Kronebergs allgemeines Modell des Handelns Seminar Mikrosoziologische Theorien
Kronebergs allgemeines Modell des Handelns Seminar: Mikrosoziologische Theorien 2. 11. 09 Integrative Modelle menschlichen Entscheidens und Handelns Stefanie Bender, Michael Schlickenrieder und Nicole Ernst
Ablauf n n n n Frame-Skripte-Theorie Kritik der FST Allgemeines Modell des Handelns nach Kroneberg Empirische Überprüfung des Modells Überwindung der Kritik der FST Kritik an Kronebergs Modell Fazit Diskussion
Frame-Skript-Theorie n n 1. Grundannahme: Frame-, Skript-, Handlungsselektion 2. Grundannahme: Variable Rationalität der Akteure
Frame-Skript Modell von Esser n n Ausgangspunkt: Thomas Theorem: „Wenn die Menschen Situationen als wirklich definieren, sind sie in ihren Konsequenzen wirklich“ 1. Frage: „Welche Art von Situation liegt vor? “ → Frames 2. Frage: „Welches Verhalten ist in einer Situation angemessen oder sozial erwünscht? “ → Skript 3. Frage: „Was werde ich tun? “ → Handlung
Frames n n = mentale Modelle der Situation Akteure greifen auf mentale Repräsentationen typischer Situationen zurück Aktivierung bestimmter Wissensstrukturen (ggf. auch daran geknüpfte Werte/Emotionen) → Erste Abgrenzung des betrachteten Alternativenraums!
Skripts n n = mentale Modelle innerhalb einer definierten Situation (auch: Verhaltensprogramme, Handlungsschema) Weit gefasster Begriff, der verschiedene Arten von Normen, Konventionen, Routinen oder emotionalen Verhaltensprogramme abdeckt
Kriterien für kognitive Verfügbarkeit und Zugänglichkeit von Frames und Skripts n Verfügbarkeit: n n Abhängigkeit von Sozialisationsprozessen, welche „lebensweltlichen Wissensvorrat“ bilden (Schütz) Zugänglichkeit: n Akteure zeigen sich wechselseitig das Gelten einer bestimmten Situationsdefinition an (Blumer) → Definition der Situation in vielfacher Hinsicht ein Resultat „objektiver“ sozialer Prozesse
Handlungsselektion n n Auswahl der durch Frame- und Skriptselektion vorgewählten Handlungsalternativen → Definition der Situation, Aktivierung des Verhaltensprogramms und Auswahl der Handlung sind nach FST das Ergebnis drei zeitlich aufeinander folgenden Selektionen
Variable Rationalität der Akteure n n Menschen wären nicht lebensfähig, müssten sie jederzeit über die vorliegende Situation, das angemessene Handeln und das auszuführende Handeln reflektieren → Verschiedene Arten der Modusverarbeitung: n n 1. Automatisch-spontan (as) 2. Reflexiv-kalkulierend (rc)
Wann wird welcher Verhaltensmodus gebraucht? n Nach dual-process-Theorien der Sozialpsychologie: n Umso eher as, n n Je zugänglicher das mentale Modell in der Situation Je weniger Situation zur Reflexion Je höher die Reflexionskosten Je geringer der Ertrag einer reflektierten Überlegung der Situation
5 wichtigste Kritikpunkte n 1. 2. 3. 4. 5. In Bezug auf Definition der Situation und der Bestimmung des Informationsverarbeitungsmodus Nur eine Logik der Selektion → unklar, worin sich as und rc unterscheiden Evolutionär unwahrscheinlich Nicht nur Unterscheidung zwischen rc und as, sondern auch Zwischenstufen möglich Bei falscher Situationsdefinition ist Nutzen nicht Null, sondern möglicherweise schon im Minusbereich Modell der Frame-Selektion bezieht sich nur auf Prozesse der Situationsdefinition
Mentale Prozesse der Handlungserklärung
Mentale Prozesse der Handlungserklärung
Frame-Selektion (im as-Modus) n n n Definition der Situation hängt vom Match der kognitiv zugänglichen Frames ab Match = Grad der unmittelbar wahrgenommenen Passung eines Frames mit einer vorliegenden Situation Match eines Frames ist umso höher (multiplikativ) n je stärker der Frame bei einem Akteur mental verankert ist n je stärker für den Akteur die für den Frame signifikanten Objekte in der aktuellen Situation vorliegen n je stärker für den Akteur die Objekte mit dem Frame mental verknüpft sind
Frame-Selektion (im as-Modus) n n Definition der Situation hängt vom Match der kognitiv zugänglichen Frames ab Match = Grad der unmittelbar wahrgenommenen Passung eines Frames mit einer vorliegenden Situation Match eines Frames ist umso höher (multiplikativ) n je stärker der Frame bei einem Akteur mental verankert ist n je stärker für den Akteur die für den Frame signifikanten Objekte in der aktuellen Situation vorliegen n je stärker für den Akteur die Objekte mit dem Frame mental verknüpft sind Veranschaulichung anhand Ehrenkodex n Match des Frames „Ehrkränkung“ ist umso höher n n n je stärker die Ausprägung des Ehrgefühls eines Akteurs ist je stärker der Akteur eine bestimmte Verhaltensweise als Beleidigung interpretiert je eindeutiger für den Akteur das konkrete Verhalten seines Gegenübers dieser bestimmten Verhaltensweise entspricht
Frame-Selektion (im rc-Modus) n Definition der Situation als rationale Entscheidung (SEU-Theorie) n n Akteur wählt bewusst diejenige Definition der Situation, deren subjektiver Erwartungsnutzen maximal ist Veranschaulichung anhand Ehrenkodex n Akteur fragt sich beispielsweise, inwiefern er einen Schaden durch ein Duell erleiden könnte und selegiert dann auf Basis dieser Reflexion diejenige Definition der Situation mit dem grössten SEU-Gewicht
Mentale Prozesse der Handlungserklärung
Skript-Selektion (im as-Modus) n Selektion des Skripts (Programm des Handelns) im Anschluss an eine Definition der Situation ist multiplikativ bestimmt durch n n n die Stärke der mentalen Verankerung des Skripts (generelle Verfügbarkeit des Skripts) die Stärke der mentalen Verknüpfung des Skriptes mit dem vorher selegierten Frame und anderen Merkmalen der Situation bzw. Situationsdefinition (Zugänglichkeit des Skripts) den Grad der Eindeutigkeit, mit welcher der entsprechende Frame vorher selegiert wurde
Skript-Selektion (im as-Modus) n Selektion des Skripts (Programm des Handelns) im Anschluss an eine Definition der Situation ist multiplikativ bestimmt durch n n die Stärke der mentalen Verankerung des Skripts (generelle Verfügbarkeit des Skripts) die Stärke der mentalen Verknüpfung des Skriptes mit dem vorher selegierten Frame und anderen Merkmalen der Situation bzw. Situationsdefinition (Zugänglichkeit des Skripts) den Grad der Eindeutigkeit, mit welcher der entsprechende Frame vorher selegiert wurde Veranschaulichung anhand Ehrenkodex n n Skript des Ehrenkodexes sah in der Regel vor, dass der in seiner Ehre Gekränkte den Kränkenden zum Duell herausfordert Der in seiner Ehre Gekränkte fordert den Kränkenden umso eher zum Duell heraus n je stärker er das Skript bzw. die Norm, mit einer Herausforderung zum Duell zu reagieren, verinnerlicht hat n je stärker er dieses Skript bzw. diese Norm mit dem Frame „Ehrkränkung“ und anderen Merkmalen der Situation bzw. Situationsdefinition mental verbindet n je eindeutiger er die Situation als „Ehrkränkung“ definiert hatte
Skript-Selektion (im rc-Modus) n Akteur wählt bewusst dasjenige Skript, dessen subjektiver Erwartungsnutzen maximal ist (SEU-Theorie)
Mentale Prozesse der Handlungserklärung
Handlungsselektion (im as-Modus) n n Alternative zum in der Phase der Skript-Selektion nahe gelegten Handeln existiert nicht Selektion des Handelns wird multiplikativ bestimmt durch n n n das bereits selegierte Skript den Grad der Regelung einer Handlungswahl durch das bereits vorher selegierte Skript Veranschaulichung anhand Ehrenkodex n Im Falle einer Ehrkränkung erfolgte wohl in den meisten Fällen unmittelbar auf die entsprechende Selektion des Skriptes die Herausforderung zum Duell, da ein automatisch-spontanes Handeln normativ, als Teil des Skripts, vorgeschrieben war
Handlungsselektion (im rc-Modus) n Akteur wählt bewusst diejenige Handlung, deren subjektiver Erwartungsnutzen maximal ist (SEUTheorie)
Mentale Prozesse der Handlungserklärung
Modus-Selektionen (exemplarisch anhand Frame-Selektion) I n n n Modus-Selektion als unbewusster Prozess, der bestimmt, ob ein Akteur über eine bestimmte Angelegenheit reflektiert (rc. Modus) oder nicht (as-Modus) Akteur wird dann über Angemessenheit von verschiedenen Definitionen einer Situation reflektieren, wenn diese Reflexion mehr Nutzen als Kosten einbringt Opportunitätskosten einer falschen Situationsdefinition im as. Modus sind n n die Kosten einer unangemessenen Definition der Situation und der nicht realisierbare Nutzen einer angemessenen Definition der Situation
Modus-Selektionen (exemplarisch anhand Frame-Selektion) II n Akteur wählt umso eher einen elaborierteren Modus der Informationsverarbeitung n n n je wichtiger die bevorstehende Entscheidung ist je weniger eindeutig die Situation ist je günstiger die Reflexionsmöglichkeiten sind je tiefer die Reflexionskosten sind Voraussetzungen für den Verbleib des Akteurs im as-Modus werden bei jeder folgenden Selektion grösser
Empirische Studie n n n Befragung über Bereitschaft zu Ladendiebstahl und Steuerbetrug in Deutschland Getestet wurde, unter welchen Bedingungen ein Verbrechen ausgeübt wird Annahme: n Akteure mit stark internalisierten Normen sehen Verbrechen gar nicht als Option an und wägen somit auch keine Kosten und Nutzen ab
Resultate n n n Je stärker Normen internalisiert werden, umso geringer wirken sich instrumentelle Anreize aus, die Akteure dazu verleiten, ein Verbrechen zu begehen Effekt der internalisierten Normen ist bei Ladendiebstahl grösser Bezug zum Modell: n n Bei stark internalisierten Normen tendieren Akteure den as-Modus zu aktivieren und regelkonform zu handeln Bei schwach internalisierten Normen tendieren Akteure den rc-Modus zu aktivieren und Kosten und Nutzen abzuwägen. Bei Überwiegen des Nutzen wird kriminell gehandelt
Überwindung der Kritikpunkte 1. 2. 3. 4. 5. Nicht mehr nur eine Logik für Definition der Situation. Variable Rationalität für die Handlungserklärung Situationsdefinition berücksichtig sowohl die aktuelle Situationsangemessenheit als auch die allgemeine Zuträglichkeit eines Frames Eine Situation hat mehr als nur zwei Frames und Skripte Negative Sanktionen Übergang von Definition der Situation zum Handeln
Nicht Theorie immanente Kritik n n Unnötige Psychologisierung der Soziologie? Ziel Handlungstheorien der Soziologie ist typischen Handeln zu erklären Soziologische Stopp-Regel Für Kron ist das Modell zu komplex gehalten
Kritik durch Etzrodt n n n MFS Modell mit mehreren Variabeln Somit nicht so einfach empirisch überprüfbar und nicht falsifizierbar Problem „phänomenologisches Alternativmodell“ von Schütz „Wenn zwei verschiedene Theorien die gleichen Phänomene beschrieben können, dann muss wenigstens eine dieser Theorien falsch sein“ Geht auf die zwei deutlichsten Unterschiede der beiden Theorien ein Modus- und Frame-Selektion
Frame-Selektion n Bei Kroneberg werden weder interpretative Assoziationsleistungen noch Nutzenabwägungen ausgeschlossen Bei phänomenologischen Alternativmodell werden Nutzungsabwägungen verboten Nach Etzrodt Modus-Frame-Selektions. Modell tautologisch und somit empirisch nicht überprüfbar
Fazit von Etzrodt n n n Anerkennt Modell als ein erfolgreiches Beschreibungsmodell menschlichen Handelns Äussert Verdacht, das es ein nicht falsifizierbares und tautologisches Modell ist Falsifizierbarkeit allenfalls durch Vergleich mit anderen Modellen möglich
Erwiderung von Kroneberg n n Unterschied in Frame-Selektion besteht nicht Auch die MFS Theorie geht davon aus, dass Akteure rational durch bewusste Selektion die angemessene Situationsdefinition herleiten
Fazit Kroneberg n n Etzrodt gelingt es nicht Verbot auszumachen, welches getestet werden könnte Wichtiger sei zu testen, welche Form des Zusammenwirkens von Einflussfaktoren verboten wird
Fazit n n Das Modell vereinigt mehrere Theorien und Konzepte und versucht damit die Gesamtheit des menschlichen Handelns zu erklären Jedoch wird es durch den Versuch alle Facetten des Handelns zu vereinigen, ein sehr komplexes Modell
Diskussion n Wie gross ist der Nutzen einer solchen übergreifenden Theorie? Wären mehrere spezifische Handlungs- und Entscheidungstheorien, die jeweils nur einen Teilaspekt behandeln, sinnvoller? Werden durch die facettenreichen Erklärungen aller Handlungsalternativen die Vorgänge zu stark psychologisiert? Werden soziale Kontexte teilweise zu stark vernachlässigt? Werden die eingebunden Theorien einer adäquaten Weise eingegliedert?
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