Medienbildung 2 0 Neue Herausforderungen fr Schule und
Medienbildung 2. 0 Neue (? ) Herausforderungen für Schule und Unterricht Überlegungen und Thesen zwischen Programmatik und Pragmatik Prof. Dr. Paul D. Bartsch (LISA Halle / FH Merseburg) Regionaler Schulmedientag | Göttingen | 23. 09. 2010
Überblick 1. Allgemein: Medienbildung als gesellschaftliches Erfordernis – was hat Medienkompetenz mit der Gesellschaft zu tun, in der wir leben (wollen/müssen)? 2. Konkret: Medienbildung als Aufgabe der Schule und des Unterrichts – wie passt das zu aktuellen pädagogischen Diskussionen? 3. Speziell: Medienbildung 2. 0 – welche Konzepte, Entwicklungen und Perspektiven bieten Aussicht auf Nachhaltigkeit und Erfolg?
Überblick 1. Allgemein: Medienbildung als gesellschaftliches Erfordernis – was hat Medienkompetenz mit der Gesellschaft zu tun, in der wir leben (wollen/müssen)? 2. Konkret: Medienbildung als Aufgabe der Schule und des Unterrichts – wie passt das zu aktuellen pädagogischen Diskussionen? 3. Speziell: Medienbildung 2. 0 – welche Konzepte, Entwicklungen und Perspektiven bieten Aussicht auf Nachhaltigkeit und Erfolg?
Medienbildung als gesellschaftliches Erfordernis • Grundannahmen: – Die Welt-Anschauung des (heutigen) Menschen ist eine in hohem Maße medial konstruierte Realität. – Alle modernen Gesellschaftstheoreme berücksichtigen Medienaspekte als grundlegend (z. B. Risikogesellschaft, Informations-/Bildungs-/Wissensgesellschaft, Erlebnisgesellschaft, kindliche Gesellschaft, Inszenierungsgesellschaft…). – Medien/-technologien beeinflussen alle Lebensbereiche (Politik, Ökonomie, Kultur, Bildung…) grundlegend. – Die selbst bestimmte Teilhabe an der Gesellschaft ist nur durch den kompetenten Umgang mit Medien möglich (Einflussnahme durch Medienpartizipation). – Medien prägen und verändern die Begriffe von Wirklichkeit und Wahrheit, von Moral und Ethik. – Für den Erwerb von Wissen und Bildung sowie von Kompetenzen sind Medien unverzichtbar.
Medienbildung als gesellschaftliches Erfordernis Medien prägen nicht nur das Bild, das wir von der Welt besitzen, sondern sie beeinflussen und verändern, konstruieren und konstituieren diese Welt selbst in noch immer zunehmendem Maße! „Die Grenzen meiner Medien sind die Grenzen meiner Welt!“ Mittelalter Medien = Originale Anfänge medialer Kommunikation (visuelle Codes) „natürliche“ Begrenztheit des Lebens- und Erfahrungsraumes Neuzeit Gegenwart Buchdruck Reformation Explosion digitaler Medientechnologien Original Kopie Massenmedium multimediale Codes und erweiterte Interaktivität Erweiterung der kommunikativen Codes physische Mobilität Virtualität Aufhebung räumlicher und zeitlicher Grenzen
Medienbildung als gesellschaftliches Erfordernis Medien prägen nicht nur das Bild, das wir von der Welt besitzen, sondern sie beeinflussen und verändern, konstruieren und konstituieren diese Welt selbst in noch immer zunehmendem Maße! „Die Grenzen meiner Medien sind die Grenzen meiner Welt!“ Mittelalter Neuzeit Gegenwart Anteil direkter, unmittelbarer Erfahrung und Wahrnehmung Schulische Bildung nimmt an Bedeutung zu = Indiz für Zusammenhang von schulischer am Wissen Bildung und Medienentwicklung! Anteil indirekter, medial vermittelter Erfahrung und Wahrnehmung am Wissen
Medienbildung als gesellschaftliches Erfordernis Angesichts der ungeheuren Dynamik, mit der sich Mediensysteme und -technologien entwickeln und sowohl das Leben des Einzelnen als auch die Gesellschaft(en) als Ganzes beeinflussen und verändern, zwei dualistische Thesen: • Der Medienkompetenzbegriff muss sich ständig flexibel anpassen, um diesen Entwicklungen Rechnung zu tragen. – Wie müssen entsprechende Konzepte aussehen? • Der Medienkompetenzbegriff muss sich auf seine Konstanten, auf sein Wesen besinnen, um nicht zum beliebigen Spielball dieser Entwicklungen zu werden! – Wie müssen entsprechende Konzepte aussehen? … unter Berücksichtigung beider Thesen:
Medienbildung als gesellschaftliches Erfordernis • Medienbildungskonzepte müssen also zum einen die Konstanz des Begriffs Medienkompetenz verdeutlichen – Vorläufer: 30 er bis 50 er Jahre (soziologische Wirkungsforschung [Laswell u. a. ] noch ohne pädagogische Relevanz) – Bewahrpädagogische Apologetik, Kulturpessimismus – Eigentlicher Beginn: 70 er Jahre / Dieter Baacke • Bezug auf Medienkritik der 68 er – Medienkritik wird Bestandteil demokratischer Diskurskultur • Medienkompetenz als besondere Qualität der kommunikativen Kompetenz (Habermas) • Dimensionen: Medienkritik, Medienkunde, Mediennutzung und Mediengestaltung • Bezug auf alle gesellschaftlich relevanten Medienarten und -technologien
Medienbildung als gesellschaftliches Erfordernis • Medienbildungskonzepte müssen zum anderen offen auf aktuelle Herausforderungen reagieren – Reaktion auf Entwicklungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts: • die „digitale Revolution“ (das „Ende der GutenbergÄra“) hat zu einer ungeahnten Präsenz und Vielfalt multimedialer und interaktiver Medienangebote geführt ( Lehr- und Lernprozesse!) • die permanente und souveräne Verfügbarkeit von Medien/-technologien ist nie zuvor ähnlich hoch gewesen (gerade für Heranwachsende) • die Kommunikation hat sich weitgehend von Zeitund Raumkonstanten gelöst; die Informations-Flut wird durch einen Kommunikations-Tsunami von Belanglosigkeiten und Banalitäten ergänzt
Medienbildung als gesellschaftliches Erfordernis • Medienbildungskonzepte müssen zum anderen offen auf aktuelle Herausforderungen reagieren • Identität, Persönlichkeit, Privatheit, Intimität… mit neuem Inhalt und neuen Gebrauchsformen • Bedeutungswandel ethischer Begrifflichkeiten (z. B. Freundschaft) und moralischer Kategorien; Exklusionsprozesse, Absinken von Toleranz- und Hemmschwellen, fehlendes Un-/Rechtsbewusstsein • (Vor-)Erfahrungen der Digital Natives verändern die Akzente der Medienbildung (aktive Medienarbeit) • Einstellung zum nachhaltigen Wissen (und damit zum Lernen) verändert sich: alles scheint beliebig (weil immer und überall erreichbar und verfügbar) > akute Frage nach sinnvollem „Bildungskanon“? !
Medienbildung als gesellschaftliches Erfordernis • Medienbildungskonzepte müssen zum anderen offen auf aktuelle Herausforderungen reagieren • Aufkommen bzw. Zunahme von durch Mediennutzung ausgelösten bzw. verstärkten psychosozialen Störungen und pathologischen Befunden (Medizin, Psychologie) • Aktuelle Mediengesellschaft als zunehmende Verschmelzung der Dystopien Überwachungsstaat („ 1984“) und Unterhaltungsterror („Brave New World“) (vgl. Neil Postman) – mit erstaunlicher Akzeptanz einerseits und einem sich zunehmend radikalisierenden Widerstand andererseits > Wie sieht moderne Mediendemokratie aus? > Oder droht die Mediendiktatur? !
Medienbildung als gesellschaftliches Erfordernis • Kultur-/Literaturgeschichte reich an utopischen (bzw. dystopischen) Gesellschaftsentwürfen, die stets aufschlussreiche Bezüge zu den Medien beinhalten:
Medienbildung als gesellschaftliches Erfordernis Zusammenfassung in vier Thesen: – Medienkompetenz zielt stets auf Gesellschaft und die aktive Teilhabe an sämtlichen Lebensbereichen ab. Sie bündelt eine Vielfalt an Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnissen. – Medienkompetenz ist als „Fähigkeit des Subjekts, sich am gesellschaftlichen Diskurs gleichberechtigt zu beteiligen“ (Bernd Schorb) die Voraussetzung, in einer von Medien bestimmten Welt selbst bestimmt, kreativ, kritisch und sozial verantwortlich zu handeln (Gerhard Tulodziecki). – Die Frage, in was für einer Gesellschaft wir leben wollen und werden, ist nicht zu beantworten, ohne die Frage nach einer für dieses Leben unerlässlichen Medienkompetenz zu stellen sowie nach den Möglichkeiten, sie durch Medienbildung zu erwerben. – Medienkompetenz (der Lernenden und Lehrenden) ist eine Grundbedingung für gelingende Bildungsprozesse.
Überblick 1. Allgemein: Medienbildung als gesellschaftliches Erfordernis – was hat Medienkompetenz mit der Gesellschaft zu tun, in der wir leben (wollen)? 2. Konkret: Medienbildung als Aufgabe der Schule und des Unterrichts – wie passt das zu aktuellen pädagogischen Diskussionen? 3. Speziell: Medienbildung 2. 0 – welche Konzepte, Entwicklungen und Perspektiven bieten Aussicht auf Nachhaltigkeit und Erfolg?
Medienbildung in Schule und Unterricht Medienkompetenz (als Gegenstand und Ziel von [Medien-]Bildung) beschreibt (ganz im Sinne des Kompetenzbegriffs nach Weinert) die Summe der anwendungsbereiten Kenntnisse, der motivationalen und volitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten eines Menschen als Qualität, auf die vielfältigen Herausforderungen der Medienwelt angemessen zu reagieren, Medien für die eigene Lebensgestaltung selbstbestimmt zu nutzen sowie auf diese Welt aktiv handelnd Einfluss zu nehmen (also es nicht nur zu können, sondern es auch zu tun). > Wie neu ist eigentlich diese Kompetenzorientierung?
Medienbildung in Schule und Unterricht Kompetenzorientierung … … war bereits in der Altsteinzeit bekannt – siehe Vorlesungen über paläolithische Erziehung von Professor J. Abner Peddiwell (alias Harold R. W. Benjamin) Das Säbelzahn-Curriculum (1938; deutsch 1974 bei Klett): „Der erste große Praktiker und Theoretiker in der Erziehung … war ein Mann aus der Altsteinzeit, dessen vollständiger Name Neuer. Faustkeil-Macher war und den ich einfach Neue Faust nenne. […] Nachdem er ein Erziehungsziel gesetzt hatte, machte Neue Faust sich daran, ein Curriculum zu konstruieren, um auf dieses Ziel hin zu lehren. ‚Was müssen wir Stammesmenschen können, um mit vollem Bauch, warmer Kleidung und ohne Furcht leben zu können? ‘ fragte er sich selbst. “ Drei essenzielle Kompetenzen, abgeleitet aus der Realität (Lebensweltbezug): Fische grabschen / Pferdchen totknüppeln / Säbelzahntiger vertreiben
Medienbildung in Schule und Unterricht • Das Säbelzahn-Curriculum des 21. Jahrhunderts lautet: „Was müssen Schülerinnen und Schüler (am Ende des Schuljahrgangs XY) an anwendungsbereiten Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten erworben haben, um ihre in hohem Maße medial konstruierte Lebensumwelt zu beherrschen (also als medienkompetent zu gelten)? “ • Einstellungen und Verhalten des Menschen als soziales, individuelles, kulturelles, moralisches, ökonomisches und politisches Wesen sind abhängig von Medienkompetenz. • Medienkompetenz ist (wie jede Kompetenz) nicht angeboren, sondern entsteht in Verbindung von Vermittlung, Erwerb und Konstruktion. • Medienbildung führt zum Erwerb von Medienkompetenz durch Lernen mit und über Medien.
Medienbildung in Schule und Unterricht • Lernen mit Medien = überfachliche Kompetenz mit methodischem Bezug (vgl. KMK-Bildungsstandards) … – bezieht sich auf Fähigkeiten vor allem in den Bereichen Information, Kommunikation, Kooperation und Präsentation – ist basale Voraussetzung für den Erwerb weiterer (vor allem fachlicher) Kompetenzen und sollte deshalb in möglichst vielen Fächern entwickelt, angewendet und trainiert werden – darf im Regelfall über das schulische Lernen hinaus als essenziell und lebensnotwendig gelten • Überfachliche Kompetenzen wirken also quasi als Katalysator für die qualitative Verbesserung anderer Kompetenzen! Doch: Wie werden sie erworben? • Medien-(und Methoden-)kompetenz lässt sich gut in einem schulinternen Curriculum planen und darstellen.
Medienbildung in Schule und Unterricht
Medienbildung in Schule und Unterricht Anlegen eines digitalen Herbariums / Animaliums / Naturaliums
Medienbildung in Schule und Unterricht • Die Probleme: – Medienbildung darf nicht auf das Lernen mit Medien reduziert werden (= didaktischer Aspekt), sondern muss das komplexe, systematische Lernen über Medien beinhalten (= inhaltlicher Aspekt). Dies spielt in der aktuellen pädagogischen Diskussion allerdings keine Rolle… – Medienbildung als fachintegratives Prinzip hat Grenzen: - keine ausreichende Verankerung in RRL/Lehrplänen/Standards - keine (für Lehrende und Lernende erkennbare) Systematik - keine Verbindlichkeit, kaum Nachweismöglichkeiten – Das Potenzial der Medienbildung/-kompetenz für die qualitative Schulentwicklung, die Ausprägung von Schulprofilen und die Schulprogrammarbeit wird noch längst nicht ausgeschöpft. – Medienpädagogische Kompetenz wird in der Lehrerausbildung (vor allem der universitären Phase) nur unzureichend vermittelt und in der späteren Qualifizierung selten akzeptiert.
Überblick 1. Allgemein: Medienbildung als gesellschaftliches Erfordernis – was hat Medienkompetenz mit der Gesellschaft zu tun, in der wir leben (wollen)? 2. Konkret: Medienbildung als Aufgabe der Schule und des Unterrichts – wie passt das zu aktuellen pädagogischen Diskussionen? 3. Speziell: Medienbildung 2. 0 – welche Konzepte, Entwicklungen und Perspektiven bieten Aussicht auf Nachhaltigkeit und Erfolg?
Medienbildung 2. 0 • Die Doppel-Lösung: – Ein übergreifender Konsens in Bezug auf kompetenzorientierte schulische Medienbildung (Gesamtkonzept als Orientierung) – Ein modulares schulisches Medienkonzept, das die unterschiedlichen Aspekte und Dimensionen der Medienbildung in Bezug setzt zur konkreten Schule und ihren technologischen, organisatorischen, inhaltlichen und personellen Gegebenheiten: • Medien- und Methoden-Curriculum (als Spiralcurriculum) • Schulinterne Lehrpläne, die fächerverbindende Unterrichtssequenzen mit inhaltlichem Bezug zur Medienwelt aufbereiten • Dynamisches Ausstattungskonzept, das nicht Technologien in den Vordergrund stellt, sondern deren sinnvolle unterrichtliche Nutzung • Qualifizierungs-(Personalentwicklungs-)konzept zum zielgerichteten Erwerb medienpädagogischer Kompetenz durch die Lehrerschaft • Verankerung von Medienaspekten im Schulprogramm • Externe medienpädagogische Beratung und Prozessbegleitung • Kooperation mit Partnern, Kompetenznetzwerke aufbauen
Medienbildung 2. 0 Positionspapier der LKM: „Kompetenzorientiertes Konzept für die schulische Medienbildung“ als Lernen mit und über Medien in 6 Kompetenzbereichen: – – – Information Kommunikation und Kooperation Präsentation Medienproduktion Medienanalyse Leben in der Medienwelt (als PDF im Netz unter: www. laenderkonferenz-medienbildung. de)
www. laenderkonferenz-medienbildung. de Medienbildung 2. 0
Medienbildung 2. 0 Lernen mit und über Medien: Analyse Produktion Kommunikation Über einschlägiges Rechtsbewusst- Präsentation sein verfügen und entsprechend handeln Information Mediengesellschaft
Medienbildung 2. 0 Alle Kompetenzbereiche sind curricular aufgebaut | Beispiel: Mediengesellschaft / Medien in Politik und Gesellschaft Kompetenzerwartungen (10. Schuljahrgang): Die interessengeleitete Setzung, Verbreitung und Dominanz von Themen erkennen und beurteilen Inhalte und Grundwissen aktuelle und historische Beispiele für Agendasetting, investigativen Journalismus und interessengeleitete Medieninszenierungen Medien und ihr Einfluss auf Werte und Normen, auf die öffentliche Meinung und auf die individuelle Anschlusskommunikation journalistische Sorgfaltspflicht und ethische Grundsätze des Journalismus im Gegensatz zu Quotendruck und medialer Effekthascherei Aufgabenbeispiele im konkreten Fachbezug
Medienbildung 2. 0 / Zusammenfassung – – – – – Grundverständnis für Medienkompetenz herstellen und den Mehrwert der Medienbildung verdeutlichen, aufklären, Angst nehmen und Lust wecken (Motivation) die Notwendigkeit konzeptioneller Arbeit kommunizieren Medien und Methoden systemisch verknüpfen (Curricula) kommunikative Prozessbegleitung und -unterstützung suchen: Bestandsaufnahme – Wegbeschrei(b/t)ung – Zielklärung (Medienberatung und Evaluation) Ideenpool für praktische Beispiele entwickeln Fragen der Anerkennung, Leistungsnachweise und Verbindlichkeit klären eigene Kompetenzen durch Fortbildung / Qualifizierung verbessern / Lehrerausbildung modernisieren Einbindung in Schulprogrammentwicklung / Leitbild der Schule Partner suchen, Kompetenznetzwerke fördern Qualitätskriterien für Medien und Medientechnik aufstellen
Medienbildung 2. 0 / Fazit Die Vermittlung einer lebensweltorientierten Medienkompetenz ist eine ebenso spannende und attraktive wie dringliche Aufgabe für die Schule! Denn sonst…
Medienbildung kann Leben retten oder Mangelnde Medienkompetenz gefährdet die Gesundheit!
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