Konversatorium zum Strafrecht BT I Grundkurs III NichtVermgensdelikte
Konversatorium zum Strafrecht BT I (Grundkurs III) – Nicht-Vermögensdelikte – Dozentin: Dr. iur. Tamina Preuß Zeit und Ort: freitags 8 Uhr c. t. bis 9: 45 Uhr bzw. 10 Uhr s. t. bis 11: 30 Uhr in S 101 (Paradeplatz) Kontakt: tamina. preuss@uni-wuerzburg. de
Konversatorium Strafrecht BT I Allgemeiner Hinweis zur Klausurbesprechung • Bewertungskriterien u. a. : - Schwerpunktsetzung u. Problembewusstsein (Erkennen der Klausurschwerpunkte; nur Problematisches im Gutachtenstil, ansonsten Urteilsstil o. verkürzter Gutachtenstil) - Benennung der korrekten Tathandlungen in den Obersätzen - Korrekter Prüfungsaufbau - korrekte Subsumtionen - übersichtliche Gliederung (Tatkomplexbildung u. a. ) • Schwerpunkte: - Akzessorietätslockerung nach § 28 St. GB Auslegung der Mordmerkmale Abgrenzung v. dolus eventualis u. luxuria Prüfung v. unechtem Unterlassungsdelikt 2 / 42
Konversatorium Strafrecht BT I Probeklausur 1: Wilde Violinistinnen Die 22 -jährige Geigerin Annabel (A) bereitet sich auf den in Kürze stattfindenden Musikwettbewerb „Saitentalente im Mittelpunkt“ vor. Einem für ihre Karriere sehr wichtigen Wettbewerb, der zudem mit 5. 000, – € für den ersten Preisträger dotiert ist. Bisher haben sich außer A nur Teilnehmer angemeldet, denen A mit ihrem technischen Können und ihrer Virtuosität weit überlegen ist, so dass ihr der Preis als sicher gilt. Nun muss sie jedoch erfahren, dass sich noch eine andere Teilnehmerin nachgemeldet hat, nämlich die in der Presse vielgelobte Ottilie (O), die A „ihren“ Preis mit Sicherheit streitig machen wird. Nachdem A die O noch einmal hat spielen hören, wird ihr klar, dass sie bei dem Wettbewerb keine Chance haben wird, sollte es ihr nicht gelingen, O irgendwie auszuschalten. Den Preis und vor allem die damit verbundene Ehre will sie sich unbedingt sichern. 3 / 42
Konversatorium Strafrecht BT I Probeklausur 1: Wilde Violinistinnen In ihrer Bettlektüre „Der kleine Gartenchemiker. Tipps in Theorie und Praxis“ liest sie vom hochgiftigen Pflanzengift „D 54“, das bei Einnahme zu schweren Erkrankungen, bis hin zum Tod, führen kann, gleichwohl aber leicht in jedem Baumarkt erhältlich ist. Das bringt A auf die Idee, die O, zumindest in der Woche, in der Wettbewerb stattfindet, mit dem Pflanzengift außer Gefecht zu setzen; dass das Gift möglicherweise sogar tödlich wirkt, ist A angesichts der Dramatik der Situation gleichgültig. Sie besorgt sich im Baumarkt das Präparat „D 54“. Auf der Flasche ist ein großer roter Warnhinweis angebracht. Darauf ist zu lesen, dass es sich um ein hochgiftiges Pflanzengift handelt, das wegen der Gefahr des Todes oder schwerer dauerhafter Gesundheitsschäden nicht mit Schleimhäuten in Kontakt gebracht werden darf. 4 / 42
Konversatorium Strafrecht BT I Probeklausur 1: Wilde Violinistinnen Am nächsten Morgen beschafft sich A bei ihrer Kommilitonin und engen Freundin Birgit (B) die Telefonnummer von O, um O zum Kaffee einladen zu können. A erzählt B kurzerhand von ihrem Vorhaben, O für den Wettbewerb außer Gefecht zu setzen und notfalls auch zu töten, um sich selbst das Preisgeld, aber vor allem ihre Ehre zu sichern. In weitere Details weiht A die B jedoch nicht ein. Insbesondere erwähnt sie nicht, dass sie vor hat, O den vergifteten Kaffee zu reichen. Auch B selbst kommt der Plan der A insgeheim sehr gelegen, da ihr O vor einigen Monaten ihren Freund Victor (V) ausgespannt und sich mit ihm verlobt hat. Sie will sich an O rächen und ist der Meinung sie habe den Tod verdient, da V nur ihr gehöre. Deshalb gibt sie A die Telefonnummer von O. 5 / 42
Konversatorium Strafrecht BT I Probeklausur 1: Wilde Violinistinnen So setzt A drei Tage später den gefassten Plan in die Tat um. Noch während des Kaffeetrinkens bemerkt O, dass es ihr nicht gut geht. Sie verabschiedet sich und eilt nach Hause. Dort bricht sie im Wohnungsflur bewusstlos zusammen. Ihr Verlobter V erkennt, dass sie sterben wird, wenn er nicht sofort ärztliche Hilfe herbeiholt. Weil O ihm aber tags zuvor bei einem Streit um seinen Fahrstil angedroht hat, ihn bei der Polizei wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit anzuzeigen, entschließ er sich sie sterben zu lassen. Er traut ihr zu, wirklich zur Polizei zu gehen und möchte eine Anzeige wegen der Ordnungswidrigkeit, die er tatsächlich begangen hat, unbedingt verhindern. Kurz darauf verstirbt die O. 6 / 42
Konversatorium Strafrecht BT I Probeklausur 1: Wilde Violinistinnen Bearbeitervermerk: Wie haben sich die Beteiligten nach dem St. GB strafbar gemacht? Eventuell erforderliche Strafanträge sind gestellt. 7 / 42
Konversatorium Strafrecht BT I Probeklausur 1 Lösung: Tatkomplex 1: Einladung zum Kaffee A. Strafbarkeit der A I. §§ 212 I, 211 (25 I Alt. 2) St. GB zum Nachteil der O A könnte sich des Mordes gem. §§ 212 I, 211 (25 I Alt. 2) St. GB zum Nachteil der O strafbar gemacht haben, indem sie dieser vergifteten Kaffee reichte. 1. Tatbestand a. Objektiver Tatbestand aa. Tathandlung • P. : eigenen Tathandlung der A (Tatmittler als Werkzeug gegen sich selbst): 8 / 42
Konversatorium Strafrecht BT I Probeklausur 1 - Lit. : (-), Fall der mittelbaren Täterschaft nach § 25 I Alt. 2 St. GB, Arg. : § 25 I Alt. 2 St. GB ist auch in Zweipersonenverhältnissen anwendbar - Rspr. (+), keine Anwendung von § 25 I Alt. 2 St. GB, Arg. : Täter hat alle Faktoren des Kausalverlaufs vorgesteuert und nutzt bewusst die Regelhaftigkeit von Handlungsabläufen aus, sodass die Mitwirkung des Opfers bloßer Kausalfaktor ist Hinweis: Folgt man der Literatur müssten die Voraussetzungen der mittelbaren Täterschaft geprüft werden. Im objektiven Tatbestand wäre das Zwischenschaltungselement (Werkzeugqualität des Vordermanns) und das Steuerungselement (Tatherrschaft des Hintermanns) zu prüfen gewesen. - A ist nach beiden Ansichten grds. Täterin i. S. d. § 25 I St. GB 9 / 42
Konversatorium Strafrecht BT I Probeklausur 1 Hinweis: Eine fehlende Erörterung des Streits war nicht negativ zu bewerten, eine Erwähnung in der gebotenen Kürze dagegen positiv. • Kausalität (+) • objektive Zurechnung (+) die fehlende Rettung durch V unterbricht den Zurechnungszusammenhang nicht, da kein neues, unabhängiges Risiko gesetzt wird Hinweis: Dieser Punkt konnte angesprochen werden, war aber nicht zwingend zu erwähnen. • Heimtücke als tatbezogenes Mordmerkmal, § 211 I Gruppe 2 Var. 1 St. GB: 10 / 42
Konversatorium Strafrecht BT I Probeklausur 1 - = Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers, wobei einschränkend ein besonders verwerflicher Vertrauensbruch (Teil der Lit. ) bzw. ein Handeln in feindlicher Willensrichtung (Rspr. ) verlangt wird • arglos = wer sich im Zeitpunkt des Beginns der Tat keines tätlichen Angriffs auf seine körperliche Unversehrtheit oder sein Leben versieht - hier (+) O rechnet, als sie den Kaffee trinkt, mit keinem Angriff (möglicherweise vorhandenes latentes Misstrauen ggü. der A aufgrund der Konkurrenzsituation würde dies nicht ausschließen) • wehrlos = wer infolge der Arglosigkeit zur Verteidigung außer Stande oder in seiner Abwehr stark eingeschränkt ist 11 / 42
Konversatorium Strafrecht BT I Probeklausur 1 - hier (+) da O sich keines Angriffs versieht, trinkt sie den Kaffee • in feindlicher Willensrichtung: zu verneinen, wenn der Täter zum vermeintlich Besten des Opfers handelt – hier (+) • besonders verwerflicher Vertrauensbruch: wenn die Arglosigkeit gerade auf einem dem Täter seitens des Opfers entgegengebrachten Vertrauen beruht - hier (-) zwischen O u. A besteht kein Vertrauensverhältnis, die Einladung zum Kaffee reicht hierfür nicht aus (a. A. aufgrund der Weite des Vertrauensbegriffs vertretbar – in dem Fall keine Streitentscheidung vorzunehmen) - gegen das Kriterium (vgl. ausführlich Schneider, in: MüKo. St. GB, 3. Aufl. 2017, § 211 Rn. 204 ff. ): 12 / 42
Konversatorium Strafrecht BT I Probeklausur 1 - Attentaten auf Fremde aus dem Hinterhalt gehören gerade zum klassischen Leitbild des „Meuchelmordes“ – Annahme niedriger Beweggründe unzureichend (Neumann, in: NK, 5. Aufl. 2017, § 211 Rn. 49) - kein zwingender Zusammenhang zwischen Vertrauensbruch u. gesteigertem Tatunrecht - „Überbewertung sozialer Kontaktaufnahmen“: i. d. R. vertraut das Opfer dem Täter nicht „sein Leben“ an, sondern spekuliert nur auf Fortsetzung sozial-freundlichen Verhaltens (anders z. B. allenfalls im Arzt-Patienten-Verhältnis bei einer schweren OP), daher in Bezug auf das Rechtsguts Leben „keine ins Gewicht fallende Unwertsteigerung“ 13 / 42
Konversatorium Strafrecht BT I Probeklausur 1 - Konturlosigkeit des Vertrauensbegriffs – Rechtsunsicherheit (BGH NJW 1981, 1965 [1967]): - e. A. : bewusste Herbeiführung des Vertrauenszustands zur Lebensvernichtung (≠ innerhalb bestehender Vertrauensbeziehungen) - a. A. : nur Bruch missbräuchlich erlangten Vertrauens - a. A. : Vertrauensbruch in menschenverachtender Gesinnung - h. Lit. : Missbrauch eines sozial-positiven Verhaltensmusters (tat- und situationsbezogene Gesamtbetrachtung; ob die institutionalisierte Vertrauensbeziehung [z. B. Ehe] zerrüttet ist; ob ein besonderes Vertrauen o. nur die allgemeine Legalitätserwartung ausgenutzt wird [z. B. Tötung der Ehefrau durch Ehemann durch „schlichtes“ Anfahren]); teilweise bereits bei Herbeiführung sozialpositiver Reaktionen (Vortäuschen einer Autopanne, Frage nach Feuer o. der Uhr-zeit) angenommen 14 / 42
Konversatorium Strafrecht BT I Probeklausur 1 Hinweis: In der Klausur wurde nur das Erkennen des Problems erwartet. Insbesondere dienen die hier ausführlich wiedergegebenen Ansichten zum Vertrauensbegriff nur dazu, die Konturlosigkeit dieses Einschränkungsversuch zu verdeutlichen. b. Subjektiver Tatbestand aa. Vorsatz bzgl. des objektiven Tatbestands des § 212 I St. GB • P. : Abgrenzung von dolus eventualis und bewusster Fahrlässigkeit (luxuria): - bedingter Vorsatz liegt dann vor, wenn der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges für möglich halt u. in der Weise damit einverstanden ist, dass er die Tatbestandsverwirklichung billigend in Kauf nimmt 15 / 42
Konversatorium Strafrecht BT I Probeklausur 1 - lediglich bewusst fahrlässig handelt, wer ernsthaft u. nicht nur vage darauf vertraut, dass die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes ausbleibe - hier: - Wissenselement (+) A weiß, dass das Präparat tödlich wirken kann - Willenselement (+), A will O zwar nur aus dem Gefecht setzen, notfalls aber auch töten; wegen der hohen objektiven Gefährlichkeit – hervorgehoben auch durch den Warnhinweis – auch unter Berücksichtigung der „Hemmschwellentheorie“: dolus eventualis (+) Hinweis: Die „Hemmschwellentheorie“ weist nach aktueller BGHRspr. (NSt. Z 2012, 384) auf das Gebot umfassender u. vollständiger Beweiswürdigung hin. 16 / 42
Konversatorium Strafrecht BT I Probeklausur 1 bb. Bewusstes Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit • = wenn der Täter im Augenblick der Tat die Umstände der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers wahrgenommen u. zur Tatbegehung instrumentalisiert hat • dolus eventualis genügt • hier (+) A gibt O bewusst den vergifteten Kaffee, ihr war bewusst, dass O nicht mit der Vergiftung rechnet Hinweis: Das bewusste Ausnutzen konnte ebenso bereits im objektiven Tatbestand geprüft werden. Es ist immer darauf zu achten, bei den objektiven Mordmerkmalen auch deren subjektiven Tatbestand zu prüfen. cc. Täterbezogene Mordmerkmale 17 / 42
Konversatorium Strafrecht BT I Probeklausur 1 • Habgier, § 211 II Gruppe 1 Var. 3 St. GB: - = ungezügeltes und rücksichtloses Streben nach Gewinn um jeden Preis (mehr als nur Bereicherungsabsicht) - unstr. nur Streben nach materiellen Vorteilen umfasst (vgl. Schneider, in: MüKo-St. GB, 3. Aufl. 2017, § 211 Rn. 59 f. mit dem Bsp. der Wegnahme zur Vernichtung beweisrelevanter Gegenstände o. aus Affektionsinteresse heraus) – daher hier nicht nach Ehre, wohl aber grds. nach dem Preisgeld - umfasst sowohl das Streben nach „größeren“ als auch „kleinen“ Vermögensvorteilen (offengelassen von BGH NJW 1981, 136 – bei wertlosen Gütern besonders großes Missverhältnis zwischen Tat u. Anlass) 18 / 42
Konversatorium Strafrecht BT I Probeklausur 1 - tatsächliche Zielerreichung – hier Sieg beim Musikwettbewerb – und Erreichbarkeit ohne Relevanz (vgl. Eschelbach, in: Beck. OK -St. GB, 36. Aufl. 2017, § 211 Rn. 23) - P. : Tötung der O für A mit bloßer Gewinnaussicht verbunden: für die Erfüllung des Mordmerkmals ausreichend, dass aus Tätersicht die Aussicht auf eine unmittelbare Vermögensmehrung besteht (Eser/Sternberg-Lieben; in: Schönke/Schröder, 29. Aufl. 2014, § 211 Rn. 17; Schneider, in: MüKo-St. GB, 3. Aufl. 2017, § 211 Rn. 63) Hinweis: Hier ist der Gewinn A nach dem Sachverhalt ohne Teilnahme der O sicher; Obiges gilt jedoch genauso für unsichere Gewinnchancen, solange es dem Täter nur auf den (vermögenswerten) Gewinn ankommt. 19 / 42
Konversatorium Strafrecht BT I Probeklausur 1 • P. : Motivbündel: Habgier muss nicht das einzige Motive sein – handelt der Täter aus mehreren Beweggründen muss das Vorteilsstreben bei der Tatausführung inner-halb des Motivbündels „bewusstseinsdominant“ sein – hier (-) A will sich zwar das Preisgeld, aber v. a. die Ehre sichern • sonst niedrige Beweggründe, § 211 II Gruppe 1 Var. 4 St. GB: - = nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehende und deshalb besonders verachtenswerte Motive - anhand einer Gesamtwürdigung unter Einbeziehung der Tatumstände, der Lebensverhältnisse u. der Persönlichkeit des Täters zu beurteilen (Rengier, Strafrecht BT II, § 4 Rn. 16) - menschlich in keiner Weise mehr nachvollziehbare Motive 20 / 42
Konversatorium Strafrecht BT I Probeklausur 1 - i. d. R. gegeben bei Handeln aus krasser Eigensucht o rücksichtslosem Egoismus (Rengier, Strafrecht BT II, 18. Aufl. 2017, § 4 Rn. 17) - hier (+) überzogenes Streben nach dem Sieg auf Kosten eines Menschenlebens (a. A. nur mit guter Begründung vertretbar) 2. Rechtswidrigkeit und 3. Schuld 4. Ergebnis (+) II. §§ 223 I, 224 I Nr. 1, 3, 5 St. GB (+) Hinweis: Es ist natürlich nicht falsch die §§ 223 f. St. GB zu prüfen. Einschlägig ist § 224 I Nr. 1, 3 und 5 St. GB. Da aber Körperverletzungsdelikte i. d. R. hinter Tötungsdelikten gleicher Verwirklichungsstufe zurücktreten ist es vollkommen ausreichend, sie kurz bei den Konkurrenzen anzusprechen (str. ). 21 / 42
Konversatorium Strafrecht BT I Probeklausur 1 B. Strafbarkeit der B I. §§ 212 I, 211, 27 St. GB 1. Tatbestand a. Objektiver Tatbestand aa. Vorsätzliche rechtswidrige Haupttat, § 11 I Nr. 5 St. GB • hier: §§ 212 I, 211 St. GB zum Nachteil der O (s. o. ) bb. Tathandlung: Hilfe leisten • = jeder Beitrag, der die Haupttat ermöglicht o. erleichtert • hier (+) Erleichterung der Tat durch Herausgabe der Telefonnummer b. Subjektiver Tatbestand („doppelter Gehilfenvorsatz“) 22 / 42
Konversatorium Strafrecht BT I Probeklausur 1 aa. Vorsatz bzgl. der Haupttat • = dolus eventualis bezogen auf den wesentlichen Unrechtsgehalt u. die Angriffsrichtung der Tat (Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, 29. Aufl. 2014, § 27 Rn. 29) • bzgl. des Taterfolgs (+) B weiß davon, dass A O notfalls töten will u. billigt dies • bzgl. der Heimtücke (-) B weiß nichts über die näheren Ausführungsmodalitäten • bzgl. der niedrigen Beweggründe der A (+) B weiß um die Motive der A 23 / 42
Konversatorium Strafrecht BT I Probeklausur 1 Hinweis: Uneinheitlich bewertet wird, ob sich der Teilnahmevorsatz auch auf die täterbezogenen Mordmerkmale des Täters erstrecken muss. Während die Rechtsprechung auf Grundlage des § 28 I St. GB insoweit Vorsatz verlangen muss, entnimmt die Literatur dem nach ihrer Auffassung anwendbaren § 28 II St. GB – wonach täterbezogene Mordmerkmale nur für den Beteiligten gelten, bei dem sie in eigener Person vorliegen –, dass es auf den Vorsatz des Teilnehmer bzgl. der täterbezogenen Mordmerkmale des Täters überhaupt nicht ankomme. In der Klausur musste das Problem nicht angesprochen werden; es genügte Vorsatz hinsichtlich der niedrigen Beweggründe zu bejahen. bb. Vorsatz bzgl. der eigenen Hilfeleistung • mindestens dolus eventualis hinsichtlich der Förderungswirkung für die Haupttat 24 / 42
Konversatorium Strafrecht BT I Probeklausur 1 • hier (+) B weiß, dass sie A durch Überlassung der Telefonnr. die Tat zumindest erleichtert Weiterführender Hinweis: An den Gehilfenvorsatz werden an diesem Punkt geringere Anforderungen als an den Anstiftervorsatz gestellt. Die Kenntnis von Einzelheiten der Tat o. ein besonderes Interesse an der Tat ist nicht erforderlich (Fischer, St. GB, 63. Aufl. 2016, § 27 Rn. 22 f. ). Nach einem aktuellen BGH-Urteil (NSt. Z-RR 2011, 177) ist sogar eine falsche rechtliche Einordnung der Tat unschädlich, solange es sich nicht um eine grds. andere Tat handelt. cc. Mögliche Tatbestandsverschiebung nach § 28 II St. GB • P. : das täterbezogene Mordmerkmal der A (niedrige Beweggründe) wird von der B nicht geteilt, B verwirklicht aber selbst u. U. ein subjektives Mordmerkmal: 25 / 42
Konversatorium Strafrecht BT I Probeklausur 1 Hinweis: Die nun folgende Prüfung der divergierenden Mordmerkmale wurde in dieser Ausführlichkeit auch von überdurchschnittlichen Bearbeitern nicht erwartet, stellt aber dennoch einen Schwerpunkt der Klausur dar. - P. : Rache als niedriger Beweggrund: - ambivalente Tatmotive: nicht per se niedrig zu bewerten – es kommt darauf an, ob die tatauslösenden Motive ihrerseits auf einer niedrigen Gesinnung beruhen oder ob sie menschlich verständlich sind – hier (+) keine menschlich verständlichen Motive (wie Demütigung) ersichtlich - subjektive Mordmerkmale sind besondere persönliche Merkmale i. S. d. § 14 I St. GB (a. A. Schuldmerkmale gem. § 29 St. GB) – str. ist, ob eine § 28 I St. GB oder § 28 II St. GB anzuwenden ist – dies hängt von der dogmatischen Einordnung des § 211 St. GB ab: 26 / 42
Konversatorium Strafrecht BT I Probeklausur 1 Rspr. (Selbstständigkeitstheorie) Überwiegende Literatur (Qualifikationstheorie) § 211 St. GB ist im Verhältnis zu § 212 § 211 St. GB ist eine Qualifikation des St. GB ein eigenständiger Tatbestand § 212 St. GB (und § 216 St. GB ist eine (ebenso bzgl. § 216 St. GB); vor- Privilegierung zu § 212 St. GB). sätzliche Tötung aber ein notwendiges Merkmal des § 211 St. GB u. Unrechtsgehalt des § 212 St. GB in § 211 St. GB enthalten (BGH NJW 1989, 2826) - kritisch BGH NJW 2006, 1008 (1012 f. ) in einem obiter dictum, das möglicherweise einen Meinungswechsel ankündigt (so Rengier, Strafrecht BT I, 18. Aufl. 2017, § 4 Rn. 1) 27 / 42
Konversatorium Strafrecht BT I Probeklausur 1 Argumente - systematische Stellung (eine => keine zwingende Reihenfolge Qualifikation steht nicht vor dem (allenfalls Indiz); für § 249 St. GB und § Grunddelikt 255 St. GB beurteilt dies die Rspr. aber genau anders; Gesetzgeber wollte das gravierende Delikt an den Anfang stellen - Wortlaut („Mörder“ – „Totschlä- => beruht auf der überkommenen ger“) Lehre vom Tätertyp aus der NS-Zeit, die 1941 Gesetz wurde - unterschiedlicher Unrechtsgehalt; dass § 211 St. GB den § 212 St. GB enthält, ist irrelevant (auch § 249 St. GB enthält Diebstahl u. Nötigung, ohne eine Qualifikation zu sein) 28 / 42 - übliche Systematik: eine Qualifikation zeichnet sich dadurch aus, dass zum Grunddelikt erschwerende Umstände hinzutreten
Konversatorium Strafrecht BT I Probeklausur 1 - die Anwendung des § 28 I St. GB führt zu Wertungswidersprüchen (Mittäterschaft zwischen Mörder u. Totschläger wäre nicht möglich; Problematik der „gekreuzten Mordmerkmale“) Konsequenz Die besonderen persönlichen Merkmale wirken strafbarkeitsbe- Merkmale wirken strafschärfend gründend i. S. d. § 28 I St. GB i. S. d. § 28 II St. GB => Strafrahmenverschiebung nach § 28 I St. GB i. V. m. 49 I St. GB 29 / 42 => Tatbestandsverschiebung nach § 28 II St. GB
Konversatorium Strafrecht BT I Probeklausur 1 • im vorliegenden Fall : - Lit. : die niedrigen Beweggründe der A sind für B irrelevant => Tatbestandsverschiebung nach § 28 II St. GB vom Mord zum Totschlag; die eigenen niedrigen Beweggründe der B führen zu einer zweiten Tatbestandsverschiebung nach § 28 II St. GB vom Totschlag zum Mord – grds. Strafbarkeit der B gem. §§ 211, 212, 27 St. GB - Rspr. : die Voraussetzungen des § 28 I St. GB sind zwar erfüllt, da bei B die niedrigen Beweggründe der A fehlen, sodass eigentlich eine Strafrahmenverschiebung nach § 28 I St. GB i. V. m. § 49 I St. GB vorzunehmen wäre – die Rspr. macht hiervon jedoch eine Ausnahme, wenn ein gleichartiges Mordmerkmal beim Teilnehmer vorliegt (BGH NJW 1969, 1181) – grds. Strafbarkeit der B gem. §§ 211, 27 St. GB 30 / 42
Konversatorium Strafrecht BT I Probeklausur 1 2. Rechtswidrigkeit und 3. Schuld 4. Ergebnis (+) II. §§ 223 I, 224 I Nr. 5, 27 St. GB (+) C. Ergebnis 1. TK • Strafbarkeit der A gem. § 211 St. GB - §§ 223, 224 St. GB treten subsidiär hinter den Tötungsdelikten zurück - § 212 St. GB tritt hinter § 211 St. GB als lex generalis zurück • Strafbarkeit der B gem. §§ 211, 27 St. GB 31 / 42
Konversatorium Strafrecht BT I Probeklausur 1 Tatkomplex 2: Bei B zu Hause Strafbarkeit des V I. §§ 212 I, 211, 13 I St. GB V könnte sich des Mordes durch Unterlassen gem. §§ 212 I, 211, 13 St. GB strafbar gemacht haben, indem er keinen Arzt verständigte, als er die bewusstlose O vorfand. 1. Tatbestand a. Objektiver Tatbestand • Taterfolg (+) O ist tot • Nichtvornahme der erforderlichen und physisch-real möglichen Handlung: - Tathandlung: Unterlassen (+), kein aktives Tun ersichtlich 32 / 42
Konversatorium Strafrecht BT I Probeklausur 1 - Erforderlichkeit (+) O hat weder auf Hilfe verzichtet, noch wurde von dritter Seite Hilfe geleistet - physisch-reale Möglichkeit der Erfolgsabwendung (+) V hätte die Möglichkeit gehabt, einen Arzt zu rufen • Quasi-Kausalität (conditio-sine-cum-qua-non-Formell): - = wenn der Erfolg in seiner konkreten Gestalt bei Hinzudenken der gebotenen Handlung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfallen wäre (Rengier, Strafrecht AT, 9. Aufl. 2017, § 49 Rn. 13) - hier (+) O hätte noch gerettet werden können 33 / 42 • Garantenstellung, § 13 I St. GB:
Konversatorium Strafrecht BT I Probeklausur 1 - V müsste rechtlich dafür einzustehen haben, dass der tatbestandliche Erfolg nicht eintritt - hier Garantenstellung aus enger persönlicher Verbundenheit wg. des Verlöbnisses, Arg. : die Betroffenen haben hier bewusst ein zwischenzeitlich eher unüblich werdender rechtlicher Rahmen in Form eines auf gegenseitigen Schutz angelegten Treueverhältnisses gewählt (Stree/Bosch, in: Schönke/Schröder, 29. Aufl. 2014, § 13 Rn. 18) Hinweis: Die Streitfrage, ob neben der Verlobtenstellung sonstige Faktoren (Festigkeit des Zusammenschlusses, räumliches Zusammenleben, Alter der Verlobten etc. ) entscheidend sind, kann mangels Angaben im SV dahinstehen (vgl. hierzu Stree/Bosch, in: Schönke/Schröder, 29. Aufl. 2014, § 13 Rn. 18 m. w. N. ). 34 / 42
Konversatorium Strafrecht BT I Probeklausur 1 - Hinweise dafür, dass durch den Streit zwischen V und O das Vertrauensverhältnis zerstört o. gar das Verlöbnis gelöst wurde – zivilrechtlich ein sog. Rücktritt vom Verlöbnis, der jederzeit formlos, auch schlüssig, durch höchstpersönliche Erklärung ausgeübt werden kann (vgl. Hahn, in: Beck. OK-BGB, 43. Aufl. 2017, § 1298 Rn. 3 m. w. N. ) –, bietet der SV nicht • Entsprechungsklausel, § 13 I HS. 2 St. GB: - das Unterlassen muss der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entsprechen (sog. Modalitätenäquivalenz) (Heuchemer, in: Beck. OK-St. GB, 36. Aufl. 2017, § 13 Rn. 74) Hinweis: Die Entsprechungsklausel musste nicht unbedingt angesprochen werden, da sie bei reinen Erfolgsdelikten, welche nicht von einer spezifischen Begehungsweise abhängen, anders 35 / 42
Konversatorium Strafrecht BT I Probeklausur 1 als bei verhaltensgebundenen Delikten (z. B. §§ 240, 263, 185 St. GB) nach h. M. neben der Garantenstellung keine eigenständige Bedeutung hat (vgl. Kühl, in: Lackner/Kühl, 28. Aufl. 2014, § 13 Rn. 16; a. A. Freund, in: MüKo-St. GB, 3. Aufl. 2017, § 13 Rn. 202 ff. – aufgrund des Wortlauts bei allen Delikten zu prüfen; a. A. völlig funktionslos). • tatbezogene Mordmerkmal (-) b. Subjektiver Tatbestand aa. Vorsatz bzgl. des objektiven Tatbestands des § 212 I St. GB cc. Täterbezogene Mordmerkmale • Verdeckungsabsicht, § 211 I Gruppe 3 Var. 2 St. GB - = die Tötung wird begangen, um eine andere Straftat oder auch nur Spuren daraus zu verdecken (dolus directus 1. 36 / 42 Grades)
Konversatorium Strafrecht BT I Probeklausur 1 - Straftat: rechtswidrige Tat i. Sd § 11 I Nr. 5 St. GB - P. : Begehung zur Verdeckung einer Ordnungswidrigkeit: - nach dem klaren Wortlaut muss sich die Absicht auf eine mit Kriminalstrafe geahndete Tat beziehen (BGH NJW 1978, 2518 zu § 315 III Nr. 2 St. GB) - Ordnungswidrigkeiten reichen nach ganz h. M. nicht aus (ebenso wenig andere außerstrafrechtliche Verfehlungen) (Rengier, Strafrecht BT I, 18. Aufl. 2017, § 4 Rn. 48; a. A. Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT 1, § 2 Rn. 34 – „Straftat“ sei hier i. w. S. zu verstehen, wie in älteren Vorschriften [z. B. Art. 74 Nr. 1 GG], da der Grund der Strafschärfung in dem Missverhältnis zwischen Mittel u. Zweck liege) 37 / 42
Konversatorium Strafrecht BT I Probeklausur 1 Weiterführender Hinweis: Es kommt bei der Beurteilung auf die Tätervorstellung, nicht auf die tatsächliche Qualifizierung des Verhaltens an (vgl. Rengier, Strafrecht BT I, 18. Aufl. 2017, § 4 Rn. 48). - hier (-) V will die Anzeige wegen einer nicht näher konkretisierten Verkehrsordnungswidrigkeit verhindern (er weiß auch, dass es sich hierbei nur um eine OWi handelt) • sonst niedrige Beweggründe, § 211 II Gruppe 1 Var. 4 St. GB: - von der h. M. als „Auffangtatbestand“ zu den benannten niedrigen Beweggründen der 1. u. 3. Gruppe verstanden - P. : „verdeckungsnahe Motive“: i. d. R. ist ein Motiv als niedrig zu beurteilen, wenn das Opfer zur Verdeckung einer Verhaltens -weise des Täters getötet wird, die er zwar nicht für strafbar, jedoch für verwerflich o. seinem Ansehen abträglich hält 38 / 42
Konversatorium Strafrecht BT I Probeklausur 1 - sogar verwerflicher, da die Folgen eines solchen Verhalten im Regelfall weniger gravierend als die einer Straftat sein werden (BGH Beck. RS 1999 30048287; Rengier, Strafrecht BT I, 18. Aufl. 2017, § 4 Rn. 19 m. w. N. ) - hier (+) (a. A. vertretbar, insbesondere mit der Argumentation von Brunhöber, HRRS 2011, 513 [517 f. ]; Neumann, in: NK, 5. Aufl. 2017, § 211 Rn. 37, der Verdeckungsabsicht nicht als Unterfall der niedrigen Beweggründe einordnet u. bei pauschalem Verweis auf die „Verdeckungsnähe“ der Motive von einer verbotenen täterungünstigen Analogie ausgeht) Hinweis: Auf das mögliche Vorliegen niedriger Beweggründe bei V wurde, nach Ablehnung der Verdeckungsabsicht, kaum eingegangen. 39 / 42
Konversatorium Strafrecht BT I Probeklausur 1 2. Rechtswidrigkeit und 3. Schuld 4. Ergebnis (+) II. § 323 c St. GB (+) Hinweis: Ein kurzer Hinweis i. R. d. Konkurrenzen war ausreichend. III. Ergebnis 2. TK • Strafbarkeit des V gem. §§ 211, 13 I St. GB - § 212 St. GB tritt hinter § 211 St. GB zurück - das echte Unterlassungsdelikt (§ 323 c St. GB) tritt nach h. M. hinter dem unechten subsidiär zurück, Arg. : schutzrichtungsgleiches bloßes Gefährdungsdelikt (statt vieler Heintschel. Heinegg, in: Beck. OK-St. GB, 36. Aufl. 2017, § 323 c Rn. 29; a. A. fehlende Tatbestandsmäßigkeit) 40 / 42
Konversatorium Strafrecht BT I Probeklausur 1 Gesamtergebnis • Strafbarkeit der A gem. § 211 St. GB • Strafbarkeit der B gem. §§ 211, 27 St. GB • Strafbarkeit des V gem. §§ 211, 13 I St. GB 41 / 42
Konversatorium Strafrecht BT I Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung, § 217 St. GB (1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht. • Einschränkung der grds. straflosen Suizidteilnahme • Ziel: gesellschaftlicher Normalisierung des assistierten Suizids entgegenwirken („Suizidkultur“), da sich anderenfalls alte u. kranke Menschen gedrängt sehen könnten, geschäftsmäßige Suizidhilfe in Anspruch zu nehmen 42 / 42
Konversatorium Strafrecht BT I Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung, § 217 St. GB • geschützte Rechtsgüter: Leib u. Leben der Suizidgeneigten (a. A. kein Rechtsgüterschutz, sondern bloße Moralvorstellungen, vgl. Saliger, in: NK-St. GB, 3. Aufl. 2017, § 217 Rn. 3) • Rechtsnatur: abstraktes Gefährdungsdelikt u. reines Tätigkeitsdelikt (Brunhöber, in: MüKo, 3. Aufl. 2017, § 217 Rn. 20 f. ) • verselbstständigtes Teilnahmeunrecht • P. : Verfassungsmäßigkeit (zum Ganzen: Oğlakcıoğlu, in: Beck. OK-St. GB, 35. Aufl. 2017, § 217 Rn. 11 ff. ) - betroffene Vereine (Art. 2 I, 9, 12 GG) u. Ärzte (Art. 12 GG) - Gewissensfreiheit, Art. 4 I GG - § 217 II St. GB nicht mit Art. 3 I GG vereinbar (vgl. Gaede, Ju. S 2016, 385 [392]) 43 / 42
Konversatorium Strafrecht BT I Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung, § 217 St. GB - (un)mittelbare Betroffenheit des Selbstbestimmungsrechts der Sterbewilligen aus Art. 1 I GG i. V. m. Art. 2 I GG (a. A. Recht auf selbstbestimmte Lebensbeendigung aus Art. 2 I GG) - umfasst auch das Recht, sich der Hilfe Dritter zu bedienen - § 217 I St. GB zwingt zu einsamer, drittgefährdender, risikoreicher bzgl. möglichen Scheiterns u. qualvoller Tötung (Brunhöber, in: MüKo, 3. Aufl. 2017, Rn. 29) - Suizidwilligen, die Niemanden haben, der ihnen hilft, u. die eine brutale Suizidmethode scheuen, wird faktisch eine Pflicht zum Weiterleben auferlegt (Gaede, Ju. S 2016, 385 [387]) - Merkmal der Geschäftsmäßigkeit nicht mit Art. 103 II GG zu vereinbaren - gesetzgeberischem Ziel (Verhinderung einer „Suizidkultur“) fehlt empirische Basis 44 / 42
Konversatorium Strafrecht BT I Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung, § 217 St. GB - verwaltungsrechtlicher Anspruch auf Erlaubnis zum Erwerb von Betäubungsmitteln in extremen Notlagen (BVerw. G NJW 2017, 2215) vs. positive Bescheidung eines derartigen Antrags als § 217 I St. GB Hinweis: Vor der Prüfung des § 217 St. GB sind zunächst die Tötungsdelikte (§§ 211 f. , 216 St. GB) zu prüfen, wobei zu problematisieren ist, ob es sich um eine Fremd- oder Selbsttötung handelt. Bei fehlender Freiverantwortlichkeit der Selbsttötung können diese Delikte ggf. in Idealkonkurrenz zu § 217 St. GB stehen (Saliger, in: NK-St. GB, 3. Aufl. 2017, § 217 Rn. 11). • Unrechtstatbestand (Abs. 1) u. persönlicher Strafausschließungsgrund (Abs. 2) • Tatgegenstand: 45 / 42
Konversatorium Strafrecht BT I Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung, § 217 St. GB - Selbsttötung: bei Tatherrschaft über den unmittelbar lebensbeendeten Akt - Gelegenheit zur Selbsttötung: konkrete Gelegenheit verlangt, d. h. bezogen auf einen individualisierten u. bestimmten Suizidwilligen (Saliger, in: NK-St. GB, 3. Aufl. 2017, § 217 Rn. 13) • Tathandlung: Gewähren, Verschaffen o. Vermitteln einer Gelegenheit zur Selbsttötung: - Gewähren einer Gelegenheit: wenn dem Täter die äußeren Umstände, die Vornahme der Suizidhandlung ermöglichen o. wesentlich zu erleichtern, schon zur Verfügung stehen - Verschaffen einer Gelegenheit: Herbeiführen der äußeren Umstände, welche die Vornahme der Suizidhandlung ermöglichen o. wesentlich zu erleichtern 46 / 42
Konversatorium Strafrecht BT I Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung, § 217 St. GB - Vermitteln eines Gelegenheit: wenn der Täter den konkreten Kontakt zwischen einer suizidwilligen Person u. der Person, die Gelegenheit zur Selbsttötung gewährt o. verschafft, herstellt - Täter muss Außenstehender, nicht Angestellter eines Sterbehilfevereins, sein - Hinweis auf allg. bekannte Organisationen genügt nicht - Werbung für geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung ebenso wenig - geschäftsmäßig: Absicht, die tatbestandsmäßige Handlung, in gleicher Art zu wiederholen u. sie dadurch zu einem dauernden o. wiederkehrenden Bestandteil seiner wirtschaftl. o. berufl. Betätigung zu machen - Zweck: Straflosigkeit der in Ausnahmefällen erfolgenden Suizidhilfe 47 / 42
Konversatorium Strafrecht BT I Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung, § 217 St. GB - Ausgrenzung von Behandlungsabbruch u. indirekter Sterbehilfe - schon beim ersten mit Wiederholungswillen vollzogenen Einzelfall - Gewinnerzielungsabsicht nicht erforderlich - str. ob Ausübung als „Haupttätigkeit“ erforderlich (vgl. auch Gaede, Ju. S 2016, 385 [390] – entweder Ausübung als „Hauptaufgabe“ o. Leistung in einer Art u. Weise, die nicht mehr nur ultima ratio in einer Patientenbeziehung ist) - str. ob gewisser Organisationsgrad o. Umfang des Angebots notwendig • subjektiver Tatbestand: - Vorsatz, § 15 St. GB - Förderungsabsicht: Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern (dolus directus 1. Grades) 48 / 42
Konversatorium Strafrecht BT I Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung, § 217 St. GB • persönlicher Strafausschließungsgrund, § 217 II St. GB: - Bsp. : Ehemann fährt Ehefrau zu geschäftsmäßigem Suizidhelfer - Grund: - da Geschäftsmäßigkeit strafbarkeitsbegründendes besonders persönliches Merkmal (§ 28 I St. GB), wäre nicht geschäftsmäßiger Teilnehmer wegen Teilnahme am § 217 I St. GB strafbar, nicht geschäftsmäßiger Täter straflos (Saliger, in: NK-St. GB, 5. Aufl. 2017, § 217 Rn. 35) - Handeln nicht strafwürdig, da typischerweise von tiefem Mitgefühl geprägt - tatsächliche Konfliktlage nicht erforderlich Saliger, in: NK-St. GB, 5. Aufl. 2017, § 217 Rn. 36) - Angehörige, § 11 I Nr. 1 St. GB 49 / 42
Konversatorium Strafrecht BT I Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung, § 217 St. GB - andere nahestehende Personen: wer in einem auf Dauer angelegten zwischenmenschlichen Verhältnis zum Suizidwilligen steht, das ähnliche Solidiaritätsgefühle wie im Angehörigenverhältnis auslöst u. von einer vergleichbaren psychischen Zwangslage geprägt ist - str. bei längerfristigem Behandlungsverhältnis: nach h. M. keine Anwendung von § 217 II St. GB (vgl. Saliger, in: NK-St. GB, 5. Aufl. 2017, § 217 Rn. 37) 50 / 42
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