SureBasenHaushalt und StewartKonzept Anleitung fr den tglichen Gebrauch
Säure-Basen-Haushalt und Stewart-Konzept Anleitung für den täglichen Gebrauch Dr. med. Ralf Hahn 2018
Einleitung (1) • Die Blutgasanalyse ist eine der am häufigsten durchgeführten klinischen Laboruntersuchungen. Sie enthält Informationen über die Oxygenierung, die Ventilation, den Säure-Basen-Status und den Elektrolyt-Haushalt. • Die Arbeiten des Kanadiers Peter Arthur Stewart (1921 – 1993) lieferten Anfang der 1980 er Jahre ein neues und erweitertes Verständnis des Säure-Basen-Haushalts, das bislang nur wenig Eingang in die alltägliche Betrachtung von Blutgasanalysen gefunden hat. (15, 18, 24, 25, 31) • Die vorliegende Arbeit soll es ermöglichen den Säure-Basen-Haushalt auf der Basis des Stewart-Konzeptes besser zu verstehen und mit Hilfe eines einfachen Algorithmus praxisnah zu analysieren.
Einleitung (2) • Im ersten Kapitel werden die physiologischen Grundlagen des Säure -Basen-Haushaltes (SBH) betrachtet. • Kernaussagen: Säure-Basen-Haushalt und Wasser-Elektrolyt-Haushalt ist ein und dasselbe. Die Ionenstruktur in einer wäßrigen Lösung bestimmt ihren p. H-Wert. • Im zweiten Kapitel werden die beteiligten Ionen besprochen und ein Algorithmus vorgestellt, der es ermöglicht, den Säure-Basen-Haushalt schnell und praxisnah zu analysieren. • Im dritten Kapitel werden alltägliche SBH-Beispiele erläutert. • Im vierten Kapitel wird der Aussage widersprochen, daß balancierte Infusionen keinen negativen Einfluß auf den SBH haben und ein Plädoyer für neue bicarbonathaltige und hypochlorische Infusionen gehalten.
Einleitung (3) • Über den Unterschied zwischen dem Stewart-Konzept und dem „Klassischen Konzept des SBH“ (10) ist viel geschrieben und diskutiert worden. (18, 20, 21, 27, 31) • Viele Autoren gehen davon aus, daß sich beide Ansätze nicht wesentlich widersprechen und das Stewart-Konzept das klassische Konzept erweitert. (15, 18, 21, 24, 25, 26, 27, 31) • V. a. die metabolischen Störungen können mit Hilfe des Stewart-Konzeptes genauer analysiert werden. (15, 18, 24, 25, 26, 31) • Einen Vergleich finde ich passend: Das klassische Konzept ist wie eine Ebene einer Ultraschalluntersuchung: ein zweidimensionales Bild. Beim Stewart-Konzept kippt und verschiebt man den Schallkopf und beginnt ein dreidimensionales Bild zu sehen.
Inhalt Teil 1: Grundlagen des Säure-Basen-Haushalts Teil 2: Säure-Basen-Algorithmus Teil 3: Praktische Beispiele Teil 4: Plädoyer für neue bicarbonathaltige und hypochlorische Infusionen Teil 5: Literatur
Teil 1: Grundlagen des Säure-Basen. Haushaltes
Wie verändert man „klassisch“ den p. H-Wert? Metabolisch (Niere): - Protonen (H+) ausscheiden/retinieren - Bicarbonat (HCO 3 -) ausscheiden/retinieren Respiratorisch (Lunge): - CO 2 abatmen/retinieren Protonenanfall/Protonenverlust: - Niereninsuffizienz (Protonen- und Säureausscheidung ↓) - Säureproduktion (Lactat, Ketoacidose) - Säureverlust (Erbrechen) Bicarbonatverlust - Diarrhoe - Renal-tubuläre Acidosen „durch Protonen und Bicarbonat…“ (30)
„Klassisches Problem“ Es gibt keine freien Protonen (H+-Ionen) in wäßriger Lösung bei T 37°C !!! => p. H = 0 ? „Lösung“: p. H = Konz. H 3 O+ (Oxonium-Ion) H 20 + H 2 O H 3 O+ + OHSäure-Basen-Reaktion = Protonen-Übertragung
Protonen • Ein Proton ist ein hochreaktives Elementarteilchen, das sich in einer wäßrigen Lösung sofort einem Reaktionspartner aufsetzt. • Nach Brönsted und Lowry (1923) ist eine Säure ein Teilchen, das einem anderen Teilchen ein Proton überträgt. • Ein freies Proton ist die stärkste Säure überhaupt – das Teilchen mit dem höchsten Bestreben einem anderen Teilchen ein Proton zu übertragen: sich selbst. • Es gibt demnach keine freien Protonen in einer wäßrigen Lösung bei 37°C. • Was also messen wir, wenn wir den p. H-Wert messen, der doch die Konzentration der Protonen (= H+-Ionen) sein soll? • Antwort: Der p. H-Wert ist die Konzentration der Oxonium-Ionen (H 3 O+-Ionen), die durch die Protonierung eines Wassermoleküls entstehen. (4), (28)
Oxonium-Ion • Wenn zwei Wassermoleküle i. S. einer Säure-Basen-Reaktion reagieren, dann überträgt das eine Wassermolekül dem anderen ein Proton: es entstehen ein Oxonium-Ion (H 3 O+) und ein Hydroxid-Ion (OH-). • Das Gleichgewicht dieser Reaktion des Wassers steht weit auf der Seite der Wassermoleküle. In Zahlen stehen auf der linken Seite der Reaktionsgleichung 109 Wassermoleküle und auf der rechten Seite gerade mal ein Oxonium- und ein Hydroxid-Ion. • Das bedeutet, daß das Wasser eine sehr schwache Säure bzw. eine sehr schwache Base ist: das dürfte bekannt sein. • Wohl weniger bekannt ist der Umkehrschluß: das Oxonium-Ion ist die stärkste Säure und das Hydroxid-Ion die stärkste Base, die in meßbarer Konzentration in wäßrigen Lösungen vorkommen. (4)
Ionenprodukt des Wassers • Das Produkt der Konzentrationen der Oxonium- und der Hydroxid-Ionen ist immer 10 -14 mmol/l: Ionenprodukt des Wassers. • Dementsprechend ergeben die Summe ihrer negativen dekadischen Logarithmen immer 14: p. H (= p. H 3 O+) + p. OH = 14. • Kennt man den p. H-Wert, ist auch der p. OH-Wert bekannt. • In destilliertem Wasser ist keines der beiden Teilchen höher konzentriert als das andere: p. H = p. OH = 7. „Keines von beiden“ = neutral. • Im Plasma ist die Konzentration der Oxonium-Ionen mit 40 nanomol/l (p. H = 7, 4) aber niedriger als die Konzentration der Hydroxid-Ionen mit 140 nanomol/l (p. OH = 6, 6). • Damit wäre im Plasma das Ionenprodukt des Wassers zwar gegeben, aber nicht die Elektroneutralität für diese beiden Teilchen. • Wer hält die stärkste Säure und die stärkste Base in dem vorliegenden Gleichgewicht?
Ionen • Antwort: Um die Elektroneutralität und einen bestimmten p. H-Wert im Plasma zu gewährleisten, müssen sich neben den Oxonium- und Hydroxid-Ionen noch andere geladene Teilchen (= Ionen) in einem bestimmten Konzentrationsverhältnis im Plasma befinden („Ionenstruktur“). • Ändert sich die Ionenstruktur, ändert sich durch Protonenübertragung (= Säure-Basen-Reaktion) konsekutiv das Verhältnis von Oxonium- und Hydroxid-Ionen und somit der p. H-Wert („Wasserwaage“). • Alle Zellen des Körpers, die das Enzym Carbonat-Dehydratase (früher: Carboanhydrase (CA)) enthalten, ändern den p. H-Wert ihrer Kompartimente durch Ionen-Verschiebungen über ihre Membranen. Dazu synthetisieren sie aus dem ubiquitär und unerschöpflich vorkommenden Wasser und Kohlendioxid das Anion Bicarbonat, um es zum Antiport oder Symport mit anderen Ionen zu verwenden. (26)
Die Veränderung des p. H-Wertes erfolgt über eine Änderung der Ionenstruktur der betreffenden wäßrigen Lösung, die konsekutiv zu einer Änderung des Verhältnisses der Oxonium-Ionen (H 3 O+) und der Hydroxid-Ionen (OH-) führt. => Konzentration der Oxonium-Ionen = p. H-Wert => p. H + p. OH = 14 => Elektroneutralität + Ionenprodukt des Wassers
Wasser-, Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalt … …ist ein und dasselbe.
Peter Arthur Stewart (1921 – 1993) Kanadischer Physiologe, Mathematiker, Physiker „How to understand acid-base“ (1981) „Unabhängige Faktoren“ bestimmen den p. H-Wert: => Ionenstruktur - Starke Ionen => Na+, K+, Cl-, Lac- p. CO 2 => HCO 3 - Schwache Säuren => Albumin- , XA„Abhängige Faktoren“: - H 3 O+ / OH- HCO 3 - / H 2 CO 3 3 Grundsätze gelten: - Elektroneutralität - Dissoziationsgleichgewichte schwacher Säuren => Ionenprodukt des Wassers - Massenerhaltung
Stewart-Konzept (1) • Nach Peter Stewart bestimmen drei unabhängige Faktoren den p. H-Wert: die „starken Ionen“, der CO 2 -Partialdruck und die „schwachen Säuren“. • Hinter den starken Ionen verbergen sich: Na+, K+, Cl- und das Anion Lactat. • Hinter dem CO 2–Partialdruck verbirgt sich das Anion Bicarbonat, das m. E. die eigentliche Störung bei respiratorischen Veränderungen darstellt. • Hinter den schwachen Säuren verbergen sich die Kohlensäure (und damit auch das Anion Bicarbonat), das im klassischen Konzept unbeachtete Poly-Anion Albumin (trägt 12 mmol/l negative Ladung an den AS-Seitenketten) und die sogenannten ungemessenen oder unbestimmten Säuren (= XAs), die sich auf dem BGA-Zettel in dem Begriff An. Gap (Anionenlücke) bzw. in dem Anagramm „KUSMALE“ finden lassen. (6, 7, 8, 15, 24, 25)
Stewart-Konzept (2) • Die XAs sind bei genauerer Betrachtung zumeist starke organische Säuren mit mindestens einer Carboxygruppe. (25) Eine starke organische Säure liegt aber bei physiologischen p. H-Werten in Form ihres Anions vor. Das bedeutet, daß die Begriffe „ungemessene Säure“ und „ungemessenes Anion“ synonym gebraucht werden können. • Die XAs wurden aber dennoch von Stewart zu den schwachen Säuren gezählt, obwohl es sich um „starke Säuren“ handelt (p. Ka-Wert mindestens einer Carboxygruppe < 4). • Würde man die Konzentration der XAs messen (sie ist immer errechnet), dann müßte man sie korrekterweise zu den „starken Ionen“ zählen. • Diese Betrachtungen zeigen, daß sich hinter den drei „unabhängigen Faktoren“, die nach Peter Stewart den p. H-Wert bestimmen, Ionen verbergen. => Die Ionen bestimmen den p. H-Wert! (6, 7, 31)
Stewart-Konzept (3) • Die mit Abstand am höchsten konzentrierte schwache Säure in einer wäßrigen Lösung ist mit 55 mol/l das Wasser! (31) • Die Produkte der Säure-Basen-Reaktion (= des Dissoziationsgleichgewichtes) des Wassers sind das Oxonium-Ion (= p. H-Wert) und das Hydroxid-Ion. • Eine Veränderung der Ionenstruktur der sogenannten „unabhängigen Faktoren“ führt konsekutiv zu einer Veränderung des Konzentrationsverhältnisses von Oxonium- und Hydroxid-Ion und somit automatisch zu einer p. H-Wert-Veränderung.
Stewart-Konzept (4) • M. E. gehören das Hämoglobin und das „Phosphat“ entgegen der klassischen Vorstellung nicht zu den Puffern. • Hämoglobin befindet sich nicht im Plasma: allein deshalb scheidet es als Plasma-Puffer aus. (25, 31) • Damit wird jedoch auch das Konzept des Standard-Base-Excess (SBE) fragwürdig, bei dem von einer Pufferung des Plasmas durch Hämoglobin ausgegangen wird. (10) • Phosphat gehört m. E. zu den XAs. Wird seine Konzentration gemessen, dann fällt es definitionsgemäß in die Gruppe der starken Ionen (s. u. : Folie „SID und SIG“). • Die Niere scheidet bei Acidosen Phosphat aktiv aus, was diese Ansicht untermauert. (30)
Säure-Basen-Haushalt: Blickwinkel Henderson - Hasselbalch - Gleichung Schwache Säuren (Albumin, XA) ↓ (1, 2, 6, 7, 31) = Massenwirkungsgesetz => HCO 3 - : H 3 O+ = 1 : 1 ? HCO 3 - = 24 mmol/l H 3 O+ = 40 nanomol/l HCO 3 - Starke Ionen → p. H = p. Ka + lg _______ H 2 CO 3 (Na+, K+, Cl-, Lactat) ← CO 2 + H 2 O Aktueller (gemessener) p. CO 2 => aktuelles HCO 3 - (act) => respiratorische und metabolische Störungen Standardisierter p. CO 2 (40 mm. Hg) => Standard HCO 3 - (std) => Aktueller Base-Excess (= ABE oder BE (B)) HCO 3 - (std) und ABE => Indikatoren für metabolische Störungen
Herr Henderson und Herr Hasselbalch (1) • Die Henderson-Hasselbalch-Gleichung (HHG) ist ein umgeformtes Massenwirkungsgesetz (MWG) für schwache Säuren, in das normalerweise das Kohlensäure-Bicarbonat-Paar eingesetzt wird. (1, 2) • Prinzipiell kann jede andere schwache Säure mit ihrem korrespondierenden Anion in die Gleichung eingesetzt werden. • Das MWG ( Produkt der Produkte/Produkt der Edukte = Konstante) der Reaktionsgleichung H 2 CO 3 + H 2 O ↔ HCO 3 - + H 3 O+ ließe erwarten, daß die Konzentrationen von Bicarbonat und Oxonium. Ionen (= p. H) im Plasma wie 1: 1 seien. Sie unterscheiden sich aber ca. um den Faktor 106 ( Bicarbonat 24 mmol/l, Oxonium-Ion 40 nanomol/). • Damit liefert m. E. die klassische Formel des SBH einen zwingenden Hinweis darauf, daß im Plasma Faktoren vorhanden sein müssen, dieses Konzentrationsverhältnis bedingen, d. h. den p. H verändern, ohne in der HHG zu stehen: die Ionen! (18, 31)
Herr Henderson und Herr Hasselbalch (2) • Lawrence Joseph Henderson formulierte 1908 in Harvard das MWG für schwache Säuren. Bei zu starken Säuren geht der Nenner (die undissoziierte Säure) gegen Null und damit wird die Gleichung unlösbar. (1) • Sörensen erfand 1909 im Kopenhagener Karlsberg Institut den p. H-Wert (eigentlich zur Verbesserung der Bierbraukunst…). • Karl Albert Hasselbalch formte das Säure-MWG 1916 in Kopenhagen logarithmisch um, löste es nach dem p. H-Wert auf und setzte das Kohlensäure-Bicarbonat-Paar mit dem zugehörigem p. Ka-Wert (= 6, 1) ein. (2) • In der klassischen Form der HHG steht die (ungemessene) Kohlensäure und nicht das (gemessene) CO 2 im Nenner. • Der CO 2 -Partialdruck („unabhängiger Faktor“), der den p. H-Wert via Bicarbonat beeinflußt, steht also streng genommen nicht in der HHG. • P. S. : nach der Definition nach Brönsted und Lowry von 1923 ist CO 2 keine Säure. Es enthält keinen Wasserstoff…
Herr Henderson und Herr Hasselbalch (3) • Das (gemessene) CO 2 wird erst sekundär in den Nenner der HHG gesetzt – zusammen mit dem Umrechnungsfaktor α, der die Einheit mm. HG in mmol/l umrechnet (p. CO 2 von 40 mm. Hg entspricht 1, 2 mmol/l CO 2). • Analog zum CO 2 stehen die Starken Ionen und die Schwachen Säuren ebenfalls nicht in der HHG. Dennoch beeinflussen sie den p. H-Wert auf der linken Seite der Gleichung und damit (HHG) sekundär den Bicarbonat-Wert. • Die HHG veranschaulicht m. E. den oben genannten Vergleich. Die isoliert betrachtete HHG ist wie eine Ebene des Schallkopfes: man sieht ein zweidimensionales Bild. Kippt man den Schallkopf („Blickwinkel“), sieht man die (unabhängigen) Faktoren außerhalb der Gleichung, die tatsächlich den p. H verändern. (26)
Bicarbonat und Base-Excess (1) Das Blutgasanalysegerät mißt den p. H und den p. CO 2. (31) Der p. Ka-Wert (= die Säurestärke) beträgt für Kohlensäure/Bicarbonat 6, 1. Daraus errechnet das Gerät den Bicarbonat-Wert. Bicarbonat ist immer ein errechneter Wert! Nie gemessen! (31) Aus dem aktuell vorliegenden (gemessenen) p. CO 2–Wert errechnet das Gerät den aktuellen Bicarbonat-Wert: HCO 3– (act). • Der aktuelle Bicarbonat-Wert zeigt somit metabolische und respiratorische Störungen an! • Der aktuelle Bicarbonat-Wert steigt mit zunehmendem p. CO 2 und fällt bei abnehmendem p. CO 2 (HHG). Pro (akutem) 10 mm. HG p. CO 2 -Anstieg => 1 mmol/l Bicarbonat (act)-Anstieg. (25, 31) • Das BGA-Gerät kann die Blutprobe auf einen normalen p. CO 2 -Wert von 40 mm. Hg kalibrieren (standardisieren) und dann mit der HHG den Standard-Bicarbonat. Wert errechnen (HCO 3– (std)), der nur metabolische Störungen anzeigt. (3, 31) • • •
Bicarbonat und Base-Excess (2) • Aus dem Standard-Bicarbonat errechnet des Gerät (26) den aktuellen Base-Excess (ABE oder BE (B), wobei das B für Blutprobe steht). • Auch der aktuelle BE zeigt nur metabolische Störungen an. (26, 31) • Der Standard-Bicarbonat-Wert ist nicht die metabolische Störung an sich, sondern ein Indikator der metabolischen Störung! (6, 7, 31) • Damit sind Standard-Bicarbonat und aktueller BE in ihrer Aussagekraft gleichwertig. • Der aktuelle Bicarbonat-Wert ist zur Erfassung metabolischer Störungen nur bei normalem p. CO 2 geeignet. • Da viele BGA-Geräte gleichzeitig den aktuellen Bicarbonat-Wert und den aktuellen BE anzeigen, sollte der aktuelle BE für die Quantifizierung einer metabolischen Störung betrachtet werden.
p. H, Bicarbonat und BE • • • p. H > 7, 4 = Alkalose p. H < 7, 4 = Acidose Der p. H-Wert ist der Summenvektor aller Störungen des SBH. Cave: hinter einem normalen p. H können sich mehrere Teilstörungen verbergen, die sich zu einem „normalen“ p. H aufsummieren. p. CO 2 > 40 mm. Hg = respiratorische Acidose p. CO 2 < 40 mm. Hg = respiratorische Alkalose Der veränderte p. CO 2 ist jedoch nicht die eigentliche respiratorische Störung im SBH, sondern m. E. das Anion Bicarbonat. Negativer ABE = metabolische Acidose Positiver ABE = metabolische Alkalose Cave: hinter einem ABE-Wert von 0 mmol/l können sich mehrere metabolische Teilstörungen verbergen, die sich zu einem „normalen“ ABE aufsummieren. (18) Mit dem vorgestellten SBH-Algorithmus können alle metabolischen Teilstörungen erkannt und quantifiziert werden.
Lauge plus Säure ergibt Salz plus Wasser Natronlauge + Salzsäure ↔ Kochsalz + Wasser Na+ + OH- + H 3 O+ + Cl- ↔ Na+ + Cl - + 2 H 2 O Das Wasser reagiert !! Was passiert, wenn Natrium und Chlorid nicht in gleicher Menge zusammen kommen? (25) 140 Na+ + 140 OH- + 100 Cl- + 100 H 3 O+ ↔ H 3 O+ + 140 Na+ + 40 OH- + 100 Cl- + 200 H 2 O Grundstruktur des Plasmas Anionenlücke gefüllt mit 40 mmol/l OH--Ionen => p. H = 12, 6 (stark alkalisch) Andere Anionen (Bicarbonat. . . ) füllen im Plasma die Anionenlücke auf => verschieben das Ionenprodukt des Wassers hin zu den Oxonium-Ionen => senken den p. H auf 7, 4 => „säuern an“
Ionen und p. H-Wert (1) • Wie können Ionen den p. H-Wert verändern? (6, 7, 25, 31) • Die Betrachtung der klassischen Reaktion von Natronlauge und Salzsäure zu Kochsalz und Wasser zeigt, daß Natronlauge aus Natrium-Ionen und Hydroxid-Ionen und die Salzsäure aus Chlorid-Ionen und Oxonium-Ionen besteht. (Die eigentliche Säure in der Salzsäure ist das Oxonium-Ion). • Das Natrium-Ion besitzt die Elektronenkonfiguration des Edelgases Neon, das Chlorid-Ion besitzt die Elektronenkonfiguration des Edelgases Argon: beide Ionen sind chemisch sehr reaktionsträge, stabile Teilchen => sie reagieren nicht. • Sie sind zu „stark“ um sich ändern zu lassen: das erklärt den Begriff der „Starken Ionen“. (31) • Aber sie sind geladen (Ionen): sie brauchen also immer einen elektrischen Gegenpart (H 3 O+, OH- …).
Ionen und p. H-Wert (2) • Die Betrachtung der klassischen Reaktion „Natronlauge plus Salzsäure ergibt Kochsalz und Wasser“, zeigt, daß die eigentlichen Reaktionspartner das Oxonium - und das Hydroxid-Ion sind, die i. S. der Säure-Basen-Reaktion des Wassers zu Wasser reagieren. • Das Wasser reagiert! • Reagieren „Natronlauge“ und „Salzsäure“ im exakten Verhältnis 1: 1, dann liegen Oxonium- und Hydroxid-Ionen im gleichen Konzentrationsverhältnis vor: die Lösung ist neutral, der p. H ist 7. • Aber was passiert, wenn Natronlauge und Salzsäure nicht im Verhältnis 1: 1 reagieren? (25) • Läßt man 140 mmol/l Natronlauge mit „nur“ 100 mmol/l Salzsäure reagieren, entsteht zwischen den 140 mmol/l Natrium-Ionen und den „nur“ 100 mmol/l Chlorid-Ionen eine Anionenlücke von 40 mmol/l, die mit Hydroxid-Ionen gefüllt ist: diese Lösung hat einen stark alkalischen p. H-Wert von 12, 6. (25)
Ionen und p. H-Wert (3) • In der so entstandenen Lösung mit 40 mmol/l Hydroxid-Ionen befindet sich aber immer noch ein sehr kleiner Teil an Oxonium-Ionen (sonst könnte man keinen p. H-Wert messen): d. h. das Verhältnis der Oxonium-Ionen zu den Hydroxid-Ionen ist sehr stark zu den Hydroxid-Ionen (in den basischen/alkalischen Bereich) verschoben. • Die starken Natrium- und Chlorid-Ionen halten die Oxonium- und Hydroxid. Ionen in dem vorliegenden Konzentrationsverhältnis. • Die Differenz zwischen den Natrium- und den Chlorid-Ionen bestimmt die Größe der Anionen-Lücke und damit das Ionenprodukt des Wassers in der betreffenden Lösung und damit letztendlich den p. H-Wert. • Diese Konzentrationsdifferenz der starken Ionen bezeichnet man als Starke Ionen-Differenz (Strong-Ion-Difference), abgekürzt „SID“. • Sie bildet den Rahmen der p. H-Wert-Einstellung.
Ionen und p. H-Wert (4) • Der p. H-Wert der vorliegenden Lösung kann auf zwei Arten geändert werden: - durch Ionen-Konzentrationsveränderung der SID - durch Ionen-Konzentrationsveränderung in der SID • Die SID kann durch Veränderung der Konzentration von Natrium und/oder Chlorid verändert werden: entscheidend ist die Änderung ihrer Differenz. • Ein Absenken des Natriums z. B. vermindert die SID: das Ionenprodukt des Wassers verschiebt sich zu den Oxonium-Ionen => der p. H wird saurer. • Veränderung in der SID bedeutet, daß Anionen in die Lösung gegeben werden, die das Hydroxid-Ion aus der Anionenlücke „verdrängen“, bzw. das Ionenprodukt des Wassers zum Oxonium-Ion hin verschieben. • Anionen in der SID führen zu einer p. H-Wert-Senkung, sie säuern an: z. B. Bicarbonat, Acetat, Lactat, Phosphat, XAs, etc. • Damit ist erklärt, warum das Anion Bicarbonat, das in der Peripherie im Plasma „erscheint“, zu einer Ansäuerung des Plasmas führt => „Bicarbonat ist die Störung bei respiratorischen Veränderungen“
Die Differenz zwischen den starken Kationen und den starken Anionen ist entscheidend für die p. H-Wert-Einstellung ! (6, 7, 8, 15, 18, 24, 25, 31) Starke-Ionen-Differenz = SIDPlasma = Na + K + Mg + Ca – Cl – Lac = 48 mmol/l SID wird kleiner => Acidose SID wird größer => Alkalose Zusätzliche Anionen in der SID => Acidose (Bic, XA) Weniger Anionen in der SID => Alkalose (Bic, XA, Albumin)
Warum werden wir saurer, wenn wir die Luft anhalten? (25) CO 2 + H 2 O ↔* H 2 CO 3 + H 2 O ↔ H 3 O+ + HCO 3 - * Carbonat-Dehydratase „Bicarbonat ist die Störung bei respiratorischen Veränderungen“ Wir geben CO 2 in eine Lösung mit einer positiven SID: 140 Na + + OH- + 100 Cl - + H 3 O + + HCO 3 ↕ 140 Na + + OH - + 100 Cl - + H 3 O + + HCO 3 - Bicarbonat füllt die SID aus: => Ionenprodukt des Wassers verschiebt sich in Richtung der Oxonium-Ionen => Bicarbonat macht saurer ! p. H 12, 6 → p. H 7, 6 SID = 40 mmol/l p. CO 2 = 40 mm. Hg
Teil 2: Säure-Basen-Algorithmus
Die Mitspieler Starke Ionen Na+ K+ Mg 2+, Ca 2+ Cl– Lactat (Konzentration der Ladungen in mmol/l) In der SID („schwache Säuren“) 140 4 4 100 <1 => SID = 48 mmol/l Bicarbonat Albumin XAs 24 12 12 (CO 2) => „Pufferbasen“ = 48 mmol/l => Albumin + XAs = An. Gap
Die Mitspieler: Starke Ionen (1) • Starke Ionen sind geladene Teilchen, die sich weder protonieren noch deprotonieren lassen: sie sind zu „stark“, um sich ändern zu lassen. • Die p. H-relevanten starken Ionen des Plasmas sind: Na+, K+, Cl-, Lactat. • Mg 2+ und Ca 2+ zählen zwar auch zu den starken Ionen des Plasmas, ihre Konzentrationen ändern sich aber nie in p. H-relevanter Weise => für die Berechnung der SID sind sie redundant, => sie werden aber für die Berechnung des XAs gebraucht (dabei immer mit insgesamt 4 mmol/l positiver Ladung veranschlagt). • Setzt man das Säure-Basen-Paar Milchsäure/Lactat (p. Ka = 3, 9) in die HHG ein, dann ergibt sich bei einem p. H = 7, 4 ein Verhältnis von Milchsäure zu Lactat von 1 : 40000, d. h. die „Milchsäure“ liegt im Plasma nahezu vollständig als Lactat vor. (25) Das Lactat ist ein starkes Anion, weil es sich nicht protonieren läßt („zu stark“). Seine Anwesenheit verschiebt das Ionenprodukt des Wassers zu den Oxonium -Ionen: es säuert an. (25)
Die Mitspieler: Starke Ionen (2) • Berechnung der SID: Na+ + K+ - Cl- - Lactat = 44 mmol/l • Für die Berechnung der SID werden Normwerte zugrunde gelegt, keine Normbereiche. • Lactat wird bei einer normalen Konzentration von < 1 mmol/l mit 0 mmol/l für die SID-Berechnung veranschlagt. • Der BE-Änderung, die durch die Konzentrationsänderung eines oder mehrerer der vier starken Ionen entsteht berechnet sich mit: BESID = SID – 44 (mmol/l). • Z. B. vermindert eine Konzentrationserhöhung des Chlorids von 100 auf 120 mmol/l die SID von 44 auf 24 mmol/l und bewirkt damit eine metabolische Acidose mit einem BE von – 20 mmol/l. • Analog bewirkt ein Lactat-Anstieg von 0 mmol/l auf 15 mmol/l einen BE von – 15 mmol/l. (31)
Die Mitspieler: In der SID (1) • Bicarbonat ist mit 24 mmol/l das am höchsten konzentrierte Anion in der SID. • Bicarbonat ist ambivalent (nicht nur, weil es ein Ampholyt ist); • Bei respiratorischen Störungen ist es m. E. die eigentliche Störung: - ein Anion, das in der Peripherie in die SID drängt => respiratorische Acidose, oder - ein Anion, das in der Lunge die SID via CO 2 „verläßt“ => respiratorische Alkalose. • P. S. : daß Bicarbonat bei respiratorischen Störungen nicht puffert, steht bereits im Physiologie-Lehrbuch (30). • Bei metabolischen Störungen (= Konzentrationsveränderungen der anderen beteiligten Ionen) ist es ein Puffer: das Kohlensäure/Bicarbonat-Paar paßt sich mit Protonierung/Deprotonierung und damit einer Ladungsverschiebung von geladen zu ungeladen p. H-relevanten Konzentrationsänderungen der anderen Ionen an und verhindert damit eine zu starke Änderung des Ionenproduktes des Wassers. (25) • Im Stewart-Konzept ist es damit m. E. sowohl ein „abhängiger“ (Puffer) als auch ein „unabhängiger“ Faktor (p. CO 2).
Die Mitspieler: In der SID (2) • Albumin trägt 12 mmol/l der negativen Ladungen des Plasmas. • Albumin wird in der klassischen Betrachtungsweise des SBH nicht berücksichtigt. (8, 15, 18, 24, 25, 26, 31) • Peter Stewart sprach noch von der Gesamtheit der Plasmaproteine. Figge und Fencl konnten zeigen, daß v. a. das Albumin p. H-relevant ist. (8, 15, 18, 24, 25, 26, 31) • Albumin kann an den Carboxygruppen seiner Glutamat- und Aspartat-Seitenketten protoniert/deprotoniert werden => Albumin puffert bei respiratorischen und metabolischen Veränderungen. (31) • Albumin kann selber p. H-relevante Störungen bewirken: • Ein Hypoalbuminämie führt zu einer metabolischen Alkalose und ist klinisch sehr häufig. (15, 18, 24, 25, 31) • Eine Hyperalbuminämie würde zu einer metabolischen Acidose führen und ist eine Rarität (möglich durch Albumin-Substitution).
Albumin (Norm: 44 g/l) - ist ein Poly-Anion (Glutamat-, Aspartat-Reste) - trägt 12 mmol/l der neg. Ladungen des Plasmas - Hyperalbuminämie => klinisch irrelevant für SBH - Hyp(o)albuminämie => klinischer Alltag => metabol. Alkalose 4 x V bei Hypalbuminämie (häufig auf Intensivstationen): => Infusionen - Verdünnung => Blutung, Niere, Verbrennung, Ascites, Shift ins Interstitium (32) - Verlust => Sepsis - Verbrauch - Verminderte Bildung => Lebererkrankung
Die Mitspieler: In der SID (3) • Die Ungemessenen Anionen (XAs) tragen 12 mmol/l der negativen Ladungen des Plasmas. Cave: unterschiedliche Angaben in der Literatur! (8, 18, 25, 31) • Es handelt sich bei den XAs meist um starke organische Säuren mit mindestens einer Carboxgruppe mit einem p. Ka < 4, so daß sie immer mindestens eine negative Ladung tragen. (24) • Zu den XAs zählen u. a. : Acetat und ß-Hydroxybutyrat (= Ketonkörper), Sulfat, Acetat, Pyruvat, Citrat, Oxalacetat, Oxalat, Hippurat, Propionat, Glutamat, Aspartat, 2 -Oxoglutarat, freie Fettsäuren, Phospholipide und Phosphat. (18, 24) • Erhöhte XA-Werte findet man u. a. bei einer GFR < 30 ml/min: Urämie. (24) • Inwieweit auch die negativen Ladungen der Glykokalyx (Hyaluronsäure, u. a. ) zu den XAs gezählt werden können, ist m. W. bislang in der Literatur nicht beschrieben oder diskutiert worden. (32)
Die Mitspieler: In der SID (4) • Der Gesamt-Wert für die XAs ist immer berechnet, nie gemessen. • Nichtsdestotrotz können einzelne Substanzen (z. B. : Phosphat) gemessen werden: dann fallen sie definitionsgemäß in die Gruppe der starken Ionen und können bei der Berechnung der SID berücksichtigt werden. • Zunahme der XAs => metabolische Acidose. • Das Anagramm KUSMALE beinhaltet die klinisch wichtigsten Möglichkeiten einer Zunahme der XAs (s. nachfolgende Folie). • Das L steht für Lactat. Wird Lactat in der BGA gemessen, fällt es aus KUSMALE bzw. aus den XAs heraus und wird zu den starken Ionen gerechnet. • Faßt man die Buchstaben SMAE unter Intoxikationen zusammen, dann kann man aus dem Anagramm KUSMALE das handlichere Anagramm IKU fertigen. • Die sogenannten „verstoffwechselbaren Anionen“ balancierter Infusionen (Acetat, Malat) sind organische Säuren, die v. a. in Form ihrer Anionen vorliegen (XAs). Deshalb säuern sie an, solange sich im Plasma befinden (s. Teil 4).
KUSMALE => IIKU = ungemessene Säuren = ungemessene Anionen = XAs • Ketoacidose • Urämie • Salicylat • Methanol (Formiat) • Aethanol (Acetat) • Lactat • Ethylenglykol (Oxalat) IIKU: Infusion Intoxikation Ketoacidose Urämie XAs erhöht = metabolische Acidose = negativer BE
Die Mitspieler: In der SID (5) • Abnahme der XAs: metabolische Alkalose • Eine Abnahme der XAs mit resultierender metabolischer Alkalose ist m. W. in der Literatur noch nicht explizit beschrieben worden. (25) • Man findet sie aber regelhaft bei Patienten mit einer kompensierten chronisch respiratorischen Acidose (COPD), (s. Beispiel 5): ich deute sie neben der Hypochlorämie dieser Patienten als die zweite Möglichkeit wie die Niere durch Ausscheiden von Anionen eine chronische Acidose kompensiert. • Die in der klassischen Betrachtung als Kompensation bei COPD gewertete Zunahme des Standard-Bicarbonats ist nicht die eigentliche Kompensation: sie geschieht sekundär durch die Vergrößerung der SID dieser Patienten. • Cave: bei erhöhtem p. CO 2 ist auch (HHG) das aktuelle Bicarbonat erhöht, was ebenfalls nichts mit Kompensation zu tun hat.
Die Mitspieler: „Pufferbasen“ (26) • Der Betrag der sogenannten „Pufferbasen“ wird klassischerweise mit 48 mmol/l angegeben. Eine Abnahme entspricht einem Basendefizit, also einem negativen BE. Eine Zunahme entspricht einem Basenüberschuß, also einem positiven BE. • Aus der Folie „Die Mitspieler“ wird jedoch ersichtlich, daß der Betrag der „Pufferbasen“ exakt dem der SID entspricht. (31) • Die Ab- oder Zunahme der „Pufferbasen“ ist demnach im Stewart-Konzept primär eine Ab- oder Zunahme der SID. • Allerdings „puffern“ die XAs nicht: es sind starke Ionen, die ihren Ladungszustand nicht ändern, was für eine „Pufferung“ obligat ist. • Die beiden einzigen „Pufferbasen“ des Plasmas sind demnach nur Bicarbonat (nicht bei respiratorischen Störungen) und Albumin (bei metabolischen und respiratorischen Störungen). • Hämoglobin und Phosphat zählen m. E. nicht zu den Plasma-Puffern.
Phosphat: Puffer? (24) Phosphorsäure ↔ Dihydrogenphosphat ↔ Monohydrogenphosphat H 3 PO 4 ↔ p. Ka: 3, 9 H 2 PO 4 - ↔ HPO 42 - Σ = 1 - 2 mmol/l 6, 8 p. H 7, 4 20% 80% p. H 7, 0 70% 30% Bei Acidosen liegt „Phosphat“ v. a. als starkes Anion Dihydrogenphosphat vor ! Gleicher p. Ka wie Lactat = 3, 9 ! Acidose wirkt phosphaturisch! Die Niere scheidet bei einer Acidose den „besten Puffer“ aktiv aus!
SID und SIG • In der Literatur findet man neben dem Begriff der Strong Ion Difference (SID) den Begriff der Strong Ion Gap (SIG). (8, 9, 15, 18, 24, 26, 31) • Dabei gilt: SIG = XA – Phosphat • Die SIG repräsentiert also die XAs ohne das (gemessene) Phosphat. • Wenn das Phosphat gemessen wird, dann kann es zu den starken Ionen gezählt werden und wird in der Berechnung der SID berücksichtigt. • Würden alle XAs gemessen, würden sie alle definitionsgemäß zu den Starken Ionen gerechnet werden und in die Berechnung der SID einfließen. • Ich verwende in diesem Text den Begriff der XAs und erwähne die SIG nur an dieser Stelle der Vollständigkeit halber.
Hämoglobin: Puffer? (1) • CO 2 als Endprodukt des oxidativen Stoffwechsels diffundiert als kleines ungeladenes Teilchen in der Peripherie aus den Zellen, ins Plasma und in die Erythrozyten. Dort reagiert es durch das hochaktive Enzym Carbonat. Dehydratase mit Wasser zu Kohlensäure, die mit einem weiteren Wassermolekül zu Oxonium-Ionen („Protonen“) und Bicarbonat reagiert. Das Oxonium-Ion „protoniert“ das Hämoglobin, was in der klassischen Betrachtung als „Pufferung“ interpretiert wird. Durch die Protonierung geben die Imidazol-Ringe der Aminosäure Histidin das am Fe 2+-Ion gebundene Sauerstoff-Molekül frei, das aus dem Erythrozyten diffundiert (proximales und distales Histidin). (28) • Das desoxygenierte Hämoglobin wird deshalb oft als HHb auf dem BGA -Zettel angezeigt: protoniertes Hb (HHb) = Desoxy-Hb. • Die Protonierung des Hämoglobins dient der Desoxygenierung des Hämoglobins und ist bereits seit 1904 als Bohr-Effekt bekannt.
Hämoglobin: Puffer? (2) • Die Tatsache, daß pro Tetramer Hämoglobin nur 0, 7 Protonen gebunden werden, unterstreicht m. E. die Annahme, daß die Protonierung des Hämoglobins nichts mit „Pufferung“ zu tun hat, sondern der Sauerstoffabgabe dient. • Damit die Carbonat-Dehydrogenase-Reaktion nicht stoppt (Reaktionskinetik) muß das meiste Bicarbonat den Erythrozyten verlassen. • Der „wichtigste Puffer“, der aber nach Physiologie-Lehrbuch (30) bei respiratorischen Störungen nicht puffert, erscheint in Massen im Plasma. • Das aus dem Erythrozyten austretende Bicarbonat, ist die Grundlage des Standard-Base-Excess, bei dem das Hämoglobin der standardisierte Wert ist, unter der Annahme, daß Bicarbonat bei respiratorischen Störungen „puffert“… • M. E. ist das Bicarbonat die eigentliche Störung bei respiratorischen Acidosen und damit das Konzept des Standard-BE fragwürdig!
Hämoglobin: Puffer? (3) • Das Bicarbonat diffundiert aber nicht einfach aus den Zellen, sondern wird durch einen Antiporter gegen Chlorid ausgetauscht („Hamburger-Shift“). • Der Hamburger-Shift macht im Stewart-Konzept Sinn: die zunehmende Acidose des Plasmas durch das aus dem Erythrozyten austretende Bicarbonat wird durch die entstehende Hypochlorämie „abgepuffert“ (Vergrößerung der Plasma-SID). • Das in den Erythrocyten eintretende Chlorid vermindert die SID im Erythrozyten und säuert das Erythrocyten-Cytoplasma weiter an, was aber im Sinne des Bohr-Effektes der Protonierung und damit der Desoxygenierung des Hämoglobins in der Peripherie und nicht der „Pufferung“ dient. • M. E. ist das Hämoglobin also kein Plasma-Puffer. (3, 10, 31) • Damit wäre das Konzept des Standard-Base-Excess (SBE oder BE (ecf)) fragwürdig. (3, 10, 31)
Eine isolierte metabolische Störung ist selten (s. Beispiel 2). Alltäglich ist die Kombination von mehreren metabolischen Einzelstörungen, die in summa den BE ergeben. (25) Metabolische Acidose durch: • Hyponatriämie • Hypokaliämie • Hyperchlorämie • Hyperlactatämie (= Lactatacidose) • Erhöhung der XAs (IIKU) Metabolische Alkalose durch: • Hypernatriämie • Hyperkaliämie • Hypochlorämie • Hypoalbuminämie • Erniedrigung der XAs Bicarbonat ist bei metabolischen Störungen keine Ursache! Das Bicarbonat-Kohlensäure-Paar paßt sich durch Ladungsänderung (Protonierung/Deprotonierung) den Veränderungen der anderen Ionen an: Þ Indikator der metabolischen Störung Þ Puffer bei metabolischen Störungen
Säure-Basen-Algorithmus (9, 15, 18, 24, 25, 26, 31) 1) p. H (7, 4) => 2) p. CO 2 (40) => 3) BE (B) (0) => Acidose oder Alkalose respiratorische Acidose oder Alkalose metabolische Acidose oder Alkalose 4) SID = Na + K – Cl – Lac (Norm = 44 mmol/l) BE (B) = BESID + BEAlb + BEXA BESID = SID - 44 BEAlb = (44 g/l – Albumin) : 4 BEXA = 12 - XA 5) Albumin (g/l) x (0, 123 x p. H - 0, 631) = „Albuminat“ (= negative Ladungen des Albumins) Norm: 44 g/l Norm = 12 mmol/l ↓ 6) XA = Na + K + Mg + Ca – Cl – Lac _ HCO 3(act) – Albuminat 7) An. Gap = Na + K – Cl – HCO 3(act) Norm = 12 mmol/l Norm < 20 mmol/l 8) Anamnese/Klinik: Wasserhaushalt, Elektrolyte, Diuretika, Infusion. . . 9) Kompensation: 1) Beatmung 2) MM-Regel: p. H, p. CO 2, BE => „metabolisch miteinander“ 3) Regeln nach Schlichtig
SB-Algorithmus: Allgemeines • Beurteilung des SBH: venöse BGA ausreichend (35) • Beurteilung der Oxygenierung: arterielle BGA erforderlich • Kapilläre BGA: nahezu obsolet • Für spezielle Fragestellung: zentralvenöse oder gemischt-venöse BGA • Aus didaktischen Gründen wird empfohlen, den SBH-Algorithmus von Punkt 1) bis Punkt 9) abzuarbeiten. • Wird Punkt 6) berechnet (XAs), dann entfällt Punkt 7), (An. Gap). • Anamnese und Überlegungen zur Kompensation erst am Schluß! • Viele (metabolische) Störungen des SBH resultieren aus Störungen des Wasser- und Elektrolyt-Haushaltes. (s. Beispiele 1, 3, 4, 7)
SB-Algorithmus (1) 1) p. H-Wert p. H > 7, 4 = Alkalose p. H < 7, 4 = Acidose • Der p. H-Wert ist der Summenvektor aller Störungen des Säure -Basen-Haushalts. • Cave: hinter einem normalen oder kaum abweichenden p. H-Wert können sich mehrere gleichzeitig vorkommende Störungen verbergen, die sich zu einem normalen p. H-Wert aufsummieren (s. Beispiel 6).
SB-Algorithmus (2) 2) p. CO 2 > 40 mm. Hg = respiratorische Acidose p. CO 2 < 40 mm. Hg = respiratorische Alkalose • Cave: auch Stoffwechselstörungen (maligne Hyperthermie, thyreotoxische Krise) oder Perfusionsstörungen (Lungenembolie) gehen mit einer p. CO 2 -Erhöhung einher.
SB-Algorithmus (3) 3) Base-Excess (BE), (3, 10, 18) • Empfohlen wird die Verwendung des aktuellen BE (ABE oder BE (B)). • Das Konzept des Standard-BE (SBE oder BE (ecf)) halte ich für fragwürdig. • In der Praxis unterscheiden sich ABE und SBE wesentlich nur bei ausgeprägten respiratorischen Störungen. • BE negativ = metabolische Acidose • BE positiv = metabolische Alkalose • Der BE ist der Summenvektor aller metabolischen Störungen, also der Summe aller Ionen-Konzentrationsveränderungen des Plasmas. • Cave: hinter einem normalen BE können sich mehrere Teilstörungen verbergen, die sich zu einem normalen BE aufsummieren können. (s. Beispiel 6)
SB-Algorithmus (4) • Der BE setzt sich aus Punkt 4), 5) und 6) zusammen (Teilstörungen). (24, 25, 31) => „Netto-BE“ = BESID + BEAlbumin + BEXA • Die Aufschlüsselung der einzelnen metabolischen Störungen ist der wesentliche Unterschied des Stewart-Konzeptes ggü. dem klassischen Konzept. (18, 24, 25, 31) • Zur vollständigen Aufschlüsselung fehlt in der Praxis sehr oft der Albumin-Wert: eine einmalige tägliche Bestimmung im Routinelabor (v. a. bei Intensivpatienten) ist m. E. ausreichend. • Findet sich z. B. in der BGA nur die metabolische Teilstörung „Hyperchlorämie“, so ist die Diagnose „Hyperchlorämische Acidose“ zutreffend. • Ansonsten muß man sich bewußt machen, daß der Ausdruck „Hyperchlorämische Acidose“ nur eine von mehreren Teilstörungen ist. • Das Auftreten mehrerer metabolischer Störungen in einer BGA ist häufig.
SB-Algorithmus (5) 4) SID (Starke Ionen Differenz) • Die SID bildet den Rahmen der metabolischen Teilstörungen. • SID = Na+ + K+ - Cl- - Lactat = 44 mmol/l • BESID = SID - 44 mmol/l • Wenn man Mg und Ca in die Berechnung der SID miteinbeziehen möchte, ist der Normwert der SID = 48 mmol/l. Der BESID bleibt dabei gleich, insofern ist die Berücksichtigung von Mg und Ca an dieser Stelle nicht notwendig. • Die SID und der BESID sind leicht und schnell auszurechnen (Blickdiagnose). • Die Konzentrationsänderung eines starken Ions um 1 mmol/l hat eine BE-Änderung um 1 mmol/l in die entsprechende Richtung zur Folge. (9, 24)
SB-Algorithmus (6) 5) Albumin • BEAlbumin = (44 g/l - Albumin-Wert (g/l)) : 4 • Ein Albumin-Wert von 20 g/l ergibt also einen BEAlb von + 6 mmol/l. • Eine Alkalose durch eine Hypoalbuminämie ist sehr häufig. (15, 18, 31) • Ursache der Hypalbuminämie: „ 4 x V“ (Verdünnung, Verbrauch, Verminderte Bildung und Verlust (u. a. Shift ins Interstitium)). (15, 24, 31, 32) • Sehr häufig ist die Kombination von hyponatriämer Acidose, hyperchlorämer Acidose und hypalbuminämer Alkalose. (15, 24) • Die hypalbuminäme Alkalose ist jedoch keine Kompensation, sondern eine eigenständige Teilstörung. • Hyponatriämie: häufigste Elektrolytstörung überhaupt • Hyperchlorämie: alltäglich durch zu hohen Chlorid-Gehalt der Infusionen • Eine Acidose durch eine Hyperalbuminämie ist eine Rarität.
SB-Algorithmus (7) 5) Albumin • Albumin (g/l) x (0, 123 x p. H - 0, 631) = „Albuminat“ (15, 18, 24, 31) • Mit dieser Formel, die als einzige im Algorithmus einen Taschenrechner benötigt, errechnet man die Konzentration der negativen Ladungen des Albumins, die ich „Albuminat“ nenne. • Das Albuminat wird benötigt, um im nächsten Schritt die Konzentration der XAs auszurechnen. • Ist der Albumin-Wert normal (44 g/l), dann entfällt die Rechnung und der Albuminat-Wert beträgt 12 mmol/l. • Die obenstehende Formel ist eine umgeformte Henderson-Hasselbalch. Gleichung, bei der das Säure-Basen-Paar Albumin/Albuminat eingesetzt wurde.
SB-Algorithmus (8) 6) XAs • XA = Na + K + Mg + Ca – Cl – Lac – HCO 3 - (act) – Albuminat • Der XA-Wert ist immer berechnet – nie gemessen. • Der Normwert beträgt 12 mmol/l (= Konzentration der negativen Ladungen der unbestimmten Anionen). • In die Berechnung gehen Mg und Ca als Konstante mit 4 mmol/l ein. • M. E. sollte an dieser Stelle das aktuelle Bicarbonat verwendet werden, weil es den „tatsächlichen“ Bicarbonat-Wert repräsentiert. • Nichtsdestotrotz ist auch der Bicarbonat-Wert immer ein errechneter Wert! • XA > 12 mmol/l => metabolische Acidose (KUSMALE, IIKU) • XA < 12 mmol/l => metabolische Alkalose (COPD: s. Beispiel 5)
SB-Algorithmus (9) 7) An. Gap (= Anionenlücke), (5, 18) • XA = Na + K + Mg + Ca – Cl – Lac - HCO 3 - (act) – Albuminat • An. Gap = Na + K – Cl - HCO 3 - (act) • Die klassische Anionenlücke wird ohne Kalium berechnet: dann beträgt der Normwert < 16 mmol/l. • Manche BGA-Geräte berechnen aber das Kalium mit: dann erhöht sich der An. Gap-Normwert um den Kalium-Normwert auf < 20 mmol/l. • Die Vergleich der beiden Formeln zeigt, daß die Berechnung der XAs in Schritt 6) genauer ist als die Berechnung der XAs mit der An. Gap in Schritt 7). (18, 31) • Laktat wird in der Regel gemessen, Mg und Ca sind konstant, so daß der wesentliche Unterschied der beiden Formeln das Albumin ist (18), das in der An. Gap nicht berücksichtigt wird, bzw sich im An. Gap-Wert “versteckt”. • Beim (häufigen) Vorliegen einer Hypalbuminämie unterschätzt die An. Gap den tatsächlichen XA-Wert (s. Beispiel 3). • Werden die XAs berechnet (Schritt 6), entfällt die An. Gap-Berechnung (Schritt 7).
SB-Algorithmus (10) 8) Anamnese/Klinik • Aus didaktischen Gründen empfiehlt es sich m. E. die Anamnese erst nach der BGA-Analyse (Schritt 1 -7) durchzuführen. • Der wahrscheinlich häufigste Grund metabolischer Störungen sind Veränderungen der Plasma-Ionenstruktur durch Störungen im Wasser-Elektrolyt-Haushalt (Exsiccose, Überwässerung, Diuretika, Infusionen, Si. ADH, Sa. ADH, etc. ). • Seltener sind die „IKU-Störungen“ (Intoxikation, Ketoacidose und Urämie), die mit einer XA-Erhöhung einhergehen. • Hypalbuminämien sind (v. a. auf Intensivstationen) alltäglich (Verdünnung (Infusionen), Verlust, Verbrauch, Verminderte Bildung).
SB-Algorithmus (11) 8) Anamnese/Klinik: Elektrolytstörungen (1) • Dysnatriämien sind die häufigsten Elektrolytstörungen! (29, 42) • Hyponatriämien sind häufiger als Hypernatriämien. (29) • Hypernatriämie bei: Exsiccose (häufigster Grund), iatrogener Zufuhr (Na. Bic, Na. Cl 0, 9%, Antibiotika), Diabetes insipidus (z. B. nach SAB)). (29, 42) • Hyponatriämie bei: Überwässerung (s. Beispiel 3), Sa. ADH (Herzinsuffizienz, Niereninsuffizienz, Leberinsuffizienz), Si. ADH (Medikamente, kleinzelliges Bronchial-CA, etc. ). (29, 42) • CAVE: bei Dysnatriämien ist die Dauer der Entstehung der Störung von größter Bedeutung für Therapie und Prognose (Beispiele 1, 3 und 4)! (29, 42) • Akute Dysnatriämie: Entstehung innerhalb von 48 h • Chronische Dysnatriämie: Enstehung in mehr als 48 h
SB-Algorithmus (12) 8) Anamnese/Klinik: Elektrolytstörungen (2) • Dyschlorämien sind ebenfalls sehr häufig, waren lange Zeit unbeachtet und geraten zunehmend in den Focus (Beispiel 1). (18, 23, 24, 25, 31, 33, 36) • Hyperchlorämie bei: Infusionen mit Chlorid-Gehalt > 100 mmol/l (praktisch alle Voll-Elektrolyt-Lösungen), bei Exsiccose (Beispiel 1), als Kompensation einer chronischen Alkalose, bei distal-tubulärer Acidose. (23, 24, 25, 31) • Hypochlorämie bei: Schleifendiuretika (wahrscheinlich häufigster Grund), forciertem Erbrechen (der Chlorid-Verlust ist entscheidend!), renale Kompensation von Acidosen (respiratorisch und metabolisch; Beispiele 5 und 6). (17, 24, 25, 31) • Man kann davon ausgehen, daß die Niere v. a. über den Plasma-Chlorid. Gehalt den p. H-Wert steuert (s. „Niere und SBH“ und Beispiele 5 und 6).
Kompensation: Regeln nach Schlichtig (12, 31) Gebraucht werden: p. H, p. CO 2, BE (B) 1) 2) 3) zu erwartender p. CO 2 bei met. Acidose = 40 + BE zu erwartender p. CO 2 bei met. Alkalose = 40 + ( 0, 6 x BE) zu erwartender BE bei resp. Acidose und Alkalose = 0, 4 x (p. CO 2 – 40) - beatmeter Patient: keine Kompensation im klassischen Sinn möglich (24) - MM-Regel: „metabolisch miteinander“ => bei primär metabol. Störungen ändern sich p. H, p. CO 2, BE gleichsinnig
SB-Algorithmus (13) 9) Kompensation • Aus didaktischen Gründen sollten Überlegungen zur Kompensation am Ende des SBH-Algorithmus erfolgen: „erst analysieren, dann interpretieren“. • 1) „Ist der Patient beatmet? “ Bei kontrollierter Beatmung erübrigen sich Überlegungen zur Kompensation. • 2) „MM“-Regel: bei primär metabolischen Störungen verändern sich p. H, p. CO 2 und BE immer miteinander (gleichsinnig). Hinter dieser Regel steht die physiologische Erkenntnis, daß SBH-Störungen nicht überkompensiert werden. • Z. B. : bei einer Lactatacidose kommt es zu einer Hyperventilation. Der p. H bleibt aber im acidotischen Bereich. Befindet sich der p. H im alkalotischen Bereich, liegt wahrscheinlich eine weitere Ursache für die Hyperventilation/Alkalose vor. • 3) Eine genauere Kompensations-Analyse ermöglichen die Regeln nach Schlichtig (s. vorherige Folie). (12, 31)
Teil 3: Praktische Beispiele
Beispiel 1: Metabolische Alkalose durch Exsiccose Beispiel 2: Metabolische Alkalose durch Hypalbuminämie Beispiel 3: Metabolische Acidose durch Überwässerung Beispiel 4: Metabolische Acidose durch Exsiccose plus Elektrolytverlust Beispiel 5: Kompensierte chronisch respiratorische Acidose Beispiel 6: Metabolisch kompensierte metabolische Acidose Beispiel 7: Metabolische Acidose durch balancierte Infusion
Beispiel 1 Alltag in der Notaufnahme: Ältere Patientin, hypoton, deutlich exsicciert, noch keine Infusion erhalten … p. H 7, 48 p. CO 2 48 mm. Hg HCO 3 - 33 mmol/l BE + 9, 4 mmol/l Na+ 165 mmol/l K+ 4 mmol/l Cl 112 mmol/l Lactat 6 mmol/l Albumin normal Alkalose resp. Acidose metabol. Alkalose
Beispiel 1: Erläuterungen (1) SB-Algorithmus: 1) p. H: Alkalose 2) p. CO 2: respiratorische Acidose 3) BE: metabolische Alkalose BE-Aufschlüsselung: 4) SID = 51 mmol/l, BESID = + 7 mmol/l 5) Albumin normal, BEAlb 0 mmol/l, Albuminat = 12 mmol/l 6) XAs = 10 mmol/l, BEXA = + 2 mmol/l 7) An. Gap „entfällt“
Beispiel 1: Erläuterungen (2) SB-Algorithmus: 8) Anamnese/Klinik: ältere Dame, tagelang wenig getrunken, klinisch exsicciert, keine Diuretika, keine Infusionen erhalten, neurologisch unauffällig (müde …) 9) Kompensation: - keine Beatmung, - MM: p. H, p. CO 2 und BE: gleichsinnig verändert => primär metabolische Störung - Schlichtig: zu erwartender p. CO 2 = 40 + (0, 6 x BE) = 45, 6 mm. Hg; gemessener p. CO 2 = 48 mm. Hg => respiratorische Kompensation einer metabolischen Alkalose (nach Ausschluß anderer Ursachen für die Hypoventilation)
Beispiel 1: Erläuterungen (3) • Die beiden entscheidenden Störungen sind die Hypernatriämie und die Hyperchlorämie, die beide hinreichend mit der Exsiccose und der daraus resultierenden Konzentrierung zu erklären sind. (25, 29, 42) • Die Hyperchlorämie mit 112 mmol/l würde - für sich genommen – einen BE von – 12 mmol/l verursachen: hyperchlorämische Acidose. • Der sehr hohe Natrium-Wert bedingt aber eine SID > 44 mmol/l und damit in summa die metabolische Alkalose => hypernatriäme Alkalose. • Warum der (errechnete) XA-Wert hier niedrig ist und eine (geringe) zusätzliche metabolische Alkalose bedingt, bleibt offen. (24) • Der erhöhte Lactat-Wert ist im vorliegenden Fall nicht sicher erklärt (Durchblutungsstörung? ). Wäre das Lactat normal, wäre die metabolische Alkalose noch ausgeprägter gewesen.
Beispiel 1: Erläuterungen (4) Hypernatriämie (29, 42) • Das Natrium-Ion ist die wichtigste Determinante der Plasma-Osmolalität. • Einfachste Formel: 2 x Na+ + 2 x K+ = 288 mosmol/l • Bei einem Natrium-Wert von 165 mmol/l wie im Beispiel, beträgt die Plasma -Osmolalität (nur durch das Natrium) 330 mosmol/l !! • Wäre die Hypernatriämie akut entstanden, dann hätte die Patientin schwerwiegende neurologische Symptome (Koma, Krampfanfall) gezeigt. Die Tatsache, daß sie neurologisch nahezu unauffällig war, deutet auf eine langsam entstandene Hypernatriämie (> 48 h) hin. • CAVE: eine langsam entstandene Hypernatriämie muß langsam korrigiert werden (max. 1 mmol/l Natrium-Konzentrationsänderung/h). Bei zu schneller Korrektur droht ein Hirnödem! (29, 42) • Eine Hypernatriämie gilt, v. a. auf Intensivstationen, als eigenständiger Prädiktor der Mortalität. (42)
Beispiel 1: Erläuterungen (5) Hyperchlorämie (32, 36, 40, 47) • Wird an der Macula densa (iuxtaglomerulärer Apparat) am Ende der Henle -Schleife ein erhöhter Chlorid-Gehalt im Tubulus gemessen, dann resultiert eine Konstriktion des Vas afferens mit konsekutiver Abnahme der glomerulären Filtrationsrate (Patient mit Durst scheidet weniger Urin aus …). Es droht ein prärenales Nierenversagen. • Alle Vollelektrolyt-Infusionslösungen mit einer Chlorid-Konzentration > 100 mmol/l bedingen dosisabhängig (Dreisatz) eine Hyperchlorämie. (s. Beispiel 7). • Führt die Hyperchlorämie in summa zu einer metabolischen Acidose, so resultieren weitere Störungen, u. a. Gerinnungsstörungen. • Eine (isolierte) Hyperchlorämie von 115 mmol/l bedingt einen BE von – 15 mmol/l. • Eine metabolische Acidose mit einem BE von – 15 mmol/l bewirkt eine Abnahme der Gerinnungsfaktorenaktivität um 50% !
Hyperchlorämie > 100 mmol/l (14, 18, 24, 25, 26, 31, 33, 35, 36, 40, 41, 47) • Beeinträchtigung der Hämodynamik, der Hämostase und des Immunsystems • Abnahme der Splanchnikusperfusion (18, 24) Bei einem BE von – 15 mmol/l ist die Aktivität der Gerinnungsfaktoren um 50% vermindert: Protonierung von exponierten Phospholipiden von aktivierten Thrombozyten => verminderte Ca 2+-Bindung. Acidose hemmt • Risikofaktor für ein akutes Nierenversagen (36, 40, 47) die Na-K-ATPase u. a. Erhöhte Chlorid-Konzentration an der Macula densa an der basolateralen Þ Vasokonstriktion im Vas afferens Membran renaler Þ GFR-Abnahme Tubulusepithelzellen. (30) Þ Abnahme RBF und cortikale Durchblutung
Beispiel 1: Erläuterungen (6) Therapie: • Patientin trinken lassen (Mineralwasser) • Infusion von Vollelektrolyt-Infusion (balancierte Infusion mit möglichst geringem Chlorid-Gehalt). Faustregel: 1000 ml Infusion mit 140 mmol/l Na+ senkt das (erhöhte) Plasma-Natrium um ca. 1 -2 mmol/l/h. • CAVE: keine hypotonen Lösungen (z. B. G 5%), (s. Beispiel 3): eine schnelle Natrium-Senkung ist nur bei akuter Hypernatriämie mit neurologischen Störungen indiziert. (29, 42) • Ggf. Intensivüberwachung, insbesondere bei neurologischen Symptomen. • Max. Natrium-Senkung 1 -2 mmol/l/h und max. 8 -10 mmol/l/24 h (Expertenempfehlung; bislang keine Studien!). (29, 42) • Die metabolische Alkalose in diesem Beispiel bedurfte per se keiner Therapie.
Beispiel 2 Älterer Patient, Tumorkachexie, Ascites p. H 7, 45 p. CO 2 47 mm. Hg HCO 3 - 32 mmol/l BE + 7, 9 mmol/l Na+ 139 mmol/l K+ 4 mmol/l Cl 102 mmol/l Lactat 1 mmol/l Albumin 15 g/l Alkalose resp. Acidose met. Alkalose Dr. Hahn } Konstellation wie in Beispiel 1
Beispiel 2: Erläuterungen (1) SB-Algorithmus: 1) p. H: Alkalose 2) p. CO 2: respiratorische Acidose 3) BE: metabolische Alkalose Vergleicht man p. H, p. CO 2 und BE mit Beispiel 1, so zeigt sich eine sehr ähnliche Konstellation. Schlüsselt man den BE auf, zeigt sich jedoch eine ganz andere Ursache der metabolischen Alkalose. 4) SID = 40 mmol/l, BESID = - 4 mmol/l 5) Albumin 15 g/l, BEAlb = + 7 mmol/l, Albuminat = 4, 3 mmol/l 6) XA = 8 mmol/l, BEXA = + 4 mmol/l
Beispiel 2: Erläuterungen (2) SB-Algorithmus 8) Anamnese: Patient mit Ascites (Albumin-Verlust, Albumin-Bildungsstörung) 9) Kompensation: - keine Beatmung - MM: p. H, p. CO 2 und BE gleichsinnig => primär metabolische Störung - Schlichtig: zu erwartender p. CO 2 = 45 mm. Hg; gemessener p. CO 2 = 47 mm. Hg; - CAVE: bei einem Bauch voller Ascites ist auch das als (mechanischer) Grund für die Hypoventilation denkbar (=> „Anamnese vor Kompensation…“). Therapie: Albumin-Substitution …? ? ? (18, 24, 25, 33, 36) Eine isolierte Hypalbuminämie mit resultierender metabolischer Alkalose ist selten. Sehr häufig, v. a. bei Intensivpatienten, ist die Kombination der Hypalbuminämie mit anderen Störungen, z. B. Hyponatriämie und Hyperchlorämie. (15, 24, 31)
Beispiel 3 Pat. mit IDDM, akute Hypoglykämie mit neurologischen Störungen, Gabe von 10 ml G 40%, rasche Aufklarung, anschl. prophylaktische Infusion von 2000 ml G 5% in 4 h, danach erneute neurologische Symptomatik, BGA bei Aufnahme auf ITS mit V. a. diabetische Ketoacidose p. H 7, 31 p. CO 2 35 mm. Hg BE - 8 mmol/l Na+ 120 mmol/l Cl 89 mmol/l K+ 4 mmol/l Lactat 1 mmol/l Albumin 30 g/l Acidose resp. Alkalose met. Acidose
Beispiel 3: Erläuterungen (1) SB-Algorithmus 1) p. H: Acidose 2) p. CO 2: respiratorische Alkalose 3) BE: metabolische Acidose 4) SID = 34 mmol/l, BESID = - 10 mmol/l 5) Albumin 30 g/l, BEAlb = + 3, 5 mmol/l, Albuminat = 8 mmol/l 6) XA = 19 mmol/l, BEXA = - 7 mmol/l 7) An. Gap = 19 mmol/l => normal ! => unterschätzt durch Hypalbuminämie!
Beispiel 3: Erläuterungen (2) SB-Algorithmus 8) Anamnese: s. o. , Patient hyperventiliert, cardiopulmonal gesund, kein Foetor 9) Kompensation: - nicht beatmet - MM: primär metabolische Störung - Schlichtig: zu erwartender p. CO 2 = 35 mm. Hg; gemessener p. CO 2 = 35 mm. Hg => „klassische Kompensation“ (nach Ausschluß anderer Hyperventilationsursachen) Die metabolische Acidose ist eine Kombination aus einer Verkleinerung der SID und einer mäßigen Erhöhung der XAs (diabetische Ketoacidose). Die Ketoacidose fällt mit einem XA-Wert von 19 mmol/l nicht sehr hoch aus und ist damit keine wahrscheinliche Ursache der neurologischen Symptomatik. Auffallend ist der sehr niedrige Natrium-Wert von 120 mmol/l: der Wert vor der G 5%-Infusion war normal! Der Patient hatte eine akute Hyponatriämie mit konsekutivem Hirnödem durch die Infusion von 2 l G 5%-Lösung in nur 4 h !
Beispiel 3: Erläuterungen (3) • G 5% ist in der Flasche (in vitro) isoton, im Plasma aber wird die Glucose schnell in die Zellen aufgenommen und zurück bleibt freies Wasser, das zu einer akuten Verdünnung des Natriums (akute Hyponatriämie) führt. Wenn das Plasma ggü. den Hirnzellen hypoton wird, strömt Wasser in die Hirnzellen. • Diese osmotischen Kräfte sollte man nicht unterschätzen: nach dem Gesetz von van´t Hoff wirken bei einem Erythrozyten (Cytoplasma-Osmolalität 290 mosmol/l), der in destilliertes Wasser (Osmolalität 0 mosmol/l) fällt, eine transmembranöse Kraft von 5500 mm. Hg ! (29) Er platzt durch den Wassereinstrom. • Der Patient hatte vor der G 5%-Infusion eine Plasma-Osmolalität von 288 mosmol/l, nach der Infusion betrug sie 248 mosmol/l, das entspricht einer Differenz von 40 mosmol/l. Wäre diese Osmolalitätsänderung schlagartig aufgetreten, würde das einer Druckdifferenz von 760 mm. Hg entsprechen. . .
Beispiel 3): Erläuterungen (4) • CAVE: gewarnt werden muß vor Halb-Elektrolytlösungen, die in der Flasche isoton sind, im Plasma aber durch die Aufnahme der Glucose in die Zellen hypoton werden und analog der G 5%-Infusion im vorliegenden Beispiel dosisabhängig zu einem Hirnödem führen ! (32) • In der S 1 -Leitlinie „Perioperative Infusionstherapie bei Kindern“ von 2017 werden Halb-Elektrolyt-Infusionslösungen ausdrücklich nicht empfohlen. Stattdessen werden für Kinder balancierte Vollelektrolyt-Infusionen empfohlen, die seit 2009 mit 1% Glucose-Zusatz zugelassen sind ! (45) Eine akute Hyponatriämie mit konsekutivem Hirnödem findet sich auch bei: TUR-Syndrom (18, 25), Gabe von ADH-Analoga (Minirin, Oxytocin) und Marathonläufern (Differentialdiagnose: Hypernatriämie durch Exsiccose => andere Therapie!; Diagnose durch BGA: Natrium!), (42)
Beispiel 3): Erläuterungen (5) Therapie: der Patient erhielt 40 mg Furosemid i. v. , schied entsprechend aus und klarte innerhalb kurzer Zeit wieder auf. Die XAs waren in diesem Fall nur gering erhöht (Ketoacidose), man konnte jedoch ihren Rückgang in der folgenden BGA sehen (errechnen). Analog dazu kann man mit dem vorliegenden Algorithmus den Rückgang der XAs bei Intoxikationen und bei Dialysen quantifizieren. Man kann die Acidose im Beispiel 3 als „Dilutionsacidose“ bezeichnen: eine Acidose durch Verkleinerung der SID durch Zugabe von freiem Wasser. Die „Verdünnung des Bicarbonats“, wie sie in der Literatur beschrieben wird, ist nicht die Ursache der Acidose, sie geschieht sekundär: das Bicarbonat „verschwindet“ bei Verkleinerung der SID durch Protonierung und Ladungsänderung. (18, 25)
Beispiel 3): Erläuterungen (6) • Die Beispiele 1 und 3 zeigen, daß sich der p. H nur durch Wasserentzug oder Wasserzugabe über eine Änderung der SID verändern läßt – ohne Zugabe oder Entfernen von H+-Ionen oder Bicarbonat. (25) • Konzentriert man eine Lösung mit 140 mmol/l Natrium und 100 mmol/l Chlorid um das Doppelte, so daß Natrium auf 280 und Chlorid auf 200 mmol/l ansteigen, so würde sich die SID von 40 auf 80 mmol/l verdoppeln und die Lösung würde nur durch die Exsiccose/Konzentrierung alkalischer werden: „Konzentrationsalkalose“. (25) • Analog würde diese Lösung durch Verdünnung um die Hälfte eine Natrium-Wert von 70 mmol/l und einen Chlorid-Wert von 50 mmol/l erhalten. Die SID wäre um die Hälfte verkleinert, die Lösung würde nur durch Wasserzugabe saurer: „Dilutionsacidose“. (25)
Beispiel 4 50 jähriger Mann, seit einer Woche Durchfall und Erbrechen, AZ-Verschlechterung, Durst, Oligurie, brauner Urin, kein Fieber, leere Anamnese, neurol. o. B. p. H 7, 19 p. CO 2 23 mm. Hg HCO 39 mmol/l BE - 17, 4 mmol/l Na+ 122 mmol/l Cl 85 mmol/l Lactat 3, 6 mmol/l K+ 6, 7 mmol/l Kreatinin Harnstoff Albumin 19, 5 mg/dl 356 mg/dl 45 g/l Acidose resp. Alkalose met. Acidose Pufferung? Dialyse? Hyperkaliämie bei Acidose: pro p. H-Änderung 0, 1 => Kalium-Anstieg um 0, 6 mmol/l bei p. H = 7, 4 => K+ 5, 5 mmol/l
Beispiel 4): Erläuterungen (1) SB-Algorithmus: 1) p. H: Acidose 2) p. CO 2: respiratorische Alkalose 3) BE: metabolische Acidose BE-Aufschlüsselung: 4) SID = 40 mmol/l, BESID = - 4 mmol/l 5) Albumin normal, BEAlb = 0 mmol/l, Albuminat = 12 mmol/l 6) XAs = 26 mmol/l, BEXA = - 14 mmol/l 7) An. Gap = 34 mmol/l, BEAn. Gap = - 14 mmol/l => die BEs von XA und An. Gap sind gleich, weil der Albumin-Wert normal ist.
Beispiel 4: Erläuterungen (2) SB-Algorithmus 8) Anamnese/Klinik: bis vor einer Woche völlig gesunder Patient, leere Anamnese (keine Reise; keine Kontaktperson mit ähnlicher Symptomatik), seit einer Woche Durchfälle und Erbrechen, kaum noch gegessen und getrunken, neurologisch bis auf Müdigkeit/Erschöpfung o. B. 9) Kompensation: keine Beatmung - MM: primär metabolische Störung - Schlichtig: zu erwartender p. CO 2 = 23 mm. Hg; gemessener p. CO 2 = 23 mm. Hg, klassische Kompensation, Ausschluß anderer Ursachen der Hyperventilation
Beispiel 4: Erläuterungen (3) • Diagnose: virale Gastroenteritis (Ausschlußdiagnose), prärenales Nierenversagen durch Exsiccose, metabolische Acidose durch Anstieg der harnpflichtigen Substanzen (XAs), massiver Wasser- und Elektrolyt-Verlust, chronische Hyponatriämie • Therapie: Gabe von Imodium, Antiemetika, orale Flüssigkeitsaufnahme und schneller Kostaufbau, Infusion von 5 l Na. Cl 0, 9% über 12 h • Verlauf: rasche Erholung, keine neurologische Verschlechterung, schnelles Einsetzen der Diurese, Normalisierung der Laborwerte in 24 h • Keine Pufferung • Keine Dialyse • Keine spezifischen Kalium-senkenden Maßnahmen
Beispiel 4: Erläuterungen (4), Pufferung • Bei einem p. H von 7, 1 denkt man über Pufferung nach… • Mit der Formel Na. Bic 8, 4% (ml) = 0, 3 x kg. KG x BE errechnet man, wieviel Natrium (18) man in den Extrazellulärraum (= 30% des Körpergewichts, 0, 3 x kg. KG) des metabolisch acidotischen Patienten infundieren muß, damit der p. H 7, 4 wird. • Der Wert 30% ist dabei zu hoch angesetzt. (26) • Der Extrazellulärraum des Patienten aus Beispiel 4 war zudem durch die Exsiccose vermindert. • Generell wird empfohlen initial nur die Hälfte der errechneten Menge an Na. Bic zu infundieren. • Der Patient wog 80 kg. BE – 17 mmol/l. Die errechnete Menge Nabic 8, 4% betrug damit 400 ml. • Mit der empfohlenen halbierten Menge von 200 ml Na. Bic 8, 4% hätte man dem Patienten in < 1 h 200 mmol Natrium infundiert !!
Beispiel 4: Erläuterungen (5), Pufferung • Setzt man den verminderten Extrazellulärraum des Patienten mit 20% des KG an (16 l), dann errechnet sich durch die Infusion von 200 ml Na. Bic 8, 4% ein Natrium-Anstieg von 122 auf 132 mmol/l in weniger als 1 h !! • Das bedeutet, durch die „Pufferung“ wäre das Plasma-Natrium des Patienten innerhalb von 1 h um 10 mmol/l angestiegen !! • Der Patient hatte eine chronische Hyponatriämie, die sich in einer Woche (>48 h) entwickelt hatte. Für die chronische Hyponatriämie sprach das Fehlen einer neurologischen Symptomatik. (29) • Empfohlen wird ein therapeutischer Anstieg des Plasma-Natriums um max. 1 -2 mmol/l/h und max. 8 -10 mmol/l/24 h. (29, 42) • Das bedeutet den für 24 h empfohlenen maximalen Anstieg des Natriums hätte dieser Patient in weniger als 1 h durch die „Pufferung“ erlebt !!
Beispiel 4, Erläuterungen (6), Pufferung • Der zu schnelle Plasma-Natrium-Anstieg bewirkt eine Exsiccose der Hirnzellen. (29, 42) • Es droht eine Myelinolyse, die v. a. die Pons betrifft. (29, 42) Das schlimmste Resultat wäre ein locked-in-Syndrom („Taucherglocke und Schmetterling“). • Vor einer unbedarften „Pufferung“ (Natrium-Gabe) muß also m. E. gewarnt werden. • Zumal in dem vorliegenden Beispiel eine kausale Therapie (ohne Pufferung) zu einer p. H-Normalisierung führte. • Die neurologischen Folgen des Natrium-Anstiegs durch Pufferung mit Na. Bic 8, 4% (z. B. bei Reanimationen und Polytraumatisierten) sind m. W. nicht untersucht.
Beispiel 4: Erläuterungen (7), Dialyse • Die Frage nach einer Dialyse stand bei dem Patienten aus Beispiel 4 im Raum: Anurie, Kalium 6, 7 mmol/l, Harnstoff und Kreatinin stark erhöht. • Anamnese und Klinik sprachen für ein prärenales Nierenversagen und damit für die Flüssigkeitssubstitution als kausale Therapie. Zudem war der Urin dunkelbraun => die Nieren konzentrierten noch! • Dem Patienten wurde damals Na. Cl 0, 9% infundiert, was der Autor heute nicht mehr tun würde. Stattdessen würde ich balancierte Infusionen mit möglichst niedrigem Chlorid-Gehalt verwenden. (s. Beispiel 7) • Na. Cl 0, 9% wurde und wird niereninsuffizienten Patienten infundiert, weil es kein Kalium enthält. Allerdings enthält es eine sehr hohe Chlorid. Konzentration (154 mmol/l), die zu einer hyperchlorämischen Acidose führt. Die Acidose bremst die Na-K-ATPase und verhindert damit den Kalium. Einstrom in die Zellen mit einer konsekutiven Hyperkaliämie !! (32)
Beispiel 4: Erläuterungen (8), Dialyse • Die Hyperkaliämie durch Na. Cl 0, 9% ist mittlerweile durch Studien belegt, in denen die niereninsuffizienten Patienten, die Na. Cl 0, 9% bekamen, signifikant häufiger dialysepflichtige Hyperkaliämien entwickelten, als die Patienten, die balancierte Infusionen erhielten. (32) • Balancierte Infusionen mit geringerem Chlorid-Gehalt als Na. Cl 0, 9% säuern das Plasma weniger an und hemmen die Na-K-ATPase nicht so stark wie Na. Cl 0, 9%. (s. Beispiel 7), (32, 41) • Balancierte Infusionen mit einem Kalium von 4 mmol/l erhöhen den Kalium-Wert von niereninsuffizienten Patienten nicht: wenn man (Dreisatz) in eine Lösung (Plasma) mit z. B. 6 mmol/l Kalium eine Lösung mit 4 mmol/l infundiert, dann wird der Kalium-Plasma-Wert in Richtung auf die 4 mmol/l gezogen. (Es wird nicht nur das Kalium, sondern auch Wasser infundiert). (32, 41) • Bei dem Patienten in Beispiel 4 konnte der Rückgang der XAs mit dem SBH -Algorithmus quantifiziert werden.
Beispiel 4: Erläuterungen (9), Kalium • • • Zur Interpretation des Kalium-Wertes gehört der p. H-Wert. (30) Eine Acidose bedingt eine Hyperkaliämie (Hemmung der Na-K-ATPase). Eine Alkalose bedingt eine Hypokaliämie (Na-K-ATPase läuft schneller). Bei metabolischen Störungen ändert sich der Kalium-Wert um 0, 6 mmol/l pro p. H-Änderung um 0, 1. Die Normalisierung des p. H-Wertes durch die therapeutischen Maßnahmen senkte den Plasma-Kalium-Wert des Patienten im Beispiel 4 auf normale Werte. CAVE: eine Hypokaliämie bei Acidose deutet auf einen massiven (intrazellulären) Kalium-Mangel hin !! 98% des Kaliums befinden sich intrazellulär. Die Na-K-ATPase ist Mg-abhängig. M. E. ist eine (initiale) Kalium-Substitution ohne gleichzeitige Magnesium-Gabe „Serumkosmetik“, weil das Kalium nicht nach intrazellulär kommt.
Niere und SBH (1) • Nicht zuletzt um die Beispiele 5 und 6 besser zu verstehen, an dieser Stelle einige Anmerkungen zur Funktion der Niere im SBH. (11, 23, 26, 30, 31) • Wenigstens drei Zelltypen der Niere enthalten das hochaktive Enzym Carbonat-Dehydrogenase (früher: Carboanhydrase, CA): die Zellen des proximalen Tubulus und die Schaltzellen Typ A und Typ B im distalen Tubulus und Sammelrohr. • Mit der Carbonat-Dehydratase produzieren diese Zellen aus dem ubiquitär und unerschöpflich vorkommenden Wasser und CO 2 das Anion Bicarbonat, um damit im Antiport (Chlorid) oder Symport (Natrium) andere Ionen p. H -wirksam über die Zellmembranen zu verschieben. • Das Bicarbonat ist bei diesen p. H-Veränderungen nicht die primäre Ursache („Huhn und Ei“).
Niere und SBH (2) • An der basalen Membran (Blutseite) der proximalen Tubuluszelle befindet sich der NBC 1 (Natrium-Bicarbonat-Cotransporter). (30) • Bei einer proximal-tubulären Acidose ist der NBC 1 genetisch bedingt defekt. Die Acidose wird klassischerweise mit der mangelnden Resorption des Bicarbonats erklärt. (30) • Allein die Tatsache, daß ein Mensch in 24 h ca. 24000 mmol CO 2 und damit fast dieselbe Menge Bicarbonat (CO 2 -Transport-Form) produziert, macht diese Erklärung m. E. fragwürdig. • Im Stewart-Konzept ist es die verminderte Natrium-Resorption, die zu einer hyponatriämen Acidose führt. • Diese fällt jedoch milde aus, da die verminderte Natrium-Rückresorption in den distaleren Tubulusabschnitten weitgehend kompensiert wird.
Niere und SBH (3) • An der basalen Zellmembran der Schaltzelle Typ A im distalen Tubulus und Sammelrohr befindet sich der AE 1 (Anion Exchanger Typ 1), der Bicarbonat gegen Chlorid austauscht (Chlorid-Sekretion). (30) • Der AE 1 ist bei der distal-tubulären Acidose defekt. Die Acidose wird klassischerweise durch die mangelnde Bicarbonat. Rückresorption erklärt, was ebenfalls fragwürdig ist. (23, 25, 30, 31) • Im Stewart-Konzept ist es die verminderte Chlorid-Ausscheidung, die bei einer distal-tubulären Acidose zu einer hyperchlorämen Acidose führt. (23, 24, 25). • Die distale (hyperchloräme) Acidose ist stärker ausgeprägt als die proximale (hyponatriäme) Acidose, weil die verminderte Chlorid-Ausscheidung nicht weiter distal im Tubulus kompensiert werden kann. • CA-Hemmer wie Acetazolamid (Diamox) imitieren beide Formen der tubulären Acidose, weil sie die Bereitstellung des Substrates Bicarbonat hemmen: entscheidend für die Acidose ist die Hyperchlorämie. (22, 24)
Niere und SBH (4) • Bei kompensierten COPD-Patienten findet man regelhaft eine Hypochlorämie, die im Stewart-Konzept als Kompensation der chronisch respiratorischen Acidose zu werten ist und durch den AE 1 vermittelt wird: hypochlorämische Alkalose. (11, 24, 31) • Die klassische Kompensation durch Bicarbonat-Rückresorption ist nicht haltbar. (11, 24, 31) Laut Lehrbuch „puffert“ Bicarbonat eben nicht bei respiratorischen Störungen und m. E. ist Bicarbonat selbst die eigentliche Störung bei respiratorischen Acidosen. • Die Bicarbonat-Erhöhung in der BGA bei kompensierten COPD-Patienten ist sekundär: die SID-Vergrößerung durch die Hypochlorämie bedingt eine Ladungsänderung des Kohlensäure-Bicarbonat-Paares hin zum Bicarbonat. • Die Chlorid-Ausscheidung bei COPD korreliert mit dem Ausmaß der respiratorischen Acidose. (31)
Niere und SBH (5) • An der basalen Membran der proximalen Tubuluszelle befindet sich neben dem NBC 1 auch der OAT 1 (Organic Anion Transporter), der organische Anionen (XAs) im Antiport gegen 2 -Oxoglutarat 2 - in die Zelle schleußt. • An der distalen Membran (Tubulusseite) werden die XAs durch erleichterte Diffusion ins Tubuluslumen sezerniert. (30) • Im Lehrbuch (30) steht, daß pro Tag bis zu 300 mmol H+ -Ionen mit dem Urin ausgeschieden werden. M. E. ist die „Protonen-Ausscheidung“ sekundär bzw. dient anderen Prozessen (Elektroneutralität, NH 4+-Ausscheidung): es werden bis zu 300 mmol/d negative Ladungen in Form von XAs und Chlorid ausgeschieden (Chlorid-Ausscheidung: 140 – 280 mmol/d (28)). • Das 2 -Oxoglutarat 2 - entsteht in der Niere durch zweimaliges Abspaltung einer Aminogruppe aus der Aminosäure Glutamin, die bei Acidosen (30) vermehrt von der Leber gebildet und von den proximalen Tubuluszellen aufgenommen wird, was im Hinblick auf die XA-Ausscheidung m. E. Sinn macht. • 2 -Oxoglutarat 2 - ist ein Intermediärprodukt des Citratzyklus, der in diesem Sinne bei Acidosen für die Bereitstellung des 2 -Oxoglutarat 2– nicht auszureichen scheint.
Niere und SBH (6) • Bei kompensierten COPD-Patienten ist eine Verminderung des XA-Wertes festzustellen (Beispiel 5), so daß m. E. die Folgerung naheliegt, daß die renale Kompensation von respiratorischen Acidosen über den OAT 1 am proximalen Tubulus und den AE 1 am distalen Tubulus, also über die Ausscheidung von XAs und Chlorid gesteuert wird. • Diese Folgerung wird dadurch unterstützt, daß sich sowohl an den proximalen als auch an distalen Tubuluszellen Sensoren zur Messung von p. CO 2 und Bicarbonat befinden. (30)
Niere und SBH (7) • Der Vergleich von Schaltzelle Typ A und B zeigt eine spiegelbildliche Anordnung der Transportenzyme. Allerdings besitzt die Zelle Typ B den Antiporter Pendrin anstelle des AE 1. Das Pendrin befindet sich an der apikalen Zellmembran. (30) • Das Pendrin ist benannt nach Vaughan Pendred. Das Pendred-Syndrom ist die häufigste angeborene Ursache der Taubheit, wobei das Pendrin im Innenohr defekt ist. Das Pendrin ist identisch mit dem Transporter, der in der Schilddrüse das Jodid in die Follikel transportiert (h. AIT =Human Apical Iodid Transporter) und dessen Defekt beim Pendred-Syndrom zum Kretinismus führt. • Interessanterweise sind beim Pendred-Syndrom keine SBH-Störungen beschrieben, was die Folgerung naheliegt, das die Schaltzellen Typ B nur bei (in der Natur seltenen) Alkalosen gebraucht werden und dabei die Alkalose durch Chlorid-Resorption aus dem Tubulus kompensieren. • Ob sich eine Schaltzelle Typ A bei Alkalosen durch Umstellung ihrer Transporter in eine Schaltzelle Typ B verwandelt oder die Zelltypen komplett ausgetauscht werden, ist mir nicht bekannt.
Beispiel 5 COPD-Patient, kompensiert, keine Dyspnoe, keine Exacerbation, „Routine-BGA“ p. H 7, 32 p. CO 2 83 mm. Hg HCO 3 - 43 mmol/l BE + 13, 4 mmol/l Na+ 141 mmol/l K+ 4 mmol/l Lactat 1 mmol/l Cl 92 mmol/l Acidose resp. Acidose met. Alkalose Dr. Hahn Faustregel (HHG): bei einem p. CO 2 von 80 mm. Hg erwartet man - bei normalem BE einen p. H von ca. 7, 1.
Beispiel 5: Erläuterungen (1) SB-Algorithmus 1) p. H: Acidose 2) p. CO 2: respiratorische Acidose 3) BE: metabolische Alkalose BE-Aufschlüsselung: 4) SID = 52 mmol/l, BESID = + 8 mmol/l, => „nur“ durch die Hypochlorämie ! 5) Albumin: normal, BEAlb: normal, Albuminat = 12 mmol/l 6) XAs = 1 mmol/l, BEXA = + 11 mmol/l 7) An. Gap: „entfällt“ => XAs bestimmt, Albumin normal
Beispiel 5: Erläuterungen (2) SB-Algorithmus 8) Anamnese/Klinik: COPD, klinisch kompensiert, beschwerdefrei, keine Diuretika, „Routine-BGA“ 9) Kompensation: - keine Beatmung MM: p. H gegenläufig zu p. CO 2 und BE => keine primär metabolische Störung - Schlichtig: zu erwartender BE = 0, 4 x (p. CO 2 – 40) = 17 mm. Hg, gemessener BE = 13 mm. Hg => nahezu komplette renale Kompensation, p. H fast im Normbereich („ausreichend“), keine Überkompensation „Keine primär metabolische Störung“ … CAVE: in jeder BGA können respiratorische und metabolische Störungen gleichzeitig vorkommen. Der Hinweis „keine Diuretika“ liefert den Ausschluß eines weiteren häufigen Grundes für eine Hypochlorämie. Eine Hypochlorämie durch Schleifendiuretika wäre dann eine Störung und keine Kompensation … -
Beispiel 5: Erläuterungen (3) „Gretchen-Frage“: könnte es sich bei Beispiel 5 um eine primär metabolische Alkalose handeln, die durch Hypoventilation kompensiert wird? Antwort: Nein. Bei einer primär metabolischen Alkalose (z. B. durch Hypochlorämie (Diuretika, Erbrechen …)) wäre die metabolische Alkalose durch Hypoventilation in den acidotischen Bereich überkompensiert, was physiologischerweise nicht passiert (genau das steht hinter der MM-Regel). Eine metabolische Alkalose kann ein lungengesunder Mensch durch Hypoventilation bis zu einem p. CO 2 von max. 55 mm. Hg kompensieren – nie bis 80 mm. Hg. Zuletzt spricht die Anamnese gegen die primär metabolische Alkalose.
Beispiel 5: Erläuterungen (4) • „Das Bicarbonat ist das Hb. A 1 des Pulmologen“ steht in einer pulmologischen Arbeit. Dahinter steht die klassische Vorstellung, daß Bicarbonat die Kompensation einer respiratorischen Acidose ist. • Die vorliegende BGA zeigt, daß die renale Kompensation einer chronisch respiratorischen Acidose durch die Chlorid-Ausscheidung über den AE 1 der Schaltzellen Typ A im distalen Tubulus und Sammelrohr und m. E. durch XA-Ausscheidung über den OAT 1 der proximalen Tubuluszelle erfolgt. • Die Standard-Bicarbonat-Erhöhung geschieht sekundär durch Vergrößerung der SID und die Verminderung der XAs. Beim aktuellen Bicarbonat kommt via HHG die Bicarbonat-Erhöhung durch die p. CO 2 -Erhöhung dazu. • Eine Hypochlorämie findet man regelhaft bei kompensierten COPD-Patienten. Sie korreliert mit dem Ausmaß der Acidose. (11, 24, 25) • Diese Patienten sollten keine Infusionen mit zu hohem Chlorid-Anteil erhalten (z. B. „physiologische“ Na. Cl 0, 9%, die alles andere als physiologisch ist …). (24)
Beispiel 5: Erläuterungen (5) • Wird der Atemantrieb über den Plasma-p. H oder den Liquor-p. H gesteuert? • M. E. steuern die Plexus chorioideus-Zellen den Liquor-p. H über Ionenaustausch-Prozesse. Sie besitzen ein breites Spektrum an membranösen Ionen-Transport-Proteinen (u. a. den NKCC). Vermutlich findet sich beim kompensierten COPD-Patienten eine vergrößerte Liquor-SID durch Absenken des Liquor-Chlorids. • Das könnte eine interessante Untersuchung sein: Korreliert der Plasma-Chlorid-Wert mit dem Liquor-Chlorid bei kompensierten COPD-Patienten?
Beispiel 6 a Notaufnahme: ältere Patientin, somnolent Diagnose: Hyperventilation ? Hypochlorämie BEChlorid = + 10 mmol/l p. H 7, 5 p. CO 2 31 mm. Hg HCO 3 - 25 mmol/l BE + 1, 0 mmol/l Na+ 142 mmol/l Cl 90 mmol/l Alkalose resp. Alkalose normal Netto-BE „nur“ + 1 mmol/l ? => Versteckte Anionen An. Gap: Na+ - Cl - - HCO 3 - = 27 mmol/l ↑↑ => KUSMALE/IIKU … Dr. Hahn
Beispiel 6 b SID = 56 mmol/l BESID = + 12 mmol/l Notaufnahme: ältere Patientin, somnolent Diagnose: Hyperventilation ? IDDM; BZ 350 mg/dl p. H 7, 5 p. CO 2 31 mm. Hg HCO 3 - 25 mmol/l BE + 1, 0 mmol/l Na+ 142 mmol/l Cl 90 mmol/l Diabetische Ketoacidose Alkalose resp. Alkalose normal Dr. Hahn Albumin = 21 g/l BEAlb = + 5, 6 mmol/l Albuminat = 6, 1 mmol/l XAs = 29 mmol/l BEXA = - 17 mmol/l XAs => Quantifizierung bei IIKU Hypochlorämie => metabolische Kompensation einer metabolischen Störung ! => AE 1, Schaltzelle Typ A, distaler Tubulus und Sammelrohr
Beispiel 6: Erläuterungen (1) • Dieses Beispiel zeigt anschaulich die Erweiterung des Blickwinkels „klassischen“ Konzept zum Stewart-Konzept. (15, 18, 25, 31) • Auf den ersten Blick eine unspektakuläre BGA: respiratorische Alkalose durch Hyperventilation … • BE normal => keine metabolische Störung ? • Beim Blick durch die Stewart-Brille fällt die Hypochlorämie auf. • Da alle anderen Ionen normal konzentriert sind, resultiert aus der Hypochlorämie ein BE von + 10 mmol/l. • Der „Netto-BE“ beträgt aber nur + 1 mmol/l. • In dieser BGA ist also eine metabolische Acidose mit einem BE von mindestens - 9 mmol/l versteckt … • Blick auf die An. Gap … vom
Beispiel 6: Erläuterungen (2) SB-Algorithmus 1) p. H: Alkalose 2) p. CO 2: respiratorische Alkalose 3) BE: „normal“ (minimale metabolische Alkalose) BE-Aufschlüsselung: 4) SID = 56 mmol/l, BESID = + 12 mmol/l (Hypochlorämie) 5) Albumin = 21 g/l, BEAlb = + 5, 6 mmol/l, Albuminat = 6, 1 mmol/l 6) XAs = 29 mmol/l, BEXA = - 17 mmol/l In dieser BGA verstecken sich 3 ausgeprägte metabolische Teilstörungen: hypochlorämische Alkalose, Acidose durch XA-Anstieg, hypalbuminämische Alkalose
Beispiel 6: Erläuterungen (3) SB-Algorithmus 7) Anamnese/Klinik: IDDM, BZ 350 mg/dl (=> das „K“ in KUSMALE/IIKU), cardiopulmonal o. B. 8) Kompensation: keine Beatmung, MM: p. CO 2 gegenläufig zu p. H und BE => keine primär metabolische Störung ? ? ? => eine primäre respiratorische Störung ist denkbar, dazu passen als Kompensation jedoch nur die erhöhten XAs, die aber nach Anamnese/Klinik wahrscheinlich die primäre Störung sind. . . Im vorliegenden Beispiel kommt man mit den „herkömmlichen“ Kompensationsvorstellungen nicht weiter …
Beispiel 6: Erläuterungen (4) • Es ist wahrscheinlich, daß die diabetische Ketoacidose die primäre Störung ist (Klinik/Anamnese). • Nach Ausschluß anderer Ursachen der Hypochlorämie (Diuretika, Erbrechen, COPD, Überwässerung) kommt eine renale Kompensation der XA-Acidose über den AE 1 (analog der COPD-Kompensation) in Frage. • „Paradigmenwechsel“: die Hypochlorämie ist hier die metabolische Kompensation einer metabolischen Störung !! (17, 24, 25, 31) • Die Hypalbuminämie ist eine eigenständige Störung (Ursache? ), die in diesem Fall der Acidose durch den XA-Anstieg entgegensteht (keine „klassische“ Kompensation). (18)
Beispiel 6: Erläuterungen (5) • Hinter der scheinbar unspektakulären BGA verstecken sich also 3 ausgeprägte metabolische Störungen und ein Paradigmenwechsel. • Sicher hätte man mit dem klassischen Blickwinkel die Ketoacidose und die Hypochlorämie entdeckt – die Hypalbuminämie wahrscheinlich nicht. • Mit dem klassischen Blick kann man die Einzelstörungen nicht quantifizieren. (18) • Mit dem vorgestellten Algorithmus kann man den Rückgang der erhöhten XAs quantifizieren, ebenso den Rückgang der XAs bei einer therapierten Intoxikation und nach einer Dialyse. (24)
Beispiel 6: Erläuterungen (6) • Analog der Kompensation bei COPD-Patienten hat sich die Hypochlorämie der Patientin in Beispiel 6 wahrscheinlich über Tage entwickelt. • Beim therapeutisch bedingten Rückgang der XAs („Ketonkörper“) bleibt also zunächst die Hypochlorämie bestehen, die dann eine Alkalose bewirkt, die sich in wenigen Tagen zurückbildet. • Spätestens jetzt stellt sich die Frage, warum die Patientin eigentlich hyperventiliert? • Die vorliegende BGA zeigt in summa keine metabolische Acidose. • Metabolisch war die Patientin kompensiert. • Hätte sie normoventiliert, hätte sich bis auf die Hypochlorämie (die oft übersehen wird) kein auffälliger Befund gezeigt. • Klinisch gab es keinen Grund für eine Hyperventilation …
Beispiel 6: Erläuterungen (7) • Die drei sogenannten Ketonkörper, die bei einer diabetischen Ketoacidose in erhöhter Konzentration im Plasma erscheinen sind Aceton, Acetat und ß-Hydroxybutyrat. Die Ketonkörper werden bei einem Überangebot von Fettsäuren ausschließlich in den Mitochondrien der Leber gebildet. (28) • Aceton ist ein Keton (= Propanon), bleibt aber ungeladen: es hat demnach im Stewart-Konzept keine Auswirkung auf den p. H. . . • Acetat und sein Reduktionsprodukt ß-Hydroxybutyrat sind die Anionen von starken Säuren und demnach p. H-wirksam (XAs). • ß-Hydroxybutyrat ist chemisch jedoch kein Keton …. • Denkbar (aber unbewiesen) ist, daß Aceton als kleines, ungeladenes Teilchen in den Liquor diffundiert und aufgrund seiner chemischen Ähnlichkeit mit CO 2 (doppelt gebundenes O-Atom) das Atemzentrum stimuliert und (indirekt) den SBH beeinflußt. . .
Teil 4: Plädoyer für bicarbonathaltige und hypochlorische Infusionen
Beispiel 7 Intraop. BGA, biliodigestive Anastomose, geringe Blutung, PCV, 8 -10 x 500 ml balancierte Infusion p. H p. CO 2 HCO 3 - (act) BE (B) Na + K+ Cl Lac 7, 25 28 mm. Hg 12, 3 mmol/l - 13, 5 mmol/l 137 mmol/l 3, 3 mmol/l 108 mmol/l 2, 4 mmol/l SID = 30 mmol/l Na+ 137 mmol/l, Cl 110 mmol/l Acetat 37 mmol/l BESID = - 14 mmol/l Albumin: nicht bestimmt … => wahrscheinlich niedrig: Verdünnung XA = 12 mmol/l (bei angenommenem normalem Albumin) => wahrscheinlich erhöhte XAs => Acetat Hyperchlorämische Acidose und Erhöhung der XAs (Acetat) durch balancierte Infusion ! !
Beispiel 7: Erläuterungen (1) SB-Algorithmus 1) p. H: Acidose 2) p. CO 2: respiratorische Alkalose (maschinelle Beatmung) 3) BE: metabolische Acidose BE-Aufschlüsselung: 4) SID = 30 mmol/l, BESID = - 14 mmol/l 5) Albumin: nicht bestimmt (wie so oft…) 6) XAs (bei angenommenen normalem Albumin) = 12 mmol/l; BEXA = 0 mmol/l
Beispiel 7: Erläuterungen (2) SB-Algorithmus 8) Anamnese/Klinik: Pat. intubiert/beatmet, unauffällige Oxygenierung, kreislaufstabil, keine Catecholamine, cardiopulmonal o. B. , keine ernsthaften Vorerkrankungen, kein Diabetes, OP: biliodigestive Anastomose, geringe Blutung, normale Diurese, Labor (Elektrolyte) präoperativ o. B. , vorliegende BGA nach ca. 3 h OP abgenommen, bis dahin Infusion von ca. 4, 5 l balancierter Infusion über 3 -Lumen-ZVK und peripheren Zugang 9) Kompensation: Pat. kontrolliert beatmet (akzidentell hyperventiliert), => keine Aussage über Kompensation möglich Warum zeigt dieser Patient eine metabolische Acidose (BE – 13, 5 mmol/l)?
Beispiel 7: Erläuterungen (3) • Das Lactat mit 2, 4 mmol/l bewirkt einen BE von – 2, 4 mmol/l => keine hinreichende Erklärung für die vorliegende metabolische Acidose. • Den Hauptanteil der verkleinerten SID und der daraus resultierenden metabolischen Acidose fällt auf die Hyperchlorämie, die – für sich genommen – einen BE von – 8 mmol/l bewirkt. • Die Hyponatriämie bewirkt einen BE von – 3 mmol/l. • Was verursacht die Hyperchlorämie? • Kompensation, distal-tubuläre Acidose und Exsiccose scheiden aus. • Der Blick auf die Ionenzusammensetzung der balancierten Infusion löst das Rätsel: Natrium 137 mmol/l, Chlorid 110 mmol/l. • Die Infusion einer Elektrolytlösung mit dieser (hyperchlorischen) Zusammensetzung führt (Dreisatz) dosisabhängig zu einer (geringen) Hyponatriämie und einer Hyperchlorämie und damit zu einer metabolischen Acidose! (18, 31)
Beispiel 7: Erläuterungen (4) • XAs normal ? ? • Es ist wahrscheinlich, daß der Albumin-Wert durch Verdünnung (4, 5 l Infusion, plus geringe Blutung) vermindert ist => metabolische Alkalose durch Hypalbuminämie. • Dadurch wäre der XA-Wert aber erhöht => metabolische Acidose durch XAs. • Durch die Hypalbuminämie unterschätzt die „normale“ An. Gap den XA-Wert. • Ursache der XA-Erhöhung? • Man schütte sich Acetat-haltige Infusion in die Hände und rieche daran: Essig! • Die Essigsäure liegt bei einem p. H um 7, 4 überwiegend als Acetat vor: Essigsäure/Acetat = 1 : 30000 (p. Ka 4, 7; HHG). • Acetat ist mit leichtem Abstrich ein starkes Anion. (25) • Die XA-Erhöhung im vorliegenden Beispiel wird durch das infundierte Acetat (das „A“ in KUSMALE) verursacht!
Beispiel 7: Erläuterungen (5) • Angeblich wird das Acetat in balancierten Infusionen zu „pufferndem“ Bicarbonat verstoffwechselt: das ist m. E. nicht haltbar. • Das Acetat wird nach Aufnahme in die Zelle via Acetyl-Co. A, Citratzyklus und oxidativer Phosphorylierung zu CO 2 verstoffwechselt: das entspricht einer respiratorischen Acidose und nicht einer metabolischen Alkalose! Im Lehrbuch steht, daß Bicarbonat bei respiratorischen Störungen nicht puffert (28, S. 148) und m. E. ist das Bicarbonat bei respiratorischen Veränderungen die eigentliche Störung und kein Puffer. (28, S. 148) • Im Stewart-Konzept zählt das Acetat zu den XAs (25): es säuert das Plasma an, solange es sich im Plasma befindet. • Im vorliegenden Beispiel heben sich die BE-Wirkungen von Hypalbuminämie und Acetat-Erhöhung offenbar auf. (18, 24, 25) • In summa würde die metabolische Acidose milder ausfallen, wenn keine Ansäuerung durch Acetat vorläge.
Neue Infusionen notwendig? (18, 34) • Die S 3 -Leitlinie Polytrauma/Schwerverletztenbehandlung von 2011 der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie empfiehlt als Volumenersatz bei Unfallverletzten primär Kristalloide zu verabreichen, jedoch nicht welche. (35) • Das vorliegende Beispiel ist alltäglich und jederzeit wiederholbar: nur die balancierte Infusionslösung verursachte eine metabolische Acidose (BE = - 13, 5 mmol/l) durch Hyperchlorämie und XA-Erhöhung (Acetat). • Balancierte Infusionen sind eine deutliche Verbesserung gegenüber Infusionen mit sehr hohem Chlorid-Gehalt (Ringer-Lösung, Na. Cl 0, 9%), aber solange sie einen Chlorid-Wert von > 100 mmol/l aufweisen, induzieren sie dennoch dosisabhängig eine Hyperchlorämie. (18, 31, 33, 35, 36) • Die S 3 -Leitlinie der DGAI von 2014 zur Intravasalen Volumentherapie bei Erwachsenen hat diesen Umstand nur bedingt berücksichtigt. (33, 36) Zur konkreten Auswahl der dort empfohlenen balancierten Infusion kann keine Empfehlung ausgesprochen werden (Statement S-6), obwohl physiologische Überlegungen für einen möglichst niedrigen Chlorid-Gehalt sprechen. (18, 31, 32, 33, 35, 36)
S 3 -Leitlinie (DGAI, 2014): Intravasale Volumentherapie bei Erwachsenen (33) Kapitel 4 a, Empfehlung 4 a-2: Beim periinterventionellen Volumenersatz sollten balancierte kristalloide bzw. kolloidale Lösungen verwendet werden. (Go. R B) Kapitel 4 b, Empfehlung 4 b-4: Zum Volumenersatz bei Intensivpatienten sollten balancierte kristalloide bzw. kolloidale Lösungen verwendet werden. (Go. R B) Kapitel 5 a, Empfehlung 5 a-3: Werden kolloidale Lösungen periinterventionell eingesetzt, sollten in Hinblick auf metabolische und andere Endpunkte (Basendefizit, p. H-Wert, Chloridkonzentration) balancierte Infusionen zur Anwendung kommen. (Go. R B) Kapitel 5 a, Empfehlung 5 a-4: Bei der Auswahl einer kolloidalen Volumenersatzlösung sollten patientenspezifische Aspekte wie z. B. Nierenvorschädigung, Gerinnungsbeeinflussung … berücksichtigt werden. (Go. R B)
S 3 -Leitlinie (DGAI, 2014): Intravasale Volumentherapie bei Erwachsenen (33) Kapitel 6 a: Unterschiede zwischen den Kristalloiden bei periinterventionellen Patienten Statement S-6: Aufgrund der niedrigen Ereignisraten zum Endpunkt Letalität und unzureichender Daten aus kontrollierten Studien zu wesentlichen Morbiditätsendpunkten können aus der Literatur keine Empfehlungen für den bevorzugten Einsatz einer kristalloiden Lösung abgeleitet werden. Empfehlung 6 a-1 und 6 b-1: Isotone Kochsalzlösung soll zum periinterventionellen und intensivmedizinischen Volumenersatz nicht verwendet werden. (Go. R A) Empfehlung 6 a-3 und 6 b-3: Balancierte Infusionslösungen mit Acetat und Malat statt Lactat können zum Volumenersatz bei periinterventionellen und intensivmedizinischen Patienten zum Einsatz kommen. (Go. R 0)
Infusion und Acidose • Auf jeder Bleeding-Card stehen drei Grundpfeiler: Wärmezufuhr, Ca 2+-Substitution, Acidose-Prophylaxe. (35, 44) • Zur Acidose-Prophylaxe bei blutenden Patienten wird v. a. die „Kreislaufstabilisierung“ empfohlen. Die Kreislaufstabilisierung erfolgt u. a. durch die Gabe von balancierten Infusionen und Noradrenalin (=> Lactat-Anstieg). (35) • Im Beispiel 7 wurde ein BE von – 13, 5 mmol/l nur durch eine balancierte Infusion induziert. Dabei war die dort verwendete Infusion noch eine der „physiologischsten“ balancierten Infusionen auf dem Markt. • Eine metabolische Acidose mit einem BE von – 15 mmol/l reduziert die Aktivität der Gerinnungsfaktoren um ca. 50% ! • Eine Studie an 86442 Trauma-Patienten mit einem ISS > 9 zeigte signifikante Korrelationen sowohl zwischen BE und Prothrombinzeit als auch zwischen BE und a. PTT. (39) • Der (negative) BE eines Polytraumatisierten bei Aufnahme im Schockraum gilt als eigenständiger Prädiktor seiner Mortalität. • Es stellt sich m. E. die Frage, in welchem Ausmaß die verabreichten balancierten Infusionen zum negativen BE von Polytraumatisierten beitragen?
Neue Infusionen: Vorgeschlagene Zusammensetzung • Natrium ist die Hauptdeterminante der Plasma-Osmolalität => normaler Natrium-Wert: 140 mmol/l • Kalium in normaler Konzentration (auch für niereninsuffiziente Patienten) => Kalium 4 mmol/l • Chlorid-Konzentration: 100 mmol/l (Standard-Infusionslösung) => Vermeidung einer Hyperchlorämie • Chlorid-Konzentration: kleiner als 100 mmol/l (hypochlorische Infusion) => Prophylaxe/Therapie einer metabolischen Acidose • „Verstoffwechselbares“ Anion in der Anionenlücke => Bicarbonat mit 44 mmol/l => bei hypochlorischen Infusionen Bicarbonat entsprechend > 44 mmol/l
Hypochlorische Infusion (1) • Warum ist das Pankreassekret alkalisch (p. H = 7, 8)? • In der klassischen Sichtweise ist es das in hoher Konzentration enthaltene Bicarbonat (100 mmol/l). • Die Ductuluszellen des Pankreas produzieren ein Sekret folgender Zusammensetzung: Na+ 140 mmol/l, Chlorid 40 mmol/l und in diese große Anionenlücke kommt Bicarbonat mit 100 mmol/l. (30) • Im Stewart-Konzept ist es die sehr große SID, die aus der starken Absenkung der Chlorid-Konzentration resultiert, die das Pankreassekret alkalisch macht. • Wäre die Pankreas-SID mit Hydroxid-Ionen gefüllt, wäre der p. H ca. 13. • Das Auffüllen der SID mit Bicarbonat senkt den p. H auf 7, 8 => das Bicarbonat säuert an. • Das Absenken der Chlorid-Konzentration bewirkt – analog der Kompensation der respiratorischen Acidose in Beispiel 5 – die Alkalisierung des Pankreassekrets.
Hypochlorische Infusion (2) • Beim „Puffern“ mit Na. Bic 8, 4% ist es das starke Kation Na+, das die SID vergrößert und das acidotische Plasma alkalisiert. Das Bicarbonat schwächt diese Alkalisierung sogar noch ab. (18, 25) • Genauso ist es möglich die Plasma-SID durch Absenken des Chlorids zu vergrößern und damit den Plasma-p. H anzuheben. • Wenn man durch hyperchlorische Infusionen (alle balancierten VE-Lösungen auf dem Markt) das Plasma ansäuert, dann wird man es mit hypochlorischen Lösungen alkalisieren. (18) • Wenn man bei polytraumatisierten Patienten eine Acidose verhindern oder behandeln und dabei das Natrium wegen der Osmolalität (Beispiele 1, 3, 4) gleich lassen will, dann bieten sich m. E. hypochlorische Lösungen an (analog zu Pankreassekret, AE 1 -Kompensation, etc. ).
Hypochlorische Infusion (3), Zitate • „Größere Observationsstudien zur Frage einer Assoziation einer chloridrestriktiven vs. einer chloridliberalen Flüssigkeitstherapie mit dem Auftreten eines akuten Nierenversagens (AKI) bei kritisch kranken Patienten hatten belegen können, daß eine chloridrestriktive Flüssigkeitstherapie bei Intensivpatienten mit einem signifikanten Abfall in der Inzidenz eines AKI sowie der Notwendigkeit des Nierenersatzes assoziiert sein kann. “ (40) • „Zukünftige Studien müssen das „Gefahrenpotenzial“ unterschiedlicher Infusionslösungen sowohl bei Patienten mit erheblich höherem Risiko für ein AKI oder für Mortalität (z. B. Sepsis) als auch mit erheblich größeren Mengen der eingesetzten Flüssigkeiten untersuchen. “ (40)
Bicarbonat in Infusion? • Beispiel 7 und alle Überlegungen zu den XAs legen es nahe nach einer weniger ansäuernden Alternative für Acetat oder Malat in der SID der balancierten Infusionen zu suchen. • Malat => Anion der Apfelsäure (Dicarbonsäure; p. Ka-Werte 3, 46 und 5, 1) => starkes Anion (XA). p. Ka von Lactat 3, 9. • Im Plasma ist es v. a. das Bicarbonat, das die SID ausfüllt. • In der Literatur sprechen immer wieder bestimmte Argumente gegen die Herstellung und Verwendung bicarbonathaltiger Infusionen: 1) Galenisch nicht herstellbar. 2) Lösung nicht stabil. 3) Lösung in Plastikflaschen nicht stabil. 4) Bicarbonat-haltige Lösungen erzeugen eine Acidose. Ich möchte diese Argumente widerlegen, da ich davon überzeugt bin, daß bicarbonathaltige Infusionen leicht herstellbar und in normalen Plastikflaschen stabil haltbar sind und keine nennenswerte Acidose verursachen. (24)
Bicarbonat in Infusion: Argumente (1) Bicarbonat-haltige Lösungen gibt es bereits und sie sind stabil. 1) Stilles Mineralwasser: die Zusammensetzung dieser Mineralwasser zeigt eine Bicarbonat-Konzentration, die der des Plasmas nahekommt. Schüttelt man diese stillen Wasser, erwartet niemand eine CO 2–Ausgasung. Interessanterweise zeigen kohlensäure-haltige Mineralwasser desselben Herstellers identische Ionenstrukturen und den gleichen Bicarbonatgehalt, was nach der HHG eigentlich nicht sein dürfte. Der Denkfehler liegt in der Bezeichnung „Kohlensäure“. Die jeweiligen Mineralwasser werden nach ihrem Abfüllen nicht mit Kohlensäure sondern mit Kohlendioxid (CO 2) versetzt. Das, was wir im normalen Sprachgebrauch als Kohlensäure bezeichnen, ist tatsächlich physikalisch gelöstes CO 2 und das „gast aus“ beim Schütteln einer „kohlensäurehaltigen“ Mineralwasserflasche – allerdings ohne chemische Umsetzung. Das Bicarbonat in der Anionenlücke bleibt in der Lücke und in der Flasche – in allen Darreichungsformen!
Bicarbonat in Infusion: Argumente (2) Bicarbonat-haltige Lösungen gibt es bereits und sie sind stabil. 2) Na. Bic 8, 4%: in einer 100 ml Flasche Na. Bic 8, 4% befindet sich eine 1 molare Lösung mit 100 mmol Bicarbonat. Würde nach dem Schütteln dieser kleinen Glasflasche und Einstechen einer Kanüle das Bicarbonat als CO 2 „ausgasen“, so würden ca. 1, 5 Liter CO 2 entweichen. Jeder, der schon einmal eine Natrium-Bicarbonat-Flasche angestochen hat, weiß, daß es nicht „zischt“: es entweicht kein CO 2. Das Bicarbonat gast nicht aus – es ist in einer Anionenlücke gebunden, genau wie das Bicarbonat im „Stillen Wasser“. Wenn das Bicarbonat als CO 2 entweichen sollte, müßte es ein Proton übernehmen, zur Kohlensäure werden und dann in CO 2 und H 2 O zerfallen. Welche Protonenquellen gibt es im Na. Bic? Die Oxonium-Ionen? Zu gering konzentriert … Das Wasser? Wenn die schwache Base Bicarbonat dem Wasser ein Proton entreißt, konkurriert sie mit der stärksten Base, dem Hydroxid-Ion, darum: theoretisch denkbar, praktisch unmöglich …
Bicarbonat in Infusion: Argumente (3) Bicarbonat-haltige Lösungen gibt es bereits und sie sind stabil. 3) Dialyse-Lösungen in Zwei-Kammerbeuteln: der große Beutel enthält eine bicarbonathaltige Lösung ähnlich der hier vorgeschlagenen Infusionen. Diese Lösung befindet sich in einem patentierten Spezialbeutel, der ein CO 2 Ausgasen verhindern soll. Allerdings wird der Dialyselösung im großen Beutel das CO 2 nach dem Abfüllen zugegeben, damit nach dem Mischen mit dem kleinen, Calcium-haltigen Beutel ein Ausfällen von Calcium-Carbonat verhindert wird. Das CO 2 ist also physikalisch gelöst und das Bicarbonat in einer Anionenlücke gebunden. Würde kein CO 2 zugesetzt, wäre die bicarbonathaltige Lösung im großen Beutel – analog dem Stillen Wasser – stabil im normalen Plastikbeutel haltbar. Die hier vorgeschlagenen Infusionen enthalten kein Calcium und kein freies (physikalisch gelöstes) CO 2.
Bicarbonat in Infusion: Argumente (4) Bicarbonat-haltige Lösungen gibt es bereits und sie sind stabil: 4) Speichel: die Acinuszellen der Speicheldrüsen sezernieren ein bicarbonat-haltiges Sekret in ähnlicher Zusammensetzung wie die vorgeschlagenen Infusionen. Steigen in der Mundhöhle CO 2 -Bläschen auf? (30) Erzeugen bicarbonat-haltige Infusionen eine respiratorische Acidose? (25, 26) Ein Erwachsener produziert ca. 1000 mmol CO 2 pro Stunde. Die vorgeschlagenen Lösungen enthalten ca. 44 mmol/l Bicarbonat. . . Bei handelsüblichen acetat-haltigen balancierten Infusionen entstehen aus einem Acetat-Molekül zwei Moleküle CO 2: ca. 72 mmol/l …
Neue bicarbonathaltige Infusionen 1) Na+ 140 K+ 2) 140 3) 140 4 44 32 > 44 Cl- 100 < 100 Albumin -- HCO 3 - 5 g/l * -- * ca. 12 mmol/l „Albuminat“ 1) Standard-Infusionslösung 2) Infusionslösung bei großem Flüssigkeitsumsatz und/oder Hypalbuminämie => Endothelial-Surface-Layer“Protektion“ => wenn Albumin gentechnisch herstellbar ist 3) Hypochlorische Infusionslösung für acidotische Patienten oder bei drohender Acidose (Polytrauma, Sepsis, Urämie)
Teil 5: Literatur
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Kontaktdaten: Dr. med. Ralf Hahn Facharzt für Anästhesie Niernthalweg 7 83483 Bischofswiesen E-Mail: hahn 1823@web. de
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