Integrative Beschftigung im nationalen und internationalen Vergleich Entwicklung
(Integrative) Beschäftigung im nationalen und internationalen Vergleich Entwicklung, Trends & Perspektiven Dr. Oliver Koenig Universität Wien – Institut für Bildungswissenschaft Fachtagung: Integrative Beschäftigung – ein Baustein für inklusives Leben! 19. Oktober 2017 Melodium Peuerbach
Aufbau des Vortrags 1. (Integrative) Beschäftigung für Menschen mit Behinderung in (Ober-)Österreich. 2. (Integrative) Beschäftigung aus internationaler Perspektive. 3. Diskussionsanregungen für eine Weiterentwicklung der (Integrativen) Beschäftigung in Österreich.
(Integrative) Beschäftigung für Menschen mit Behinderung in (Ober-)Österreich
Warum Arbeit fu r Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung • Was mo chte der durchschnittliche erwachsene Mensch von seiner Arbeit? - Gefu hl einen sinnvollen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten. - Geld verdienen. - Respekt und Anerkennung. - Soziale Beziehungen & Kontakte. • Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung haben die gleichen Ziele jedoch eine Vielzahl mehr an Barrieren zu u berwinden (Lysaght 2010). • Sie sind die Bevo lkerungsgruppe mit der niedrigsten Bescha ftigungsquote weltweit (WHO World Report on Disability 2011).
Die (institutionelle) Entwicklung der beruflichen Integration in Österreich • Konzept der Unterstützten Beschäftigung von pauschaler Versorgung zu ziel- und passgenauen individuellen Unterstützungsangeboten. Entwicklung und Etablierung der Arbeitsassistenz im Jahr 1994. • Ausdehnung auf neue Zielgruppen, Entwicklung neuer Maßnahmen & einseitige Konzentration auf Output (Vermittlungsquoten). • Wiederholte Außengesteuerte Versuche der Funktions- und Prozessoptimierung ohne Einbindung der betroffenen Stakeholder (sowohl auf Bundes- und Landesebene). • Verlust des Potentials individualisierter Begleitung für Menschen mit höherem / komplexen Unterstützungsbedarf. • Systemexpansion statt Systemtransformation.
(Integrative) Beschäftigung in (Ober-)Österreich • Modelle Integrativer Beschäftigung (in der Form von ausgelagerten Einzelund/oder Gruppenarbeitsplätzen bzw. Mobilen Arbeitsgruppen) gibt es seit mind. 10 Jahren in allen österreichischen Bundesländern. Teilweise bereits schon viel länger. • 2008 (vgl. Koenig) gaben 32, 1 % aller österreichischen Träger an ausgelagerte Einzel- und/oder Gruppenarbeitsplätze anzubieten: • In Summe waren österreichweit im Jahr 2008 5, 17 % aller Werkstätten. Arbeitsplätze ausgelagert: - 32 % Einzelarbeitsplätze - 68 % Gruppenarbeitsplätze • Höchster Wert Steiermark mit 22, 5 % - 9 % Einzelarbeitsplätze - 91 % Gruppenarbeitsplätze • Oberösterreich: 5, 31 % - 49 % Einzelarbeitsplätze - 51 % Gruppenarbeitsplätze
Entwicklung der Werkstätten in Österreich Koenig (2010) Referenzjahr 2008 Deloitte 2011 Sozialberichte Länder 2015/2016 Anzahl Plätze Pro 10. 000 EW Burgenland 641 22, 8 550 19, 3 745 25, 9 Kärnten 1271 23, 3 893 16, 0 1595 28, 6 Niederösterreich 3831 24, 0 4017 24, 8 4612 28, 2 Oberösterreich 2944 20, 9 4406 31, 1 5351 37, 3 Salzburg 926 17, 4 1008 19, 0 1272 23, 6 Steiermark 2943 24, 4 2685 22, 2 4315* 35, 3 Tirol 1237 17, 6 2488 35, 0 1920 – 3573* 26, 0 - 48, 3 Vorarlberg 990 27, 0 953 25, 6 1221 32, 3 Wien 4091 24, 4 3563 20, 8 4730 26, 4 Gesamt 18874 22, 6 20563 24, 4 25910 - 27563 29, 6 - 31, 5 * Hochrechnungen auf Basis der veröffentlichten Kostenentwicklung
Aktivitäten zur beruflichen Integration von Werkstätten • 2008 gaben 76, 1 % aller Standorte an, Aktivitäten zur beruflichen Integration umzusetzen. - Nur an 22 % der Standorte existierte dafu r eigenes Personal. - 0, 5 % aller Mitarbeiter. Innen waren explizit für diese Aufgabe eingestellt. • 2008 betrug die Vermittlungsquote auf den allgemeinen Arbeitsmarkt 1, 1 %. - Ho chster Wert: Vorarlberg mit 3, 31 % - Vergleich Oberösterreich: 0, 7 %. • 53 % der Vermittlungen wurden von nur 8 % der Standorte erreicht. • 68, 2 % der Standorte haben zwischen 2004 -2008 keine einzige Person vermittelt.
Die Bedeutung von Zutrauen • 2008 wünschten sich laut Einscha tzungen der Werksta tten 9, 5 % der Nutzer. Innen am allgemeinen Arbeitsmarkt zu arbeiten (in OÖ: 5, 2 %). - 4 % wurde dies unter den damaligen Bedingungen auch zugetraut (in OÖ: 2, 6 %). • Je mehr Integrationsaktivita ten von Werksta tten umgesetzt wurden, desto mehr Personen wurden vermittelt. - Einzige Ausnahme: ausgelagerte Arbeitspla tze. • Anteil an vermittelten Personen war nicht von der Größe der Einrichtungen abhängig, jedoch von der Gesamtausrichtung der Organisation. - Je ho her das Zutrauen in die Fa higkeiten der Nutzer. Innen ausfällt, desto mehr Personen wurden vermittelt.
Teufelskreis niedriger Erwartungen (Rinaldi & Perkins 2005) Arbeitgeber. Innen glauben nicht daran, dass Menschen mit Beeinträchtigung arbeiten können Wenige Menschen mit Beeinträchtigungen arbeiten Expert. Innen sagen, dass Menschen mit Beeinträchtigung nicht arbeiten können Menschen mit Beeinträchtigungen glauben, dass sie nicht arbeiten können und setzen keine eigenständige Initiative
Innovative Projekte zur beruflichen Integration in Österreich • Kärnten: Chancenforum (Autark): - Aktuell 80 Personen die im Rahmen eines Arbeitskräfteüberlassungsmodells teilzeitbeschäftigt sind. - Entspricht ca. 5 % der Kärntner Werkstätten-Plätze • Vorarlberg: Spagat (IFS): - Aktuell ca. 400 Integrative Arbeitsplätze & 10 Integrative Wochenstrukturen. - 70 % aller Schulabgänger. Innen mit erhöhtem Förderbedarf (früher S-Lehrplan) wechseln direkt in den allgemeinen Arbeitsmarkt. (Vergleich Österreichweit ca. 2 -3 %). • Wien: - Integrationsfachdienst Jobwärts (Jugend am Werk): Seit 2012 wurden 141 Personen mit erhöhtem Unterstützungsbedarf beruflich integriert: Dabei wurde in 16 Fällen ein Lohnkostenzuschuss, in 108 Fällen ein Mentor. Innenzuschuss sowie in 17 Fällen sowohl ein Lohn- als auch ein Mentor. Innenzuschuss durch das Land finanziert. - Projekt: P. I. L. O. T. (Integration Wien). Elterninitiiertes Pilotprojekt zur Begleitung von Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf in Arbeit.
(Integrative) Beschäftigung aus internationaler Perspektive
Internationale Grundsätze von Unterstützter Beschäftigung • Zuerst Platzieren. • Individualisierte und laufende Unterstützung. • Bezahlte Arbeit. • Keine Zurückweisung/ Offenheit für alle die arbeiten wollen. • Integrative Arbeitsplätze. • Wahlmöglichkeiten und Karriere.
(Integrative) Beschäftigung: Die internationalen Terminologie • Unterstützte vs. Geschützte Beschäftigung • Geschützte Beschäftigung: - Sheltered Workshops: Werkstätten; Fähigkeitsorientierte Aktivität - Adult Day Centre: Tageszentrum; Tagesförderstätte - Sheltered Employment: Zweiter Arbeitsmarkt • Unterstützte Beschäftigung: - Supported Jobs Modell: Job Coaching - Enklaven Modell: Gruppe von 3 -8 Personen die unter Aufsicht/Begleitung/Anleitung in einem Betrieb arbeiten. - Mobile Arbeitsgruppe: Dienstleistungsgruppe (oftmals Ortsungebunden) die Auftragsarbeiten innerhalb oder außerhalb von Organisationen durchführen - Benchwork Modell: Eigenständige Firmen od. Dienstleistungen in Nähe zu Betrieben oder Orten des Gemeinweisen. • Wehman schreibt (2007): „Unterstützte Beschäftigung in seiner progressiven Form hat sich weiterentwickelt und wegbewegt von Enklaven und Mobilen Arbeitsgruppen, hin zu einem Ansatz, der individualisierte Unterstützung für einzelne Menschen anbietet - one person at a time. “
Internationale Forschungsbefunde zum Supported Job Modell • Wirksamkeit: Auch Menschen mit schweren Behinderungen können auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich sein, wenn sie individuelle und langfristige Unterstützung erhalten und die Rahmenbedingungen entsprechend gestaltet sind. • Kosten-Nutzen: Unterstützt Beschäftigung erweist sich als kosteneffizient für Gesellschaft (Volkswirtschaft), den Steuerzahler und die unterstützten Arbeitnehmer. Innen mit Behinderung. • Lebensqualität: Unterstütze Beschäftigung ist der singulär stärkste Prädikator für Lebensqualität im Erwachsenenalter. Jedoch noch immer große Unterschiede zu nicht behinderten Menschen. • Nachhaltigkeit: ca. zehn Jahre nach beruflicher Vermittlung sind ca. 2/3 der Personen noch immer beruflich integriert. Jedoch zumeist nur horizontale Karriereentwicklung.
Aktuellste Entwicklungen Customized Employment • Individualisierung der Beziehung zw. Arbeitnehmer. In & Arbeitgeber. In um die Bedu rfnisse beider Seiten zu erfu llen. • Individualisierte Feststellung der Sta rken, Bedu rfnisse und Interessen der behinderten Person. • Entwicklung von Arbeitspla tzen durch Job Carving, Job Negotiation, Job Creation, Job Sharing bzw. innovative Formen der Selbst-Anstellung oder (mikro-) unternehmerische Initiativen, die dazu fu hren, dass die Aufgaben eines zu erfu llenden Jobs maßgeschneidert und individuell ausverhandelt sind. (U. S. Department of Labour 2008). • Beyer & Robinson (2009) schreiben: „Der wesentliche Beitrag von CE ist es erneut & empirisch belegt gezeigt zu haben, dass das Ansetzen an den Wünschen und Stärken der Arbeitssuchenden mit intellektueller Beeinträchtigung, eine entscheidende Rolle in der Herstellung einer treffsicheren Passung des Arbeitsplatzes spielen. CE ist ein weiteres Beispiel der Anwendung des sozialen Modells von Behinderung, wonach gezielte Anpassungen der Umwelt wichtiger sind als Versuche die Person zu verändern. “
Merkmale erfolgreicher Organisationen (vgl. Parmenter 2011) • Wertegeleitete Entscheidungen • Größe • Assessment von Stärken & Unterstützungsbedarf • Persönliche Zukunftsplanung • Unterstützung am Arbeitsplatz • Zusammenarbeit mit Eltern • Communities of Practice
Forschungsbefunde: Barrieren zu effektiver Unterstu tzung (vgl. Donelly et. Al. 2010) • Unzureichende Identifizierung des Unterstu tzungsbedarfes. • Fehlende Mo glichkeiten auf individuelle Situation und Bedu rfnisse eingehen zu ko nnen –Motivations- und Synergieverlust. • Fokus Menschen in bestehende Unterstu tzungsmodelle zu passen Fehlende Trainings- und Arbeitsmo glichkeiten in Werksta tten. • Lernzentrierte berufliche Vorbereitung. • Orientierung an Selbststa ndigkeit als Voraussetzung fu r sinnvollere und zielgerichtete Unterstu tzungsleistungen. • Fehlende Ressourcen um reale Arbeitserfahrungen zu ermo glichen und vor Ort Unterstützung zu gewa hrleisten.
Alternative Modelle: Fokus auf das Gemeinwesen • Community Economic Development • Alternative zu konventionellen Zugänge. • Grundüberlegung: Die Probleme denen sich Gemeinden ausgesetzt sehen - wie z. B. Arbeitslosigkeit, Armut, Betriebsabsiedlungen, ökonomische Instabilität, ökologische Veränderungen, etc. – müssen in einem ganzheitlichen und partizipativen Ansatz adressiert werden. • CED Projekte leisten einen Gegentrend zu der zunehmenden Bürokratisierung & Parzellierung von sozialen Problemlagen.
Diskussionsanregungen für eine Weiterentwicklung der Integrativen Beschäftigung in (Ober-)Österreich
Wo stehen wir heute? „Bei der Psychiatriereform haben wir uns die Gemeindepsychiatrie vorgestellt. Geworden ist es eine Psychiatriegemeinde außerhalb von Anstalten. “ „Wenn wir in den letzten 25 Jahren über Lösungen nachgedacht haben, so waren wir uns schnell recht einig: Neue und innovativere Dienstleistungen sind gefragt. Geführt hat das zu mehr Einrichtungen. “
Die Zukunftsfrage „Wie gestalten wir ein Bildungs- und Unterstützungsangebot, damit es für diesen einzelnen Menschen in seiner persönlichen Situation und mit seinen individuellen Bedarfen passt mit dem Ziel seiner Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft? “ (Aselmeier 2012) ØWo stehen wir? ØWo wollen wir hin? ØWas müssen wir verändern? ØWelchen Beitrag sollen die unterschiedlichen Akteure leisten?
Diskussionsanregungen für den Entwicklungsprozess in Oberösterreich I • Systemisch kann ein Top-Down Approach (Vorgabe 40 % bis 2020) zwischen Systemen mit unterschiedlichen Interessenslagen nicht funktionieren. • Systeme lassen sich nur zu ihren eigenen Bedingungen (und von innen heraus) verändern. Führt zu einer zunehmenden Ausdehnung & „feilschen“ um Auslegungen von „Integrativer Beschäftigung“ mit der zusätzlichen Gefahr, dass das Ziel „verabsolutiert“ wird, und die Vorgaben der UNBRK mit den Zielen der beruflichen Inklusion aus dem Blickfeld geraten. • Inklusion als Next Practice braucht ein klares Commitment, klare und geteilte Vision, Kollaboration auf Augenhöhe, gegenseitiges Vertrauen, Offenheit und Zeit. • Bedeutung der Integrativen Beschäftigung liegt v. a. in einer kurz- bis mittelfristigen Dynamisierung der Werkstätten, wobei die Offenheit in Richtung ordentlicher Dienstverhältnisse nicht aus den Augen verloren werden sollte: • Entwicklungen in Richtung Mentor. Innen und Lohnkostenzuschüsse • Umstellung auf eine inzentive Steuerung statt Quotenvorgaben.
Diskussionsanregungen für den Entwicklungsprozess in Oberösterreich II • Sämtliche vorhandenen (internationalen) Forschungsbefunde sind eindeutig: • frühe und gut unterstützte berufliche Integration ist zielführender und effizienter als Platzierung in Werkstätten. • Braucht aber gut begleitete und langfristig verfügbare Unterstützung mit der Möglichkeit der Nachreifung. • Langfristig gilt es die Struktur, Kultur und Arbeitsweisen von Werkstätten neu zu denken und gestalten (Transformation statt Expansion), z. B. : • Entwicklungen im Bereich Community Economic Development sowie • Re-fokussierung auf den Aufbau von sozialen Netzwerken & Beziehungen nach dem Prinzip: „nicht mehr sondern statt“. • Öffnen der (Integrativen) Beschäftigung (auch in Einzelsettings) für Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf nach dem Prinzip: „One Person at a time“. Interne und externe Bereitstellung von Ressourcen. • Etablierung einer Community of Practice von Organisationen: Teilen von Lernerfahrungen, Kollaboration, Synergiesteigerung & Professionalisierung.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit Kontakt Dr. Oliver Koenig Institut für Bildungswissenschaft / Universität Wien 1090 Wien, Sensengasse 3 a Tel. : +43 / 1 / 4277 46805 Mobil: 0676 / 77 40 760 oliver. koenig@univie. ac. at
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