Grundlagen der Bilanzanalyse Prof Dr W Schmeisser 1
Grundlagen der Bilanzanalyse Prof. Dr. W. Schmeisser 1
Begriff • § 242 bzw. § 264 HGB Pflicht zur Rechenschaft • Aufzeigen der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage wirtschaftliche Lage 2
Ziel • Entscheidungsrelevante Informationen gewinnen über – gegenwärtige wirtschaftliche Lage und – künftige wirtschaftliche Entwicklung, die dem – Jahresabschluß (JA) und Lagebericht (LB) des Unternehmens nicht direkt zu entnehmen sind 3
Interessenten Externe Bilanzanalytiker Interne Bilanzanalytiker • Kreditgeber, Kreditversicherer, Auskunfteien • (Klein-)Aktionäre, externe Gesellschafter • Rating-Agenturen • Lieferanten • Kunden • Finanzanalysten • Bundesbank /EZB • Arbeitnehmer, Gewerkschaften • Konkurrenzunternehmen • Presse Unternehmensleitung (Vorstand, GF) Kontrollorgane (Aufsichtsrat, Beirat, Jahresabschlußprüfer) Beteiligungscontroller Großaktionäre Großkreditgeber Finanzverwaltung 4
Finanzielle Ziele des Unternehmens Geld verdienen Verdienstquelle sichern Ertragskraft Finanzielle Stabilität Angestrebte Bestandsfestigkeit 5
Ziele des Bilanzanalytikers Wieviel Geld hat das Unternehmen tatsächlich verdient? Wie sicher ist die Verdienstquelle beim analysierten Unternehmen? Wie ist die tatsächliche Bestandsfestigkeit? Analyse des JA Erfolgswirtschaftliche Analyse Finanzwirtschaftliche Analyse 6
Vielzahl von Informationswünschen mit einem unterschiedlichen Detaillierungsgrad, also vielfältige Kennzahlen Grundsätzliche Vorgehensweise bei Bilanzanalyse unterscheidet sich jedoch kaum 7
Konzeption Sammlung von Daten über die wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen 2. Aufbereitung des JA und des zusätzlichen Datenmaterials in einem Erfassungsschema für Bilanz und Gu. V 3. Kreative Kennzahlen- und Hypothesenbildung zu (möglichst) jeder Kennzahl 4. Kennzahlenauswahl und Kennzahlengewichtung 5. Kennzahlenvergleiche und Zielvorgaben 6. Interpretation der Analyseergebnisse und Gewinnung eines Gesamturteils Feedbac k 1. 8
1. Sammlung von Daten über die wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen 9
Schritt 1: Sammlung von Daten über. . . • Wirtschaftliche Rahmenbedingungen – Makroökonomische Entwicklung – Konkurrenz- und Branchenverhältnisse – Kundenstruktur – Alter und Größe des Unternehmens – Beschaffungs- und Absatzmärkte – Mitarbeiterzahl und Produktionsprogramm 10
Schritt 1: Sammlung von Daten über. . . • Rechtliche Rahmenbedingungen – Rechtsform der Gesellschaft – Zusammensetzung der Gesellschaftsorgane – Beziehungen zu verbundenen Unternehmen – Rechtliche Verhältnisse auf den Absatzund Beschaffungsmärkten 11
1. Sammlung von Daten über die wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen 2. Aufbereitung des JA und des zusätzlichen Datenmaterials in einem Erfassungsschema für Bilanz und Gu. V 12
Schritt 2: Aufbereitung. . . Warum? • Beeinträchtigung des zu gewinnenden Urteils über die wirtschaftliche Lage eines Unternehmens durch • Bilanzpolitik „zielgerichtete Beeinflussung des Jahresabschlusses und des Lageberichts mit Hilfe legaler Maßnahmen wie Wahlrechte und Ermessensspielräume“ 13
Arten der Maßnahmen • Bilanzieller Ansatz- und Bewertungswahlrechte • Ermessenspielräume und sog. • Sachverhaltsgestaltungen Progressive Bilanzierung für Ausweis eines möglichst hohen Jahresüberschusses, stille Rücklagen auflösend Konservative Bilanzierung für Ausweis eines möglichst geringen Jahresüberschusses, Bildung stiller Rücklagen 14
1. Ansatz- und Bewertungswahlrechte • Im deutschen Bilanzrecht sind bilanzpolitisch besonders bedeutsam z. B. : – Aktivierungswahlrecht für ein Disagio, § 250 III 1 HGB – Aktivierungswahlrecht für einen entgeltlich erworbenen Geschäfts- oder Firmenwert, § 255 IV HGB – Wahlrecht, die Herstellungskosten entweder zu Teilaufwand oder zu Vollaufwand zu bewerten, § 255 II und III HGB 15
2. Ermessensspielräume • Genutzt anhand der: – Wahl der Abschreibungsmethode – Bemessung der Nutzungsdauer abnutzbarer Vermögensgegenstände des AV im Sinne des § 253 II 1, HGB – Schätzung des Restbuchwertes beim Ausscheiden eines Anlagegegenstandes – Bewertung von Rückstellungen gem. § 253 I 2, HGB 16
3. Sachverhaltsgestaltungen • z. B. durch – „Windowdressing“: Liquidität wird durch FKAufnahme über den Bilanzstichtag gehalten – „Sale-and-lease-back“: Anlagegüter werden veräußert und gleichzeitig vom veräußernden Unternehmen zurückgemietet 17
Ziel der Aufbereitung • Informationsmängel des Jahresabschlusses zu beheben und ihn für Vergleiche, also weitergehende Auswertung, vorzubereiten Erst dann ist Bilanzanalytiker in der Lage, akzeptable Zeit-, Unternehmens- und Soll-Ist. Vergleiche durchzuführen 18
1. Sammlung von Daten über die wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen 2. Aufbereitung des JA und des zusätzlichen Datenmaterials in einem Erfassungsschema für Bilanz und Gu. V 3. Kreative Kennzahlen- und Hypothesenbildung zu (möglichst) jeder Kennzahl 19
Schritt 3: Kreative Kennzahlenbildung. . . • Arten: – Absolute Kennzahlen, z. B. Jahresüberschuß, Umsatz, Bilanzsumme – Relative Kennzahlen, d. h. Verhältniszahlen • Gliederungszahlen, • Beziehungszahlen oder • Indexzahlen 20
Relative Kennzahlen • Gliederungszahlen: Betrachtung einer Teilgröße in Relation zu zugehöriger Gesamtgröße, z. B. Eigenkapitalquote • Beziehungszahlen: Betrachtung der Relation zweier verschiedenartiger Größen, wie Ursache. Wirkung oder Mittel-Zweck-Beziehung, z. B. Eigenkapitalrentabilität • Indexzahlen: Absolute Zahl für einen Zeitpunkt bzw. -raum in Relation zu gleicher Zahl zu einem früheren Zeitpunkt bzw. –raum, z. B. prozentuales Wachstum 21
Zwei Voraussetzungen – 1. Entsprechungsprinzip • Betriebswirtschaftliche Akzeptabilität nur gegeben, wenn sich die in Zähler und Nenner einbezogenen Größen – zeitlich, – sachlich und – wertmäßig entsprechen. 22
2. : Neutralisierungsprinzip • Grundsatz, nachdem vom Unternehmen verschleier-te wahre wirtschaftliche Lage durch Kennzahlen-bildung konterkariert wird. – Wesentliche bilanzpolitische Bereiche der Bilanzierung identifizieren und versuchen, deren Einfluß auf die Kennzahlengrößen zu neutralisieren – Größter bilanzpolitischer Spielraum z. B. Zuführung / Auflösung zu Rückstellungen, (außer)planmäßige Ab-schreibungen und Zuschreibungen – Versuch, Cash Flow retrograd zu schätzen 23
Hypothesenbildung • Bildung von Arbeitshypothesen – Ist ein hoher (niedriger) Kennzahlenwert positiv oder negativ zu bewerten? – „G>K“ – Ermittlung der Hypothese deduktiv aus Unternehmenszielen, oder induktiv aus betriebswirtschaftlichen Überlegungen bzw. Erfahrung des Bilanzanalytikers 24
1. Sammlung von Daten über die wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen 2. Aufbereitung des JA und des zusätzlichen Datenmaterials in einem Erfassungsschema für Bilanz und Gu. V 3. Kreative Kennzahlen- und Hypothesenbildung zu (möglichst) jeder Kennzahl 4. Kennzahlenauswahl und Kennzahlengewichtung 25
Schritt 4: Kennzahlenauswahl und Kennzahlengewichtung (1) • Ganzheitlichkeitsprinzip – Ausgesuchte Kennzahlen sollten möglichst alle Informationsbereiche des JA und damit der wirtschaftlichen Lage abdecken • Objektivierungsprinzip – Ein Dritter gelangt nach demselben Verfahren zum gleichen Gesamturteil 26
Schritt 4: Kennzahlenauswahl und Kennzahlengewichtung (2) • Kennzahlensysteme (z. B. Du. Pont, EKREKQ) • Auswahl und Gewichtung von Kennzahlen mit mathematischstatistische Verfahren (z. B. Multivariate Diskriminanzanalyse) 27
Du. Pont-Kennzahlensystem ROI Umsatzrentabilität x Gesamtkapitalumschlagshäufigkeit Periodenerfolg : Umsatzerlöse - Aufwand : Gesamtvermögen Umlaufvermögen + Anlagevermögen 28
1. Sammlung von Daten über die wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen 2. Aufbereitung des JA und des zusätzlichen Datenmaterials in einem Erfassungsschema für Bilanz und Gu. V 3. Kreative Kennzahlen- und Hypothesenbildung zu (möglichst) jeder Kennzahl 4. Kennzahlenauswahl und Kennzahlengewichtung 5. Kennzahlenvergleiche und Zielvorgaben 29
Schritt 5: Kennzahlenvergleiche. . . • Drei verschiedene Vergleichsobjekte: – Betriebsvergleich • Voraussetzung: höchstmögliche Strukturgleichheit • Störquellen: unterschiedliche Branche, Standort, technische Ausstattung, Produktionstechnik, Produktionstiefe. . . – Zeitvergleich • Betriebswirtschaftliches Erfolgsspaltungskonzept: Vergleich der um außergewöhnliche, betriebs- oder periodenfremde Vorgänge, bereinigten, regelmäßigen Jahreserfolge 30
– Handelsrechtliches Erfolgsspaltungskonzept: untypische Erfolgsbeiträge die regelmäßig anfallen und aperiodische Erfolgsbeiträge, die aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit resultieren sind im ordentlichen Ergebnis und somit im sonstigen betrieblichen Ergebnis auszuweisen • Soll-Ist-Vergleich – ermittelter „Ist“ versus normativer (maßgebender) „Soll“-Wert. – Soll-Wert entweder induktiv aus empirisch getesteten Kennzahlen (z. B. Kennzahlen der 10 besten Unternehmen der Branche) oder deduktiv aus Unternehmenszielen ableiten 31
Sammlung von Daten über die wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen 2. Aufbereitung des JA und des zusätzlichen Datenmaterials in einem Erfassungsschema für Bilanz und Gu. V 3. Kreative Kennzahlen- und Hypothesenbildung zu (möglichst) jeder Kennzahl 4. Kennzahlenauswahl und Kennzahlengewichtung 5. Kennzahlenvergleiche und Zielvorgaben 6. Interpretation der Analyseergebnisse und Gewinnung eines Gesamturteils Feedbac k 1. 32
Schritt 6: Interpretation der Analyseergebnisse. . . (1) • Ursachen für Kennzahlenänderung gegenüber Vergleichsmaßstab • Beurteilung, ob Abweichungen dauerhaft oder einmalig sind, und ob Kennzahlenwerte in die Zukunft projizierbar werden dürfen bzw. müssen 33
Schritt 6: Interpretation der Analyseergebnisse. . . (2) • „Qualitative Bilanzanalyse“: Interpretation der Abweichungen anhand von Informationen über wirtschaftliche und rechtliche Rahmen-bedingungen (Feedback) • „Semiotische Bilanzanalyse“: Untersuchung der Sprache des Geschäftsberichts, z. B. Präzisionsgrad der Aussagen, unterschiedliche Formulierungen für denselben Sachverhalt. . . 34
Gesamturteil • Gesamturteil über wirtschaftliche Lage ermitteln und abgeben – Finanzwirtschaftliche und erfolgswirtschaftliche Analyse unter Zuhilfenahme der qualitativen Bilanz -analyse und der Information über die wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen führen zu Teilurteilen Gesamturteil – z. B. Verwendung von Checklisten auf Basis eines Scoring-Modells • „Saarbrücker Modell zur Unternehmensbeurteilung“ 35
Literatur • Baetge, Jörg: Bilanzanalyse. Düsseldorf: IDW-Verlag, 1998. • HGB, 34. Auflage. DTV-Verlag, 1999. 36
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