Auskunft durch den Arbeitnehmer Was darf er Was
Auskunft durch den Arbeitnehmer: Was darf er? Was muss er? Dr. Peter Schrader Fachanwalt für Arbeitsrecht Hannover, 23. 11. 202 0
INHALT I. Das Problem II. Fallgestaltungen 1. Art und Weise der Arbeitsleistung 2. Aufzeigen von Leistungsmängeln 3. Gespräche über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses 4. Auskunft des Arbeitnehmers als Täter/Verletzter 5. Auskunft des Arbeitnehmers als Zeuge 6. Anhörung zur Verdachtskündigung 7. Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) III. Zusammenfassung
I. DAS PROBLEM
Warum will der Arbeitgeber Auskünfte vom Arbeitnehmer? • Zweck kann sein, Arbeitsleistung zu definieren und/oder zu hinterfragen. • Zweck kann sein, Arbeitsumfang zu definieren und/oder zu hinterfragen. • Zweck kann aber auch sein: Beendigung des Arbeitsverhältnisses? • Zweck kann aber auch sein: Leistungsmängel? • Zweck kann aber auch sein: Sachverhaltsermittlung allgemein und/oder konkret?
• Problem für den Arbeitnehmer: Zwangslage, er muss befürchten, sich, Kollegen oder Dritte zu belasten. • Frage daher: Was kann und was muss der Arbeitnehmer an Auskünften erteilen? • In jedem Fall zu beachten: Normale, keine schikanöse Gesprächs-führung. • Tatsächliches Problem 1: Beweisbarkeit der Gesprächsführung • Tatsächliches Problem 2: Beweisbarkeit des Inhaltes des Gespräches • Praktisches Problem: Beweisbarkeit?
II. FALLGESTALTUNGEN
Unterschiedlichste Fallgestaltungen – Betrachtung bei jeder Fallgestaltung Ø Gesprächsinhalt Ø Auskunftspflichten des Arbeitnehmers Ø Teilnahmerecht Dritter Ø Vorabinformation über Gesprächsinhalt? Ø Ergebnis
1. Art und Weise der Arbeitsleistung
BEISPIELE: Der Arbeitgeber will dem Arbeitnehmer aufgeben: Ø Eine bestimmte Anzahl von Schriftsätzen zu fertigen Ø Eine Präsentation in einer bestimmten Frist zu fertigen Ø Eine bestimmte Stückzahl in einer bestimmten Frist zu fertigen Gemeinsamkeit: Art und Weise der Arbeitsleistung sollen durch Arbeitgeber dem Arbeitnehmer mitgeteilt werden.
a) Gesprächsinhalt Arbeitgeber will Weisung nach § 106 Gew. O vorbereiten, erteilen oder ihre Nichterfüllung beanstanden. Ø Teilnahmepflicht des Arbeitnehmers Ø Grund: § 106 S. 1 und S. 2 Gew. O: Arbeitgeber kann gegenüber allen Arbeitnehmern Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit die Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzlicher Vorschriften festgelegt sind. Ø Worum geht es also? Konkretisierung der Hauptleistungspflicht
b) Auskunftspflichten des Arbeitnehmers Treuepflicht gemäß § 242 BGB: Grundsätzlich vollumfänglich hinsichtlich Fragen, die sich auf den Arbeitsbereich des Arbeitnehmers beziehen, an deren Beantwortung der Arbeitgeber ein schutzwürdiges Interesse hat und deren Beantwortung keine übermäßige Belastung für den Arbeitnehmer darstellt. Maßstab der Abwägung u. a. : • • • Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb Art seiner Tätigkeit Gefahr oder möglicher Schaden für Rechtsgüter des Arbeitgebers
Bei Arbeitsunfähigkeit; „Ein durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhinderter Arbeitnehmer ist regelmäßig nicht verpflichtet, auf Anweisung des Arbeitgebers im Betrieb zu erscheinen, um dort an einem Gespräch zur Klärung der weiteren Beschäftigungsmöglichkeit teilzunehmen. “ Ausnahme: „Der arbeitsunfähige Arbeitnehmer ist jedoch nicht verpflichtet, hierzu auf Anweisung des Arbeitgebers im Betrieb zu erscheinen, es sei denn, dies ist ausnahmsweise aus betrieblichen Gründen unverzichtbar und der Arbeitnehmer ist dazu gesundheitlich in der Lage. “ BAG v. 2. 11. 2016 – 10 AZR 596/15
c) Teilnahmerecht Dritter • Grundsätzlich besteht kein Anspruch: § 613 BGB: Höchstpersönliche Teilnahme durch den Arbeitnehmer • Daraus folgt: Kein Vertretungsrecht • Ausnahme nach dem Grundsatz der Waffengleichheit: wenn der Arbeitgeber seinerseits einen Dritten hinzuzieht • Ausnahmen nach §§ 81 ff. Betr. VG: Hinzuziehung eines Betriebsratsmitgliedes
• Grundsätzlich aber dann nicht, wenn es alleine um § 106 Gew. O geht • Recht auf Hinzuziehung einer betriebsangehörigen Vertrauensperson? • Kein Anspruch, häufig zweckmäßig auch aus Arbeitgebersicht: Ein kleines Zugeständnis fördert langfristig die konstruktive Zusammenarbeit
d) Vorabinformation über Gespräch und Gesprächsinhalt • Nicht notwendig, steht gemäß § 106 Gew. O im Ermessen des Arbeitgebers. • Der Arbeitgeber kann, muss aber nicht über den Inhalt des Gespräches im Vorfeld unterrichten. • Unterrichtung kann zweckmäßig sein, da bessere Vorbereitung auch des Arbeitnehmers möglich. • Gegenargument: Vorteil einer spontaner Befragung die Wahrhaftigkeit?
e) Ergebnis » Teilnahmepflicht des Arbeitnehmers » Kein Teilnahmerecht Dritter » Vorabinformation nicht notwendig
2. Aufzeigen von Leistungsmängeln
BEISPIELE: Der Arbeitnehmer soll eine bestimmte Stückzahl produzieren, schafft aber weniger. Der Rechtsanwalt soll zwei Berufungsbegründungen fertigen, schafft aber nur eine. Die Schreibkraft soll ein Phonodiktat von einer Stunde zu Papier bringen, schafft es aber nicht. Gemeinsamkeit: Angeordnete Leistung wurde nicht erbracht.
a) Gesprächsinhalt Nicht konkretes Fehlverhalten des Arbeitnehmers, sondern „Schlechtleistung“ oder „Minderleistung“ im weiteren Sinne, also Konkretisierung der Hauptpflichten (Synallagma) Ziel: • Zukünftige Beseitigung der Mängel • U. U. Hinweis auf gefährdeten Fortbestand des Arbeitsverhältnisses Grund: • Störung des Synallagmas • Hat der Arbeitnehmer für die geschuldete Vergütung eine vertragsgemäße Arbeitsleistung erbracht?
Problem 1: • Definition der ordnungsgemäßen Arbeitsleistung • Arbeitnehmer muss tun, was er soll, und zwar so gut, wie er kann. • Häufig kein objektiver Maßstab Problem 2: • Low Performer? • Dann sogar Pflicht zur vorherigen Anhörung als Ausfluss des ultima ratio Grundsatzes vor Ausspruch einer personenbedingten Kündigung (so jedenfalls l. AG Nürnber v. 12. 06. 2007 – 6 Sa 37/07)
b) Auskunftspflichten des Arbeitnehmers • Pflicht des Arbeitnehmers, zu Gespräch zu erscheinen • Keine Pflicht zur aktiven Teilnahme am Gespräch: Arbeitnehmer muss sich nicht zum Vorwurf erklären Folge: • Versteht der Arbeitgeber fehlende Mitwirkung, fehlendes Bestreiten als Zugeständnis? • Gefährdung des Arbeitsplatzes durch nicht aktive Gesprächsführung • Gespräch als Mithilfe zur Vermeidung einer personenbedingten Kündigung • Pflicht zur Gesprächsführung aus Ultima-Ratio-Gesichtspunkten? • Ja, nach LAG Nürnberg (6 Sa 37/07).
c) Teilnahmerecht Dritter • Grds. (-) • Ausnahme möglich, wenn Hinzuziehung Dritter nach Grundsatz der Waffengleichheit geboten oder Beteiligung des Betriebsrats nach §§ 81 ff. Betr. VG zulässig ist • Grds. keine Hinzuziehung des Betriebsrates gegen den Willen des Arbeitnehmers, Ausnahme bei mitbestimmungspflichtiger Angelegenheit möglich • ABER: Schutz des Persönlichkeitsrechtes wiegt höher als das kollektive Interesse an der Betriebsratsbeteiligung.
d) Vorabinformation über Gespräch und Gesprächsinhalt Nicht erforderlich Td. Lit. : In Anlehnung an § 12 II Tz. Bf. G Vorabankündigung des Gesprächs und des Inhalts mindestens 4 Tage im Voraus vorzunehmen. Unabhängig von Pflicht: Vorabinformation ggf. zweckmäßig zur konstruktiveren Führung des Gesprächs. Gegenargument: Spontanes Gespräch zeigt spontane Reaktion? !
e) Ergebnis Ø Teilnahmepflicht des Arbeitnehmers -> aber keine Pflicht zur aktiven Teilnahme Ø Problem: Wahrnehmung des Rechts (nicht aktive Teilnehmer) kann zur Gefährdung des Arbeitsverhältnisses führen Ø Kein Teilnahmerecht Dritter Ø Vorabinformation nicht notwendig
3. Gespräche über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses
BEISPIELE: Arbeitgeber ist aus welchen Gründen auch immer mit dem Arbeitnehmer unzufrieden. Er bittet den Arbeitnehmer zum Gespräch. Sein Ziel ist klar: Ø Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder Ø Dessen Abänderung (andere Tätigkeit, weniger Geld) Gemeinsamkeit: Es geht um die Änderung des Arbeitsvertrages
a) Gesprächsinhalt • (Einvernehmliche) Beendigung des Arbeitsverhältnisses • Änderung des Arbeitsverhältnisses • Grund: o Leistungsmängel? o Wegfall Beschäftigungsbedarf? o Vermeidung Kündigungsschutzverfahren o Krankheitsbedingte Fehlzeiten?
• Ziel: o Risiken der einseitigen rechtlichen Umsetzung des arbeitgeberseitigen Willens (Änderungskündigung? Beendigungskündigung? Versetzung? Etc. ) soll ausgeschaltet werden o Statt Verfahren einvernehmliche Beendigungslösung (oder sonstige beabsichtigte Lösung) o Hier steht nicht im Vordergrund die inhaltliche Ausführung des Synallagmas (§ 106 Gew. O), sondern die Beendigung oder Abänderung des Arbeitsvertrages
Arbeitgeberinteresse klar: • Vermeidung finanzieller Risiken • Vermeidung rechtlicher Risiken • Planungssicherheit Arbeitnehmerinteresse: • Unvorbereitete Gesprächsführung kann zur unvorbereiteten Reaktion (Abschluss Aufhebungsvertrag? ) führen • Aus Arbeitnehmersicht macht Gespräch nur dann Sinn, wenn ebenfalls Beendigung beabsichtigt ist (beispielsweise neue Anstellung in Aussicht) Immer Risiko aus Arbeitgebersicht: § 123 BGB!
b) Auskunftspflicht des Arbeitnehmers • Keine Teilnahmepflicht des Arbeitnehmers • Eine Mitwirkung an der Beendigung des eigenen Arbeitsverhältnisses ist nicht vom Direktionsrecht gedeckt. Grund: Es geht nicht um inhaltliche Ausgestaltung des Arbeitsvertrages (§ 106 Gew. O), sondern eben um dessen Beendigung oder Abänderung.
c) Teilnahmerecht Dritter • Anwendbarkeit des Grundsatzes der Höchstpersönlichkeit nach § 613 BGB? • Nein, da Rahmen des Direktionsrechtes verlassen wird und die Parteien sich daher außerhalb des Rahmens des Arbeitsverhältnisses bewegen • Recht des Arbeitnehmers auf Zulassung eines Rechtsbeistandes seiner Wahl • U. U. Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglied nach den §§ 81 ff. Betr. VG
d) Vorabinformation über Gesprächsinhalt • Da keine Teilnahmeverpflichtung, denklogisch auch keine Unterrichtungspflicht. • Unterrichtung aus Arbeitgebersicht? • Falls nein und es kommt zu einer Vereinbarung Gefahr der Anfechtung nach § 123 BGB. • Falls ja, entweder Annäherung oder Vertragsschluss oder aber Scheitern der Gespräche, d. h. kein Ausnutzen eines gewissen „Überrumpelungseffektes“.
Taktik: • Rechtssichere Beendigungsvereinbarung gewollt. • Häufig sinnvoll und zweckmäßig, dann vorab über das Gespräch zu unterrichten. • Häufig sinnvoll und zweckmäßig, anzubieten, einen rechtlichen Berater oder Betriebsrat hinzuzuziehen. • Konstruktive Gespräche auf Augenhöhe können zu konstruktiven Ergebnissen führen. • Zu guter Letzt: Der Arbeitnehmer muss nichts unterschreiben!
e) Ergebnis » Keine Teilnahmepflicht des Arbeitnehmers, § 106 Gew. O nicht einschlägig. » Teilnahmerecht Dritter (Betriebsrat oder Rechtsanwalt), falls der Arbeitnehmer solche Gespräche bereit ist zu führen. » Keine Pflicht zur Vorabinformation. Häufig zweckmäßig, um konstruktive, belastbare Ergebnisse herbeizuführen.
4. Auskunft des Arbeitnehmers als Täter/Verletzter
BEISPIELE: Der Arbeitgeber weiß: Ø Der Arbeitnehmer hat Geld entwendet. Ø Der Arbeitnehmer hat eine sexuelle Belästigung begangen. Sein Problem: Beweisbarkeit? Beweisverwertungsverbote (Heimliche Videoaufnahmen? ) Gemeinsamkeit: Er sucht das Gespräch, um vorgeblich den Sachverhalt zu klären, hofft aber, das der Arbeitnehmer sich „verrät“
a) Gesprächsinhalt Aufklärung des Sachverhalts durch den Arbeitgeber: • Hat der Arbeitnehmer arbeitsvertragliche Pflichten verletzt? • Ist der Arbeitnehmer tatsächlich „Täter“? Gesprächsgrund: • Sachverhaltsaufklärung durch den Arbeitgeber Ziel: • Ggf. arbeitsrechtliche Sanktion Bei dieser Fallkonstellation geht der Arbeitgeber davon aus, dass der Arbeitnehmer Täter ist. Arbeitgeber möchte also letztendlich den Arbeitnehmer als Täter „überführen“.
b) Auskunftspflichten des Arbeitnehmers • Auftragsrecht: Einhellige Meinung, dass dem Auftraggeber auch dann umfassende Auskunft zu erteilen ist, wenn der Auftragnehmer sich dabei selbst einer Straftat bezichtigen würde. • Umfassende Auskunftspflicht aus dem Auftragsrecht übertragbar? • Nach Treu und Glauben besteht eine Auskunftspflicht, wenn o zwischen den Parteien eine Rechtsbeziehung besteht (Arbeitsverhältnis), o der Berechtigte (Arbeitgeber) in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder Umfang seines Rechtes im Ungewissen ist (Ansprüche gegen den Arbeitnehmer), o und der Verpflichtete (Arbeitnehmer) die zur Beseitigung der Ungewissheit erforderliche Auskunft unschwer geben kann.
• Hintergedanke einleuchtend: Der, der was gemacht hat, kann verbindlich und am genauestens sagen, was er gemacht hat. • Daher besteht ein Auskunftsanspruch des Arbeitgebers, wenn o er ein berechtigtes, billigenswertes und schützenswertes Interesse an der Beantwortung der Frage hat, o dieses Interesse im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis besteht, o die Auskunft mit der Erfüllung der vom Arbeitnehmer geschuldeten vertraglichen Leistungen zusammenhängt, o der Arbeitgeber sich die Auskunft nicht auf andere zumutbare Weise verschaffen kann.
Was aber, wenn Auskunft zur Selbstbezichtigung führt, wenn aber der Arbeitnehmer sich beispielsweise selbst einer strafbaren Handlung beschuldigt? • Keine abschließende Klärung durch BAG • Unterschiedliche Auffassungen in der Literatur und instanzgerichtlichen Rechtsprechung o Teilweise weitestgehend Auskunftsverpflichtung bejaht. o Korrektiv: Strafrechtliches Verwertungsverbot • Andere Auffassung: Keine Auskunftspflicht, niemand sei verpflichtet, sich selbst zu belasten. Ergebnis merkwürdig: • Strafprozessual muss der Arbeitnehmer sich nicht selbst belasten. • Zivilprozessual soll er allerdings wahrheitsgemäß aussagen mit der Folge, sich selbst zu belasten.
• Daher Literatur: In entsprechender Anwendung der §§ 52, 55 St. GB, §§ 383, 384 ZPO Zeugnisverweigerungsrecht, wenn dem Arbeitnehmer eine wahrheitsgemäße Auskunft unzumutbar ist. • Letzteres sei dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer sich selbst oder einen nahen Angehörigen mit der Folge einer strafrechtlichen Ermittlung belasten würde. Arbeitnehmer ist zur wahrheitsgemäßen Auskunft verpflichtet. Folge aus dem Grundsatz der prozessualen Wahrheitspflicht: • Arbeitnehmer hat geklaut • Er erhält eine Kündigung und klagt gegen diese Kündigung • Arbeitgeber legt den Sachverhalt des Diebstahls (Lippenstift? Geld aus der Kasse? ) schlüssig und unter Beweisantritt dar. • Bestreiten wäre Verstoß gegen die prozessuale Wahrheitspflicht.
• Bestreitet der Arbeitnehmer und ergibt sich später im Wege der Beweisaufnahme, dass er wahrheitswidrig bestritten hat, droht ein weiterer Tatbestand (Prozessbetrug? ). • Dem „Täter“ steht das „Recht zur Lüge“ nicht zu, weil o er sich gegen eine Kündigung nicht im Wege einer Klage zur Wehr setzen muss und o er es in der Hand hat, ein Verfahren ggf. durch Anerkenntnis oder wahrheitsgemäßen Sachverhalt zu beenden.
c) Teilnahmerecht Dritter • Ein Teilnahmerecht besteht weder für den Betriebsrat noch für den Rechtsanwalt des Arbeitnehmers. • §§ 81 ff Betr. VG liegen tatbestandlich nicht vor. • U. U. ist es aber empfehlenswert, mit Blick auf eine mögliche Kündigung des Arbeitnehmers, ein Betriebsratsmitglied hinzuzuziehen. • Teilnahme Dritter aber häufig empfehlenswert, um Gespräche zu versachlichen, entemotionalisieren und zu sachgerechten Ergebnissen zu kommen.
d) Vorabinformation über Gespräch und Gesprächsinhalt • Rechtlich nicht notwendig, Entscheidung nach konkretem Einzelfall • Abwägung zwischen „Überrumpelungseffekt“ und Erlangung verwertbarer, wahrheitsgemäßer Aussagen • Größere Unternehmen: Untersuchungen und Befragungen durch Dritte mit Vorabinformation (beispielsweise Siemens oder VW) • Im Übrigen: Der Arbeitnehmer, der tatsächlich Täter ist, weiß selbst am besten, was er getan hat und wird sich denken können, aus welchem Grunde die Befragung erfolgt und dementsprechend reagieren
e) Ergebnis » Teilnahmepflicht des Arbeitnehmers » Pflicht zur wahrheitsgemäßen Aussage, auch bei Selbstbelastung » Kein Teilnahmerecht Dritter » Vorabinformation nicht notwendig, aber möglich » Letztendlich Ausfluss der prozessualen Wahrheitspflicht: Ein „Recht zur Lüge“ gibt es nicht!
5. Auskunft des Arbeitnehmers als Zeuge
BEISPIELE: Ø Geld ist verschwunden. Ø Eine Maschine ist nach einer Schicht beschädigt. Ø Eine Akte ist nicht (mehr) aufzufinden…. Der Arbeitgeber kennt id. R nur das Ergebnis, nicht den Weg, der dorthin geführt hat. Gemeinsamkeit: Der Arbeitgeber will den Sachverhalt aufklären, um dann ggf. arbeitsrechtlich reagieren zu können.
a) Gesprächsinhalt Interne Ermittlung: Wahrnehmungen des Arbeitnehmers im Zusammenhang mit dessen Arbeitsleistung • Freie Ausgestaltung durch den Arbeitgeber • Keine strafprozessuale Vernehmung • Keine Pflicht zur Belehrung des Arbeitnehmers Grund: • Reine Sachverhaltsermittlung (Interview) • Befragung nach Wahrnehmung
Inhalt: • Wahrnehmung im Zusammenhang mit der Arbeitsleistung • Wahrnehmung im Zusammenhang mit dem Arbeitsbereich • Wahrnehmung im Zusammenhang mit der Leistungserbringung
b) Auskunftspflichten des Arbeitnehmers • Anzeigepflicht des Arbeitnehmers hinsichtlich drohender Schäden • auch bzgl. des Verhaltens anderer Arbeitnehmer bei Vorgesetztenoder Kontrollfunktion und schädigenden Handlungen von Kollegen außerhalb seines Arbeitsbereiches, wenn nicht nur unerheblicher Schaden droht (Interessenabwägung) • Beispiel Vorgesetztenfunktion: Aufgabe ist Überwachung und Kontrolle von Kollegen, Auskunftspflicht hinsichtlich arbeitswidrig verhaltener Arbeitnehmer.
• Auskunftspflicht • bzgl. aller objektiven Umstände ohne Bezug zu bestimmten Personen • bzgl. des Verhaltens anderer Arbeitnehmer wenn Vorgesetzen- und Kontrollfunktion vorliegt, sich Verhalten im eigenen Aufgabenbereich abspielt und Wiederholungsgefahr besteht • auch bzgl. schädigenden Handlungen von Kollegen außerhalb seines Arbeitsbereiches nach Interessenabwägung • Dies ist teilweise streitig, weil der Arbeitnehmer zur Belastung von Kollegen verpflichtet werden kann, was wiederum innnerbetriebliche Auswirkungen haben kann.
c) Teilnahmerecht Dritter Differenzierung zwischen Teilnahmerecht des Betriebsrates und hinzugezogenen Rechtsanwälten
aa) Betriebsrat • Kein Recht auf Hinzuziehung nach § 82 II 2 Betr. VG oder aus § 87 I Betr. VG • Grund: Beispiel Compliance: Es geht um Verhältnis Arbeitgeber – Arbeitnehmer, kein kollektiver Tatbestand • Grund: § 82 II 2 Betr. VG (-), weil es nicht um Leistungsbeurteilung oder berufliche Perspektive des Arbeitnehmers geht.
• ABER: § 80 II Betr. VG o Recht, über Durchführung des Interviews informiert zu werden o Recht, über einzelne Erkenntnisse informiert zu werden nur, wenn dies zur Erfüllung der Aufgaben des Betriebsrates erforderlich ist o Es muss eine hinreichende Wahrscheinlichkeit bestehen, dass im Rahmen des Gespräches Erörterungen vorgenommen werden, welche relevant für die Aufgabenerfüllung des Betriebsrates sind und die bloße Unterrichtung über das Gespräch hierfür nicht ausreicht
bb) Rechtsanwalt • Grds. kein Recht zur Hinzuziehung eines Rechtsanwalts • Ausnahme nach dem Grundsatz der Waffengleichheit: wenn Arbeitgeber externen Rechtsanwalt hinzuzieht
d) Vorabinformation über Gespräch und Gesprächsinhalt • Nicht erforderlich • In der Regel aber zweckmäßig, da es um reine Sachverhaltsermittlung geht und Gespräche ergiebiger sein können, wenn die potenziellen Zeugen sich auf das Gespräch vorbereiten können
e) Ergebnis » Teilnahmepflicht des Arbeitnehmers » Pflicht zur wahrheitsgemäßen Bekundung, auch bei Belastung Dritter » Kein Teilnahmerecht Dritter, außer § 80 II Betr. VG ist anwendbar » Vorabinformation nicht notwendig
6. Anhörung zur Verdachtskündigung
BEISPIELE: Nach einer Kassenübergabe fehlt Geld. Verdächtig sind derjenige, der die Kasse übergibt und derjenige, der sie übernommen hat. Einer war es, nur diese beiden hatten Zugang. Wer es war, weiß der Arbeitgeber nicht. Gemeinsamkeit solcher Fälle: Es besteht nur ein Verdacht, der Täter steht nicht fest.
a) Gesprächsinhalt • Anhörung als Voraussetzung für Verdachtskündigung • Konkreter Verdacht über die konkrete Verletzung einer arbeitsvertraglichen Pflicht durch den Arbeitnehmer (z. B. Diebstahl, sexuelle Belästigung) • Konkreter Verdacht: Starker, auf objektive Tatsachen gründende Verdachtsmomente liegen vor, die geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, der Arbeitgeber hat alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhaltes übernommen und insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. • Keine Konfrontation mit allgemeiner Wertung
• Angabe aller erheblichen Umstände, aus denen sich Verdacht ableitet • Niedrigere Anforderungen als an Betriebsratsanhörung nach § 102 I Betr. VG • Gibt der Arbeitgeber die Möglichkeit zur Teilnahme und Äußerung und nimmt der Arbeitnehmer diese nicht wahr, begibt er sich des Rechtes, sich auf die fehlende Anhörung zu berufen. • Grund: Wahrung der intellektuellen, mentalen und rechtlichen Verteidigungsmöglichkeiten • Einlassung führt zu Entlastungsmomenten, Arbeitgeber muss diesen nachgehen
b) Auskunftspflichten des Arbeitnehmers • Keine Teilnahmepflicht des Arbeitnehmers, aber Teilnahmerecht • Äußert sich Arbeitnehmer nicht: keine Vertragspflichtverletzung • Äußert sich Arbeitnehmer, muss Arbeitgeber Entlastungsmomenten nachgehen • Gibt der Arbeitgeber die Möglichkeit zur Teilnahme und Äußerung und nimmt der Arbeitnehmer diese nicht wahr, verwirkt der das Recht, sich auf die fehlende Anhörung zu berufen.
c) Teilnahmerecht Dritter • Laut BAG besteht ein Teilnahmerecht eines Rechtsanwalts für den Arbeitnehmer. Dies müsste dann auch für die Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglieds gelten. • Dem ist jedoch nicht zu folgen, denn es geht um die reine Sachverhaltsaufklärung, nicht um Rechtsfragen. • Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts und eines Betriebsratsmitglied kann jedoch ratsam sein. • Grund: Wahrung der intellektuellen, mentalen und rechtlichen Verteidigungsmöglichkeiten
• Problem: Wertungswiderspruch der Rechtsprechung des BAG? • Bei Anhörung zur Tatkündigung kein Teilnahmerecht eines Rechtsanwaltes oder Betriebsrates, bei Verdachtskündigung dagegen schon. • Unterschiedliche Behandlung aber nach BAG gerechtfertigt, weil ØVerdachts- und Tatkündigung sind eigene, unterschiedliche Kündigungen. ØAnhörung bei Verdachtskündigung Wirksamkeitsvoraussetzung ØAnhörung eröffnet wegen der Besonderheiten des Verdachtes besondere Verteidigungsmöglichkeiten ØArbeitnehmer soll diese ausschöpfen können, deshalb als Hilfe bei Bedarf Rechtsanwalt oder Betriebsrat ØAnhörung bei Tatkündigung fakultativ, Verteidigungsmöglichkeiten beschränkt (“Ja oder Nein? “) ØDeshalb: Wahrung der intellektuellen, mentalen und rechtlichen Verteidigungsmöglichkeiten durch Teilnahme gerade des Rechtsanwaltes ØDeshalb: unterschiedliche Teilnahmerechte
d) Vorabinformation über Gespräch und Gesprächsinhalt Laut BAG nicht erforderlich, auf Verlangen des Arbeitnehmers aber Anhörung neu zu terminieren, damit er Gelegenheit zu entsprechender Konsultation eines Rechtsanwalts bekommt Grund: • Verdunklungsgefahr • Neben der Gelegenheit, durch spontane Äußerung entlastender Tatsachen den Verdacht effektiver zu entkräften • Keine Aufklärungspflicht des Arbeitgebers über das Recht, auf Verlangen die Anhörung neu zu terminieren, damit er die Gelegenheit zu rechtlicher Konsultation hat.
e) Ergebnis » Keine Teilnahmepflicht des Arbeitnehmers, aber Teilnahmerecht » Teilnahmerecht Dritter: Nach BAG ja, aber str. » Vorabinformation nicht notwendig
7. Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM)
BEISPIELE: Arbeitgeber sieht die erheblichen Fehlzeiten seines Arbeitnehmers. Er will ein b. EM durchführen, um Ø entweder das Arbeitsverhältnis anschliessend ggf. krankheitsbedingt kündigen zu können, oder Ø das Arbeitsverhältnis mit weniger Fehlzeiten (Synallagma) fortführen zu können.
a) Gesprächsinhalt Ermittlung milderer Mittel als Kündigung zur Fortführung des Arbeitsverhältnisses: • Leidensgerechte Umgestaltung des Arbeitsplatzes? • Weiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen? • Weiterbeschäftigung auf anderem Arbeitsplatz? Grund: • § 84 II SGB IX enthält das BEM als Konkretisierung des arbeitsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes
b) Auskunftspflichten des Arbeitnehmers • Keine Teilnahmepflicht des Arbeitnehmers, Unterlassen der Teilnahme ist „kündigungsneutral“ • Teilnahme für Arbeitnehmer aber mit Blick auf mögliche ordentliche Kündigung ratsam
Bei Arbeitsunfähigkeit; „Ein durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhinderter Arbeitnehmer ist regelmäßig nicht verpflichtet, auf Anweisung des Arbeitgebers im Betrieb zu erscheinen, um dort an einem Gespräch zur Klärung der weiteren Beschäftigungsmöglichkeit teilzunehmen. “ Ausnahme: „Der arbeitsunfähige Arbeitnehmer ist jedoch nicht verpflichtet, hierzu auf Anweisung des Arbeitgebers im Betrieb zu erscheinen, es sei denn, dies ist ausnahmsweise aus betrieblichen Gründen unverzichtbar und der Arbeitnehmer ist dazu gesundheitlich in der Lage. “ BAG v. 2. 11. 2016 – 10 AZR 596/15
c) Teilnahmerecht Dritter • Beteiligung des Betriebsrates sowie der Schwerbehindertenvertretung nach § 84 II SGB IX, sofern der Betroffene zustimmt » Schutz der Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers: kein uferloses Weitergeben von Daten • Kein Teilnahmerecht für Rechtsanwalt • BAG: Rechte des Betriebsrates, Namen und Krankheitsdaten aller Beschäftigten zu erfahren, die Voraussetzungen eines BEM erfüllen, und zwar auch dann, wenn die Betroffenen hierzu nicht zugestimmt haben
d) Vorabinformation über Gespräch und Gesprächsinhalt Nicht erforderlich aber ratsam Grund: • Um ein sachgerechtes und zweckmäßiges betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen, sollte der gut beratene Arbeitgeber den Arbeitnehmer im Vorfeld genau und im Einzelnen anschreiben und deutlich machen, worum es geht. Hierzu gehören: o Aufführung von Fehlzeiten o Aufführung von Entgeltfortzahlungskosten o Hinweise auf das betriebliche Eingliederungsmanagement sowie o Hinweise auf Sinn und Zweck
e) Ergebnis » Keine Teilnahmepflicht des Arbeitnehmers, Teilnahme aber ratsam » Durchführungspflicht i. S. d. Angebots für den Arbeitgeber » Beteiligungsrecht des Betriebsrates und der Schwerbehindertenvertretung nach § 84 II SGB IX » Vorabinformation gesetzlich nicht vorgesehen, aber ratsam
III. ZUSAMMENFASSUNG
• Gespräche, zu denen Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nach § 106 Gew. O auffordert und die Art und Weise der Leistungserbringung zum Gegenstand haben: Ø Teilnahmepflicht des Arbeitnehmers, kein Teilnahmerecht Dritter, keine Vorabinformation erforderlich • Gespräche über die Beendigung oder Änderung des Arbeitsverhältnisses: Ø keine Teilnahmepflicht des Arbeitnehmers, Teilnahmerecht Dritter, keine Vorabinformation erforderlich
• Gespräche bei einem Vorwurf einer schädigenden Handlung, bei denen der Arbeitnehmer als „Täter“ oder als Zeuge befragt wird: Ø Pflicht zur Teilnahme und Auskunft durch den Arbeitnehmer, sogar bei Selbstbelastung oder Belastung Dritter, Teilnahmerecht Dritter nur im Falle des § 80 II Betr. VG Ø Verdachtskündigung: Keine Teilnahmepflicht, Teilnahmerecht Rechtsanwalt oder Betriebsrat, Vorabinformation nicht erforderlich • Gespräche im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements: Ø keine Teilnahmepflicht, wenngleich ratsam, Betriebsrat, nicht aber Rechtsanwalt ist zu beteiligen, Vorabinformation ist empfehlenswert
Vielen Dank.
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