Latein und humanistische Bildung im Barockzeitalter Latein Oberstufe
Latein und humanistische Bildung im Barockzeitalter (Latein, Oberstufe) • Bildungssystem in Spätmittelalter und Früher Neuzeit • Latein als internationale Bildungssprache • Briefkultur von der Antike bis zur Frühen Neuzeit • Ein Gelehrtenbrief des frühen 18. Jahrhunderts (Personen, Text, Transkription, Übersetzungshilfen inkl. Römische Datumsangabe, Übersetzung) • Zum Vergleich: Aufbau eines römischen Briefs • Arbeitsaufträge © Start-Projekt „Monastische Aufklärung“ (www. univie. ac. at/monastische_aufklaerung) Ines Peper
Das Bildungssystem in Spätmittelalter und Früher Neuzeit Klosterschulen, städtische und staatliche Schulen, Privatlehrer Elementarunterricht Religion, Lesen und Schreiben in der Volkssprache, Rechnen, Singen, eventuell Grundkenntnisse des Latein, eventuell etwas Geographie oder Geschichte Höhere Schulen, Gymnasien oder Universitäten („Artistenfakultät“) 7 Artes liberales Trivium: 1. lateinische Grammatik und Lektüre der klassischen Autoren 2. Rhetorik: Stilübungen für lateinische Reden und Briefe (Vorbild: Cicero) 3. Logik Die „freien Künste“, also die in der Antike eines freien Mannes würdigen Kenntnisse. Quadrivium: 1. Arithmetik 2. Geometrie 3. Musik 4. Astronomie und Astrologie Universitäten („Artistenfakultät“) = Grundstudium Philosophie Physik (nach Aristoteles) Metaphysik (philosophische Beschäftigung mit den Grundlagen des Seins) Ethik, Ökonomie, Politik Fachstudium für Theologen, Juristen und Ärzte 3 Fakultäten Abschluss mit Magister- oder Doktortitel 1. Theologie 2. Recht (Kirchenrecht und weltliches Recht) 3. Medizin Tätigkeiten von Gelehrten: Gelehrte wirken an: Universitäten, Schulen, Fürstenhöfen, in Klöstern, Akademien, privat … Gelehrte wirken als: Professor oder Lehrer, Erzieher, Jurist, Arzt, Geistlicher, Bibliothekar, Archivar, politischer Berater, Autor gelehrter Bücher und Zeitschriftenartikel.
Latein als internationale Bildungssprache Alle höhere Bildung basierte im Mittelalter und bis ins 18. Jahrhundert hinein auf der lateinischen Sprache. Die Gelehrten sprachen und schrieben ihre Bücher und Briefe auf Latein. Während im Mittelalter oft eine weiterentwickelte, der Volkssprache angenäherte Form der lateinischen Sprache, das sog. Mittellatein verwendet wurde, bemühten sich die Humanisten (ab 15. Jahrhundert) um einen möglichst klassischen Stil, wobei Cicero das wichtigste Vorbild war. Wer nicht Latein konnte, war von jeder höheren Bildung ausgeschlossen. Der Vorteil von Latein als Bildungssprache bestand darin, dass Gelehrte aus ganz Europa unabhängig von ihrer Muttersprache oder ihrem Dialekt miteinander kommunizieren konnten, und dass auch jahrhundertealte Bücher problemlos zu lesen waren. Allmählich setzten sich jedoch auch in der Wissenschaft und an den Universitäten die Volkssprachen durch. Als Christian Thomasius um 1690 an der deutschen Universität Halle die ersten juristischen Vorlesungen in deutscher Sprache hielt, löste dies noch großen Widerstand aus. Thomasius gab auch eine deutsche wissenschaftliche Zeitschrift, die „Monatsgespräche“ heraus. Die wichtigste wissenschaftliche Zeitschrift dieser Zeit im deutschsprachigen Raum, die „Acta Eruditorum“, erschienen jedoch noch bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts in Latein. In England, Frankreich oder Italien wurden wissenschaftliche Publikationen jedoch bereits im 17. Jahrhundert zunehmend in den Volkssprachen verfasst. Die Funktion einer internationalen Verständigungsbasis übernahmen zunächst die französische und dann die englische Sprache. Aufgabe: Lesen Sie den Text durch und diskutieren Sie Vor- und Nachteile von Latein bzw. Englisch als internationale Sprachen. Welche Wissensgebiete/Möglichkeiten bleiben heute ohne Latein- bzw. Englischkenntnisse verschlossen? (mögliche Argumente: Notwendigkeit internationalen Austauschs, eingeschränkte Ausdrucksfähigkeit in einer Fremdsprache, Ausschluss aller, die Sprache nicht beherrschen, Überlagerung anderer Sprachen durch lateinische/englische Ausdrücke, Zusammenhang zwischen Sprache und kulturellen Einflüssen, Alternative: Dolmetscher, Übersetzer)
Briefkultur von der Antike bis zur Frühen Neuzeit Schreibmittel für antike Briefe - Wachstafeln - Papyrusrollen Brieftransport: Erste geregelte Postsysteme gab es bereits bei den Ägyptern. Im Römischen Reich führte Julius Caesar den cursus publicus ein, der jedoch nicht für private Sendungen zugelassen war. Wachstafel mit Griffel Als Boten für Privatbriefe konnten entweder Sklaven eingesetzt werden, oder die Briefe wurden vertrauenswürdigen Reisenden mitgegeben. Römer beim Lesen einer Papyrusrolle Umschlag eines Briefs aus dem Jahr 1715 Schreibmittel für Briefe in der Frühen Neuzeit: - Papier - Gänsefeder und Tinte - Siegellack, um ein heimliches Öffnen der Briefe zu erschweren und ihre Authentizität zu beweisen Zum Postwesen in der Frühen Neuzeit: Es gab bereits organisierte Postunternehmen mit bestimmten Posttagen und Pferdewechselstationen. Die Postkutsche war auch ein wichtiges Verkehrsmittel. Im Hl. Römischen Reich übernahm die Post der Familie Thurn und Taxis diese Aufgabe. Der diplomatische und militärische Briefverkehr wurde mit berittenen Eilboten abgewickelt. Daneben spielte nach wie vor die private Briefübermittlung eine große Rolle. In Kriegszeiten boten private Reisende oft die einzige Möglichkeit, einen Briefwechsel über die Grenze hinweg aufrecht zu erhalten. Siegellack, Siegelstempel, Siegel Gänsefeder und Tintenglas
Ein Gelehrtenbrief des frühen 18. Jahrhunderts beteiligte Personen: Marcus Tullius Cicero (106– 43 v. Chr. ) römischer Politiker und Schriftsteller. Seine Reden und Briefe wurden bereits in der Antike und neuerlich seit dem Humanismus zum Vorbild lateinischer Rhetorik und Briefkultur. Johann Christoph Bartenstein (1690– 1767) wurde ein wichtiger Berater Kaiser Karls VI. und Maria Theresias. Zu Beginn seiner Karriere half ihm sein gelehrter Freund Bernhard Pez, mit wichtigen Persönlichkeiten am Kaiserhof in Kontakt zu kommen. Bernhard Pez (1683– 1735) und sein Bruder Hieronymus Pez (1685– 1762) zählen zu den Begründern der wissenschaftlichen Geschichtsforschung in Österreich. Die beiden Benediktinermönche im Stift Melk wechselten Briefe mit Gelehrten in ganz Europa.
Transkription • • Admodum reverendo in Christo patri Hieronymo Petzio Benedictino Mellicensi salutem plurimam dicit Johannes Christophorus Bartenstein. […] Gratulor tibi, vir doctissime, de abdicato recipiendorum hospitum onere (1) verius quam munere. Miror Mellicii eiusmodi curas illis transcribi, qui longe felicius tempus omne Musis impenderent. Parisiis immunes ab hisce et similibus spartis illi, quos natos in decus et incrementum literariae reipublicae constat: quod et de te ferri posse iudicium ego sane nullus dubito, qui lecto Colomanno tuo (2) ex ungue leonem statim agnovi. Si quas ego vero tibi in priore epistola mea ob insignem adeo ingenii tui foetum tribui laudes, cave illas humanitati potius meae quam merito adscribas tuo. Odi ego adulatores amicos quam maxime, et quod in aliis non fero, nollem in me ab amicis iure posse reprehendi. Sed non fert nimirum nec, quas mereris, laudes modestia tua: cui nec ego amplius gravis esse volo. Unum sic habeto, me in te amando colendoque nemini cessurum unquam. Amicum me cultoremque profiteor eorum omnium, qui incrementa literarum promovere pro virili quisque parte conantur. In te vero, vir clarissime, cum egregias animi dotes eruditionemque haud vulgarem merito suspiciam, magis tamen adhuc illum animi tui candorem, quem singula epistolae tuae verba spirant, propensumque erga me ne facie quidem notum animum exosculor atque amplector. Tu et de literis bene mereri perge et me, ut coepisti, amare, certo simul persuasus eum me semper futurum, quem tu esse optabis. Dici non potest, quantum in mea Widowiique (3) mei mente excitavit gaudium inexpectatus clarissimi fratris tui Vindobonam adventus: nec quicquam nunc gaudio nostro deest, nisi quod ille raro admodum nos invisat. Hactenus tamen quotidie eidem colloqui in caesarea bibliotheca licuit. Invitavimus eundem ad Platonicam coenam Gallico more instructam, ubi scilicet ciborum parum aderit, ast maxima egregiae hospitum voluntatis copia iuncta suavissimo perillustris domini Gentilottii (4) consortio. Sed aspernatur omnia Bernhardus tuus: nosque iam non subirascentes modo experitur, sed non minus iratos ac Neptunus olim fuit, cum excitatos ab Aeolo contra Aeneam ventos in sua quemque redire iuberet claustra. Vindictam meditamur ambo sane parem iniuriae, quam Gallicae nostrae coenae ille infert. Rem omnem ad Amphictyonicum iudicium vestrum, id est ad Montefalconium, Massuetum, Nourrium et sexcentos alios heroas vestros (5) deferam: quos ille eo immitiores in ferenda sententia sentiet, quo magis absoluta Origenis expositionis in Psalmos descriptio favorem iudicum mihi conciliare apta erit. Tune vero posthaec Mellicium me invitabis? Ast scito me vel portae proximum pedem domui non illaturum. Ad diem Lunae vel aegrotum peremptorie citamus: ubi non comparebit, tum vero Phlegethonta movebo. Imo potius Vindobona ipsaque Germania quam citissime excedam, ipso insalutato Galliam petiturus. Laudo et perlaudo consilium tuum, vir eximie, de addiscenda Graecae Gallicaeque linguae penitiore notitia. De necessitate Graecae linguae nihil addo, cum illam tibi perspectam satis existimem. Gallica vel eam ob causam eruditus hodie vix ac ne vix quidem caret, quod eximii omnis generis liberi [sic] illo idiomate conscripti magno prodierint numero: quos legisse neminem sane poenitebit. Ego quidem Gallorum institutum non probo libros de dogmatibus fidei, de ritibus veteris ecclesiae, de historia vetere tam sacra quam profana Gallice conscribentium, sed cum nobis integrum non sit Gallos ab hoc instituto abducere, eis nos accommodare habemus necesse. Plura hac vice non addo, cum prae ira in Bernhardum tuum mei vix sim potens: nec manum calamo vel ego vel Widowius meus unquam adiciemus, nisi ille desinat ieiunas nostras coenas contemnere. Vale, vir eruditissime, ac sinceriore nos quam frater tuus prosequere affectu, et si fieri potest, ad nos excurre, ut vel tu fratris nomine συμποσίῳ nostro Platonico intersis. Scribo raptim Vindobonae die VIII. Kal. Decembris MDCCXIV. (6)
Übersetzungshilfen 1. Gastmeisteramt Innerhalb des Klosters übernahmen viele Mönche besondere Aufgaben, in diesem Fall die Betreuung der in einem bedeutenden und reichen Stift wie Melk meist zahlreichen Gäste. 2. „Acta sancti Colomanni regis et martyris“ Unter diesem Titel gab Hieronymus Pez 1713 die von ihm bearbeitete mittelalterliche Lebensbeschreibung des in Melk begrabenen Heiligen Koloman (früher Landespatron von Niederösterreich) heraus. Er hatte Bartenstein Exemplar dieses Buchs geschenkt, der vorliegende Brief ist Bartensteins Dankschreiben. 3. Widow Konrad Widow war ein Freund Studienkollege Bartensteins und ebenfalls mit den Brüdern Pez bekannt. 4. Gentilotti Der Gelehrte Johann Benedikt Gentilotti war der Bibliothekar der kaiserlichen Hofbibliothek und ein gemeinsamer Bekannter Bartensteins und der Brüder Pez. 5. Montefalconium, Massuetum, Nourrium et sexcentos alios heroas vestros Gemeint sind die Mauriner, gelehrte Mitglieder französischen Benediktinerkongregation von St. Maur, die zu dieser Zeit auf Grund ihrer hervorragenden Leistungen auf dem Gebiet der historischen Forschung in ganz Europa berühmt waren. 6. Römische Datumsangabe Das Jahr hat 365 Tage, die Monatslänge ist gleich wie heute. In Schaltjahren wird nach dem 24. Februar ein zusätzlicher Tag eingefügt. Die Tageszählung erfolgt nicht wie heute aufsteigend, sondern vom jeweils nächsten Stichtag rückwärts, wobei der Stichtag mitgezählt wird. Kalendae = der 1. eines Monats Nonae = im März, Mai, Juli und Oktober der 7. , sonst der 5. eines Monats Idus = im März, Mai, Juli und Oktober der 15. , sonst der 13. eines Monats Im Hinblick auf den Vortag eines (Stich-)Tages spricht man von pridie. XVI. Kalendas Februarii MDCCIII = 17. Jänner (!) 1703 pridie Idus Julii MDCXCVIII = 14. Juli 1698
Übersetzung • • • Dem wohlehrwürdigen Pater in Christus Hieronymus Pez, Benediktiner von Melk, spricht Johann Christoph Bartenstein seinen vielfachen Gruß aus. […] Ich gratuliere Dir, hochgelehrter Mann, zur Niederlegung des Amtes oder vielmehr der Last eines Gastmeisters. Ich wundere mich, dass in Melk solche Pflichten denen übertragen werden, die weitaus glücklicher alle Zeit auf die Musen verwenden würden. In Paris sind diejenigen frei von diesen und ähnlichen Diensten, von denen feststeht, dass sie zum Schmuck und zum Fortschritt der Gelehrtenwelt geboren sind; dass dieses Urteil auch über Dich gefällt werden kann, darüber freilich habe ich keinen Zweifel, der ich, nachdem ich Deinen „Koloman“ (2) gelesen hatte, an der Klaue den Löwen erkannt habe. Wenn ich Dir aber in meinem vorangegangenen Brief wegen des so bedeutenden Kindes Deines Geistes Lobreden gezollt, dann hüte Dich, diese mehr meiner Freundlichkeit als Deinem Verdienst zuzuschreiben. Ich hasse schmeichlerische Freunde auf das Äußerste, und was ich nicht an anderen ertrage, das möchte ich nicht, dass an mir von Freunden mit Recht getadelt werden kann. Doch erträgt freilich Deine Bescheidenheit nicht einmal die Lobreden, die Du verdienst: Auch ich will ihr nicht weiter beschwerlich sein. Eines nimm so an, dass ich niemandem je darin nachstehen werde, Dich zu lieben und zu verehren. Ich bekenne mich als Freund Verehrer all derer, die den Fortschritt der Studien zu befördern versuchen, ein jeder so viel ihm zufällt. Wenn ich in Dir aber, hochberühmter Mann, zu Recht hervorragende Gaben des Geistes und eine außergewöhnliche Bildung vermute, küsse und umarme ich freilich noch mehr jene Aufrichtigkeit Deines Geistes, die alle einzelnen Worte Deines Briefes atmen, und den mir – nicht einmal vom Sehen Bekannten – gewogenen Sinn. Du fahre sowohl darin fort, Dich weiter um die Gelehrsamkeit verdient zu machen, als auch darin, mich, wie Du es angefangen hast, zu lieben, [und sei] zugleich fest überzeugt, dass ich immer der sein werde, der Du willst, dass ich bin. Es kann nicht gesagt werden, welch große Freude in meinem und in meines Widow Sinn die unerwartete Ankunft Deines hochberühmten Bruders (Bernhard Pez) in Wien erregt hat: und nichts fehlt nun unserer Freude, außer dass er uns sehr selten besucht. Dennoch war es bislang täglich möglich, mit ihm in der Kaiserlichen Bibliothek zu sprechen. Wir haben ihn zu einem nach französischer Art eingerichteten platonischen Abendessen eingeladen, wo es also wenig an Speisen gibt, dafür aber eine große Menge guten Willen der Gastgeber, verbunden mit der überaus angenehmen Gesellschaft des hochberühmten Herrn Gentilotti. Doch verschmäht Dein Bernhard alles: und er erlebt uns nicht nur ein bißchen ärgerlich, sondern nicht weniger erzürnt, als Neptun einst war, als er den von Äolos gegen Äneas aufgebrachten Winden befahl, in ihre jeweiligen Käfige zurückzugehen. Beide überlegen wir eine Strafe, die dem Unrecht angemessen ist, das jener unserem französischen Abendessen antut. Ich zeige die ganze Sache Eurem amphiktyonischen Gericht an, also dem Montfaucon, Massuet, Nourry und 600 anderen Eurer Heroen: welche jener umso ungnädiger in ihrem Urteil spüren wird, als die fertig gestellte Abschrift von des Origenes Erläuterung zu den Psalmen geeignet sein wird, mir die Gunst der Richter zu verschaffen. Willst vielleicht Du mich später nach Melk einladen? Aber wisse, dass ich auch nahe der Tür den Fuß nicht ins Haus setzen werde. Für Montag werden wir ihn, selbst wenn er krank ist, endgültig [hierher] zitieren: wenn er nicht erscheint, dann werde ich freilich den Phlegethon bewegen. Ich werde sogar eher Wien und Deutschland selbst so schnell wie möglich verlassen und, ohne ihn gegrüßt zu haben, nach Frankreich abreisen. Ich lobe – und lobe sehr – Deinen Entschluss, herausragender Mann, eine solidere Grundlage der griechischen und französischen Sprache zu erlernen. Über die Notwendigkeit der griechischen Sprache füge ich nichts hinzu, da ich glaube, dass diese Dir hinreichend einsichtig ist. Die französische kann heute schon aus dem Grund ein Gelehrter kaum oder gar nicht entbehren, weil beste Bücher jeder Art in dieser Sprache verfasst in großer Zahl erscheinen: diese gelesen zu haben wird durchaus niemanden reuen. Ich freilich schätze die Gepflogenheit der Franzosen nicht, dass sie Bücher über die Glaubensdogmen, die Riten der Alten Kirche, die alte Kirchen- und Profangeschichte auf Französisch schreiben, doch da es für uns nicht möglich ist, die Franzosen von dieser Gepflogenheit abzubringen, müssen wir uns ihnen anpassen. Mehr füge ich dieses Mal nicht hinzu, da ich vor lauter Zorn auf Deinen Bernhard meiner selbst kaum Herr bin: und weder ich noch mein Widow wird jemals wieder die Hand zur Feder führen, wenn jener nicht aufhört, unsere Fasten-Abendessen zu verachten. Leb wohl, hochgelehrter Mann, begleite uns mit einem ehrlicheren Wohlwollen als Dein Bruder und, wenn es geht, komm zu uns, damit wenigstens Du an Stelle Deines Bruders unserem platonischen Symposion beiwohnst. Ich schreibe eilig in Wien am 24. November 1714.
Zum Vergleich: Aufbau eines römischen Briefes Briefe Ciceros in einer Leipziger Ausgabe von 1713: Einband, Frontispiz und Titelblatt Ciceros Briefe und Werke wurden in der Frühen Neuzeit immer wieder nachgedruckt und in den Schulen für den Rhetorikunterricht verwendet. Briefe wie der unten teilweise wiedergegebene (Cic. Att. 1, 18: 11. Kal. Febr. 60 v. Chr. ) waren das Vorbild, das Gelehrte und Gebildete in ganz Europa in ihren eigenen lateinischen Schreiben nachzuahmen versuchten. CICERO ATTICO SAL. Nihil mihi nunc scito tam deesse quam hominem eum, quocum omnia, quae me cura aliqua adficiunt, una communicem, qui me amet, qui sapiat, quicum ego cum loquar, nihil fingam, nihil dissimulem, nihil obtegam. abest enim frater ἀφελέστατος et amantissimus. Metellus non homo sed 'litus atque aer' et 'solitudo mera'. tu autem qui saepissime curam et angorem animi mei sermone et consilio levasti tuo, qui mihi et in publica re socius et in privatis omnibus conscius et omnium meorum sermonum et consiliorum particeps esse soles, ubinam es? ita sum ab omnibus destitutus, ut tantum requietis habeam, quantum cum uxore et filiola et mellito Cicerone consumitur. nam illae ambitiosae nostrae fucosaeque amicitiae sunt in quodam splendore forensi, fructum domesticum non habent. itaque cum bene completa domus est tempore matutino, cum ad forum stipati gregibus amicorum descendimus, reperire ex magna turba neminem possumus, quocum aut iocari libere aut suspirare familiariter possimus. qua re te exspectamus, te desideramus, te iam etiam arcessimus. multa sunt enim, quae me sollicitant anguntque, quae mihi videor auris nactus tuas unius ambulationis sermone exhaurire posse … XI Kal. Febr. Q. Metello L. Afranio coss.
Arbeitsaufträge • Fragen: Wie unterscheidet sich der römische Briefaufbau (Anordnung von Gruß- und Abschiedsformel, Datum) von unserem heutigen? Wie erklären Sie die große sprachliche Ähnlichkeit zwischen den Briefen Ciceros und Bartensteins, die über 1700 Jahre auseinander liegen? Wie lauten das heutige Datum und Ihr Geburtsdatum nach Römischer Datumsangabe? • Internetrecherchen: Welcher europäische Krieg endete in dem Jahr, in dem der Brief verfasst wurde? Welcher Kaiser regierte zu dieser Zeit? (Antwort: Der Spanische Erbfolgekrieg, Kaiser Karl VI. = der Vater Maria Theresias) Auf welche Stelle in welchem berühmten Text römischer Dichtung spielt Bartenstein an, wenn er von Neptuns Zorn über die von Aeolos gesendeten Winde schreibt? (Antwort: Vergil, Aeneis 1, 50 -1, 156) Mit „Platonischem Abendessen“ meinte Bartenstein abendliche Zusammenkünfte nach dem Vorbild der Mauriner, einer französischen Kongregation des Benediktinerordens, die zu dieser Zeit berühmte Historiker hervorbrachte. Auf welches antike Vorbild spielt die Bezeichnung an? Nennen Sie ein griechisches Wort dafür! (Antwort: Das Gastmahl (Symposion, griech. : "Zusammen Trinken") ist ein Dialog des griechischen Philosophen Platon, entstanden um 380 v. Chr. ) Finden Sie eine (Video-)Anleitung für das Versiegeln von Briefen. (mögliche Antwort: www. siegelgravur. de) • Experiment: Schreiben Sie Ihrem Banknachbarn einen kurzen lateinischen Brief mit Gänsefeder und Tinte, versiegeln Sie den Umschlag, überreichen Sie den Brief und helfen Sie nötigenfalls bei der Übersetzung. Zubehör: Gänsefeder, scharfes Messer, Tinte, Umschlag, Feuerzeug, Siegellack, Schlüssel. Anleitung: Die Feder schräg abschneiden, dann ein kleines Stück der Spitze abschneiden und einen kleinen Spalt hinein machen. Für den lateinischen Text am besten vorher ein Konzept verfassen. Für das Siegel den Siegellack mit dem Feuerzeug erhitzen, auf das Kuvert kleben und mit dem Schlüssel ein Muster einprägen.
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