Schuldrecht AT 08 04 2014 PD Dr Sebastian
Schuldrecht AT, 08. 04. 2014 PD Dr. Sebastian Martens, M. Jur. (Oxon. )
§ 1: Grundlagen I. Die Einteilung der Pflichten im Schuldverhältnis 1. Unterscheide zunächst: Pflichten und Obliegenheiten • Pflichten bestehen gegenüber einer anderen Person, die regelmäßig ein korrespondierendes Recht, einen Anspruch, hat. • Eine Pflicht kann regelmäßig mittels Klage durchgesetzt werden. • Obliegenheiten bestehen im Interesse desjenigen, den sie treffen. Wer seine Obliegenheit verletzt, erleidet einen Rechtsnachteil. • Andere Personen können Obliegenheiten nicht durchsetzen.
Beispiele: a) [? ] des Käufers aus § 433 Abs. 2 BGB, den Kaufgegenstand abzunehmen. b) [? ] des Käufers nach § 377 HGB, dem Verkäufer etwaige Mängel unverzüglich anzuzeigen, wenn die Gewährleistungsrechte bestehen bleiben sollen. c) [? ] des Aufsichtspflichtigen aus § 832 Abs. 1 BGB zum Ersatz des Schadens, den ein unzureichend beaufsichtigter Minderjähriger verursacht. d) [? ] des Inhabers eines Schadensersatzanspruches gemäß § 254 Abs. 2 BGB, seinen Schaden zu mindern, soweit ihm das möglich und zumutbar ist.
2. Unvollkommene Verbindlichkeiten • Manche Schuldverhältnisse iw. S. begründen nur sogenannte Naturalobligationen • Der Gläubiger kann seinen Anspruch auf Leistung nicht durchsetzen • Wenn der Schuldner aber leistet, kann er die Leistung nicht als ungerechtfertigte Bereicherung nach § 812 I 1 BGB zurückverlangen. • Die Naturalobligationen stellen einen Rechtsgrund für das Behaltendürfen der Leistung dar. Beispiele: Spiel und Wette (§ 762 BGB); Lohn des Ehevermittlers (§ 656 BGB); sittliche Schuld (814 BGB)
3. Unterscheide: Primärpflichten und Sekundärpflichten • Primärpflichten sind der eigentliche, ursprüngliche Inhalt eines Schuldverhältnisses. Beispiel: Pflicht des Vermieters zur Überlassung der gemieteten Wohnung aus § 535 I 1 BGB • Sekundärpflichten entstehen erst bei einer Verletzung einer Primärpflicht. Beispiel: Die gemietete Wohnung weist Schimmelbefall auf oder sie wird zu spät übergeben. Der Mieter hat S. -Ansprüche. • Die neue Pflicht ist Sekundärpflicht des ursprünglichen und zugleich Primärpflicht des neu entstandenen Schuldverhältnisses.
4. Der Inhalt der Primärpflichten: § 241 BGB Pflichten aus dem Schuldverhältnis (1) 1 Kraft des Schuldverhältnisses ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern. 2 Die Leistung kann auch in einem Unterlassen bestehen. (2) Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten.
a. Unterscheide: Leistungspflichten und Schutzpflichten • Leistungspflichten (§ 241 Abs. 1 BGB) sind regelmäßig auf eine Veränderung der Güterlage bzw. des gegenwärtigen Zustands gerichtet. Beispiel: Anspruch auf Übergabe und Übereignung des Kaufgegenstands aus § 433 Abs. 1 BGB). • Schutzpflichten (§ 241 Abs. 2 BGB) sind stets auf die Bewahrung der gegenwärtigen Güterlage vor Beeinträchtigungen gerichtet. Beispiel: Pflicht eines Ladeninhabers gegenüber seinen Kunden, Bananenschalen vom Boden zu entfernen.
b. Leistungspflichten i. Unterscheide: Haupt- und Nebenleistungspflichten • Hauptleistungspflichten charakterisieren das Schuldverhältnis; in Vertragsverhältnissen beziehen sich die Hauptleistungspflichten auf die essentialia negotii. Beispiel: Die Pflicht des Käufers zur Kaufpreiszahlung aus § 433 Abs. 2 BGB. • Nebenleistungspflichten sind regelmäßig auf die Hauptleistungspflicht bezogen und haben eine dienende Funktion. Beispiele: Pflicht des Verkäufers zur Verpackung; Pflicht des Käufers zur Abnahme der Kaufsache (§ 433 Abs. 2 BGB).
Verbindlichkeiten Echte Verbindlichkeiten (durchsetzbar) Obliegenheiten Naturalobligationen (unvollkommene Verbindlichkeiten) Primärpflichten Sekundärpflichten Schutzpflichten (§ 241 II BGB) Leistungspflichten (§ 241 I BGB) Hauptleistungspflichten Nebenleistungspflichten (auf die Hauptleistungspflicht bezogen)
ii. Uneinheitlicher Gebrauch des Begriffs der Leistung im BGB: „Leistung“ kann den Leistungserfolg oder die Leistungshandlung meinen Beispiele: a) § 362 Abs. 1 BGB: Das Schuldverhältnis erlischt, wenn die geschuldete Leistung an den Gläubiger bewirkt wird. b) § 242 BGB: Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. c) § 214 Abs. 1 BGB: Nach Eintritt der Verjährung ist der Schuldner berechtigt, die Leistung zu verweigern.
c. Schutzpflichten i. Funktion und Inhalt • Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB schützen das sogenannte Integritätsinteresse des Gegenüber. • Das Schuldverhältnis (i. w. S. ) stellt eine umfassende von Treu und Glauben beherrschte Sonderverbindung dar und erschöpft sich nicht in der Regelung der Leistungspflichten. • Inhalt und Umfang der Schutzpflichten müssen jeweils im Einzelfall bestimmt werden. • Maßstab: Ergänzende Vertragsauslegung (§§ 133, 157 BGB) und Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB)
ii. Entstehung von Schutzpflichten nach § 241 Abs. 2 BGB setzen ein bestehendes Schuldverhältnis voraus: • Einen Vertrag gemäß § 311 Abs. 1 BGB • Ein Schuldverhältnis mit Schutzpflichten ist auch nach § 311 Abs. 2 BGB möglich, durch (1. ) Aufnahme von Vertragsverhandlungen, (2. ) Anbahnung eines Vertrags und (3. ) „ähnliche geschäftliche Kontakte“. • Ein Schuldverhältnis mit Schutzpflichten kann gemäß § 311 Abs. 3 BGB ausnahmsweise auch zu Dritten entstehen.
Beispiele: 1. Die A betritt das Geschäft G, weil sie ein neues Kleid kaufen möchte. Bevor sie aber dazu kommt, rutscht sie auf einer Wasserlache aus, die Reinigungskraft R des G wegzuwischen vergessen hatte, und bricht sich ein Bein. Welche Ansprüche hat A gegen G? Was, wenn die Tochter T der A ausgerutscht ist? 2. H möchte sein Haus neu streichen lassen und beauftragt deshalb den Maler M damit. H und M sind sich darüber einig, dass das Geschäft an der Steuer vorbei erfolgen soll. M nimmt es auch sonst nicht so genau und kleckst ordentlich mit der Farbe auf das Parkett des H. Welche Ansprüche hat H gegen M wegen der Kleckse?
3. H möchte sein neu gestrichenes Haus nun gerne verkaufen. Um es besser anpreisen zu können, beauftragt er den G mit einem Gutachten über den Zustand des Hauses. G guckt sich das Haus einmal flüchtig an und erkennt deshalb nicht, dass viele Wände voller Schimmel sind, der nur notdürftig überstrichen wurde. Mit dem Gutachten des G gelingt es H, den K zum Kauf des Hauses zu 300. 000 € zu überreden. Bald nach dem Einzug entdeckt K allerdings den Schimmel. Welche Rechte hat K nun gegen G?
iii. Problematik der Schutzpflichten wurden entdeckt, um „Lücken“ des Deliktsrechts zu schließen: – Entlastungsmöglichkeit bei der Haftung für Verrichtungsgehilfen gemäß § 831 I 2 BGB. – Kein allgemeiner Vermögensschutz im Rahmen des Deliktsrechts. • Funktional ist der Schutz der Integritätsinteressen aber Aufgabe des Deliktsrechts. • Die Abstimmung der Schutzpflichten des § 241 Abs. 2 BGB mit dem Deliktsrecht ist schwierig (z. B Verjährung, besondere Haftungsmaßstäbe). •
Literaturhinweise: • Binder, Nachsorgende Vertragspflichten? , Ac. P • • • 211 (2011), 587 -625 Bodewig, Vertragliche Pflichten post contractum finitum, Jura 2005, 505 -512 Canaris, Ansprüche wegen positiver Vertragsverletzung und Schutzwirkung für Dritte bei nichtigen Verträgen, JZ 1965, 475 -482 (eine juristische „Entdeckung“; heute kodifiziert) Grigoleit, Leistungspflichten und Schutzpflichten, FS Canaris I, 2007, 275 Hähnchen, Obliegenheiten und Nebenpflichten, 2010 Schulze, Nicht erzwingbare Leistungsforderungen im Zivilrecht, Ju. S 2011, 193 -199
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