Fundamentale offene Fragen der Hochenergiephysik ClaudiaElisabeth Wulz Institut
Fundamentale offene Fragen der Hochenergiephysik Claudia-Elisabeth Wulz Institut für Hochenergiephysik der ÖAW & TU Wien Fachausschuß für Kern- und Teilchenphysik 55. Jahrestagung der Österreichischen Physikalischen Gesellschaft Wien, 28. Sep. 2005
Teilchenphysik am Ende des 20. Jhdts. Das Standardmodell wurde bis O(100 Ge. V) eindrucksvoll experimentell bestätigt, teilweise mit höchster Präzision! C. -E. Wulz 2 Wien, Sep. 2005
Teilchenphysik am Ende des 20. Jhdts. Das Standardmodell kann jedoch nur eine beschränkte Gültigkeit haben, da: - Gravitation nicht inkludiert - keine Lösung des Hierarchieproblems - keine Vereinheitlichung der Kopplungskonstanten - neue Phänomene nicht enthalten (Neutrinomassen, etc. ) - etc. Energieskala L für Gültigkeit des Standardmodells: L < MPlanck ~ 1019 Ge. V (Gravitationseffekte werden signifikant) Das Standardmodell muß erweitert werden! Mehr als das: eine Revolution hat sich angebahnt … ! C. -E. Wulz 3 Wien, Sep. 2005
Astrophysik - Teilchenphysik 1998: Inflationäre Expansion des Universums aus Beobachtungen von Ia-Supernovae. Erklärbar durch nicht verschwindende kosmologische Konstante bzw. durch nicht verschwindende Komponente “dunkler Energie”. Bester Fit: WM=0. 28 WL=0. 72 SN 1987 A Hubble-Diagramm z. B. Perlmutter et al. astro-ph/9812133 WM + WL = 1 … Universum ist flach C. -E. Wulz 4 Wien, Sep. 2005
Messung kosmologischer Parameter Heute z. B. : WMAP (NASA Wilkinson Microwave Anisotropy Probe) SDSS (Sloan Digital Sky Survey) Wtot (total) = 1. 02 0. 02 WM (matter) = 0. 27 0. 03 WB (baryons) = 0. 045 0. 005 Wn (hot dark matter) < 0. 015 (95% C. L. ) C. L. Bennett et al. , 2003, Ap. JS, 148, 1 -> Bekannte baryonische Materie: ~ 4% -> Cold dark matter: ~ 23% -> Dark energy: ~ 73% C. -E. Wulz 5 Wien, Sep. 2005
Offene Fragen Woher kommen die Massen der bekannten Teilchen? (Wie) kann das Standardmodell erweitert werden? Gibt es mehr als 3 Lepton/Quark-Generationen? Welche Rolle spielen massive Neutrinos? Wie kann man das Confinement verstehen? Was ist die dunkle Materie (schwere SUSY-Teilchen, …? ) Können alle Kräfte vereint werden? Wie geht die Gravitation ein? Was ist die dunkle Energie (Einsteins kosmologische Konstante, …? ) Gibt es zusätzliche Dimensionen? Wie entstand das Universum? (Warum) ist das Universum flach? (Warum) ist die Antimaterie verschwunden? C. -E. Wulz 6 Wien, Sep. 2005
Werkzeuge zur Beantwortung Experimente an Beschleunigern ATLAS z. B. FNAL: Tevatron BNL: RHIC DESY: HERA CERN: Large Hadron Collider (LHC) ? : International Linear Collider, CLIC Gran Sasso Experimente in Untergrundlaboratorien Experimente an Kernreaktoren Raumsonden SDSS WMAP Kam. LAND Terrestrische Teleskope C. -E. Wulz 7 Wien, Sep. 2005
Ursprung der Masse Elektromagnetische und schwache Wechselwirkung sind durch fundamentale Symmetrien verbunden, dennoch manifestieren sie sich in verschiedener Weise. mg = 0 m. W ~ 80 Ge. V/c 2 m. Z ~ 91 Ge. V/c 2 Warum sind die Massen so verschieden? Erklärung: Higgs-Mechanismus Durch Interaktion mit einem Quantenfeld erhalten Teilchen Masse. Einfachstes Modell hat nur ein neutrales, skalares Higgs-Boson. v = 246 Ge. V/c 2 … Vakuumerwartungswert des Higgsfeldes l … unbekannt -> Higgsmasse von der Theorie nicht vorhergesagt! C. -E. Wulz 8 Wien, Sep. 2005
Status der Higgsmassenbestimmung Direkte Suche bei LEP 2000 beendet. Resultat: m. H > 114. 4 Ge. V/c 2 @ 95 c. l. 1. Higgs, wenn Masse ~ 114 Ge. V/c 2! Dominanter Prozeß bei LEP: e+e- -> HZ Aus ‘precision electroweak fits’ (LEP, SLD, CDF, D 0) folgt: Beinhaltet neue Topmassenmessung von 174 Ge. V/c 2 und Strahlungskorrekturen m. H : LEP-2 Grenzwert von 114 Ge. V c 2 inkludiert : C. -E. Wulz 9 Wahrscheinlichster Wert: m. H = (91 +45 - 32) Ge. V/c 2 m. H < 219 Ge. V/c 2 @ 95 c. l. Wien, Sep. 2005
Higgssuche am Tevatron In den nächsten Jahren wird Tevatron den Higgsmassenbereich weiter einschränken. Bis 2009 werden ca. 4 bis 8 fb-1 integrierte Luminosität erwartet -> Tevatron kann Higgs bis zumindest ~ 130 Ge. V/c 2 ausschließen. Eine 5 s Entdeckung weit über den bei LEP erforschten Bereich scheint jedoch nicht möglich. Fermilab-Pub-03/320 -E 8 fb-1 4 fb-1 C. -E. Wulz 10 Wien, Sep. 2005
Large Hadron Collider Start: Juni 2007 TOTEM CMS ALICE SPS LHC ATLAS C. -E. Wulz 11 Wien, Sep. 2005
ATLAS Barrel Tile Calorimeter Barrel Toroid C. -E. Wulz 12 Wien, Sep. 2005
CMS Barrel Magnetjoch mit Müonkammen C. -E. Wulz 13 Wien, Sep. 2005
Higgssuche bei LHC Verzweigungsverhältnisse Higgs koppelt proportional zur Masse! Bevorzugte Suchkanäle 80 Ge. V < m. H < 140 Ge. V 130 Ge. V < m. H < 700 Ge. V 500 Ge. V < m. H < 1000 Ge. V 800 Ge. V < m. H < 1000 Ge. V C. -E. Wulz 14 - H -> gg, H -> bb H -> ZZ(*) -> 4 l (l = e, ) H -> ZZ -> 2 l + 2 Jets H -> ZZ -> 2 l + 2 n H -> WW-> l + n + Jets H -> ZZ-> 2 l + 2 Jets Wien, Sep. 2005
Higgs bei CMS C. -E. Wulz 15 Wien, Sep. 2005
Higgssignifikanzen am LHC Der gesamte vernünftige Higgsmassenbereich kann überspannt werden. Eine 5 s - Entdeckung ist in vielen Fällen bereits möglich bei 2 fb-1 (einige Monate Laufzeit bei Luminosität 2 x 1033 cm-2 s-1) C. -E. Wulz 16 Wien, Sep. 2005
SUSY Supersymmetrie Um bei hohen Energien unnatürlich große Strahlungskorrekturen zur Higgsmasse zu vermeiden, fordert man zu jedem Fermion des Standardmodells einen supersymmetrischen Boson-Partner und vice versa. Standardmodell Supersymmetrie u , d , s, c C. -E. Wulz 17 Wien, Sep. 2005
Supersymmetrie - Suchstrategie SUSY • Suche nach Abweichungen vom Standardmodell è leicht! “Effektive Masse” + ETJet 1 + ETJet 2 + ETJet 3 + ETJet 4 Meff = ETmiss SUSY SM • Messung der Beispiel: m. SUGRA m 0 = 100 Ge. V, m 1/2 = 300 Ge. V tan b = 10, A 0 = 0, > 0 Hinchliffe et al. , hep-ph/9610544 SUSY Massenskala MSUSY è leicht! Verschiedene SUSY-Modelle mit annähernd gleicher Masse des leichten Higgs C. -E. Wulz 18 Wien, Sep. 2005
SUSY - Parametermessungen • Messung der Modellparameter (z. B. Massen, Kopplungen, Breiten, Spins) è schwierig! Beispiel: C. -E. Wulz „Endpoint-Analysen“ von Kaskadenzerfällen 19 Wien, Sep. 2005
Neutrinos Sicher ist: es gibt massive Neutrinos! Jedoch sind viele Fragen offen ! Einige davon: Welche absoluten Werte haben die Neutrinomassen? Wie ist die Relation von Flavoreigenzuständen zu Masseneigenzuständen (Mixing)? Wie ist die Massenhierarchie? Gibt es schwere Neutrinogenerationen? Sind Neutrinos Dirac- oder Majoranateilchen? C. -E. Wulz 20 Wien, Sep. 2005
Neutrino-Mixing nl = Uli ni U: Pontecorvo-Maki-Nakagawa-Sakata (MNSP) Matrix Unitäre Matrix mit 3 Winkeln ( 12 , 13 , 23) und 1 CP-verletzenden Phase d Im Gegensatz zum Quark-Mixing ist Neutrino-Mixing groß! U= - (Dirac) n ne ne n , atmosph. , solar, Beschl. , Reaktoren q 13 und d weitgehend unbekannt! C. -E. Wulz 21 Wien, Sep. 2005
Das solare Neutrinodefizitproblem …. Problem (fast) gelöst! hep-ph/0412068 Ap. J Letters 621, L 85 (2005) Bahcall: … “established as early as 1996 that the solution of the Solar Neutrino Problem lay in new particle physics, not new astrophysics …” D m 122 ≈ 8. 10 -5 e. V 2, sin 2 2 q 12 ≈ 0. 8 C. -E. Wulz 22 Wien, Sep. 2005
Neutrinomessungen am SNO CC ne + d p + e- nur ne NC n x + d p + n +n x - mißt totalen 8 B n-Fluß der Sonne - gleiche Wirkungsquerschnitte für alle aktiven n-Flavors ES e e + + nx nx - hauptsächlich sensitiv für ne, aber auch n , n C. -E. Wulz 23 Wien, Sep. 2005
Bestätigung der Oszillationshypothese Oszillationen nm nt Neutrinozerfall Dekohärenz hep-ex/0404034 hep-ex/0406035 Superkamiokande 2004 Kam. LAND 2004 Überlebenswahrscheinlichkeit für nm: P(n –> n ) = 1 - sin 22 23 1. 27 Dm 232(e. V 2) L (km) 2 ______________ sin E (Ge. V) Superkamiokande: sin 22 23 > 0. 90 (90% C. L. ) C. -E. Wulz 0. 0019 e. V 2 < Dm 232 < 0. 0030 e. V 2 (90% C. L. ) 24 Wien, Sep. 2005
Absolute Neutrino-Massenmessungen 3 H 3 He + ne. MAINZ-Experiment d. N/d. E = K x F(E, Z) x p x Etot x (E 0 -Ee) x [ (E 0 -Ee)2 – mn 2 ]1/2 Rel. Rate [a. u. ] 1 Theoretisches b-Spektrum nahe dem Endpunkt E 0 0. 8 0. 6 mne 2 = (-0. 6 ± 2. 2 stat ± 2. 1 sys) e. V 2/c 4 mne< 2. 3 e. V/c 2 (95%CL) mn = 0 e. V 0. 4 C. Kraus et. al. , Eur. Phys. J. C 40, 447 (2005) 0. 2 Karlsruhe Tritium Neutrino Experiment KATRIN ab 2008: Sensitivität um 1 Größenordnung besser mn = 1 e. V 0 -3 C. -E. Wulz -2 -1 0 Ee-E 0 [e. V] 25 Wien, Sep. 2005
Absolute Neutrino-Massenskala Wenn Neutrinos zu leicht (leichter als ca. 0. 3 e. V) für eine experimentelle Messung sind, bleibt nur der neutrinolose doppelte Beta-Zerfall! Dieser ist nur möglich, wenn Neutrinos massive Majoranateilchen (n = n)-sind. Die Zerfallsrate hängt direkt mit den Massen und Mixings der Neutrinos zusammen. U Maj = U Dirac C. -E. Wulz ( 26 1 0 0 0 ei. F 2 0 0 0 ei. F 3 ) Wien, Sep. 2005
Neutrinoloser doppelter Betazerfall p n n e _ n n p e n n e e p 76 Ge 76 Se 2 e- p _ z. B. + + (2 n) (Heidelberg-Moskau-Experiment) 0 nbb Signal: monochromatische Linie am Endpunkt C. -E. Wulz 2 nbb 27 E(2 e) Wien, Sep. 2005
Zusammenfassung In den letzten Jahrzehnten wurde das Verständnis der Teilchenphysik entscheidend verbessert. Jedoch …. neue, fundamentale Fragen stellten sich! Die Teilchenphysik, die Astrophysik und die Kosmologie werden gemeinsam zu ihrer Beantwortung beitragen. WIR LEBEN IN INTERESSANTEN ZEITEN! C. -E. Wulz 28 Wien, Sep. 2005
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