe, so dass ein Teil der Probleme auch Ausdruck mangelnder Hilfen darstellt Quelle: Garms-Homolová/Roth 2004 Günter Roth, Präsentation Pflegemängel 31
Harninkontinenz in Pflegeheimen in NRW u. in Sachsen (N=144) (N=195) Quelle: Garms-Homolová/Roth 2004 Günter Roth, Präsentation Pflegemängel 32
Stuhlinkontinenz in Pflegeheimen in NRW u. in Sachsen (N=144) (N=195) Quelle: Garms-Homolová/Roth 2004 Günter Roth, Präsentation Pflegemängel 33
Prävalenz von Stürzen in NRW und in Sachsen (Anteile in %) (N=144) (N=195) Hochgerechnet würden rund 33% der Pflegebedürftigen im Jahr stürzen (über 50% im ambulanten Bereich) Quelle: Garms-Homolová/Roth Günter Roth, Präsentation Pflegemängel 34
Mangelnde Aktivierung Ø Rehabilitationspotentiale Ø 34, 8% der Pb in Pflegeheimen (NRW) wäre in der Lage, bei genügend Zeit und Anleitung wesentliche ADL auszuführen Ø 10 -14% (für einzelne Bereiche 26 -32%) der Pb im ambulanten Bereich Ø Begrenzte Angebote Ø Z. B. Pflegeheime: 75 % der Pflegebedürftigen hatten kein pflegerisches Training der Beweglichkeit in den letzten sieben Tagen Ø Z. B. Ambulante Pflege: 59 % der Klienten kamen seltener als einmal wöchentlich nach draußen; 2/3 hatten weniger als 2 Std. Bewegung/Beschäftigung innerhalb v. 3 Tagen Ø Hintergrund Ø Einschätzung der psychischen und geistigen Verfassung; mit wachsenden Einschränkungen werden Hilfsangebote eingeschränkt (Garms-Homolová/Roth 2004) Günter Roth, Präsentation Pflegemängel 35
Versorgung statt Aktivierung ØEine an Versorgungsabläufen sowie institutionellen Zielen orientierte Verrichtung u. vollständige Übernahme (76% des Zeitaufwandes) dominiert ØWeniger Anleitung, Unterstützung oder Rehabilitation (13% des Zeitaufwandes) ØHilfen sind im Durchschnitt sehr knapp bemessen: Ø 83 Min. /Bewohner täglich an unmittelbarer Pflege u. Betreuung Ø 50 Min. für mittelbare Leistungen, u. a. Hauswirtschaft, ca. 25 Min. pro Bewohner u. Tag für Besprechungen, Dokumentation, Planung u. Koordination etc. Wingenfeld/Schnabel 2002 Günter Roth, Präsentation Pflegemängel 36
Gewalt in der Altenpflege I Ø Strukturelle u. institutionelle Gewalt (‚Totale Institution‘ Goffman) Ø Leben der ‚Insassen’ findet ‚total‘ in der Institution und getrennt von dem des Personals statt Ø Dominanz der Institution u. ihrer Regeln (Effizienz, Strukturerhaltung, Herrschaft) Ø offene oder latente regulierende Zugriffe auf die Insassen und deren Körper, persönlicher Rechte u. der Selbstbestimmung (Raum und Zeit, Essen, Kleidung, Aktivitäten usw. ) Paternalismus, Bevormundung usw. bis hin zum ‚idealen‘ (rechtzeitigen u. gefassten) Sterben Ø Die Folge ist v. a. Rückzug, Konformität, Lethargie und Ritualismus, weniger Rebellion und Innovation Ø Etwa doppelt so hohe Sterblichkeit in Pflegeheimen (unter statistischer Kontrolle von Erkrankungen) (USA, übertragbar Günter Roth, Präsentation Pflegemängel auf D) 37
Gewalt in der Altenpflege II Ø 70% der Pflegekräfte in Pflegeheimen haben im vergangenen Jahr min. eine gewalttätige Handlung oder Unterlassung gegenüber Bewohnern verübt, die mittlere Häufigkeit lag bei 37 Handlungen/Unterlassungen Ø 1/4 -1/3 der Pflegekräfte bestätigen physische Misshandlungen für sich oder andere Ø Etwa 50% - 2/3 bejahen psychische Aggressionen oder Anschreien oder diverse Formen der pflegerischen Vernachlässigung etc. , z. B. : Ø Bewohner nicht rechtzeitig umlagern, Ignorieren oder warten lassen, nicht aus dem Bett holen, nicht ins Freie bringen, nicht waschen oder rasieren, Schamgefühle verletzen, Missachten der Privatsphäre, absichtliches Ärgern und zur Arbeitseinsparung fixieren, festhalten oder Windeln anlegen Garms-Homolová/Roth 2004, v. a. n. Görgen Ø Sehr häufig werden paternalistische oder infantilisierende Günter Roth, Präsentation Pflegemängel Handlungen o. Haltungen von Pflegekräften geg. 38
Gewalt in der Altenpflege III ØUnangemessene Freiheitseinschränkungen bejahen zwischen ca. 5 -28% der Pflegekräfte als eigene oder beobachtete Handlungen ØFreiheitseinschränkende Maßnahmen liegen in D bei 10%-45% der Pflegeheimbewohner ØBegründung mit gerontopsychiatrischen Befunden, Sturzgefahr, Desorientierung und Selbstgefährdung, trotzdem bekannter adverser Wirkung von Fixierungen. ØGewalthandlungen werden in der häuslichen Umgebung deutlich seltener, nämlich zwischen 5 und Garms-Homolová/Roth 2004, v. a. n. Görgen 15 %, angegeben (Dunkelfeld? ) Günter Roth, Präsentation Pflegemängel 39
Gewalt in der Altenpflege IV Ø Gewalt ist in Pflegebeziehungen ein wechselseitiges Phänomen mit einer großen Dunkelziffer, v. a. im häuslichen u. familiären Bereich, so dass sowohl Tabus als auch Skandale ‚programmiert‘ sind Ø 80% der Pflegekräfte in Pflegeheimen in Hessen berichten, dass sie im letzten Jahr min. einmal Opfer von Gewalt vonseiten der Bewohner wurden Ø 73% berichteten über psychische, 71% über verbale Aggression, 16% über sexuelle Belästigungen Ø Gewalt wird als Reaktion auf aggressives Verhalten von Klienten, als notwendiger Teil der Pflegehandlung oder als unabsichtliche Handlung ‚erklärt‘ Ø ‚Normalisierung‘ aggressiven Verhaltens, das z. T. als legitim oder unvermeidbar sowie in kontrollierender oder Günter Roth, Präsentation Pflegemängel(Görgen 2003) erzieherischer Absicht dargestellt wird 40
Übersicht ØThesen zum Ausgangsstand u. theoretischen Hintergrund ØKonzeption der Untersuchung zu Pflegemängeln in NRW ØErgebnisse ØStrukturqualität ØProzessqualität ØErgebnisqualität ØUrsachen u. Hintergründe ØEmpfehlungen Günter Roth, Präsentation Pflegemängel 41
Ausgewählte Ursachen v. Pflegemängeln ØJe stärker die erlebte Arbeitsbelastung, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit für Gewalthandlungen u. mangelhafte Pflege ØJe größer die Zahl an verwirrten, inkontinenten, bettlägerigen, auf Rollstuhl angewiesenen Bewohnern pro examinierte Kraft, desto mehr berichtete Fälle pflegerischer u. psychosozialer Vernachlässigung. ØJe stärker die erlebte Arbeitsbelastung, desto größer die Gesamtzahl selbstberichteter Delikte. ØHinzu kommen individuelle Täteraspekte, mangelnde Problembewältigungskompetenzen, Günter Roth, Präsentation Pflegemängel 42
Selbsteinschätzung zu Ursachen der Mängel im ambulanten Pflegedienst Quelle: Roth 2001 Günter Roth, Präsentation Pflegemängel 43
Personalmangel u. Arbeitsüberlastung Ø Qualitätsdefizite sind z. T. auf finanzielle oder personelle Engpässe zurückzuführen (s. o. ‚Bruttostundensatz = 25 € in Pflegeheimen) Ø 46% der Altenpflegerinnen und Altenpfleger gaben ein monatliches Nettoeinkommen zwischen 900 und 1500 € an; ein gutes Drittel hatte unter oder nur knapp über 750 € (Mikrozensus 2002, www. destatis. de) Ø Auch in der ambulanten Pflege, wo die Zufriedenheit im Beruf höher und das Belastungserleben geringer als in Pflegeheimen ist, kann von einer latenten Unzufriedenheit u. von Überlastungsphänomenen ausgegangen werden: Ø 27 % der Pflegekräfte in ambulanten Diensten sehen für sich und 55% für die Kolleginnen eine Arbeitsüberlastung Ø Als Folge der Arbeitsüberlastung sagen 29 %, dass Kolleginnen ‚Ihren Frust an den Pflegebedürftigen auslassen‘; 45 % der antwortenden Beschäftigten attestieren ihren Kolleginnen eine geringe Motivation und 40 % schlechte Laune bei der Arbeit Günter Roth, Präsentation Pflegemängel 44
Qualifikationsmängel Ø Aber: Qualitätsmängel und Qualifikationsmängel bestehen weitgehend unabhängig und ungeachtet des Einsatzes formell qualifizierter Personen (Fachkräfte) Ø Unverständnis für die Risiken der Pflege und die Bedeutung von ‚Dokumentation’ oder ‚Planung’ und ‚Messung’ und die intuitive Vorgehensweise wird z. T. unter dem Mythos der ‚Ganzheitlichkeit‘ einer geplanten Pflege vorgezogen Ø Generell bestehen bei Pflegekräften enorme Lücken im Wissen u. Fähigkeiten, sowohl hinsichtlich medizinisch-pflegerischer als auch anderer, etwa soziologischer oder betriebswirtschaftlicher Managementaspekte Ø Schwachstellen liegen vielfach in der Aufbau und Ablauforganisation sowie beim Fachwissen und Bewusstsein der Mitarbeiter Günter Roth, Präsentation Pflegemängel 45
Strukturelle Ursachen von Pflegemängeln Ø Fehlende Anreize für positive Pflegewirkungen Ø gesetzliche Bestimmungen und die Kostenerstattung folgen dem Konzept der leistenden und verwahrenden und nicht der präventiven oder rehabilitativen Pflege Ø Schwerpunkt der (eher seltenen) Kontrollen liegt auf der Erledigung der anstehenden Verrichtungen, nicht auf dem Ergebnis der Tätigkeit Pflege Ø Mangelnde soziale Integration und Kontrolle durch. . . Ø Familie, Öffentlichkeit, Pflegeeinrichtungen u. staatliche Institutionen. Ø Je weniger soziale Kontrollen stattfinden, desto häufiger und schwerer sind Pflegemängel (vgl. Mitchell/Shortell 1997; Garms. Homolová/Roth 2004) Ø Negatives Altersbild u. soziale Einstellungen/Werte Ø Die übermächtige gesellschaftlich-kulturelle Prägung im Sinne eines negativen, an Defiziten ausgerichteten Altersbildes führt zu Günter Roth, Präsentation Pflegemängel 47 einem Teufelskreis der Überversorgung, Infantilisierung usw.
Ausgewählte Ursachen v. Pflegemängeln Ø Je stärker die Beeinträchtigungen u. der Pflegebedarf, desto häufiger treten adverse Effekte oder Pflegemängel auf Ø Je beeinträchtigter z. B. die Leistungsfähigkeit von Pflegeheimbewohnern, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, nicht angemessen ernährt zu werden. Ø Auch Inkontinenz korreliert stark positiv mit dem ADL-Score, d. h. mit Einschränkungen in diesen Bereichen und mit Einschränkungen der Mobilität. Ø Mit wachsenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Pb. werden Planungen seltener aktualisiert und die Eintragungen jüngeren Datums finden sich bei stabileren Klientinnen, entgegen den Erwartungen Ø Besonders gefährdet für Pflegemängel sind ältere pflegebedürftige Frauen, wogegen Einflüsse ökon. Ungleichheit bisher nicht nachgewiesen (aber auch kaum untersucht) wurden Günter Roth, Präsentation Pflegemängel 48
Übersicht ØThesen zum Ausgangsstand u. theoretischen Hintergrund ØKonzeption der Untersuchung zu Pflegemängeln in NRW ØErgebnisse ØStrukturqualität ØProzessqualität ØErgebnisqualität ØUrsachen u. Hintergründe ØEmpfehlungen Günter Roth, Präsentation Pflegemängel 49
Empfehlungen I ØSubjektorientierte Förderung der Pflegeversorgung (Investitionskosten) zur Förderung des Qualitätswettbewerbs (§ 8 SGB XI) ØForderung einer kleinräumigen, überschaubaren Versorgung ist v. a. in NRW nach wie vor aktuell ØDer Anteil der Einzelzimmer sollte weiter gesteigert werden ØWeiterentwicklung und Ausbau der Qualitätskontrollen d. MDK u. Heimaufsicht (Einsatz des RAI wie in den USA) ØVeröffentlichung einrichtungsbezogener Daten aus Qualitätsprüfungen (wie i. d. USA), zur Herstellung Günter Roth, Präsentation Pflegemängel 50 von Markttransparenz, u. -gerechtigkeit
Empfehlungen II Ø Förderung guter Einrichtungen (etwa durch Gütesiegel und Prämien) (z. B. bei Rehabilitationserfolgen, Verbesserungen der ADL oder gutem Morbiditätsquoten bei vergleichbaren Risikogruppen) Ø Unterstützung der Lösung bekannter Koordinationsprobleme und ‚perverser Anreize‘ in den öffentlichen Leistungen (v. a. zwischen SGB V und XI bei Rehabilitation) Ø So sollte eine Vereinigung von Kranken- und Pflegeversicherung, min. aber die Harmonisierung von Finanzausgleich und Wettbewerbsstrukturen von Kranken- und Pflegeversicherung im Rahmen einer ‚großen Gesundheitsreform‘ Ø Unterstützung der Einführung personengebundener Budgets je nach individuellem Pflegebedarf, basierend auf einem regelmäßigen Assessment anstelle sektoral getrennter Budgets und Einführung von Case-Management Günter Roth, Präsentation Pflegemängel 51
Empfehlungen III ØVerbesserungen der Aus-, Fort- und Weiterbildung (z. B. im Assessment und der Qualitätssicherung) für Pflegeberufe unter Mitwirkung aller Beteiligter (z. B. mit Begleitung in Landespflegeausschuss u. Pflegekonferenzen) ØAlle Curricula sollten im Hinblick auf die empirische Pflegeforschung und insbesondere um Methoden des Assessments sowie des Case Managements erweitert werden. ØLast not least sollte die Ausweitung empirischer Forschungen in der Pflege vom Land gefördert werden. Geboten ist insbesondere die weiter zu entwickelnde standardisierte Messung der Günter Roth, Präsentation Pflegemängel 52 Ergebnisqualität
Literatur Ø Garms-Homolová, V. /Roth, G. (2004): Vorkommen, Ursachen und Vermeidung von Pflegemängeln, Bericht im Auftrag der Enquete-Kommission ‚Situation u. Zukunft der Pflege in NRW’ im Landtag von Nordrhein-Westfalen, Göttingen/Berlin (http: //www. landtag. nrw. de) Ø Görgen, T. /Kreuzer, A. /Nägele, B. /Krause, S. (2002): Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum Wissenschaftliche Begleitung und Evaluation eines Modellprojektes im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ, Schriftenreihe), Kohlhammer, Stuttgart, Berlin, Köln. Ø Görgen, T. (2003): Misshandlung, Vernachlässigung und unangemessene Formen der Freiheitseinschränkung in der stationären Altenpflege (Manuskript), Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen, Hannover. Ø Goffman, E. (1973): Asyle. Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen, Frankfurt/M. : Suhrkamp. Ø MDK (Medizinischer Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen e. V. ) (2004): Qualität in der ambulanten und stationären Pflege. 1. Bericht des Medizinischen Dienstes der Spitzenverbände der Krankenkassen e. V. nach § 118 Abs. 4 SGB XI. Ø Mitchell, P. H. /Shortell, S. M. (1997): Adverse outcomes and variations in organization of care delivery, Medical Care, Vol. 35, No. 11, S. 19 -32. Ø Roth, G. (2001): Qualitätsmängel und Regelungsdefizite der Qualitätssicherung in der ambulanten Pflege – Nationale und internationale Befunde (Schriftenreihe des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Bd. 226), Stuttgart: Kohlhammer. Ø Wingenfeld, K. /Schnabel, E. , (2002): Pflegebedarf und Leistungsstruktur in vollstationären Pflegeeinrichtungen (Eine Untersuchung im Auftrag des Landespfegeausschusses Nordrhein -Westfalen), Eigenverlag, Düsseldorf. Günter Roth, Präsentation Pflegemängel 53
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