PUBERTT WIE FRH IST ZU FRH UND WIE
PUBERTÄT: WIE FRÜH IST ZU FRÜH UND WIE SPÄT ZU SPÄT? PUBERTAS PRAECOX UND PUBERTAS TARDA Dr. Esther M. Nitsche, Lübeck BRIXEN 2017
PUBERTÄT … • … Sexuelle Reifung, charakterisiert durch die Ausbildung sekundärer Geschlechtsmerkmale • … ist, aus Sicht des Jugendlichen eingetreten … wenn die Eltern schwierig werden … • … kommt für die Eltern häufig „zu früh“ BRIXEN 2017
Pubertätsstadien … Bildquelle: Michal Komorniczak, Polen BRIXEN 2017
PUBERTÄT … Für die Diagnostik wichtige Zielorgane der Hormone: Östrogene Brust Hymen Inspektion/Palpation Uterus, Zervix (Fluor) Konfiguration) Sonographie Androgene Uterus (Größe, Knochen – Wachstum / Wachstumsgeschwindigkeit Perzentilen Knochen (Knochenreife) Röntgen Sekundärbehaarung Inspektion/Palpation Akne männl. Genitale Wachstum / Knochen – Wachstumsgeschwindigkeit * Perzentilen Knochen (Knochenreife)* BRIXEN 2017 Röntgen
Pubertätswachstumsschub … BRIXEN 2017
E 2, Testosteron Progesteron Inhibin B Der Pubertätsbeginn / Anspringen des Taktgebers LH, FSH unterliegt vielen Einflüssen E 2, Testosteron Inhibin B Auslöser letztlich Labor: immer nochniedrig, meßbar, FSH>LH Gonadotropine – vor Pubertätsbeginn: Sexualsteroide: Östradiolunklar (E 2), Testosteron, Progesteron (morgens) Inhibin B, Prolaktin SHBG (f. AI), IGF-I, NNR Androgene / TMS-Analyse
DEFINITIONEN Zu früh? Zu spät? Einfach nur Mathematik! BRIXEN 2017
DEFINITIONEN BRIXEN 2017
PUBERTÄT … Für Mädchen ist in Studien belegt: • Das Menarchealter wird stark vererbt (ebenso das Menopausealter) • Repro. Gen Projekt: Identifikation von 32 involvierten Genen* • Die aber nur 7 -12% der Variabilität erklären • Deutliche genetische / ethnische Unterschiede • Erhebliche Unterschiede durch Lebensumstände Auch bei den Jungs ist der Pubertätsbeginn stark vererbt. * K. K. Ong, ESPE 2013 BRIXEN 2017
PUBERTÄT … • Schwarzafrikanische Mädchen in den USA haben ihre Menarche früher, als kaukasische • Skandinavien: Adoptierte Mädchen aus Drittweltländern kommen in früher in die Pubertät, als einheimische Mädchen • In verschiedenen Drittwelt- und Schwellenländern kommen Mädchen aus der Oberschicht früher in die Pubertät, als Mädchen aus den unteren sozialen Schichten • Südeuropäische Mädchen haben ihre Menarche früher, als nordeuropäische, der Unterschied ist aber nur gerade eben signifikant. BRIXEN 2017
PUBERTÄT … • USA 2004: Das Menarchealter korreliert positiv mit dem BMI** • Nach einem langen Plateau ist es vor ca. 17 Jahren in den USA zu einer erneuten Akzeleration gekommen bei zugleich steigendem BMI • 2010 zeichnet sich in Dänemark eine BMIunabhängige Akzeleration ab* • Frankreich: BMI korreliert positiv mit Pubarche, nicht mit Gonadarche*** * Sørensen et al. , Horm Res Paediatr. . 2012; 77(3): 137 -45. doi: 10 ** Mandel et al. J. ped. Endocr. & Metab. 2004, (17): 1507 ff *** Giabicani et al. , PLo. S One, 2013 Jul 30; 8(7): e 70931. doi: 10 BRIXEN 2017
PUBERTÄT …ENDOKRINE DISRUPTOREN? • (Poly-)chlorierten Kohlenwasserstoffe: Fragliche Beeinflussung des Menarchealters bei intrauteriner Exposition* • Isoflavone aus Soja beeinflussen bei früher Exposition Pubertätsbeginn und –verlauf** • ↑Bromierte Bisphenyle in der MM → frühere Thelarche*** * S. Cesario et al. , J. Obstetr. Gynaecol, Neonat. Nurs. 2007 (36) 263 -274 ** J. Barrett et al. Environmental Health Perspectives 2005 (113) A 302 *** R. Wang et al. , Environmental Health Perspectives 2005 (111) 737 -741 BRIXEN 2017
PUBERTÄT, UMWELTSUBSTANZEN … Hormonwirksame Umweltfaktoren … und was ist mit den Jungs? • Beim Menschen? • Kritisches Fenster (masculinization programming window) 8 -12 SSW • ↓ anogenitaler Abstand - vermutet* • ↑ Inzidenz von Maldeszensus testis – vermutet*, ** • ↑ Inzidenz von Hypospadien – vermutet*** • ↓ Spermienzahl – vermutet*** • ↑ Inzidenz Hoden- und Prostatamalignome*** • Feminisierung der Fettverteilung**** – wird diskutiert • Bisher KEIN Anhalt für eine Verschiebung des Pubertätsbeginns * Damgaard et al. Environ Health Perspect. 2006 Jul; 114(7): 1133 -8 ** Koskenniemi et al Environ Health. 2015 Sep 24; 14: 78 *** Skakkebaek Horm Res Paediatr. 2016; 86(4): 240 -246 BRIXEN 2017 **** Christiane Scheffler – 9. Berliner Symposium für Kindergynäkologie 2015
PUBERTÄT, SÄKULARER TREND… 2014: J. P. Bourguignon*: • Die Inzidenz der Pubertas praecox bei Mädchen in den letzten 24 Jahren (1989– 2013) hat sich verdreifacht. • Bei Jungen ist sie tendenziell rückläufig • Die Zunahme betrifft den Grenzbereich zur frühnormalen Pubertät, nicht die ganz jungen Mädchen • Die definitionsgemäß zu früh beginnende Pubertät verläuft langsamer, dadurch akzeleriert das Menarchealter nicht in gleichem Maße * Parent et al Endocr Dev. 2016; 29: 174 -84 BRIXEN 2017
DEFINITIONEN BRIXEN 2017
PUBERTAS PRAECOX …DEFINITION Eine Pubertät ist vorzeitig, wenn sekundäre Geschlechtsmerkmale vor dem • 8. Geburtstag beim Mädchen • 9. Geburtstag beim Jungen auftreten • Pubertäre Teilentwicklung • Pubertas praecox • Isosexuelle Pseudopubertas praecox • Heterosexuelle Pseudopubertas praecox * ME Herrman-Giddens Pediatrics 1997 (99) 505 ff ** PB Kaplowitz Pediatrics 1999 (104) 936 ff BRIXEN 2017
Isolierte prämature Thelarche • „klassische Form“ • „atypisch“ • 1. -2. Lebensjahr • > 2 Jahre • Bildet sich meist zurück • persistiert • Gelegentlich Übergang in echte Pubertas praecox • Kein Übergang in echte Pubertas praecox BRIXEN 2017
Isolierte prämature Pubarche beim Mädchen • Auftreten meist zwischen 4 – 7 J. • keine weiteren Virilisierungs- oder Pubertätszeichen • Knochenreifung normal bis leicht akzeleriert • Im Zweifelsfall Ausschluss einer Pubertas praecox im Gn. RH Test und/oder AGS im ACTH-Test! • Therapie: keine • Risiko für späteres PCOS/metab. Syndrom unabhängig vom BMI BRIXEN 2017
PUBERTAS PRAECOX VERA • Häufigkeit 1: 5. 000 – 1: 10. 000 • Mädchen 3 - 23 x häufiger betroffen, als Jungen • Meist idiopathisch bei Mädchen (69 – 98%) und gelegentlich m. fam. Häufung (25%) • Häufiger hirnorganisch bei Jungen (bis zu 60%) (hypothalamusnahe Tumore, Fehlbildungen, Hydrocephalus, Z. n. Infektionen) • Selten: Unbehandelte Hypothyreose, lang bestehende Pseudopubertas praecox BRIXEN 2017
Pubertas praecox vera • Pubertätszeichen: • • • zu früh, richtige Reihenfolge Wachstumsverlauf • perzentilenschneidendes Wachstum • initial Hochwuchs • langfristig Kleinwuchs • Cave: Psychosoziale Aspekte • SS im Alter von 5 Jahren BRIXEN 2017
PSEUDOPUBERTAS PRAECOX ♀ ♂ Autonome Ovarialzyste AGS Hormonproduzierende Ovarialtumoren Nebennierentumoren, Mc. Cune-Albright Syndrom testikuläre Leydigzell-Tumoren h. CG sezernierende Tumore Testotoxikose Exogene Hormonexposition • Sexualhormon-wirksame Substanzen in Medikamente und Kosmetika (orale Kontrazeptiva, legale und illegale Anabolika, Aknetherapeutika, Lokaltherapeutika gegen Alopezie etc. ) • Synthetische Steroide werden nicht immer in den kommerziellen Assays erfasst • Klinisch eindeutige Zeichen einer Pubertät + supprimierte Gonadotropine + fehlende Messbarkeit von Sexualsteroiden gelten BRIXEN 2017 als beweisend für eine exogene Steroidzufuhr
DEFINITIONEN BRIXEN 2017
PUBERTAS TARDA …DEFINITION • Ausbleiben der Pubertät (B 2, G 2) > 2. 5 SD vom Populationsmittelwert der Altersnorm, d. h. Ø Mädchen > 13. 5 Jahre Ø Jungen > 15 Jahre • Stillstand der einmal begonnenen Pubertätsentwicklung um mehr als 18 Monate • Überschreiten des Zeitbedarfs um 5 Jahre Ø von B 2 bis zur Menarche Ø Von G 2 bis zum Stimmbruch BRIXEN 2017
PUBERTAS TARDA …DEFINITION • • Verzögerte Pubertät Ausbleibende Pubertät Hypogonadotroper Hypogonadismus Hypergonadotroper Hypogonadismus BRIXEN 2017
PUBERTAS TARDA … • Die Pubertas tarda betrifft per definitionem 0, 3 % aller Adoleszenten. • Begleitsymptom vieler chronischer und hormoneller Erkrankungen. • Führendes Symptom bei Störungen der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse. • Bei der Mehrzahl der Jugendlichen besteht keine Krankheit, sondern nur eine Normvariante BRIXEN 2017
Konstitutionelle Verzögerung von Wachstum und Entwicklung (KEV) Diagnostik: • u. U. Ausschluß Wachstumshormonmangel, • Ausschluß anderer Ursachen des hypogonadotropen Hypogonadismus • engmaschige klinische Beobachtung bis zum Abschluß einer normalen Pubertät und Abschluß des Längenwachstums klinisch vom hypogonadotropen Hypogonadismus nicht zu unterscheiden! BRIXEN 2017
Konstitutionelle Verzögerung von Wachstum und Entwicklung (KEV) • Jungen kommen damit häufiger in die Sprechstunde, als Mädchen, Häufigkeit aber vermutlich gleich • Familienanamnese meist (immer? ) positiv für KEV • Wachstumsgeschwindigkeit ist bis zum Zeitpunkt der erwarteten Pubertät normal • Pubertät und Wachstumsschub setzen spät ein • Knochenreifung ist retardiert • Vollständige Reife und normale Erwachsenengröße Normvariante („Spätentwicklertum“) BRIXEN 2017
Transiente Pubertas tarda • • KEV (57 %)* Leistungssport und Unterernährung Drogenmißbrauch (Cannabis) Chronische Erkrankungen (21%)* • Anorexie • Chronische Niereninsuffizienz • Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen • Mukoviscidose (1: 3000!) • Schwere Herzerkrankungen • Asthma bronchiale • Chronische Anämien (z. B. Thalassämie) * Daten aus Erlangen, mit freundlicher Genehmigung von Prof. H. Dörr. BRIXEN 2017
Permanenter hypogonadotroper Hypogonadismus Hypogonadotroper Hypogonadismus (10 %)* • Systemerkrankungen: • Tumore: • Histiozytose • Kraniopharyngeom • Speicherkrankheiten (M. Wilson u. a. ) • Germinom, Prolaktinom • Thalassämie • HVL-Adenom • Erworben: • Perinatale Asphyxie • Schädel-Hirn-Trauma • Radiatio • Genetische Defekte: • Kallmannsyndrom (1: 10. 000 ♂ 1: 50. 000 ♀) • Septooptische Dysplasie • Gn. RH-Rezeptorgendefekt • Gonadotropinrezeptorgendefekt * Daten aus Erlangen, mit freundlicher Genehmigung von Prof. H. Dörr. BRIXEN 2017
Ullrich Turner Syndrom • Häufigkeit ca. 1: 2500 NG ♀ • Ein Geschlechts-Chromosom fehlt oder weist strukturelle Veränderungen auf • Kleinwuchs ist das häufigste und kann bis zur Pubertät das einzige klinische Zeichen sein • Die Gonadotropine steigen bereits in der Kindheit an BRIXEN 2017
Ullrich Turner Syndrom • Therapie: • Wachstumshormon (möglichst früh beginnen) • Pubertätsinduktion mit Östrogenen bei rechtzeitig wachstumshormonbehandelten Kindern beginnend im Alter von 11 – 12 Jahren BRIXEN 2017
Permanenter hypergonadotroper Hypogonadismus Hypergonadotroper Hypogonadismus bei Mädchen(12 %)* • Chromosomenanomalien: - Ullrich Turner Syndrom - XY-Gonaden-Dysgenesie • Sonstige genetische Defekte: - XX-Gonaden-Dysgenesie - Androgenresistenz - Resistant Ovary Syndrome, Gonadotropinrezeptordefekt • Erworbene Störungen: • Z. n. Oophoritis • Autoimmunerkrankungen (prämature Ovarialinsuffizienz) • Z. n. Radiatio des kleinen Beckens • Genetisch-metabolische Defekte: - Galaktosämie (1: 40. 000) * Daten aus Erlangen, mit freundlicher Genehmigung von Prof. H. Dörr. BRIXEN 2017
Permanenter hypergonadotroper Hypogonadismus Hypergonadotroper Hypogonadismus bei • Erworbene Störungen: Jungen (? %)* • Chromosomenanomalien: - Klinefelter Syndrom • Z. n. Orchitis • Z. n. Hodentorsion • Autoimmunerkrankungen (prämature testikul. Insuff. ) • Z. n. Radiatio BRIXEN 2017
ZUSAMMENFASSUNG • Pubertätsbeginn physiologisch - (kaukas. ) Mädchen zwischen 8 und 13, 5 Jahren - (kaukas. ) Jungen zwischen 9 und 15 Jahren • Der säkulare Trend scheint nur die Mädchen zu betreffen, den Pubertätsbeginn mehr, als das Menarchealter • Es bestehen ethnische Unterschiede, die bei Diagnosestellung und Therapieentscheidung berücksichtigt werden müssen BRIXEN 2017
ZUSAMMENFASSUNG • Die Definitionen von Pubertas praecox und tarda sind rein mathematisch • Sie sagen nichts über den Krankheitswert aus! • Normvarianten sind häufig • Die Herausforderung im klinischen Alltag besteht darin, die pathologischen Fälle zu identifizieren und Diagnostik und Therapie zuzuführen. BRIXEN 2017
ZUSAMMENFASSUNG • Pubertas praecox • Prämature Teilentwicklung • Pubertas praecox vera • Pseudopubertas praecox • Pubertas tarda • transient (verzögert) / permanent (ausbleibend) • hypogonadotrop / hypergonadotrop • KEV (Normvariante) häufigste Ursache der transienten Form mit niedrigen Gonadotropinen • Beim UTS sind schon im Kindesalter die Gonadotropine ↑, Kleinwuchs kann bis zum Pubertätsalter das einzige klinische Zeichen sein BRIXEN 2017
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit Fragen? ? ? BRIXEN 2017
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