Praktischtheologisches Hauptseminar Religion und Kirche in Zahlen und

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Praktisch-theologisches Hauptseminar Religion und Kirche in Zahlen und Fakten – religionssoziologische Zugänge und Erkenntnisse

Praktisch-theologisches Hauptseminar Religion und Kirche in Zahlen und Fakten – religionssoziologische Zugänge und Erkenntnisse Einführung 30. 10. 2017 Prof. Dr. Uta Pohl-Patalong 1

Die Praktische Theologie auf dem Weg zur empirischen Religionsforschung Erste Phase empirischer Forschung in

Die Praktische Theologie auf dem Weg zur empirischen Religionsforschung Erste Phase empirischer Forschung in der Theologie: Beginn des 20. Jh. Hauptvertreter: • OTTO BAUMGARTNER (1858 -1934), Kiel • PAUL DREWS (1858 -1912), Jena, Gießen, Halle • FRIEDRICH NIEBERGALL (1866 -1932), Heidelberg • Problemstellung: Entfremdung zwischen Kirche und „modernen Menschen“ , enorme Entkirchlichung • Hintergrund: rasante Veränderungen des Lebens nach der Industrialisierung • Kommunikationsproblem zwischen Kirche und Volk: Die Verkündigung der Kirche laufe ins Leere, weil sie sich nicht bewusst sei, an wen sie ihre Inhalte eigentlich richte. • Lösungsvorschlag: genauere Wahrnehmung der Menschen, ihrer Fragen und Themen, ihrer Bedürfnisse. 2

Die Praktische Theologie auf dem Weg zur empirischen Religionsforschung Erste Phase empirischer Forschung in

Die Praktische Theologie auf dem Weg zur empirischen Religionsforschung Erste Phase empirischer Forschung in der Theologie: Beginn des 20. Jh. Paul Drews: Aufgabe der Praktischen Theologie ist es, als „religiöse Volkskunde“ die realen religiösen Formen zu erfassen (Paul Drews: Volkskunde, religiöse, RGG 1, Bd. IV, Tübingen 1913, Sp. 1746 -1754 ) • Otto Baumgarten; Ausbildung der Pfarrer „in der Überwindung. . . einer für alle unterschiedslos gültigen Norm des Denkens und Handelns durch ein stetes Rücksichtnehmen auf die Mannigfaltigkeit der nach Ort, Landschaft und Bevölkerungsgruppen verschiedenen religiösen Nötigungen“ - also unter Wahrnehmung der faktischen (pluralen) Religiositäten (Otto Baumgarten: Art. Praktische Theologie, RGG 1, Bd. IV, Tübingen 1913, Sp. 1725 f. ) • Friedrich Niebergall: Mitbegründer Religionspädagogik: „Vor allem liegt uns daran, die Kinder kennen zu lernen. “ (Friedrich Niebergall, Die Religion der Kinder, Monatsblatt für den evangelischen Religionsunterricht 12 (1919), 57 -64) • Allerdings: Es blieb bei Postulaten, eine empirische Methodik wurde kaum entwickelt 3

Die Praktische Theologie auf dem Weg zur empirischen Religionsforschung Zweite Phase empirischer Forschung in

Die Praktische Theologie auf dem Weg zur empirischen Religionsforschung Zweite Phase empirischer Forschung in der Theologie: 1960 er / 1970 er J. • „Empirische Wende“ als Paradigmenwechsel in der Praktischen Theologie • Neuentdeckung der empirischer Sozialforschung v. a. zur Erforschung kirchlicher und religiöser Praxis (zunächst v. a. kirchlicher Religiosität) • Angestrebt wurde ein „ein neues empirisch-kritisches Verständnis von Theologie“ (Wolfgang Herrmann: Mündigkeit, Vernunft und die Theologie, in: Hans-Erich Hess/Heinz Eduard Tödt (Hg. ): Reform der theologischen Ausbildung II, Stuttgart 1968, 58) • Ziel: Empirische Forschung sollte in eine von historischhermeneutischen Theoriemodellen dominierte Theologie eine kritische Wirklichkeitskontrolle als heilsame Störung einbringen. • Hintergrund: aktuelle Krisen der Kirche, sichtbar v. a. in den Kirchenaustrittswellen. 4

Die Praktische Theologie auf dem Weg zur empirischen Religionsforschung Dritte Phase empirischer Forschung in

Die Praktische Theologie auf dem Weg zur empirischen Religionsforschung Dritte Phase empirischer Forschung in der Theologie: seit den 1990 er J. • Faktor 1: Neues „Krisenbewusstsein“ in Theologie und Kirche Mitgliederkrise – Finanzkrise – Mitarbeiterkrise – Vereinigungskrise – Organisationskrise - Krise des Krisenmanagements - Orientierungskrise (vgl. Huber, Wolfgang, Kirche in der Zeitenwende. Gesellschaftlicher Wandel und Erneuerung der Kirche, Gütersloh 1999, 223 ff. ) Die finanzielle und darauf aufbauend die Mitgliederproblematik wurde jedoch am deutlichsten wahrgenommen Kirche und Theologie interessieren sich stärker für die Mitglieder, ihr Verhältnis zur Kirche und ihre religiösen Orientierungen • Faktor 2: Ablösung der Säkularisierungsthese durch die Pluralisierungsthese Religion wird gesellschaftlich neu interessant • Faktor 3: In allen Wissenschaften gewinnt Empirie an Bedeutung; gleichzeitig wird wissenschaftspolitisch die Nötigung zu interdisziplinärem Arbeiten erhöht. empirisches Arbeiten rückt stärker ins Bewusstsein 5

Die Praktische Theologie auf dem Weg zur empirischen Religionsforschung Heute: Schwerpunkt empirischer (überwiegend qualitativ

Die Praktische Theologie auf dem Weg zur empirischen Religionsforschung Heute: Schwerpunkt empirischer (überwiegend qualitativ orientierter) Forschung in der Praktischen Theologie und noch stärker in der Religionspädagogik Theoriehintergrund: Einlösung des schon lange erhobenen Postulats einer „Praktischen Theologie des Subjekts“ Literatur: Henning Luther: Religion und Alltag. Bausteine zu einer Praktischen Theologie des Subjekts, Stuttgart 1992 Stephanie Klein: Erkenntnis und Methode in der Praktische Theologie, Stuttgart 2005 Erste Arbeiten z. B. zu folgenden Themen: Familienreligiosität (Ulrich Schwab), Alltagsseelsorge (Eberhard Hauschildt), Religiosität von Singlefrauen (Annegret Reese), religiöse Dimensionen von Alltagsgegenständen (Inken Mädler) etc. 6

Theoretische Grundlagen empirischer Religionsforschung Wie hoch der Erkenntnisgewinn empirischer Forschung generell ist, hängt ab

Theoretische Grundlagen empirischer Religionsforschung Wie hoch der Erkenntnisgewinn empirischer Forschung generell ist, hängt ab von diversen Faktoren ► von der Fragestellung / dem Interesse, ► von der Zugänglichkeit des Feldes, ► von der Herangehensweise, ► von der Einbindung der Ergebnisse 7

Theoretische Grundlagen empirischer Religionsforschung Spezifische Probleme empirischer Religionsforschung: 1. Die Ergebnisse beruhen auf Selbstauskünften.

Theoretische Grundlagen empirischer Religionsforschung Spezifische Probleme empirischer Religionsforschung: 1. Die Ergebnisse beruhen auf Selbstauskünften. 2. Die Ergebnisse beruhen auf Momentaufnahmen. 3. Die Ergebnisse beruhen auf „gefühlten“ Fakten. 4. Die Ergebnisse sind extrem von der Formulierung der Fragen abhängig. 5. Die Ergebnisse sind von dem Fragekontext („Kirche“) besonders abhängig 6. Die Ergebnisse sind davon abhängig, was die Forscher*innen unter Religion verstehen – und dies ist extrem heterogen. 8

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Was ist Religion? Substanzielles Verständnis: orientiert sich an den Inhalten von Religion Funktionales Verständnis:

Was ist Religion? Substanzielles Verständnis: orientiert sich an den Inhalten von Religion Funktionales Verständnis: orientiert sich an den Leistungen bzw. Funktionen von Religion Uneinigkeit besteht gegenwärtig darin, wie eng Religion mit Kirche verbunden ist. Beispiel für ein alltagspraktisches Verständnis einer klassisch-engen Verknüpfung: Interviewerin: „Und glaubt ihr, es gibt auch Schüler, oder wisst ihr das, in eurer Klasse, die zu keiner Religion gehören? “ […] Bastian: „Ich glaube, so viele sind gar nicht Christen. Oder aber… die meisten sind halt das von zu Hause aus. Da geht man dann Weihnachten in die Kirche und halt… Und aber, dass die jetzt jeden Sonntag in die Kirche gehen, dass die früh morgens aufstehen und in die Kirche gehen, das ist halt, glaube ich, nicht so. “ (Uta Pohl-Patalong/Stefanie Boll/ Thorsten Dittrich/Antonia Lüdtke/Claudia Richter): Konfessioneller Religionsunterricht in religiöser Vielfalt II. Perspektiven von Schülerinnen und Schülern, Stuttgart 2017, 35. 10

Was ist Religion? Für die empirische Forschung wird häufig das Modell von Charles Glock

Was ist Religion? Für die empirische Forschung wird häufig das Modell von Charles Glock herangezogen, der sechs bzw. fünf (wenn 3. und 4. kombiniert werden) Dimensionen von Religion unterscheidet: 1. Intellekt: Interesse an religiösen Themen und religiöses Wissen 2. Ideologie/Glaube: Für-Wahr-halten, Glaube etwas Göttliches 3. Öffentliche Praxis: Teilnahme an Gottesdiensten, religiösen Ritualen 4. Private Praxis: Gebet, Meditation 5. Erfahrung: Einheits-Erfahrung, religiöse Gefühle 6. Konsequenzen: Alltagsrelevanz der Religion (vgl. Stark, R. / Glock, C. Y. : American Piety. The Nature of Religious Commitment (Patterns of Religious Commitment Vol. 1), Berkeley/Los Angeles 1968). 11

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Beispiele für Fragen des „Religionsmonitors“ • „Wie oft beten oder meditieren Sie? “ •

Beispiele für Fragen des „Religionsmonitors“ • „Wie oft beten oder meditieren Sie? “ • „Wie oft denken Sie über religiöse Themen nach? “ • „Wie oft erleben Sie Situationen, in denen Sie das Gefühl haben, mit allem eins zu sein? “ • „Wie stark stimmen sie folgenden Aussagen zu: „Für mich hat jede Religion einen wahren Kern“ • „Unser Leben wird letzten Endes bestimmt durch die Gesetze der Natur? “ 13

Was schätzen Sie, wie viel Prozent der deutschen Bevölkerung religiös sind? 10% 30% 50%

Was schätzen Sie, wie viel Prozent der deutschen Bevölkerung religiös sind? 10% 30% 50% 70% 90% 14

Was schätzen Sie, wie viel Prozent der deutschen Bevölkerung religiös sind? 70% 15

Was schätzen Sie, wie viel Prozent der deutschen Bevölkerung religiös sind? 70% 15

Religiöse Überzeugungen 56% 49% 46% 33% Daten von: http: //www. kaleidos. de/2013/12/27/kirche-und-religion-2/ 16

Religiöse Überzeugungen 56% 49% 46% 33% Daten von: http: //www. kaleidos. de/2013/12/27/kirche-und-religion-2/ 16

Religiöse Überzeugungen 56% 49% 53% 46% 54% 33% 51% Daten von: http: //www. kaleidos.

Religiöse Überzeugungen 56% 49% 53% 46% 54% 33% 51% Daten von: http: //www. kaleidos. de/2013/12/27/kirche-und-religion-2/ 17

Charme und Schwierigkeiten empirischer Religionsforschung 18

Charme und Schwierigkeiten empirischer Religionsforschung 18

Zwei Grundrichtungen empirischer Forschung 1. Ich möchte Hypothesen prüfen und etwas beweisen. meist „quantitative

Zwei Grundrichtungen empirischer Forschung 1. Ich möchte Hypothesen prüfen und etwas beweisen. meist „quantitative Forschung“ genannt 2. Ich möchte Zusammenhänge verstehen und interpretieren, Hintergründe entdecken meist „quantitative Forschung“ genannt Die Zugänge lassen sich kombinieren, aber nicht vermischen 19

Hypothesengeleitetes Verfahren /quantitativer Zugang • liegt nahe, wenn über den Gegenstand schon viel bekannt

Hypothesengeleitetes Verfahren /quantitativer Zugang • liegt nahe, wenn über den Gegenstand schon viel bekannt ist – d. h. ich weiß, wonach ich genau suche • möchte Belege / Beweise erbringen • beansprucht Repräsentativität • nutzt standardisierte Verfahren, die eindeutige Antworten hervorbringen • reduziert Informationen und interessiert sich nicht für den Einzelfall Beispiel: Für eine Untersuchung zu den Motiven zum Theologiestudium überprüfe ich die Hypothesen Kirchenkontakt, Vorbilder, Religiosität, soziale Orientierung, Aussicht auf einen sicheren Arbeitsplatz etc. 20

Exploratives Verfahren /qualitativer Zugang • wird angewendet, wenn über den Gegenstand noch nicht viel

Exploratives Verfahren /qualitativer Zugang • wird angewendet, wenn über den Gegenstand noch nicht viel bekannt ist, ich also noch keine überprüfbaren Hypothesen habe • hat den Anspruch, innere Zusammenhänge aufzudecken, dient einem tieferen Verständnis des Gegenstands • hat keinen Anspruch auf umfassende Aussagekraft • nutzt nicht-standardisierte Erhebungsverfahren, die nicht unbedingt eindeutige Antworten hervorbringen (z. B. Interviews, Gruppendiskussionen, teilnehmende Beobachtung… ) • wird oft im Vorfeld einer standardisierten Erhebung genutzt • Beispiel: Für eine Untersuchung zu den Motiven zum Theologiestudium erfrage ich die Erwartungen, Hoffnungen und Bedeutungen des Theologiestudiums, ich erhebe die Kirchenbilder und möchte Visionen entdecken. 21

Unterschiedliche Qualitätskriterien der beiden Zugänge „Objektivität“ bedeutet • quantitativ, dass die Durchführung und Interpretation

Unterschiedliche Qualitätskriterien der beiden Zugänge „Objektivität“ bedeutet • quantitativ, dass die Durchführung und Interpretation nicht von den Forschenden beeinflusst werden • qualitativ, dass die Subjektivität transparent und begrenzt wird (z. B. durch Dokumentation, Gruppenverfahren, einheitliche Auswertung) „Reliabilität“ (Zuverlässigkeit) bedeutet • quantitativ, dass bei Wiederholung der Untersuchung mit demselben Verfahren dasselbe Ergebnis herauskommt • qualitativ, dass die Methoden angemessen gewählt werden „Validität“ (Gültigkeit) bedeutet in beiden Fällen • dass die Untersuchung ergibt, was die Fragestellung war, die Verfahren also geeignet sind 22

Der Forschungsprozess 1. Entwicklung der Fragestellung 2. Entwicklung des Forschungsdesigns 3. Entwicklung von Instrumenten

Der Forschungsprozess 1. Entwicklung der Fragestellung 2. Entwicklung des Forschungsdesigns 3. Entwicklung von Instrumenten / Entscheidung über Stichproben 4. Durchführung: Erhebung / Erfassung / Datensicherung 5. Auswertung / Interpretation 6. Sicherung der Ergebnisse, Publikation, Einspeisung in Prozesse 23

Der Forschungsprozess 24

Der Forschungsprozess 24

Der Aufbau des Seminars 1. Entwicklung der Fragestellung 20. 11. Was möchte ich erforschen?

Der Aufbau des Seminars 1. Entwicklung der Fragestellung 20. 11. Was möchte ich erforschen? Themenfindung und Forschungsfrage (Anne Polster) 11. 12. Workshop 1 2. Entwicklung des Forschungsdesigns 27. 11. Wie möchte ich den Gegenstand erforschen? Erhebungsmethoden (Sebastian Hasler) 8. 1. Workshop 2 3. Entwicklung von Instrumenten / Entscheidung über Stichproben 8. 1. und 15. 1. Workshop 2 4. Durchführung: Erhebung / Erfassung / Datensicherung Eigenarbeit 15. -29. 1. 5. Auswertung / Interpretation 4. 12. Wie werte ich die Daten aus? Auswertungsmethoden (Saskia Eisenhardt) 29. 1. Workshop 3 6. Sicherung der Ergebnisse, Publikation, Einspeisung in Prozesse 5. 2. Vorstellung der Projekte und ihrer Ergebnisse 25