Gesundheitsfrderung bei Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen Dr
Gesundheitsförderung bei Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen Dr. med. Lotte Habermann-Horstmeier, MPH Kongress Armut und Gesundheit www. armut-und-gesundheit. de 2020 https: //twitter. com/Kongress_Au. G
Überblick § Definitionen Gesundheitsförderung, Prävention, Behinderung § Prä-, peri- und postnatal wirkende Risikofaktoren für die Entstehung einer Behinderung § Morbidität, Mortalität bei Kindern und Jugendlichen mit Behinderung § Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Prävention bei Kindern und Jugendlichen mit Behinderung |2 Kongress Armut und Gesundheit www. armut-und-gesundheit. de 2020 https: //twitter. com/Kongress_Au. G
§ Menschen mit Behinderung gehören zu den Bevölkerungsgruppen mit deutlich schlechteren Gesundheitschancen. § Besonders vulnerabel sind Kinder und Jugendliche mit Behinderung. Äußerst heterogene Gruppe mit sehr unterschiedliche Bedürfnissen und Fähigkeiten. |3 Kongress Armut und Gesundheit www. armut-und-gesundheit. de 2020 https: //twitter. com/Kongress_Au. G
Bislang gibt es nur wenige Maßnahmen der Gesundheitsförderung, die sich speziell an Kinder und Jugendliche mit Behinderung richten. Definition Gesundheitsförderung: Alle Maßnahmen, die der Stärkung der personalen, sozialen und materiellen Gesundheitsressourcen und -potenziale der Kinder und Jugendlichen dienen. Bei Menschen mit Behinderung sind dies v. a. auch § § § soziale oder medizinische Maßnahmen bzw. Verhaltensweisen, die Entstehung weiterer gesundheitlicher Schädigungen verhindern sollen (Primärprävention) Maßnahmen, die das Fortschreiten bereits bestehender Erkrankungen/Behinderungen verhindern (Sekundärprävention) und/oder Folgeschäden vermeiden (Tertiärprävention). Solche Maßnahmen können sowohl an der Umwelt und den Lebensbedingungen der jungen Menschen (= verhältnisassoziiert) als auch an ihrem Verhalten (= verhaltensassoziiert) ansetzen. Je schwerer die Behinderung ist, desto eher sind verhältnisassoziierte Maßnahmen angebracht. |4 Kongress Armut und Gesundheit www. armut-und-gesundheit. de 2020 https: //twitter. com/Kongress_Au. G
Definitionen von Behinderung: 1. International Classification of Impairments, Disabilitis and Handicaps (ICIDH), WHO 1980: Eine Behinderung (Handicap) liegt dann vor, wenn einer Person mit einer angeborenen oder erworbenen Fehlbildung (Impairment) und/oder einer daraus resultierenden erheblichen Funktionsbeeinträchtigung (Disability) Nachteile hieraus entstehen und sie dadurch bei typischen Alltagssituationen eingeschränkt ist. 2. Classification of Functioning, Disability and Health (ICF), WHO 2001: Sie betrachtet nicht mehr primär die Defizite eines Menschen, sondern seine Potenziale und Ressourcen; setzt verschiedene Gesundheitskomponenten des Menschen und seiner Umwelt zueinander in Beziehung. Ein primäres Gesundheitsproblem kann zum Ausgangspunkt einer Schädigung, einer Beeinträchtigung der Aktivität oder einer Beeinträchtigung der Teilhabe werden. Es kann zu verschiedenen Schädigungen, z. B. im Bereich der Mobilität, der Sinne, der kognitiven und emotionalen Fähigkeiten, der Kommunikation führen. Hinzu können sekundäre Gesundheitsprobleme und Begleiterkrankungen kommen. |5 Kongress Armut und Gesundheit www. armut-und-gesundheit. de 2020 https: //twitter. com/Kongress_Au. G
Verschiedenste, von Beginn an auf den sich entwickelnden Menschen einwirkende Faktoren können dann, wenn sie zu einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer Behinderung führen, zu Risikofaktoren werden. |6 Kongress Armut und Gesundheit www. armut-und-gesundheit. de 2020 https: //twitter. com/Kongress_Au. G
Einflussfaktoren auf die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung |7 Kongress Armut und Gesundheit www. armut-und-gesundheit. de 2020 Quelle: Habermann-Horstmeier L. Gesundheitsförderung bei Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen, 2019 (https: //doi. org/10. 1515/pubhef-2019 -0085 ), modifiziert nach Zepp, F. Gesundheitsförderung und Prävention bei Kindern und Jugendlichen: https: //twitter. com/Kongress_Au. G Die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland als Grundlage für lebenslange Prävention, 2017 https: //slideplayer. org/slide/11941380/)
§ § § Genetik epigenetische Faktoren materielle & soziale Umwelteinwirkungen Lebensstil Verhalten der Familie und der betroffenen Kinder/Jugendlichen … können sich sowohl prä- als auch postnatal positiv und negativ auf die gesundheitliche Situation der jungen Menschen mit Behinderung auswirken. Die Faktoren können sich wechselseitig in verschiedenster Weise beeinflussen und dadurch in ihren Auswirkungen aufheben oder verstärken. Je früher sie wirksam werden, desto gravierender können die daraus entstehenden Fehlbildungen oder Funktionsbeeinträchtigungen sein. Kongress Armut und Gesundheit www. armut-und-gesundheit. de 2020 https: //twitter. com/Kongress_Au. G
Beispiele für Risikofaktoren, die während der Schwangerschaft aus der Umgebung (d. h. über die werdende Mutter und ihre Umwelt) auf das Ungeborene einwirken: § § § Stress Rauchen Alkohol illegalen Drogen Chemikalien ungesunde Ernährung (z. B. Folsäure- und Jodmangel) Übergewicht der Mutter Strahlung Medikamente Infektionen Intrauterinen Mangelversorgung Risikofaktoren unter der Geburt: § eingeschränkte Sauerstoffversorgung des Gehirns § Geburtstrauma (mechanische Schäden an Organen, insbes. am Gehirn) |9 Sie alle können beim Ungeborenen/ Neugeborenen Veränderungen hervorrufen, die Kongress Armut und Gesundheit dann im nachgeburtlichen Leben zu Behinderungen führen. www. armut-und-gesundheit. de 2020 https: //twitter. com/Kongress_Au. G
Daten zur Häufigkeit von Kindern und Jugendlichen mit Schwerbehindertenausweis in Deutschland* * In Deutschland gibt es z. B. kein nationales Fehlbildungsregister. | 10 Kongress Armut und Gesundheit www. armut-und-gesundheit. de 2020 Quelle: Modifiziert nach Habermann-Horstmeier L. Grundlagen der Gesundheitsförderung in der stationären Behindertenarbeit. Bern: Hogrefe Verlag, 2018, S. 40 https: //twitter. com/Kongress_Au. G
§ Bei Säuglingen und Kleinkindern mit anerkannter Schwerbehinderung ist der Anteil von angeborenen Behinderungen (z. B. aufgrund genetischer Syndrome, Speicherkrankheiten, Infantiler Zerebralparese) besonders hoch. § Mit dem Alter steigt dann die Zahl von Schwerbehinderungen aufgrund chronischer Erkrankungen. Kongress Armut und Gesundheit www. armut-und-gesundheit. de 2020 https: //twitter. com/Kongress_Au. G
Beispiele für Behinderungsformen unterschiedlicher Schweregrade mit vorgeburtlichen, peripartalen und/oder frühkindlichen Ursachen: § Chromosomenaberrationen (z. B. Trisomie 21 [Down-Syndrom], Trisomie 18) § Lysosomale Speicherkrankheiten (z. B. Morbus Gaucher, Tay-Sachs-Syndrom) § Fehlbildungen und Entwicklungsstörungen des Gehirns / Frühkindliche Hirnschädigung (z. B. Mikrozephalie, Hydrozephalus, zerebrale Bewegungsstörungen, verschiedene Formen der Epilepsie, Autismus, ADHS, Legasthenie etc. ) § Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte § Spina bifida (offener Rücken) § Hüftdysplasie § Fehlbildungen der Extremitäten (z. B. Dysmelie, Amelie) § Herzfehler § Mehrfachbehinderung Kongress Armut und Gesundheit www. armut-und-gesundheit. de 2020 https: //twitter. com/Kongress_Au. G
§ Herzerkrankungen im Kindesalter beruhen überwiegend auf angeborenen Fehlbildungen. § Bei den Epilepsien spielen angeborene bzw. frühkindlich erworbene Funktionsstörungen des Gehirns eine wichtige Rolle. § Nicht selten ist die Ursache der Behinderung aber auch unbekannt. Kongress Armut und Gesundheit www. armut-und-gesundheit. de 2020 https: //twitter. com/Kongress_Au. G
Erhöhte Säuglings- und Kindersterblichkeit bei § Frühgeborenen ( Reifedefizite) § untergewichtigen Neugeborenen ( Reifedefizite) § Kindern mit Chromosomenanomalien § Kindern mit anderen angeborenen Behinderungen Betroffene Kinder haben zudem § hohes Risiko für chronische Erkrankungen und weitere Behinderungen § erhöhtes Risiko für die Entstehung zusätzlicher psychischer Störungen (v. a. bei Kindern mit geistiger Behinderung und gestörter Eltern-Kind. Beziehung, unsicheren sozialen Verhältnissen und/oder anregungsarmer Umwelt) Kinder und Jugendliche mit Behinderung sind deutlich häufiger und v. a. länger krank als nichtbehinderte Gleichaltrige. Kongress Armut und Gesundheit www. armut-und-gesundheit. de 2020 https: //twitter. com/Kongress_Au. G
Kinder und Jugendliche mit Behinderung können u. a. eingeschränkt sein in § Nahrungsaufnahme § Bewegung § Kommunikation Eine noch größere Bedeutung als bei nicht behinderten jungen Menschen haben darüber hinaus § § § Schutz und Sicherheit Nähe und soziale Beziehungen eine gesunde Umgebung Körperpflege Schlaf Diese Grundbedürfnisse können leicht zu Risikofaktoren werden, wenn im Umfeld nicht entsprechend auf sie eingegangen wird. Gesundheitsfördernde Lebenswelt (Setting) Kongress Armut und Gesundheit www. armut-und-gesundheit. de 2020 https: //twitter. com/Kongress_Au. G
Gesundheitsfördernde Lebenswelt für Kindern und Jugendlichen mit Behinderung Quelle: Modifiziert nach Habermann-Horstmeier L. Grundlagen der Gesundheitsförderung in der stationären Behindertenarbeit. Bern: Hogrefe Verlag, 2018, S. 40 | 16 Kongress Armut und Gesundheit www. armut-und-gesundheit. de 2020 https: //twitter. com/Kongress_Au. G
§ Kinder und Jugendliche mit Behinderung haben in der Regel einen deutlich höheren Betreuungsbedarf als nichtbehinderte Gleichaltrige. § Betreuungsbedarf ist abhängig von Art und Grad der Behinderung. § Betreuungsbedarf kann auch – anders als bei Kindern/Jugendlichen ohne Behinderung - mit Alter weiter ansteigen (Beispiel: schwere Verlaufsformen der Oligo- und Mukopolysaccharidose mit einer stark eingeschränkten Lebenser-wartung). Kongress Armut und Gesundheit www. armut-und-gesundheit. de 2020 https: //twitter. com/Kongress_Au. G
Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Prävention sollen hier § so früh wie möglich einsetzen (z. B. schon vor oder während einer Schwangerschaft) § Zielgruppen- bzw. Individuum bezogen sein § ortsnah durchgeführt werden § v. a. verhältnisassoziiert sein (d. h. die konkreten Lebensbedingungen und die gesundheitliche Situation der Betroffenen berücksichtigen) Je jünger die Kinder sind und je eingeschränkter ihr gesundheitlicher Zustand ist, desto mehr sind sie auf ein solches gesundheitsförderndes Setting angewiesen. Dieses Setting soll ihre Grundbedürfnisse berücksichtigen, die sich in Umfang und Qualität von denen gesunder Gleichaltriger unterscheiden können. Kongress Armut und Gesundheit www. armut-und-gesundheit. de 2020 https: //twitter. com/Kongress_Au. G
Wichtige Ansatzpunkte für gesundheitsfördernde/präventive Maßnahmen § Neugeborenen-Screenings § Früherkennungsuntersuchungen durch speziell geschulte Ärzt. Innen § niederschwellige, interdisziplinäre Frühen Hilfen § umfassende, wohnortnahe, vernetzte medizinische und pflegerische Versorgung § soziale Inklusion der betroffenen Kinder/Jugendlichen und ihrer Familien Kongress Armut und Gesundheit www. armut-und-gesundheit. de 2020 https: //twitter. com/Kongress_Au. G
Folgende Tabelle zeigt die wichtigsten Risikofaktoren und entsprechende Ansatzpunkte für solche Maßnahmen während der verschiedenen Phasen der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung. Kongress Armut und Gesundheit www. armut-und-gesundheit. de 2020 https: //twitter. com/Kongress_Au. G
Quelle: modifiziert nach Habermann-Horstmeier L. Gesundheitsförderung bei Kindern und Jugendlichen mit Behinderung. Public Health Forum 2019; 27(4): 246 -251, Tab. 2 | 21 Kongress Armut und Gesundheit www. armut-und-gesundheit. de 2020 https: //twitter. com/Kongress_Au. G
§ Bei der Planung und Umsetzung der Maßnahmen ist die Partizipation der betroffenen Kinder und Jugendlichen und ihrer Angehörigen von großer Bedeutung. § Nur sie können Informationen zu ihren speziellen Bedürfnissen und Fähigkeiten mit einbringen. § Gilt v. a. auch für Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung ( große Unterschiede in intellektueller und sozio-emotionaler Entwicklung sowie des individuellen Erlebens). § Da ihre Möglichkeit der Partizipation – je nach den individuellen Voraussetzungen – erheblich eingeschränkt sein können, kann auch hierbei eine Assistenz (z. B. durch geschulte Vertrauenspersonen) nötig sein. Kongress Armut und Gesundheit www. armut-und-gesundheit. de 2020 https: //twitter. com/Kongress_Au. G
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Dr. med. Lotte Habermann-Horstmeier, MPH Villingen Institute of Public Health (VIPH) an der Steinbeis+Akademie der Steinbeis-Hochschule Holding Gmb. H Klosterring 5 78050 Villingen-Schwenningen Tel: 07721/99 48 13 Fax: 07721/20 699 71 Habermann-Horstmeier@viph-steinbeis-hs. de https: //www. facebook. com/VIPHStudium | 23 Kongress Armut und Gesundheit www. armut-und-gesundheit. de 2020 https: //twitter. com/Kongress_Au. G
Einige Literaturhinweise Habermann-Horstmeier L. Gesundheitsförderung bei Kindern und Jugendlichen mit Behinderung. Public Health Forum 2019; 27(4): 246 -251 Habermann-Horstmeier L. Gesundheit und Inklusion von Menschen mit Beeinträchtigungen – Grundbegriffe und Prinzipien (Health and inclusion of people with impairments – Basic concepts and principles. Public Health Forum 2017; 25(4): 254 -258; https: //doi. org/10. 1515/pubhef-2017 -0053 Habermann-Horstmeier L. Grundlagen der Gesundheitsförderung in der stationären Behindertenarbeit. Bern: Hogrefe Verlag, 2018 Habermann-Horstmeier L. Gesundheitsförderung in Behindertenwohneinrichtungen – Zum Umgang mit psychischen Störungen, Krankheit, Altern und Tod. Bern: Hogrefe Verlag 2018 Habermann-Horstmeier L, Lippke S. Grundlagen, Strategien und Ansätze der Gesundheitsförderung. In: Tiemann M. , Mohokum M. (eds) Prävention und Gesundheitsförderung. - Springer Reference Pflege – Therapie – Gesundheit. Berlin, Heidelberg: Springer 2019 | 24 Habermann-Horstmeier L, Lippke S. Grundlagen, Strategien und Ansätze der Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention. In: Tiemann M. , Mohokum M. (eds) Prävention und Gesundheitsförderung. - Springer Reference Pflege – Therapie – Gesundheit. Berlin, Heidelberg: Springer 2019 Habermann-Horstmeier. Chronische Krankheit und Behinderung. In: Egger M, Razum O, Rieder A (Hrsg. ). Public Health Kompakt. Berlin: De Gruyter, 3. überarbeitete und ergänzte Aufl. 2018, S. 363 -373 Bender N, Habermann-Horstmeier L. Gesundheit im Verlauf des Lebens – Säuglingsalter und frühe Kindheit. In: Egger M, Razum O, Rieder A (Hrsg. ). Public Health Kompakt. Berlin: De Gruyter, 3. überarbeitete und ergänzte Aufl. 2018, S. 240 -244 Habermann-Horstmeier L, Limbeck K. Einflussfaktoren auf die Arbeitsbelastung in der stationären Behindertenhilfe - Factors Influencing the Workload of Carers in the Field of Disability Work in Residential Facilities. Das Gesundheitswesen 2018; 80(05): 433 -443; DOI: 10. 1055/s-0042 -111313 Habermann-Horstmeier L, Limbeck K. Burnout-Gefährdung in der Behindertenarbeit – Subjektive Einschätzungen der Beschäftigten geben Hinweise. Prävention und Gesundheitsförderung 2017; 12(1): 27– 40; DOI: 10. 1007/s 11553 -016 -0553 -2; Habermann-Horstmeier L. , Limbeck K. Arbeitsbelastung: Welchen Belastungen sind die Beschäftigten in der Behindertenbetreuung ausgesetzt? ASU (Arbeitsmedizin Sozialmedizin Umweltmedizin), 2016; 51: 517 -525 Habermann-Horstmeier L, Limbeck K. Arbeitsklima in Behinderten-Wohneinrichtungen in Deutschland. ASU (Arbeitsmedizin Sozialmedizin Umweltmedizin); 2016; 51(1): 50 -63 Kongress Armut und Gesundheit www. armut-und-gesundheit. de 2020 https: //twitter. com/Kongress_Au. G
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