Neues Erwachsenenschutzrecht ausgewhlte Aspekte im Heimbereich Oktober 2011
Neues Erwachsenenschutzrecht: ausgewählte Aspekte im Heimbereich Oktober 2011 Peter Mösch Payot, Mlaw LL. M. Prof. (FH) Hochschule Luzern peter. moesch@hslu. ch
Inhalt 1. Was bleibt gleich? 2. Zielsetzung der Revision 3. Relevante Aspekte für Personen im Heim 4. Massnahmen zur Stärkung der Selbstbestimmung und neue gesetzliche Vertretungsrechte für Angehörige 5. Regelung für Urteilsunfähige im Heim 6. Neues Massnahmensystem: Beistandschaften und Fürsorgerische Unterbringung (FU) peter. moesch@hslu. ch 3/3/2021 2
1. Kindes- und Erwachsenenschutzrecht: was bleibt gleich II - Zielsetzung: Schutz bei Schutzbedürftigkeit bzw. spezifischen Schwächezuständen - Anwendung nach Prinzip der Verhältnismässigkeit, Subsidiarität und Komplementarität - Erwachsenenschutzmassnahmen subsidiär - Massnahmen verhältnismässig (Art. 389 n. ZGB) - Massnahmen komplementär zu Hilfsbedarf (Art. 388 n. ZGB) - Grundinhalte der Rechtsstellung Erwachsenen - Mündigkeit und Urteilsfähigkeit = Handlungsfähigkeit - Gewährung eigenständiger Entscheidrechte für urteilsfähige Unmündige und Personen unter Beistandschaft (insb. im Bereich höchstpersönlicher Rechte) - Verwaltungsrechtliches Verfahren peter. moesch@hslu. ch 3/3/2021 3
2. Zielsetzungen der Revision • Stärkung der Selbstbestimmung • Behördliche Massnahmen „massgeschneidert“ • Zeitgerechte Terminologie im Erwachsenenschutz • Besserer Schutz von Urteilsunfähigen in Wohn- und Pflegeeinrichtungen • Fachbehörden als Entscheidinstanzen peter. moesch@hslu. ch 3/3/2021 4
3. Neue Regeln für Personen im Heimbereich: Überblick – Regelung der selbstbestimmten Vorsorge und der Vertretungsbefugnisse (bei urteilsunfähigen Personen) – Vorsorgeauftrag, Art. 374 ff. n. ZGB – medizinische Massnahmen (Art. 377 ff. n. ZGB) – Regelung der Bewegungseinschränkungen in Heimen (Art. 383 ff. n. ZGB, Art. 438 n. ZGB) – für urteilsunfähige Personen (Art. 383 ff. n. ZGB) – für Personen, die fürsorgerisch untergebracht sind („neuer FFE“) – Neues Massnahmensystem und neue Behördenorganisation – Regelung der medizinischen Zwangsmassnahmen und der ambulanten Nachbetreuung für Personen, die fürsorgerisch untergebracht sind bzw. waren (Art. 434 n. ZGB) peter. moesch@hslu. ch 3/3/2021 5
4. Neue Selbstvorsorgemassnahmen und gesetzliche Vertretungsrechte im Überblick – Selbstvorsorgemassnahmen – Vorsorgeauftrag – Patientenverfügung – Ziel: Sichern der vorsorgenden Selbstbestimmung für den Fall der Urteilsunfähigkeit – Gesetzliche Vertretungsrechte – Zielsetzung: Subsidiarität behördlicher Massnahmen peter. moesch@hslu. ch 3/3/2021 6
Im Besonderen: Vorsorgeauftrag I (Art. 360 ff. n. ZGB) - Was? - Gesetzlich geregelter Auftrag einer handlungsfähigen Person - an eine natürliche oder juristische Person - zur Übernahme von Aufgaben - der Personensorge oder/und - der Vermögenssorge oder/und - der Vertretung im Rechtsverkehr - Wie? Eigenhändige, handschriftliche, datierte Erklärung oder öff. Beurkundung; Eintrag Infostar möglich und sinnvoll - Widerruf möglich, so lange Urteilsfähigkeit vorliegend peter. moesch@hslu. ch 3/3/2021 7
Im Besonderen: Vorsorgeauftrag II (Art. 360 ff. n. ZGB) - KESB überprüft bei Urteilsunfähigen - Vorsorgefall, Vorliegen Vorsorgeauftrag, Gültigkeit - Eignung Person, Notwendigkeit allfälliger weitere Mn. - Nichtannahme durch Beauftragten möglich - Einschreiten KESB zum Schutz möglich (Art. 368 n. ZGB) - Kündigung durch Beauftragten möglich (2 Mt. , fristlos bei wichtigen Gründen) - Entschädigung und Spesen - gemäss Vorsorgeauftrag - nach Festlegung KESB - aus Vermögen der auftraggebenden Person - subsidiär möglich für mittellose Personen nach Leistungsvertrag mit KESB peter. moesch@hslu. ch 3/3/2021 8
Im Besonderen: Patientenverfügung (Art. 370 ff. n. ZGB) - Was? - Gesetzlich geregelter Auftrag einer handlungsfähigen Person - über das Entscheidzuständigkeit und/oder den Entscheidinhalt bei medizinischen Massnahmen - für den Fall eigener Urteilsunfähigkeit - Wie? - schriftlich, datiert und unterzeichnet; Vermerk Hinterlegungsort auf Versichertenkarte möglich - Grenzen der Wirksamkeit - widerrechtlich, Willensmängel, mutmasslicher Wille - Sonderregelung bei FU wegen psychischer Erkrankung - Einschreiten KESB zum Schutz möglich (Art. 368 n. ZGB) peter. moesch@hslu. ch 3/3/2021 9
Im Besonderen: Neue gesetzliche Vertretungsrechte – Gesetzliche Vertretungsrechte bei Urteilsunfähigkeit – Ehegattenalltagsvertretung – Sonderregeln für medizinische (insb. somatisch bedingten) Massnahmen und Aufenthalt- und Wohn- und Pflegeeinrichtungen – Vertretungsrechte sind subsidiär zu Vorsorgeauftrag/Patientenverfügung peter. moesch@hslu. ch 3/3/2021 10
Vertretung Ehegatten (Art. 374 n. ZGB) - Für wen? - Ehegatten/eingetr. Partner/in in gemeinsamem Haushalt oder regelmässiger persönlicher Beistand leistend - Was? - Vertretung bei allen Rechtshandlungen, die zur Deckung des Unterhaltsbedarfs üblicherweise erforderlich - ordentliche Verwaltung von Einkommen und Vermögen - wo nötig: Post öffnen und erledigen - Im Zweifel und bei Schutzbedarf: Einschreiten KESB peter. moesch@hslu. ch 3/3/2021 11
Vertretung bei medizinischen Massnahmen: Kaskade 1. In Patientenverfügung/Vorsorgeauftrag genannte Person 2. Beistand mit entsprechendem Vertretungsrecht 3. Ehegatte/eingetr. Partner und gemeinsamer Haushalt oder regelmässigen persönlichen Beistand 4. Person in gemeinsamem Haushalt UND mit regelmässig persönlichem Beistand 5. Nachkommen, wenn sie regelmässig und persönlich Beistand leisten 6. Eltern, wenn sie regelmässig und persönlich Beistand leisten 7. Geschwister, die regelmässig und persönlich Beistand leisten peter. moesch@hslu. ch 3/3/2021 12
5. Schutzmassnahmen für Urteilsunfähige in Alters- und Pflegeheimen peter. moesch@hslu. ch 3/3/2021 13
Insb. Aufenthalt in Wohn- und Pflegeeinrichtungen von Urteilsunfähigen: Betreuungsvertrag • Notwendigkeit Betreuungsvertrag • Inhalt Betreuungsvertrag • Wünsche des Betroffenen bzgl. Leistungen • Stellvertretung von Urteilsunfähigen bzgl. Betreuungsvertrag peter. moesch@hslu. ch 3/3/2021 14
Aufenthalt in Wohn- und Pflegeeinrichtungen von Urteilsunfähigen: Persönlichkeitsschutz und Kontakte • Allgemeine Verpflichtung auf den Persönlichkeitsschutz (Art. 386 n. ZGB) • Konkrete Verpflichtungen (Art. 386 Abs. 1, 2 und 3 n. ZGB) – Förderung von Kontakten zu Personen ausserhalb der Einrichtung – Informationspflicht, wenn sich niemand von extern um Betroffene/n kümmert – Gewähr freier Arztwahl (ausser bei wichtigen Gründen) peter. moesch@hslu. ch 3/3/2021 15
Aufenthalt in Wohn- und Pflegeeinrichtungen von Urteilsunfähigen: Beschränkungen der Bewegungsfreiheit I • Was sind Beschränkungen der Bewegungsfreiheit? • Voraussetzungen der Beschränkung der Bewegungsfreiheit – Verhältnismässigkeit/Notwendigkeit: sachlich/zeitlich – Zulässiges Motiv – Gefahrabwehr Betroffene/Dritter – Schwerwiegende Störung des Gemeinschaftsleben beseitigen peter. moesch@hslu. ch 3/3/2021 16
Aufenthalt in Wohn- und Pflegeeinrichtungen von Urteilsunfähigen: Beschränkungen der Bewegungsfreiheit II • Formelle Voraussetzungen und Regeln – Zuständigkeit: Heim!!! – Aufklärung des Betroffenen – Regelmässige Überprüfung – Protokollierung (Anordnende Person, Zweck, Art, Dauer) – Informations- und Einsichtsrecht (Vertreter bei med. Massnahmen/Aufsicht) – Beschwerderecht bei Erwachsenenschutzbehörde – Aufsicht peter. moesch@hslu. ch 3/3/2021 17
6. Neues Massnahmensystem: Beistandschaften und FU peter. moesch@hslu. ch 3/3/2021 18
Voraussetzungen für Massnahmen – Voraussetzungen personenbezogene Massnahmen: Beistandschaft – Subsidiarität zu eigener Vorsorge und freiwilligen Mn. (Art. 389 n. ZGB) – Schwächezustand und Schutzbedürtigkeit – Belastung und Schutz von Angehörigen und Dritten sind zu berücksichtigen – Von Amtes wegen oder auf Antrag – Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts: Unterbringung peter. moesch@hslu. ch 3/3/2021 19
Schwächezustände als Voraussetzung für Massnahmen (Art. 390 n. ZGB) - Variante psychische Beeinträchtigung - Geistige Behinderung, psychische Störung oder ähnlicher in der Person liegender Schwächezustand - … mit Folge: Person kann eigene Angelegenheiten nicht mehr erledigen - Variante Abwesenheit oder vorübergehende Urteilsunfähigkeit - Abwesenheit oder vorübergehende Urteilsunfähigkeit und - Keine Möglichkeit zur Stellvertretung und - Mit Folge: Erledigung notwendigerweise zu regelnder Angelegenheiten nicht möglich peter. moesch@hslu. ch 3/3/2021 20
Massnahmen im Überblick - Begleitbeistandschaften (Art. 393 n. ZGB) - Vertretungsbeistandschaft (Art. 394 f. n. ZGB) - Mitwirkungsbeistandschaft (Art. 396 n ZGB) - Umfassende Beistandschaft (Art. 398 n. ZGB) - Fürsorgerische Unterbringung (Art. 426 ff. ZGB) peter. moesch@hslu. ch 3/3/2021 21
Personengebundene Massnahmen etwas genauer I - Begleitbeistandschaften (n. Art. 393 ZGB) - für genau umschriebene Angelegenheiten - Hf. Betroffene/r bleibt bestehen, keine Vertretungsmacht - Vorrang von freiwilligen Massnahmen (Sozialhilfe od. private Träger) - Vertretungsbeistandschaft (n. Art. 394 f. ZGB) - für genau umschriebene Angelegenheiten - Hf. Betroffene/r kann beschränkt werden - Lohnverwaltung möglich peter. moesch@hslu. ch 3/3/2021 22
Personengebundene Massnahmen etwas genauer II - Mitwirkungsbeistandschaft (Art. 396 n. ZGB) - für genau umschriebene Angelegenheiten - Geschäfte mit Rechtswirkung nur noch mit Zustimmung gesetzlicher Vertreter - schränkt Handlungsfähigkeit ein - Umfassende Beistandschaft (Art. 398 n. ZGB) - bei „ausgeprägter“ Hilfsbedürftigkeit - wie bei heutiger Entmündigung - Handlungsfähigkeit entfällt - Kombinationsmöglichkeiten der Massnahmen (Art. 398 n. ZGB) peter. moesch@hslu. ch 3/3/2021 23
Personengebundene Massnahmen: Einschätzung - Neues System setzt auf Bestimmung der Aufgaben des Beistandes - genau - Klar umrissen - komplementär zu Schwächesituation - verhältnismässig - Individualisierungsprinzip vs. Praktikabilität - Zu erwarten ist gewisse Typisierung… peter. moesch@hslu. ch 3/3/2021 24
Fürsorgerische Unterbringung (Art. 426 ff. n. ZGB) I - Bestimmung über Aufenthalt der Person: Unterbringung in einer „Einrichtung“ - bei psych. Störungen, geistiger Behinderung oder schwerer Verwahrlosung - Verhältnismässigkeit mit Blick auf Ziel der Personensorge: - „sofern Ziel der Betreuung und Behandlung nicht anders erfolgen kann. - Medizinische Massnahmen nach Behandlungsplan (Art. 433 n. ZGB) als Standardinstrument - Ausdruck ärztl. Aufklärungspflicht - Regelung für Personen nur mit psych. Störung - Zustimmung der urteilsfähigen Person unter FU - Berücksichtigung Patientenverfügung peter. moesch@hslu. ch 3/3/2021 25
Medizinische Massnahmen ohne Zustimmung bei FU (Art. 434/435 n. ZGB) II - durch Chefarzt/Chefärztin bei Personen unter FU med. Massnahmen ohne Zustimmung möglich - Wie? schriftlich mit Rechtsmittelbelehrung - Voraussetzungen: - Bedrohungslage - Ernsthaften Bedrohung Gesundheit oder - Ernsthafte Bedrohung Dritter an körp. Integrität oder Leben Dritter - Urteilsunfähigkeit Betroffener bzgl. Behandlungsbedürftigkeit - Keine weniger einschneidenden Massnahmen möglich. - Akutmassnahmen bei Notfällen ohne Zustimmung möglich peter. moesch@hslu. ch 3/3/2021 26
Bundesrechtliche Vorgaben bzgl. Entscheidbehörde (Art. 440 n. ZGB) - Fachbehörde - Mind. drei Mitglieder - Aufgaben im Kindes- und Erwachsenenschutz - Aufgabenvielfalt - Alle Kindesschutz- und Erwachsenenschutzmassnahmen, inkl. Entziehung elterlicher Sorge - Genehmigung der Sterilisation eines Entmündigten - Fürsorgerische Unterbringung (vorsorgl. FU durch Ärzte, für max. 6 Wochen) - Neue Aufgaben bei Vorsorgeauftrag, Patientenverfügung, Vertretung bei med. Massnahmen, Schutzregeln bei Heimaufenthalt - Ergänzende Aufgabe bzgl. Kindesvertretung bei Regelung persönl. Verkehr, Entzug elterlicher Obhut und Regelung elterlicher Sorge peter. moesch@hslu. ch 3/3/2021 27
Neues Erwachsenenschutzrecht: Reflexion - Was wird wirklich neu? - Fachbehörden - Massschneiderung für Massnahmen - Nutzung Selbstvorsorgeinstrumente fraglich - Was dürften Knackpunkte sein für Alters- und Pflegeheime? - Bestimmung Urteilsfähigkeit (Voraussetzung Schutzregeln - Umgang mit Freiheitsbeschränkungen gegenüber Urteilsfähigen: lückenhafte Regelung‘‘‘ - Management der Angehörigen (gesetzliche Vertretungsrechte) …. peter. moesch@hslu. ch 3/3/2021 28
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