Soziale Zerklftung erste Globalisierung und der Untergang der
Soziale Zerklüftung, erste Globalisierung und der Untergang der römischen Republik Prof. Dr. Jürgen Neyer Recht und Politik im historischen Kontext BA Recht und Politik (mit Tutorium)/ BA Kulturwissenschaften WS 2018/19
Wie alles anfing: Die römische Republik mit polisdemokratischen Grundprinzipien • Mittelgroße Stadt irgendwo in Italien • Letzter römischer König um 509 v. C vertrieben, Herrschaft des Rechts • Cincinnatus (519 – 430 v. C) als Ideal: zum Diktator im Krieg gewählt, vor Ablauf der Zeit zurückgetreten
Die Ständekämpfe (509 -287) • 494: 1. secessio plebis (Absonderung, Auszug der Plebs) auf Mons Sacer Arbeits- und Kriegsdienstverweigerung, Auszug aus Rom als pol. Druckmittel „Hier blieben sie [die Soldaten] ohne einen Führer eine Reihe von Tagen in einem mit Wall und Graben befestigten Lager, hielten Ruhe, […] und wurden weder herausgefordert noch forderten sie ihrerseits heraus. Ein ungeheurer Schrecken herrschte in der Stadt, und einer hatte Angst vor dem andern. […] Wie lange [. . ] werde die Menge, die weggezogen sei, ruhig bleiben? Was werde denn geschehen, wenn in der Zwischenzeit ein Krieg von außen hereinbreche? “ (Titus Livius, Römische Geschichte, II, 32) Einrichtung eigener plebejanischer politischer Strukturen: o Versammlung der Plebs (concilium plebis) o Volkstribunen als Vertreter und Beschützer der Plebs gegen Machtmissbrauch durch Patrizier 3
Die entwickelte römische Republik: oligarchische Mischverfassung • Zentrale Rolle des Senates (Mitglieder nach Geburt und Klasse selektiert), Initiativrecht, Wahl von Magistrat, 300/ 600 Mitglieder • zwei Konsuln als oberste Exekutive (ein Jahr, keine Wiederwahl) mit „Imperium“ • Volksversammlung mit Klassenwahlrecht (Abstimmungen von Kriegserklärungen, Beschlüssen oder Gesetzesgebungen) ohne Initiativrecht • Wahlberechtigt: Männer ab dem 16. Lebensjahr mit Bürgerrecht • Volkstribun und Volksversammlung als (imperfekte) Kontrollen des Senates „Der Staat ist also die Sache des Volkes; das Volk aber ist nicht jede Vereinigung von Menschen, welche auf irgendeine Weise geschlossen wurde, sondern es ist diejenige Vereinigung einer Menschenmenge, welche basierend auf ihrer Übereinstimmung in den Rechtsvorstellungen und auf ihrer Gemeinsamkeit des Vereinigungsnutzens zusammengeschlossen wurde. “ (Cicero)
Die entwickelte römische Republik: oligarchische Mischverfassung
Das große Problem: Die soziale Frage • Jahrhunderte währender Konflikt um Verteilung von Land • Militärische Erfolge führen zu Ager Publicus, den sich der Adel einverleibt • Bauern, die als Legionäre die Eroberungen erst ermöglicht hatten, verarmen zunehmend (lange Abwesenheit, mangelnde Konkurrenzfähigkeit) • Plebs in Rom wächst, an, sozio-ökonomische Basis für Bürgerheer bröckelt, Soldaten für die Legionen fehlen • Soziales Klima wird rauher. Volkstribune in wachsendem Gegensatz zum Senat
Gescheiterte soziale Reformen: der Anfang vom Ende Volkstribun Tiberius Gracchus setzt Verteilung von Land des Senats gegen dessen Willen und gegen die Norm der Konsensherstellung durch (133 v. C) • • Legt direkt der Volksversammlung vor setzt seinen Mittribun ab lässt sich rechtswidrig wiederwählen Befürchtungen, dass er Königtum anstrebt • wird daraufhin von Senatoren zus. mit Hunderten von Sympathisanten erschlagen Pinelli, Bartolomeo (1781 in Rom – 1835 ebenda): "L'Infelice Tiberio Gracco mentre tentava salvarsi con la fuga dal tumulto insorto…"
Gescheiterte soziale Reformen Gravierende innenpolitische Konsequenzen – Bürgerschaft spaltet sich in Popularen und Optimaten – Recht und Verfassung versus soziale Gerechtigkeit – neues Element der Gewalt zieht in die römische Innenpolitik ein – Jüngerer Bruder versucht zehn Jahre später neuen Anlauf, geht aber in gewaltsamen Aufruhen unter, bei denen sich die Optimaten durchsetzen – Unterschied zu Athen: Senat behält Oberhand; Plebs bleibt politisch und ökonomisch marginalisiert
Reaktion I: Die Verrohung politischer Sitten Proskriptionen • zur Vernichtung politischer Gegner • zur Generierung von Land und Kapital für Veteranen Konsequenz • Gewalt als Mittel der Innenpolitik • Beginn hundert Jahre Bürgerkrieg für Zukunft • Weitere Schwächung der Verfassungsordnung
Reaktion II: Professionalisierung des Militärs • Notwendige Aufnahme Besitzloser und nicht-Römer in das Heer, um Verarmung der Bevölkerung und zunehmendem Bedarf an Soldaten Rechnung tragen zu können • Versprechen auf Abfindung in Form von Anteil am Ager Publicus • Veteranen werden zu Klienten der Heerführer • Heerführer werden aufgrund der auf sie eingeschworenen Legionen zu immer mächtigeren Personen: struktureller Konflikt mit Senat
Reaktion III: Professionalisierung führt zu Verselbständigung Heerführer werden aufgrund der auf sie eingeschworenen Legionen zu immer mächtigeren Personen • Gaius Marius lässt sich als erfolgreicher Feldherr (u. a. Sieg gegen die Kimbern) wiederholt zum Konsul wählen • Verletzung des Annuitätsprinzips • populäre Befehlshaber nutzen Loyalität der Legionäre, um sich außerkonstitutionelle Macht zu verschaffen. • Privatarmeen • grundlegende Machtverschiebung, weg vom Senatsadel als Gesamtheit hin zu den einzelnen Inhabern der höchsten militärischen Gewalt
Sozialer Konflikt + verselbständigtes Militär = Bürgerkrieg • Tiefgreifende innenpolitische Differenzen zwischen Optimaten und Popularen werden zunehmend außerrechtlich und militärisch „gelöst“. • Konflikt: Marius setzt Sulla als Heerführer ab/ Sulla marschiert auf Rom und erlangt Macht militärischer Gewalt zurück. • Faktischer Zusammenbruch der konstitutionellen Ordnung • Gewaltherrschaft und Exzesse gegen politische Gegner(Proskriptionen)
Es kommt noch schlimmer: Die Bundesgenossen begehren auf Bundesgenossen: unterschiedlichste Formen der Unterwerfung: von • Ermordung und Neuansiedlung über • Eigenstaatlichkeit bis hin zu • Bürgerstatus
Der große Bürgerkrieg
Das Ende der Republik • Ende der Republik nach hundert Jahren Bürgerkrieg - Wahl von Octavian zum Diktator auf Lebenszeit (31 v. C) • Beginn der Kaiserzeit / Militärdiktatur/ Schwächung des Senates/ Entmachtung der Volkstribunen und -versammlung
Rezeption: Macchiavelli (1469 -1527) „es gibt keine gefährlichere Infanterie als die, die den Krieg als Beruf ausübt. Diese Männer nötigen Dich entweder, Krieg zu führen oder sie zu bezahlen, damit sie Dir nicht Dein Königreich wegnehmen. Man kann aber weder immer Krieg führen noch sie immer bezahlen; man riskiert daher notwendig den Verlust des Staates“ (I 84 -86) „Wenn es irgendjemanden gibt, der skandalös, eitel, haltlos, unreligiös, geflohen von seines Vaters Regime, blasphemisch, Spieler, in jeder Hinsicht schlecht erzogen ist, dann sind es die, die zum Militär wollen. Diese Gepflogenheit aber können nur völlig unpassend für ein wahres und gutes Militär sein. “ Niccolo Macchiavelli, Art of War (I 130)
Rezeption: Rousseau (1712 -1778) „Reguläre Truppen, die Plage und Entvölkerung Europas, sind nur für zwei Dinge gut: entweder den Nachbarn anzugreifen und zu erobern oder die Bürger in Ketten zu legen und zu versklaven“ (217) „Die römische Republik wurde dann von ihren Legionen zerstört als die Ausdehnung der römischen Eroberungen ihre permanente Verfügbarkeit erforderte“ (218) Jean-Jacques Rousseau, The Plan for Perpetual Peace, on the Government of Poland, chap. XII)
Rezeption: moderne Beiträge • Gefahren der Verselbständigung des Militärs: „militärisch-industrieller Komplex“): Dwight D. Eisenhower – https: //www. youtube. com/watch? v=Cw. Sk 5 Jqoad • „Bürger in Uniform“: Erfahrungen der Wehrmacht: Soldaten sollen nicht blinde Befehlsempfänger, sondern aus Einsicht und Überzeugung handelnde Menschen sein. – „Der Staatsbürger ist also der übergeordnete Begriff über Nichtsoldat und Soldat; vielleicht können wir sagen: Soldat und Nichtsoldat sind zwei verschiedene Aggregatzustände desselben Staatsbürgers. “(Baudissin 1969) • Edward Snowdon: verselbständigte und demokratiegefährdende Überwachungspraxis der Sicherheitsdienste
Lehren: keine Revolution ist auch keine Lösung • Nicht beigelegter sozialer Konflikt als Mutter der Diktatur – Vs Athen: zerklüftetere soziale Ordnung, breiterer Plebs ohne echte Partizipationsrechte – führt zu Polarisierung der Politik – bedroht öffentliche Ordnung/ respektiert Verfassung und Konsensprinzip nicht – Hohes Maß innenpolitischer Gewalt (Bundesgenossen, Plebs) • Professionelle Armee als Gefahr für den Staat
Lehren: Partikularinteressen brauchen starke Institutionen und (als verbindlich akzeptiertes) Recht; Grenzen eines „Volks von Teufeln“ Nochmal Cicero: „Der Staat ist also die Sache des Volkes; das Volk aber ist nicht jede Vereinigung von Menschen, welche auf irgendeine Weise geschlossen wurde, sondern es ist diejenige Vereinigung einer Menschenmenge, welche basierend auf ihrer Übereinstimmung in den Rechtsvorstellungen und auf ihrer Gemeinsamkeit des Vereinigungsnutzens zusammengeschlossen wurde. “ (Cicero)
Klausur • Was waren/sind Grundstrukturen rechtlicher und politischer Ordnung? • Was waren/ sind ihre Stärken und Schwächen? • Wie wurden sie begründet? • Was können wir für heutiges Handeln aus der Geschichte lernen?
Klausur Athen Rom Strukturen Stärken Schwächen Lehren Optimatenherr Checks schaft, and “Oligarchie“, balances Patronage. System
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