Psychosoziale Prozessbegleitung Eine besondere Form der nichtrechtlichen Begleitung
Psychosoziale Prozessbegleitung Eine besondere Form der nicht-rechtlichen Begleitung im Strafverfahren für besonders schutzbedürftige Verletzte vor, während und nach der Hauptverhandlung
EU-Opferschutzrichtlinie und 3. Opferrechtsreformgesetz Die Opferschutzrichtlinie 2012/29/EU verpflichtet die Mitgliedstaaten, alle notwendigen Maßnahmen zu ihrer Umsetzung bis zum 16. November 2015 zu ergreifen. Um den Umsetzungsbedarf der EU-Opferschutzrichtlinie zu regeln, wurde am 21. 12. 2015 das Gesetz zur Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren - 3. Opferrechtsreformgesetz - verabschiedet.
Gesetz zur Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren - 3. Opferrechtsreformgesetz • Berücksichtigung der besonderen Schutzbedürftigkeit der verletzten Zeugen • Opferinteressen als durchsetzbaren Anspruch wahren (getrennte/Video Vernehmung, Ausschluss der Öffentlichkeit. . sowohl im Ermittlungsverfahren als auch im gerichtlichen Verfahren) • Umfassende Informationsrechte (z. B. Einstellung/ Ausgang des Verfahrens, Auskunft bzgl. Haftfragen Schutzmaßnahmen der Verletzten, NKV, …) • Information über Rechte außerhalb des Strafverfahrens (OEG oder sonstige Entschädigungsmöglichkeiten)
3. Opferrechtsreformgesetz Die Psychosoziale Prozessbegleitung ist seit 01. 2017 in Kraft getreten. Grundsätze, Qualifikationen und Vergütung sind im „Gesetz über psychosoziale Prozessbegleitung im Strafverfahren“ ausgeführt.
Definition „Opfer“ • Opferschutzrichtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten (2012/29/EU) definiert Opfer als. . . „…eine natürliche Person, die eine körperliche, geistige oder seelische Schädigung oder einen wirtschaftlichen Verlust, der die direkte Folge einer Straftat war, erlitten hat. “ (Art. 2, 1 a 1)
Film „Ihr seid doch die Justiz“
Viktimologie …befasst sich mit: • der Opferwerdung an sich (Viktimisierung), • den Folgen und Auswirkungen einer Viktimisierung für… - …die Betroffenen und - …deren soziales Umfeld, • den individuellen und kollektiven Reaktionen auf das Opferwerden sowie • den Präventionsmöglichkeiten (Haas 2014)
Sekundäre Viktimisierung „…ist eine Opferwerdung, die nicht als direktes Ergebnis der Straftat auftritt, sondern aufgrund der Reaktion von Institutionen oder Individuen gegenüber dem Opfer“ (Council of Europe 2006, zitiert nach Hagemann 2016)
Opferbedürfnisse (Hagemann 2016) • Zurückerlangung von Sicherheit (physisch/psychisch) Kontrolle • (Wieder-)Herstellung der persönlichen Integrität respektvoller Umgang • Anerkennung als Opfer emotionale Unterstützung und nicht reduziert aus „Beweismittel“ • Einbeziehung des Opfers nicht über den Kopf hinweg • Durchsetzung von Opferinteressen und –rechten Opfer wollen gehört werden! • Praktische Hilfe zur Alltagsbewältigung med. /ther. Hilfe; finanz. Unterstützung bei der Regulierung von Schulden, die aus der Straftat resultieren
Opferbedürfnisse Das Bedürfnis nach „Rache“ (bes. Höhe im Strafmaß) ist i. d. R. sekundär. Vielmehr geht es um Gerechtigkeit, Anerkennung und dem Bedürfnis nach „Heilung“. (Hagemann: Healthy Justice, 2016) „…. ich möchte gehört werden…“
Beiordnungen einer PSPB • Grundlage: § 406 g Abs. 3 Satz 1 St. PO i. V. mit § 397 a Abs. 1 Nr. 4 u. 5 St. PO: Rechtsanspruch: - Verletzte/r zur Tatzeit unter 18 Jahren (Nr. 4) - Verletze/r z. Antragstellung unter 18 Jahren (Nr. 5) - Erwachsene/r, welche/r ihre/seine Interessen selbst nicht ausreichend wahrnehmen kann
Katalogtaten gemäß § 397 a Abs. 1 Nr. 4 St. PO: • • Sex. Missbrauch (§§ 174 – 176 b St. GB) Sex. Nötigung/Vergewaltigung (§ 177 St. GB) Sex. Missbrauch Widerstandsunfähiger (§ 179 St. GB) Förderung sex. Handlungen Minderjähriger (§ 180 St. GB) Ausbeutung von Prostituierten (§ 180 a St. GB) Zuhälterei (§ 181 a St. GB) Sex. Missbrauch von Jugendlichen (§ 182 St. GB) Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 St. GB)
Katalogtaten gemäß § 397 a Abs. 1 Nr. 5 St. PO: • • • Aussetzung, § 221 St. GB Schwere Körperverletzung, § 226 St. GB Verstümmelung weiblicher Genitalien, § 226 a St. GB Menschenhandel, Menschenraub, Entziehung Minderjähriger, §§ 232 - 235 St. GB Zwangsheirat, § 237 St. GB Nachstellung, § 238 Abs. 2 und 3 St. GB Erpresserischer Menschenraub, § 239 a St. GB Geiselnahme, § 239 b St. GB Nötigung im besonders schweren Fall, § 240 Abs. 4 St. GB Raub, Erpressung, räuberischer Angriff auf Kraftfahrer, §§ 249, 250, 252, 255, 316 a St. GB
Beiordnungen einer PSPB • Grundlage: § 406 g Abs. 3 Satz 2 St. PO i. V. mit § 397 a Abs. 1 Nr. 1 - 3 St. PO: …. . „wenn die besondere Schutzbedürftigkeit des Verletzten dies erfordert“ (§ 406 g Abs. 3 Ende Satz 2 St. PO) • besondere Schutzbedürftigkeit der/des Verletzten • Ermessensentscheidung (kein gebundener Anspruch) • Schutzbedürftige Angehörige gem. § 395 Abs. 2 Nr. 1 St. PO (z. B. Totschlag/Mord)
Katalogtaten gemäß 397 a Abs. 1 Nr. 1 -3 St. PO: Katalogtaten gemäß § 397 a Abs. 1 Nr. 1 St. PO: • Sexuelle Nötigung/Vergewaltigung, § 177 St. GB • Sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen, § 179 St. GB • Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung, § 232 St. GB • Menschenhandel zur Ausbeutung der Arbeitskraft, § 233 St. GB Katalogtaten gemäß § 397 a Abs. 1 Nr. 2 St. PO: • Versuchter Totschlag/Mord, §§ 211, 212 St. GB
Katalogtaten gemäß § 397 a Abs. 1 Nr. 3 St. PO: • Schwere Körperverletzung, § 226 St. GB • Verstümmelung weiblicher Genitalien, § 226 a St. GB • Menschenraub und Verschleppung, §§ 234, 234 a St. GB • Entziehung Minderjähriger, § 235 St. GB • Nachstellung, § 238 St. GB • Freiheitsberaubung, § 239 St. GB • Erpress. Menschenraub, Geiselnahme §§ 239 a, 239 b St. GB Raub, räub. Angriff auf Kraftfahrer, §§ 249, 250, 252, 316 a St. GB
Grundsätze der Psychosozialen Prozessbegleitung • Neutralität gegenüber dem Strafverfahren • Keine Beeinflussung der Opfer bzw. Beeinträchtigung ihrer Aussage damit eng verbunden ist die Trennung von Beratung und Begleitung • Information der /des Opfer über die Grundsätze und das fehlende Zeugnisverweigerungsrecht der PSPB • Keine rechtliche Beratung und keine Aufklärung des Sachverhalts • Schutz und Wahrung der Integrität der Opfer
Grundsätze der Psychosozialen Prozessbegleitung • Kein Eingreifen in verfahrensrelevante Entscheidungen. Dies ist Aufgabe der Nebenklagevertretung. • Keine Versprechungen gegenüber dem Opfer geben • Keine angstinduzierenden Interventionen und Interaktionen • Wohlwollende Kooperation mit allen Beteiligten am Strafverfahren
Ziele der Psychosozialen Prozessbegleitung • die Stabilisierung der Klientin oder des Klienten • die Vermeidung von sekundärer Viktimisierung • die Minderung möglicher negativer Folgen der Tat • die Stärkung der Aussagetüchtigkeit • die adressatenbezogene Erklärung der Grundlagen des Strafverfahrens
Aufgaben der Psychosozialen Prozessbegleitung • Vermittlung altersangemessener Informationen zum Ablauf des Strafverfahrens und den Rechten und Pflichten • Vermittlung von Bewältigungsstrategien bezüglich Ängsten und Befürchtungen • Austausch über Vorstellungen zu Recht und Strafverfahren • Sicherstellung einer anwaltlichen Vertretung • Kontaktaufnahme mit anderen Verfahrensbeteiligten, wohlwollende Kooperation • Evtl. Suche nach Entlastungsmöglichkeiten für die Eltern/Angehörigen • Begleitung zur Hauptverhandlung • Übersetzung juristischer Abläufe und „Verhaltensweisen“ • Nachbereitung des Urteils, sowie die Weitervermittlung an weiterführende Beratung oder Therapie, wenn dies notwendig ist.
Mehrwert der Psychosozialen Prozessbegleitung für die verletzte Zeugen • Korrektur von Falschvorstellungen über Verfahrensabläufe und Verfahrensbeteiligte • Orientierung in und Verständnis von Abläufen • Wiedererlangung von Selbstkontrolle • Bewältigung einer Leistungsanforderung = positive Bestätigung • Psychische Stabilität • Wahrnehmung der Justiz als Institution, die Belastungen von Opfer ernst nimmt
Mehrwert der Psychosozialen Prozessbegleitung für die Justiz • Stabile und sichere Zeuginnen und Zeugen • Aussagen sind verständlicher und flüssiger • Zeuginnen und Zeugen sind zugewandter und mit den Abläufen vertraut • Höhere Konzentrationsfähigkeit • Weniger Unterbrechungen der Hauptverhandlung • Verwertbare Aussagen
Literatur: • • http: //www. krimz. de/publikationene/bm-online/ Band 7: Elz, Jutta (Hrsg. ): Psychosoziale Prozessbegleitung. Gesetzlicher Anspruch, inhaltliche Anforderungen, praktische Ansätze. 2016. download PDF Fastie, Friesa (Hrsg. ) (2008). Opferschutz im Strafverfahren. Opladen: Barbara Budrich. Neuauflage Oktober 2017 Behrmann, Andrea; Schneider, Uta & Franke, Tara R. (2016). Anna und Jan gehen vor Gericht. Ein Kinderbuch zur Psychosoziale Prozessbegleitung bei Sexualstraftaten. Hrsg. : Violetta e. V. , Verein für sexuell missbrauchte Mädchen und junge Frauen e. V. , Hannover. Bezug: www. violetta-hannover. de EU-Opferschutzrichtlinie, Art. 22 Abs. 3; http: //eur-lex. europa. eu/legalcontent/DE/TXT/PDF/? uri=CELEX: 32012 L 0029&from=DE Istanbul Konvention; https: //www. coe. int/de/web/conventions/full-list//conventions/rms/09000016806 b 076 a Hagemann, Otmar (2016): Die viktimologische Perspektive; erscheint in: Ochmann, Nadine/Schmidt-Semisch, Henning/Temme, Gaby (Hg. ): Healthy Justice – Überlegungen zu einem gesundheitsförderlichen Rechtswesen, Springer Verlag, S. 67101 Hartmann, Jutta (2010) - ado e. V. (Hrsg. ): Perspektiven professioneller Opferhilfe, Wiesbaden: vs-verlag
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