Konversatorium zum Strafrecht BT II Grundkurs IV Vermgensdelikte
Konversatorium zum Strafrecht BT II (Grundkurs IV) – Vermögensdelikte – Dozentin: Dr. iur. Tamina Preuß Zeit und Ort: freitags 8 Uhr c. t. bis 9: 45 Uhr bzw. 10 Uhr s. t. bis 11: 30 Uhr in S 101 (Paradeplatz) Kontakt: tamina. preuss@uni-wuerzburg. de
Konversatorium Strafrecht BT II Ablauf der heutigen Stunde I. Prüfungsschema: Raub, § 249 I St. GB II. Prüfungsschema: Raub mit Todesfolge, § 251 St. GB III. Bearbeitung Fall 4 2 / 46
Konversatorium Strafrecht BT II Raub, § 249 I St. GB Prüfungsschema: Raub, § 249 I St. GB I. Tatbestand 1. Objektiver Tatbestand a. Wegnahme einer fremden beweglichen Sache Hinweis: Hier können sich die von der Prüfung des Diebstahls bekannten Probleme stellen. b. Einsatz qualifizierter Nötigungsmittel aa. Gewalt gegen eine Person • Gewalt = jeder körperlich wirkende Zwang, der nach Vorstellung des Täters dazu bestimmt u. geeignet ist, einen tatsächlich geleisteten o. erwarteten Widerstand zu überwinden o. unmöglich zu machen 3 / 46
Konversatorium Strafrecht BT II Raub, § 249 I St. GB • besonderer Kraftaufwand nicht erforderlich • rein seelische Zwangseinwirkungen nicht ausreichend bb. Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib o. Leben • Drohung = Inaussichtstellen eines Übels (hier gegenwärtige Gefahr für Leib o. Leben), auf das der Täter Einfluss hat o. zu haben vorgibt • ausdrücklich o. konkludent • nach h. M. unerheblich, ob der Täter die Drohung verwirklichen kann o. will, solange der Anschein der Ernstlichkeit entstehen u. sie vom Opfer ernst genommen werden soll (Wittig, in: Beck. OK-St. GB, 30. Aufl. 2016, § 249 Rn. 6) 4 / 46
Konversatorium Strafrecht BT II Raub, § 249 I St. GB • nach h. M. auch unerheblich, ob das Opfer die Drohung ernst nimmt (a. A. hier nur versuchte Drohung, Rengier, Strafrecht BT I, 18. Aufl. 2016, § 7 Rn. 18) • für Leib: Drohung mit einer völlig unerheblichen körperlichen Beeinträchtigung soll nicht ausreichen, Arg. : Gleichstellung mit dem Leben (Wittig, in: Beck. OK-St. GB, 30. Aufl. 2016, § 249 Rn. 6) c. Finalzusammenhang (Wegnahmebezug) • = das Nötigungsmittel muss aus Sicht des Täters gerade der Wegnahme dienen (a. A. Kausalität erforderlich) • Begründung: Wortlaut steht nicht entgegen; besondere Gefährlichkeit des qualifizierte Nötigungsmittel anwendenden Täters 5 / 46
Konversatorium Strafrecht BT II Raub, § 249 I St. GB • Wegnahme muss nicht alleiniger o. bestimmender Zweck sein (Wittig, in: Beck. OK-St. GB, 30. Aufl. 2016, § 249 Rn. 8) Hinweis: Trotz der subjektiven Interpretation dieses Tatbestandsmerkmals ist eine Prüfung im objektiven Tatbestand üblich (Rengier, Strafrecht BT I, 18. Aufl. 2016, § 7 Rn. 30 a). 2. Subjektiver Tatbestand a. Vorsatz b. Zueignungsabsicht c. RW der beabsichtigten Zueignung u. diesbezüglicher Vorsatz Hinweis: Auch hier können sich die von der Prüfung des Diebstahls bekannten Probleme stellen. II. Rechtswidrigkeit und III. Schuld 6 / 46
Konversatorium Strafrecht BT II Raub, § 249 I St. GB IV. Konkurrenzen • § 249 St. GB verdrängt §§ 240, 242, 244 St. GB im Wege der Spezialität • Tateinheit zwischen versuchtem Raub u. §§ 242 ff. St. GB (BGH NJW 1966, 1930; Wittig, in: Beck. OK-St. GB, 34. Aufl. 2017, § 249 Rn. 12) 7 / 46
Konversatorium Strafrecht BT II Raub mit Todesfolge, § 251 St. GB Prüfungsschema: Raub mit Todesfolge, § 251 St. GB I. Tatbestand 1. Grunddelikt 2. Schwere Folge: Tod eines anderen Menschen • sowohl Raubopfer als auch Unbeteiligte (BGH NJW 1992, 2103), Arg. : Umkehrschluss aus § 239 a III St. GB („Tod des Opfers“) • nach h. M. nicht Tatbeteiligte, Arg. : teleologische Reduktion – die Norm schützt nicht auch denjenigen vor Gefahrrealisierung, der für ihre Schaffung mitverantwortlich ist (Kindhäuser, in: NK-St. GB, 4. Aufl. 2013, § 251 Rn. 2) 8 / 46
Konversatorium Strafrecht BT II Raub mit Todesfolge, § 251 St. GB 3. Kausalität („conditio-sine-qua-non“-Formel) 4. Tatbestandsspezifischer Gefahrenzusammenhang (Unmittelbarkeitszusammenhang) • = in der schweren Folge muss sich eine raubspezifische Gefahr realisiert haben • nach h. M. muss sich die spezifische Gefahr der Nötigungshandlung verwirklicht haben (a. A. wegnahmebedingte Todesverursachung ausreichend, vgl. Sander, in: MüKo-St. GB, 2. Aufl. 2012, § 251 Rn. 6) 5. Zumindest Leichtfertigkeit hinsichtlich der schweren Folge 9 / 46
Konversatorium Strafrecht BT II Raub mit Todesfolge, § 251 St. GB • Leichtfertigkeit = der Täter handelt grob achtlos und beachtet nicht, was sich jeder Person in der Rolle des Täters hätte aufdrängen müssen • gesteigerte Form von Fahrlässigkeit • vergleichbar mit der groben Fahrlässigkeit im Zivilrecht • qualifizierte Pflichtwidrigkeit (= besonderes Maß an Sorgfaltswidrigkeit) u. qualifizierte Vorhersehbarkeit (= Eintritt der schweren Folge ist hochgradig wahrscheinlich o. drängt sich auf) 6. Rechtswidrigkeit 7. Schuld • insb. subjektive Leichtfertigkeitselemente 10 / 46
Konversatorium Strafrecht BT II Fall 4: Beutezüge Sportfan A bricht eines späten Abends in das Haus seines Nachbarn und Inhaber eines digitalen Satellitenreceivers O ein, um sich in dessen Wohnzimmer die Live-Übertragung eines US-amerikanischen Sportevents anschauen zu können. Damit A bei seinem Fernsehgenuss nicht gestört wird, schließt er den bereits zu Bett gegangenen O in dessen Schlafzimmer ein. Während einer Spielunterbrechung kommt A die Idee, die Gelegenheit zu nutzen und sich im Haus des O nach Wertgegenständen umzusehen. Nach kurzer Zeit wird A fündig und nimmt eine goldene Armbanduhr an sich. Als das Spiel schließlich zu Ende ist, sperrt er die Schlafzimmertür wieder auf und verlässt das Haus des immer noch schlafenden O. 11 / 46
Konversatorium Strafrecht BT II Fall 4: Beutezüge Ermutigt durch seine erfolgreiche Tat wagt sich A an ein größeres Vorhaben und möchte den Tabakwarenladen des P ausrauben. Für den Fall eines unerwünschten Zusammentreffens mit P nimmt A einen Lippenpflegestift mit, mit dem er gegebenenfalls in seiner Jackentasche eine Ausbeulung formen und dadurch den Eindruck einer geladenen Schusswaffe erwecken möchte. Als A nach den Tageseinnahmen des Tabakwarenladens sucht, wird er tatsächlich von P überrascht. Geistesgegenwärtig ergreift A ein Taschenmesser aus dem Warensortiment des P, hält ihm das Messer mit ausgefahrener Klinge vor und fragt ihn nach dem Aufbewahrungsort der Tageseinnahmen. Der erschrockene P deutet stumm auf eine unverschlossene Schublade. A entnimmt einen größeren Bargeldbetrag, lässt das Messer fallen und flieht. P erleidet infolge der Aufregung einen Herzinfarkt und verstirbt. 12 / 46
Konversatorium Strafrecht BT II Fall 4: Beutezüge Bearbeitervermerk: Wie hat sich A nach dem St. GB strafbar gemacht? Eventuell erforderliche Strafanträge sind gestellt. 13 / 46
Konversatorium Strafrecht BT II Fall 4 Lösung: Tatkomplex 1: Haus des O I. § 249 I St. GB (Einsperren des O) A könnte sich des Raubes gem. § 249 I St. GB strafbar gemacht haben, indem er O in dessen Schlafzimmer einschoss u. später dessen Armbanduhr mitnahm. 1. Tatbestand a. Objektiver Tatbestand • fremde bewegliche Sache (+) goldene Uhr des O • Wegnahme = Bruch fremden und Begründung neuen, nicht notwendigerweise tätereigenen, Gewahrsams – hier (+) durch Ansichnehmen der Uhr 14 / 46
Konversatorium Strafrecht BT II Fall 4 • Einsatz qualifizierter Nötigungsmittel: Gewalt gegen eine Person o. Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib o. Leben • Gewalt = jeder körperlich wirkende Zwang, der nach Vorstellung des Täters dazu bestimmt u. geeignet ist, einen tatsächlich geleisteten o. erwarteten Widerstand zu überwinden o. unmöglich zu machen • P. : Gewalt gegen Sachen: • Gewalt gegen Sachen ist grds. keine Gewalt (z. B. Quälen des Lieblingstieres o. Zerstechen der Autoreifen), Arg. : Wortlaut des § 249 I St. GB („Gewalt gegen eine Person“) im Unterschied zu § 240 St. GB, Analogieverbot nach Art. 103 II GG • aber Gewalt gegen eine Person, wenn sich die unmittelbare Sacheinwirkung zugleich mittelbar gegen eine Person in Form eines körperlich wirkenden Zwangs richtet (z. B. Abstellen der Heizung im Winter, um Mieter zum Auszug zu bewe 15 / 46 gen)
Konversatorium Strafrecht BT II Fall 4 • hier (+) Verschließen der Schlafzimmertür als mittelbare Gewalt gegen O (unerheblich, dass O dies nicht bemerkt, da objektive Zwangswirkung nach h. M. ausreicht, vgl. Sander, in: MüKo-St. GB, 2. Aufl. 2012, § 249 Rn. 14) • Finalzusammenhang (Wegnahmebezug): • = das Nötigungsmittel muss aus Sicht des Täters gerade der Wegnahme dienen • hier (-) A sperrt O ein, um ungestört fernsehen zu können u. nutzt nur die hieraus erwachsene Gelegenheit aus b. Zwischenergebnis (-) 2. Ergebnis (-) II. § 249 I St. GB (Eingesperrtlassen des O) 1. Tatbestand a. Objektiver Tatbestand • Wegnahme einer fremden beweglichen Sache (+) s. o. 16 / 46
Konversatorium Strafrecht BT II Fall 4 • Einsatz qualifizierter Nötigungsmittel: in dem Eingesperrtlassen könnte Gewalt durch Unterlassen liegen: • Rspr. und teilweise Lit. : wenn der Täter als Garant aus Ingerenz die andauernde Wirkung des Nötigungsmittels pflichtwidrig nicht beseitigt, liegt Gewalt durch Unterlassen vor (differenzierend Walter, NSt. Z 2005, 240 [243] – nur, wenn das Täter das Opfer ohne den Entschluss zur Wegnahme befreit hätte), Arg. : • Unterlassen u. Finalität schließen sich nicht aus, da die bereits existierende Gewalt in den Dienst der Wegnahme gestellt wird • allg. Grundsatz, dass nach § 13 I St. GB ein Unterlassen einem Tun gleichsteht (bzgl. § 240 I St. GB ist dies ganz h. M. ) • der Gewaltbegriff verlangt nicht notwendig eine durch Aktivität geprägte Tätigkeit 17 / 46
Konversatorium Strafrecht BT II Fall 4 • e. A. : Gewalt durch aktives Tun, Arg. : anders als etwa bei Niederschlagen des Opfers setzt sich die Gewaltanwendung bis zur Freilassung fort • h. L. : Gewalt durch Unterlassen nicht möglich (Rengier, Strafrecht BT I, 18. Aufl. 2016, § 7 Rn. 31 f. ), Arg. : • Entsprechungsklausel aus § 13 I HS. 2 St. GB nicht erfüllt: wer nur im Bewusstsein wegnimmt, eine Zwangslage beseitigen zu müssen, kann nicht mit dem aktive Gewalt einsetzenden Täter auf eine Stufe gestellt werden • die Unterlassungskonstruktion der Rspr. privilegiert den brutaleren Täter, der sein Opfer niedergeschlagen hat und dessen Bewusstlosigkeit nicht aufheben kann (contra: ausreichende Strafbarkeit durch §§ 211 ff. , 223 ff. St. GB; es liegt in der Natur des unechten Unterlassungsdelikts, dass eine Rettungschance bestehen muss, Walter NSt. Z 2005, 240 [242]) 18 / 46
Konversatorium Strafrecht BT II Fall 4 • Finalzusammenhang nicht erfüllt, da der Widerstand des Opfers bereits gebrochen wurde (contra: es geht darum, ob die Beseitigung der Zwangslage aus Sicht des Täters den Widerstand des Opfers ermöglichen würde, Sander, in: MüKo. St. GB, 2. Aufl. 2012, § 249 Rn. 32) • ratio des § 249 St. GB, dass der Täter sich von seiner Zueignungsabsicht zu Aggressionstaten motivieren lasse • mit der h. L. ist der obj. Tatbestand nicht erfüllt (a. A. vertretbar) b. Zwischenergebnis (-) 2. Ergebnis (-) III. §§ 242 I, 243 I St. GB 1. Tatbestand a. Objektiver Tatbestand (+) 19 / 46
Konversatorium Strafrecht BT II Fall 4 a. Subjektiver Tatbestand (+) 2. Rechtswidrigkeit und 3. Schuld 4. Strafzumessung, § 243 I St. GB a. Einbruchsdiebstahl, § 243 I S. 2 Nr. 1 St. GB • Gebäude = durch Wände u. Dach begrenztes, mit dem Erdboden fest – wenn auch nur durch die eigene Schwere – verbundenes Bauwerk, das den Eintritt von Menschen gestattet und das Unbefugte“ abhalten soll – hier (+) Wohnung des O • einbrechen = gewaltsames Öffnen von Umschließungen, die dem Eintritt in den umschlossenen Raum entgegenstehen – hier (+) laut SV 20 / 46
Konversatorium Strafrecht BT II Fall 4 • zur Ausführung des Diebstahls: Diebstahlsvorsatz muss bereits im Zeitpunkt der Tathandlung bestehen – hier (-) A bricht in die Wohnung nur ein, um Fernsehen zu schauen b. Stehlen durch Ausnutzen der Hilflosigkeit einer anderen Person, § 243 I S. 2 Nr. 6 St. GB („Schmarotzerdiebstahl“) • Hilflosigkeit = wenn das Opfer aus eigener Kraft nicht in der Lage ist, sein Eigentum gegen die durch Wegnahme drohende Gefahr zu schützen • Schlaf: genügt nur, wenn er krankhafte Ursachen hat, Arg. : der erhöhte Unrechtsgehalt der Nr. 6 wird bei Ausnutzung des „gesunden Schlafs“ nicht erreicht (BGH NJW 1990, 2569) 21 / 46
Konversatorium Strafrecht BT II Fall 4 • Eingesperrtsein: es kann sich zwar auch um eine vom Täter aus anderen Gründen herbeigeführte Hilflosigkeit handeln (BGH NSt. Z-RR 2003, 186 [188]), aber anders als die üblichen Fälle von Hilfslosigkeit keine im Zustand des Opfers liegende Ursache (+/-) • ausnutzen = Täter muss in Kenntnis der Umstände seine Tat gerade durch die Ausnutzung der Situation erleichtern wolle (Eser/Bosch, in: Schönke/Schröder, 29. Aufl. 2014, § 243 Rn. 40) – hier (+/-) je nachdem, ob A davon ausgeht, dass gerade das Eingesperrtsein (nicht das Schlafen) des O die Tat erleichtert c. Zwischenergebnis (-) 5. Ergebnis (+) 22 / 46
Konversatorium Strafrecht BT II Fall 4 IV. § 244 I Nr. 3 St. GB 1. Tatbestand • zur Ausführung des Diebstahls (-) s. o. 2. Ergebnis (-) V. § 239 I St. GB 1. Tatbestand a. Objektiver Tatbestand aa. Taugliches Angriffsobjekt • grds. jeder Mensch, der die Fähigkeit hat, seinen Aufenthaltsort nach seinem Willen zu verändern 23 / 46
Konversatorium Strafrecht BT II Fall 4 • P. : O schläft die komplette Zeit u. merkt dementsprechend nicht, dass er eingeschlossen ist: fraglich ist, ob § 239 I St. GB den aktuellen o. den potentiellen Fortbewegungswillen schützt: h. M. Mindermeinung § 239 I St. GB schützt den potentiellen Fortbewegungswillen. Geschützt ist auch derjenige, der sich nicht aktuell fortbewegen will, aber einen aktuellen Fortbewe-gungswillen bilden könnte. Daher ist auch derjenige geschützt, der unwissentlich eingesperrt wurde und dies währenddessen nicht bemerkt. § 239 I St. GB schützt den aktuellen Fortbewegungswillen, sodass Schlafende, Bewusstlose u. unbemerkt Eingesperrte nicht der Freiheit beraubt werden – anders erst, wenn sie erwachen bzw. den Zustand bemerken (vgl. Fischer, St. GB, 63. Aufl. 2016, § 239 Rn. 4 ff. ). 24 / 46
Konversatorium Strafrecht BT II Fall 4 h. M. Mindermeinung Str. innerhalb der h. M. ist der Schutz Schlafender u. Bewusstloser. Teilweise wird angenommen, dass während der Dauer des Schlafs bzw. der Bewusstlosigkeit keine Möglichkeit der Bildung eines Fortbewegungswillens besteht (vgl. Rengier, Strafrecht BT II, 16. Aufl. 2015, § 22 Rn. 5). Argumente: - möglichst umfassender Schutz der Bewegungsfreiheit, als grundrechtlich verankertes Rechtsgut (Art. 2 II S. 2 GG) 25 / 46 - anderenfalls Vollendungszeitpunkt nach vorne verlagert, wofür wg. der Versuchsstrafbarkeit (§ 239 II St. GB) kein Bedürfnis besteht
Konversatorium Strafrecht BT II Fall 4 h. M. Mindermeinung Argumente: - anderenfalls hinge Vollendungsstrafbarkeit von Zufälligkeiten ab - die Formulierung „Gebrauchen [der Freiheit]“ wurde aus TB gestrichen - die h. M. erkennt die Möglichkeit eines tatbestandsausschließenden Einverständnisses an: wäre bereits die Möglichkeit geschützt, Fortbewegungswillen zu bilden, bedeutete dies konsequenterweise, dass es für den TB auf die tatsächliche Willensbetätigung überhaupt nicht mehr ankäme (wäre daher nur auf Einwilligungsebene beachtlich) => dagegen: § 239 St. GB als eigen- - § 240 St. GB als „Spezialfall“ der ständiges Delikt mit eigenen Voraus- Nötigung setzungen (Wieck-Noodt, in: MüKo. St. GB, 2. Aufl. 2012, § 239 Rn. 15) 26 / 46
Konversatorium Strafrecht BT II Fall 4 Hier: hier (+/-) je nachdem, ob man einen potentiellen Fortbewegungswillen bei Schlafenden verneint, da diese ihn nicht jederzeit bilden können oder unter Abstellen auf deren mutmaßlichen Willen bejaht hier (-) Schlafende haben keinen aktuellen Fortbewegungswillen; O ist zwischenzeitlich auch nicht erwacht => Versuch gem. §§ 239 I, II, 22, 23 I St. GB zu prüfen Hinweis: Wie immer ist Wert auf eine konsequente Lösung zu legen. Wer aktuellen Fortbewegungswillen verlangt, muss demnach mit der Versuchsprüfung fortsetzen, ebenso wer bei Schlafenden einen potentiellen Fortbewegungswillen verneint. bb. Tathandlung • einsperren = jemanden durch äußere Vorrichtungen am Verlassen eines Raumes hindern – hier grds. (+) durch Abschließen des Raumes 27 / 46
Konversatorium Strafrecht BT II Fall 4 b. Subjektiver Tatbestand 2. Rechtswidrigkeit und 3. Schuld 4. Ergebnis (+) VI. § 123 I St. GB 1. Tatbestand 2. Rechtswidrigkeit und 3. Schuld 4. Strafantrag, § 123 II St. GB 5. Ergebnis (+) VII. Ergebnis zum 1. TK • Strafbarkeit des A gem. §§ 239 I, 123 I, 52 St. GB; § 242 I St. GB; 53 St. GB: 28 / 46
Konversatorium Strafrecht BT II Fall 4 • Tateinheit von Hausfriedensbruch u. Freiheitsberaubung aufgrund natürlicher Handlungseinheit (vgl. hierzu v. Heintschel-Heinegg, in: Beck. OK-St. GB, 30. Aufl. 2015, § 52 Rn. 31 ff. ) (a. A. vertretbar) • Tatmehrheit mit dem nur gelegentlich des Hausfriedensbruchs begangenen Diebstahl Tatkomplex 2: Tabakwarenladen des P Hinweis: Da vorliegend nicht einmal ein bedingter Tötungsvorsatz ersichtlich ist, mussten die §§ 211, 212 St. GB nicht angesprochen werden. I. § 249 I St. GB 1. Tatbestand a) Objektiver Tatbestand 29 / 46
Konversatorium Strafrecht BT II Fall 4 • fremde bewegliche Sache (+) Bargeld aus der Kasse des P • Wegnahme (+) durch Ansichnehmen des Bargelds • Einsatz qualifizierter Nötigungsmittel (+) konkludente Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib o. Leben durch Vorhalten des Messers • Finalzusammenhang (Wegnahmebezug) (+) aus Sicht des A dient das Vorhalten des Messers unmittelbar der Wegnahme der Tageseinnahmen b) Subjektiver Tatbestand 2. Rechtswidrigkeit und 3. Schuld 4. Ergebnis (+) 30 / 46
Konversatorium Strafrecht BT II Fall 4 II. § 250 I, II St. GB 1. Tatbestand a. Tatbestand des Grunddelikts, § 249 I St. GB (+) b. Tatbestand der Qualifikation aa. Objektiver Tatbestand • Beisichführen eines gefährlichen Werkzeugs, § 250 I Nr. 1 lit. a Var. 2 St. GB: • gefährliches Werkzeug = beweglicher Gegenstand, der eine objektive waffenähnliche Gefährlichkeit aufweist u. dem damit bei objektiver Betrachtung eine Waffenersatzfunktion zukommt Hinweis: Der Werkzeugbegriff des § 250 I Nr. 1 lit. a St. GB ist sehr str. Da alle Ansichten zum gleichen Ergebnis führen, braucht der Streit hier nicht erwähnt werden. 31 / 46
Konversatorium Strafrecht BT II Fall 4 • beisichführen = wenn dem Täter das Werkzeug zu irgendeinem Zeitpunkt zwischen Versuchsbeginn u. Beendigung (a. A. nur bis zur Vollendung) unmittelbar zur Verfügung steht • hier grds. (+) insb. irrelevant, dass A das Messer erst im Laden ergreift Exkurs: ob das gefährliche Werkzeug auch Teil der Beute sein kann: nach h. M. zu bejahen (BGH NSt. Z 2015, 85 mit Anm. Floeth) Arg. : - Gesetzeswortlaut verlangt nicht, dass das Werkzeug während der gesamten Tat vorhanden ist - Zweck, die abstrakte Verwendungsgefahr zu sanktionieren – von den Gegenständen geht kein geringeres Gefahrenpotential aus als von sonstigen vor Ort an sich genommenen Gegenständen - dass der Diebstahl bestimmter Waffen in § 243 I S. 2 Nr. 7 St. GB als Regelbeispiel normiert ist, steht nicht entgegen, da es hier auf die Funktionsfähigkeit der Waffen nicht ankommt 32 / 46
Konversatorium Strafrecht BT II Fall 4 • Beisichführen sonst eines Werkzeugs oder Mittels, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt o. Drohung mit Gewalt zu verhindern o. zu überwinden, § 250 I Nr. 1 lit. b St. GB: durch Mitnahme des Lippenpflegestifts, um den Eindruck einer geladenen Schusswaffe zu erwecken: • sonstiges Werkzeug = alle Gegenstände, die sich in der konkreten Situation objektiv zur Anwendung von Gewalt o. Drohung mit Gewalt eignen, aber objektiv ungefährlich sind 33 / 46
Konversatorium Strafrecht BT II Fall 4 Hinweis: In der Hervorhebung des „Mittels“ ist nur die ausdrückliche Anerkennung von flüssigen o. gasförmigen Werkzeugen zu erblicken (Eser/Bosch, in: Schönke/Schröder, 29. Aufl. 2014, § 244 Rn. 13). • erfasst als Auffangtatbestand auch Scheinwaffen, d. h. Mittel, die objektiv überhaupt nicht geeignet sind, das Angedrohte zuzufügen (z. B. Spielzeugpistolen u. Schusswaffenattrappen), Arg. : Wortlaut; Gesetzesbegründung; der Nötigungswille offenbart bereits eine über § 242 I St. GB hinausgehende verbrecherische Energie (Rengier, Strafrecht BT I, 18. Aufl. 2016, § 4 Rn. 64 ff. ) 34 / 46
Konversatorium Strafrecht BT II Fall 4 • P. : restriktive Auslegung bei Scheinwerkzeugen: ein Gegenstand, der aus der Sicht eines objektiven Betrachters nach seinem äußeren Erscheinungsbild als offensichtlich ungefährlich u. deshalb nicht geeignet erscheint auf den Körper eines anderen in erheblicher Weise einzuwirken, scheidet als Drohungsmittel aus (BGH NSt. Z 1992, 129 – „Labello“-Rspr. ) 35 / 46
Konversatorium Strafrecht BT II Fall 4 • • • Arg. : restriktive Auslegung aufgrund hoher Strafandrohung – Gegenstände, die nicht schon durch ihre äußere Erscheinung den Eindruck einer echten Waffe hervorrufen, aber eine drohende Äußerung zu unterstreichen vermögen, kommen in einer unübersehbaren, die Tatbestandskonturen auflösenden Vielfalt in Betracht Kritik: kein Anhaltspunkt im Wortlaut; es ist das Wesen der Scheinwaffen (nicht eine „Ausnahme“), dass die Drohungswirkung auf einer Täuschung beruht (Fischer, St. GB, 63. Aufl. 2016, § 250 Rn. 11 c) Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen tauglichen Tatmitteln u. offensichtlich ungefährlichen Gegenständen; die offensichtliche Ungefährlichkeit der Gegenstände ist i. d. R. gerade nicht erkennbar (vgl. Jäger, JA 2016, 71 [72]; weiterführend Preuß, HRRS 2016, 466) hier: Lippenpflegestift offensichtlich ungefährlich, sodass Vortäuschung der Gefährlichkeit im Vordergrund steht – § 250 I Nr. 1 lit. b St. GB i. E. nicht erfüllt 36 / 46
Konversatorium Strafrecht BT II Fall 4 • eine andere Person durch die Tat in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt, § 250 I Nr. 1 lit. c St. GB: • schwere Gesundheitsschädigung = ernstliche, einschneidende o. nachhaltige Beeinträchtigung der Gesundheit (etwa Minderung der Arbeitsfähigkeit für längere Zeit o. lebensbedrohliche Erkrankung; nicht zwingend Zustand des § 226 St. GB) • Gefahr: konkrete Gefahr: wenn durch das vom Täter beherrschte Tatgeschehen eine Situation geschaffen wurde, in der die Möglichkeit des Erfolgseintritts so nahe liegt, dass ihr Eintritt nur noch vom Zufall abhängt (konkretes Gefährdungsdelikt) 37 / 46
Konversatorium Strafrecht BT II Fall 4 • durch die Tat: unmittelbarer Kausalzusammenhang zu der auf die Verwirklichung des Raubs gerichteten Nötigungshandlung (Wittig, in: Beck. OK-St. GB, 30. Aufl. 2016, § 250 Rn. 5) • hier (+) Tod des P als Indiz • Verwenden eines gefährlichen Werkzeugs, § 250 II Nr. 1 Var. 2 St. GB: • gefährliches Werkzeug (+) Taschenmesser als dem Sortiment (s. o. ) • verwenden = jeder zweckgerichtete Gebrauch zur Verwirklichung der Nötigung (als Verletzungs-, Gefährdungs- o. Drohmittel) – hier (+) durch Benutzung als Drohmittel • schwere körperliche Misshandlung einer anderen Person, § 250 II Nr. 3 lit. a St. GB: 38 / 46
Konversatorium Strafrecht BT II Fall 4 • schwere körperliche Misshandlung = Misshandlung, die mit erheblichen Folgen für die Gesundheit o. erheblichen Schmerzen verbunden ist (Misshandlung nach §§ 223, 225 St. GB genügt nicht; nicht zwingend Zustand des § 226 St. GB) • hier (+) Tod des P als Indiz • eine andere Person durch die Tat in die Gefahr des Todes bringen, § 250 II Nr. 3 lit. b St. GB: • Gefahr des Todes: konkrete Gefahr: s. o. (konkretes Gefährdungsdelikt) • hier (+) Tod des P als Indiz bb. Subjektiver Tatbestand • Beisichführen eines gefährlichen Werkzeugs, § 250 I Nr. 1 lit. a Var. 2 St. GB (+) 39 / 46
Konversatorium Strafrecht BT II Fall 4 • Verwenden eines gefährlichen Werkzeugs, § 250 II Nr. 1 St. GB (+) • eine andere Person durch die Tat in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt, § 250 I Nr. 1 lit. c St. GB (-) • schwere körperliche Misshandlung einer anderen Person, § 250 II Nr. 3 lit. a St. GB (-) • eine andere Person durch die Tat in die Gefahr des Todes bringen, § 250 II Nr. 3 lit. b St. GB (-) 2. Rechtswidrigkeit und 3. Schuld 4. Ergebnis (+) III. § 251 St. GB 1. Tatbestand 40 / 46
Konversatorium Strafrecht BT II Fall 4 a. Grunddelikt: § 249 I St. GB b. Schwere Folge: Tod eines anderen Menschen • hier (+) Tod des P c. Kausalität • hier (+) P verstarb durch einen aufgrund der Aufregung infolge Bedrohung mit dem Taschenmesser erlittenen Herzinfarkt d. Tatbestandsspezifischer Gefahrenzusammenhang (Unmittelbarkeitszusammenhang) • = in der schweren Folge muss sich eine raubspezifische Gefahr realisiert haben • hier (+) Herzinfarkt des P ist gerade auf den Einsatz des qualifizierten Nötigungsmittels zurückzuführen 41 / 46
Konversatorium Strafrecht BT II Fall 4 e. Zumindest Leichtfertigkeit hinsichtlich der schweren Folge • = der Täter handelt grob achtlos und beachtet nicht, was sich jeder Person in der Rolle des Täters hätte aufdrängen müssen • hier (-) demjenigen, der jemandem ein Messer vorhält, muss sich vorbehaltlich entgegenstehender Anhaltspunkte (Alter des Opfers, Kenntnis von Herzleiden) noch nicht aufdrängen, dass das Opfer vor Aufregung einen Herzinfarkt erleidet (a. A. gut vertretbar) 2. Ergebnis (-) 42 / 46
Konversatorium Strafrecht BT II Fall 4 IV. § 222 St. GB 1. Tatbestand a. Tathandlung, Taterfolg u. Kausalität b. Objektive Sorgfaltspflichtverletzung u. objektive Vorherbarkeit c. Objektive Zurechnung 2. Rechtswidrigkeit 3. Schuld • subjektive Sorgfaltspflichtverletzung u. subjektive Vorhersehbarkeit (+) 43 / 46
Konversatorium Strafrecht BT II Fall 4 • Nichtvorliegen von Entschuldigungs- u. Schuldausschließungsgründen 4. Ergebnis (+) V. Ergebnis zum 2. TK • Strafbarkeit des A gem. §§ 250 II Nr. 1 Var. 2, 222, 52 St. GB • § 249 I St. GB tritt als lex generalis hinter § 250 St. GB zurück • § 250 I Nr. 1 St. GB tritt hinter § 250 II Nr. 1 St. GB im Wege der Subsidiarität zurück 44 / 46
Konversatorium Strafrecht BT II Fall 4 Gesamtergebnis und Konkurrenzen • Strafbarkeit des A gem. §§ 239 I, 123 I, 52 St. GB; § 242 I St. GB; §§ 250 II Nr. 1, 222, 52 St. GB; 53 St. GB Hinweis: Wenn § 251 St. GB bejaht wurde, tritt § 222 St. GB im Wege der Subsidiarität hinter diesem zurück. 45 / 46
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