DACHVERBAND SCHWEIZERISCHER PATIENTENSTELLEN DVSP Schweizer Gesundheitswesen Lagebetrachtung und
DACHVERBAND SCHWEIZERISCHER PATIENTENSTELLEN DVSP Schweizer Gesundheitswesen: Lagebetrachtung und Perspektiven Jean-François Steiert Nationalrat, Vizepräsident des Dachverbandes Schweizerischer Patientenstellen Olten, Assemblée nationale 2012 des rentiers et rentières de SYNA, 7 septembre 2012
Welche Ziele für ein soziales Gesundheitssystem? Grundsatz: Für alle Patientinnen und Patienten unabhängig ihres sozialen Status und ihres Wohnortes Zugang zu den nach möglichst aktuellen Kenntnissen nutzenoptimierten medizinischen und pflegerischen Leistungen bei Minimierung der impliziten und Ablehnung der expliziten Rationierung 2
Stabile Gesundheitskosten Schweizer Gesundheitskosten in Prozent des BIP 14 12 10 8 6 4 2 2011 2010 2009 2008 2007 2006 2005 2004 2003 2002 2001 2000 1999 1998 1997 1996 1995 1994 1993 1992 1991 1990 1989 1988 1987 0 1986 • Die Kosten nehmen zu; aber sie sind in den letzten 10 Jahren im Verhältnis zum BIP recht stabil geblieben. Die Eindämmung der Kostenzunahme darf nicht das alleinige Ziel sein: Qualität – für alle – ist das Hauptziel! 1985 • 3
+0% Kosten = + 5% Prämien? 3% Indirekte Kassenwechselwirkung 1% BIP-Erhöhung 1% Teuerung +5%
Die Grenzen der Sozialverträglichkeit Noch mehr „Eigenverantwortung“? 6
em Lu x m i g ur bo Un k ar n po e- um ya Ro ne Da Ja as Isl an de e èd ys -B Pa Su ce an Fr lie Ita de an él ne ag e ch e qu tri m -Z lle uv e No Al le Au DE OC lgi Be ne ui e rq Tu gn e ag Es p lo e èc Gr s e ré Co ni ue iq e ss s-U Po at Et ex M Su i Soziale Finanzierung im Vergleich Privat bezahlter Teil der Gesundheitsausgaben (OECD) 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% 7
Mängel der heutigen Kassenlandschaft aus Patient. Innensicht (I) • Ungleichgewicht in den Steuerungsmechanismen des schweizerischen Gesundheitssystems • Beginn einer faktischen, demokratisch nicht legitimierten Angebotssteuerung durch die grossen Versicherer • Absurdes Kassenwechselsystem: Verwaltungskosten, Marketingkosten, „Beratungs“kosten, Destabilisierung des Systems durch Prämienankündigungskommunikation 8
Mängel der heutigen Kassenlandschaft aus Patient. Innensicht (II) • • Kostspielige Risikooptimierungsstrategien Mangelnde Transparenz Interessenkollisionen Einseitiger Druck auf Kosten, z. T. zulasten der Qualität sowie des Zugangs zur Behandlung 9
Aktuelle Reformen der Gesundheitspolitik Überblick • Die Gesundheitskosten sind der Auslöser für (fast) alle aktuellen Reformen der Gesundheitspolitik Ø Neue Spitalfinanzierung/DRG Ø Neue Pflegefinanzierung Ø Pflege durch Angehörige Ø Managed Care Ø Kostengrenzen für medizinische Behandlungen Ø e. Health Ø (Heilmittel u. ä. : Standort Schweiz) Ø (Öffentliche Krankenkasse) Ausnahmen: vor allem Versorgungsfragen (Medizinalberufegesetz, Studienplätze Humanmedizin, usw. ) 10
Laufende Reformen Neue Spitalfinanzierung/DRG I Ziele der Reform • Verkürzung der Verweildauer • Senkung der Krankenhauskosten • Optimierung der Leistungsstrukturen • Mehr Wettbewerb unter den Spitälern Der Nutzen für Patient. Innen wie für Versicherte hängt im Wesentlichen davon ab, wie die Reform in der Praxis umgesetzt wird. 11
Laufende Reformen Neue Spitalfinanzierung/DRG II • Kosten und Zeitdruck – Versorgungsforschung – Qualitätscontrolling: Rehospitalisationen, Komplikationen • Verlagerungen stationär/ambulant – Mittel und Kompetenzen für ambulante Übernahme – Klare Abgrenzungen durch vernünftige Definition nach medizinischen Kriterien • Datenschutz – Keine systematische Datenlieferung zu den Krankenversicherungen – Kein Datenaustausch auf Vorrat – Einwilligung der Patientinnen und Patienten für Datenlieferung an Krankenversicherung – Datenschutzbeauftragte bei Tarifverträgen involvieren • Palliative Care – Abbildung der Leistungen anhand leistungsgerechter Vergütungsmodelle, wenn nötig ausserhalb des DRG Systems. 12
Laufende Reformen Pflegefinanzierung: problematische Umsetzung • Sehr partielle Annäherung an ursprüngliche Ziele des KVG • Kompromiss auf Kosten der Langzeitpflege • Unsinniger Föderalismus auf Kosten zahlreicher Patientinnen und Patienten • Fehlende Impulse zur Stärkung der Pflege durch Angehörige • Notwendige Klärung der Rolle der öffentlichen und privaten Pflegedienste 13
Pflegefinanzierung: an Bedürfnissen vorbei 14
Laufende Reformen Pflege durch Angehörige • Pflege durch Angehörige geht zurück – Das stärkere berufliche Engagement vieler Frauen reduziert Bereitschaft und Verfügbarkeit für nicht entlöhnte Pflegearbeit – Wachsender Anteil kinderloser Paare – Grössere geographische Distanz innerhalb der Familien – Steigender Anteil hochbetagter Menschen Ø Reduzierung der Gesundheitskosten dank mehr «gratis» Pflege durch Angehörige ist illusorisch; schon eine Stabilisierung ist nur mit Massnahmen zu erreichen, die ebenfalls Kosten verursachen Ø Zum Vergleich: heute ca. 300‘ 000 pflegebedürftige Menschen in der Schweiz, 2050 ca. 600‘ 000; Demenzkranke: von 100‘ 000 auf 300‘ 000… 15
Laufende Reformen Managed Care: Ziele • Mehr Qualität und mehr Effizienz dank ganzheitlicher, von einer Hand gesteuerter Gesundheitsversorgung durch die gesamte Leistungskette • Managed care heute: interessante Ansätze, aber auch viele offenen Fragen… • Neues Gesetz hätte mehr therapeutischen Freiraum gegeben und sollte den Zugang allen Patient. Innen unabhängig ihres Wohnortes und Ihrer Finanzkraft ermöglichen. • Ungelöste kritische Aspekte haben das Gesetz zu Fall gebracht 16
Laufende Reformen Nach dem Nein zur Managed Care-Vorlage: Offene Forderungen • Die Qualität der Netze und die entsprechenden finanziellen Anreize sollen für alle Patienten zugänglich sein • Systematische Qualitätskontrolle • Versichererunabhängige Leistungserbringer • Transparente Verträge • Risikoausgleich 17
Themen der Gesundheitspolitik Kostengrenzen für medizinische Behandlungen • Diskussion: Wie viel darf ein Leben kosten? Ist jedes Leben gleich viel wert? Ist das Leben eines 80 -jährigen Mannes gleich viel Wert wie das eines 20 -jährigen? Und falls nicht: Welche Folgen hat dies für die medizinische Behandlung? • Bundesgerichtsentscheid, Ende 2010: Für ein gerettetes Leben sind maximal 100 000 Franken pro Jahr angemessen • Neue Medikamente: Keine Übernahme durch Krankenkasse, wenn «wzw» noch nicht vollständig erwiesen. • Ungleichheiten sind unvermeidbar – aber noch kein Grund für ein ungleiches System! 18
Themen der Gesundheitspolitik e. Health • Elektronische Gesundheitsdienste: elektronische Datenverarbeitung und digitaler Austausch • Ziel: Effizienzsteigerung durch bessere Vernetzung • Problem: Fehlende Anreize • Nationale e. Health-Strategie bis 2015 – Elektronische Patientendossiers – Online-Dienste – Umsetzung und Weiterentwicklung (Vernetzung) • Aktivitäten im Bereich e. Health haben zugenommen, das Potenzial ist jedoch lange nicht ausgeschöpft. 19
Pharma 20
Themen der Gesundheitspolitik Standort Pharma Schweiz • Welche Medikamentenpreise in welchem Interesse? Patienten. Interessen zwischen Pharma und Versicherern • Andere Formen der Standortförderung - Forschungsfinanzierung - Steuerliche Anreize - Erleichterung der klinischen Forschung - Weitere 21
Weitere offene Themen • Finanzierung der sozialen Krankenversicherung • Beiträge nach Altersklassen, ein sozialer Fortschritt? • Günstigere Prämien dank weniger Rückerstattungen für Leistungen? • Immer mehr Personal „importieren“? 22
Themen der Gesundheitspolitik Öffentliche Krankenkasse Ziele aus Sicht der Initiant. Innen • Kurzfristig: Vermeidung von jährlich 300 bis 500 Millionen Franken Transaktions-, Werbe-, Vermittlungsund Administrativkosten und Nutzung dieser Beträge für dringenden Bedarf z. B. in der Pflege. • Mittel- und langfristig: - Das für die notwendigen Gesundheitsreformen unabdingbare Vertrauensklima schaffen - Das öffentliche Interesse bei der Steuerung des Gesundheitssystem wieder in den Vordergrund rücken 24
Elemente einer öffentlichen nationalen Krankenkasse • • • Öffentlich-rechtliche nationale Einrichtung Demokratische Legitimierung (Über-)kantonale Agenturen mit Freiräumen Dynamik durch Benchmarks zwischen Agenturen Delegationsprinzip (z. B. an bisherige Einrichtungen) Kantonale Freiräume im Übergangsrecht 25
Rahmenbedingungen für Gesundheitsreformen in der Schweiz • Nutzen vor Kosten als primäre Zielsetzung von Reformen • Langfristige vor kurzfristigen finanziellen Anreizen • Ausgewogenere individuelle finanzielle Belastung statt wachsende Belastung der mittleren Einkommen • Ein halbdirekte Demokratie erträgt weder reinen Wettbewerb noch reine Planung 27
Rahmenbedingungen für Gesundheitsreformen in der Schweiz II • Unabhängiges Wissen fördern / in Informationssysteme im Interesse der Patienten investieren • Kooperative Nutzung der Kompetenzen • Transparenz bei allen Akteuren des Gesundheitssystems • Föderalismus als wettbewerbsförderndes Systembestandteil nutzen 28
Rahmenbedingungen für Gesundheitsreformen in der Schweiz III • Die Kultur der Qualität fängt in der Ausbildung an. • Qualität hat einen Wert, dem das Gesundheitssystem Rechnung tragen soll. • Die Qualitätskultur der Leistungserbringer muss in enger Zusammenarbeit mit Patientenvertretungen entwickelt werden. • Dazu braucht es auch unabhängige und kompetente Patientenvertretungen. 29
Die Schweiz braucht eine nationale Gesundheitspolitik • mit klaren und kohärenten Gesundheitszielen • mit möglichst grossen Freiräumen für die Gestaltung der Wege, die zu diesen Zielen führen • mit Berücksichtigung sozialer Determinanten • mit einer Verankerung in allen betroffenen Bereichen der Politik • mit einer Berücksichtigung der hiezu relevanten kulturellen Unterschiede zwischen den verschiedenen Regionen unseres Landes 30
Die Schweiz kann und soll sich ein hochwertiges Gesundheitssystem für alle Patientinnen und Patienten leisten.
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